Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Anlaufhemmung bei der Antragsveranlagung zur Einkommensteuer

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO greift bei der Antragsveranlagung nicht ein.

2. Die unterschiedliche Behandlung von Pflicht- und Antragsveranlagung bei der Anlaufhemmung verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

 

Normenkette

AO § 170 Abs. 2 Nr. 1, § 169 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 2; EStG § 36 Abs. 1, § 25 Abs. 1, 3, § 46 Abs. 2 Nr. 8; GG Art. 3 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 14.04.2011; Aktenzeichen VI R 53/10)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob bei den nach dem 28.12.2007 eingegangen Antragsveranlagungen der Streitjahre 2002 und 2003 bei der Berechnung der Festsetzungsverjährung die Anlaufhemmung eingreift.

Die in den Streitjahren jeweils als Arbeitnehmer beschäftigten Eheleute beantragten in den am 13.11.2008 beim Finanzamt (FA) – dem Beklagten (Bekl) – eingegangenen Einkommensteuererklärungen 2002 und 2003 die Anrechnung der nach Steuerklasse IV/IV einbehaltenen Lohnsteuer. Lohnersatzleistungen erhielten beide nicht. Das FA lehnte dies mit Bescheid vom 21.11.2008 wegen Ablauf der Zweijahresfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG a.F. sowie eingetretener Festsetzungsverjährung ab. Den zulässigen Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 20.01.2009 als unbegründet zurück. Die Zweijahresfrist sei durch das Jahressteuergesetz 2008 (JStG 2008) vom 20.12.2007 (BGBl I 2007, 3150, BStBl I 2008, 218) ab dem Veranlagungszeitraum 2005 generell anzuwenden sowie in Fällen, in denen zum Zeitpunkt der Verkündung des JStG 2008 (28.12.2007) über einen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig entschieden sei (§ 52 Abs. 55j S. 2 EStG i.d.F. des JStG 2008). Da die streitigen Erklärungen am 13.11.2008 und damit nach dem 28.12.2007 eingegangen seien, sei die Zweijahresfrist einschlägig; diese sei am 31.12.2004 bzw. am 31.12.2005 abgelaufen. Die Frage, ob Festsetzungsverjährung eingetreten sei, stelle sich daher nicht.

Mit der zulässigen Klage wurde Folgendes vorgetragen: Der BFH (Urteil vom 12.11.2009 VI R 1/09, BFH/NV 2010, 514, juris) teile nicht die Rechtsauffassung der Finanzverwaltung, die Neuregelung komme nur dann zur Anwendung, wenn der Antrag auf Veranlagung bereits vor dem 28.12.2007 beim FA eingegangen sei. Die Neuregelung des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG sei gemäß § 52 Abs. 55j EStG n.F. erstmals für den Veranlagungszeitraum 2005 anzuwenden sowie auch in Fällen, in denen am 28.12.2007 über einen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig entschieden sei. Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 15. 01.2009 VI R 23/08, BFH/NV 2009, 755, juris) stelle das Gesetz weitere Voraussetzungen nicht auf. Unter Berücksichtigung gleichheitsrechtlicher Gesichtspunkte stehe auch eine Verjährungsfrist der Veranlagung nicht entgegen. Der BFH sei davon ausgegangen, dass der Gesetzgeber mit der Überleitungsvorschrift alle noch offenen Fälle ohne weitere Fragen einer umfassenden Prüfung habe zuführen wollen. Da keine bestandskräftigen Ablehnungen der Anträge der Kl auf Durchführung der Einkommensteuer-Veranlagungen 2002 und 2003 vorlägen, seien diese durchzuführen.

Im Übrigen sei auch noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten, denn die drei Jahre dauernde Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO sei zu berücksichtigen. Da die Steuererklärungen der Jahre 2002 und 2003 am 13.11.2008 eingereicht wurden, sei die Verjährung erst mit Ablauf des Jahres 2009 bzw. 2010 eingetreten. Der BFH habe sich zwar zu der Frage der Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO bei einer Antragsveranlagung bislang nicht geäußert. Hierzu habe weder im Urteilsfall unter dem Az. VI R 1/09 noch in den Verfahren VI R 23/08 und VI R 2/09 Anlass bestanden. Allerdings habe der VI. Senat des BFH bereits mit Vorlagebeschluss vom 22.05.2006 VI R 46/05, BStBI II 2006, 820, juris) seine Bedenken an unterschiedlichen „Veranlagungsfristen” geäußert. Dort habe der BFH ausgeführt, dass es mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar sei, dass Steuerpflichtige, die nur auf Antrag zur Einkommensteuer veranlagt werden, die Veranlagung bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahrs beantragen müssen, während Steuerpflichtige, die vom Amts wegen zur Einkommensteuer zu veranlagen sind, die Durchführung der Veranlagung noch bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden siebten Kalenderjahres erreichen können. Mit der Rücknahme der Revision im BFH-Verfahren VI R 2/09 (Vorinstanz: FG Köln, Urteil vom 03.12.2008 – 11 K 4917/07) sei rechtskräftig entschieden worden, dass die Anlaufhemmung gem. § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO zu berücksichtigen sei.

Die Kl beantragen:

Unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 21.11.2008 in Gestalt der Ein spruchsentscheidung vom 20.01.2009 wird der Bekl verpflichtet, die Einkommen steuerveranlagun...

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