Leitsatz

Akzeptiert das Finanzamt bei der Bearbeitung einer Steuererklärung offenkundig widersprüchliche Angaben, kann eine spätere Änderung des Bescheids nach § 173 Abs. 1 Satz 1 AO wegen einer Amtspflichtverletzung nicht mehr zulässig sein. Erkennt die Behörde jedoch überhöhte Entfernungskilometer anstandslos an, handelt es nach Ansicht des FG Rheinland-Pfalz nicht pflichtwidrig. Daher lässt das FG eine spätere Bescheidänderung zu.

 

Sachverhalt

Eine kaufmännische Angestellte gab in ihren Einkommensteuererklärungen der Jahre 1996 bis 2005 stets eine Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte von 28 Kilometern an. Erst bei der Bearbeitung der Steuererklärung 2006 fiel einem ortskundigen Finanzbeamten auf, dass die Entfernung tatsächlich nur 10 Kilometer betrug. Daraufhin änderte das Finanzamt alle Steuerbescheide aufgrund einer neuen Tatsache nach § 173 Abs. 1 Satz 1 AO. Die Angestellte war der Ansicht, dass eine Bescheidänderung verfahrensrechtlich nicht mehr möglich ist, da das Finanzamt die Unstimmigkeit in der Erklärung eher hätte erkennen müssen.

 

Entscheidung

Das FG urteilte, dass eine Änderung der Bescheide erfolgen durfte. Eine Änderung wegen neuer Tatsachen ist zwar nicht mehr möglich, wenn das Finanzamt bei der ursprünglichen Bearbeitung der Steuererklärung seine Amtsermittlungspflichten verletzt hat und der Steuerpflichtige seinen Mitwirkungspflichten ordnungsgemäß nachgekommen ist. Eine solche Konstellation konnte das FG aber im Urteilsfall nicht erkennen. Dem Finanzamt war keine Pflichtverletzung anzulasten, da die Angaben in der Steuererklärung nicht widersprüchlich waren. Die Eintragungen boten dem Sachbearbeiter keinen Anlass, an ihnen zu zweifeln. Selbst wenn man dem Finanzamt eine Verletzung der Amtsermittlungspflichten unterstellen würde, wäre eine Bescheidänderung trotzdem noch möglich, da die Angestellte durch ihre falschen Angaben ihrerseits ihre Mitwirkungspflichten verletzt hat.

Das FG prüfte zudem, ob sich die Festsetzungsfrist aufgrund einer vorliegenden Steuerhinterziehung von 4 auf 10 Jahre verlängerte. Für das Jahr 1996 nahm das FG keine Steuerhinterziehung an, sondern ging davon aus, dass die Angestellte die falschen Angaben versehentlich vorgenommen hatte. Spätestens mit ihrem erfolgten Arbeitsplatzwechsel im Jahr 1997 musste ihr aber bewusst geworden sein, dass sie falsche Werte einträgt. Daher ist für die Jahre ab 1997 von einer Steuerhinterziehung auszugehen, sodass die Festsetzungsfrist für diese Jahre noch nicht abgelaufen war.

 

Hinweis

Einen Ermittlungsfehler des Finanzamtes - der eine spätere Änderung wegen neuer Tatsachen ausschließt - nahm das FG Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 22.2.2011 (3 K 2208/08) an, wenn der Finanzbeamte offenkundige Unklarheiten in der Einkommensteuererklärung ohne Rückfragen akzeptiert. Im Urteilsfall erkannte das Finanzamt über mehrere Jahre Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte für mehr als 180 Tage und zusätzlich Verpflegungsaufwendungen für rund 200 Tage anstandslos an. Eine Änderung der Bescheide wegen neuer Tatsachen ließ das FG nicht zu, da das Finanzamt den widersprüchlichen Angaben bereits bei der Bearbeitung der Steuererklärung hätte nachgehen müssen.

Das Finanzamt kann einen Steuerbescheid ändern, soweit ihm nachträglich Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO).

 

Link zur Entscheidung

FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29.03.2011, 3 K 2635/08

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