Entscheidungsstichwort (Thema)

Differenzbesteuerung, Lieferung von Kunstgegenständen durch den Urheber, Erwerb von Kunstwerken aus anderen EU-Mitgliedstaaten, Innergemeinschaftliche Lieferung, Innergemeinschaftlicher Erwerb

 

Leitsatz (amtlich)

1. Art. 316 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass ein steuerpflichtiger Wiederverkäufer für die Anwendung der Differenzbesteuerung auf eine Lieferung von Kunstgegenständen optieren kann, die er zuvor im Rahmen einer steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Lieferung vom Urheber oder dessen Rechtsnachfolgern erworben hat, obwohl diese nicht zu den in Art. 314 der Richtlinie aufgeführten Personengruppen gehören.

2. Ein steuerpflichtiger Wiederverkäufer kann nicht sowohl für die Anwendung der in Art. 316 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112 vorgesehenen Differenzbesteuerung auf eine Lieferung von Kunstgegenständen, die er zuvor im Rahmen einer steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Lieferung erworben hat, optieren als auch in Fällen, in denen ein Vorsteuerabzug nach Art. 322 Buchst. b der Richtlinie, der nicht in nationales Recht umgesetzt wurde, ausgeschlossen ist, Anspruch auf einen solchen Abzug erheben.

 

Normenkette

EGRL 112/2006 Art. 316 Abs. 1 Buchst. b, Art. 314, 322 Buchst. b

 

Beteiligte

Mensing

Harry Mensing

Finanzamt Hamm

 

Verfahrensgang

FG Münster (Beschluss vom 11.05.2017; Aktenzeichen 5 K 177/16 U; EFG)

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 22.11.2023; Aktenzeichen XI R 22/23 (XI R 2/20))

BFH (EuGH-Vorlage vom 20.10.2021; Aktenzeichen XI R 2/20)

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Finanzgericht Münster (Deutschland) mit Entscheidung vom 11. Mai 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 17. Mai 2017, in dem Verfahren

Harry Mensing

gegen

Finanzamt Hamm

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Siebten Kammer T. von Danwitz in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, der Richterin K. Jürimäe sowie der Richter C. Lycourgos, E. Juhász und C. Vajda (Berichterstatter),

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. Juni 2018,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Herrn Mensing, vertreten durch Rechtsanwalt O.-G. Lippross und H. Portheine, Wirtschaftsprüfer,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und R. Kanitz als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Lozano Palacios, F. Clotuche-Duvieusart, M. Wasmeier und R. Lyal als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. September 2018

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 316 Abs. 1 Buchst. b und Art. 322 Buchst. b der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Harry Mensing, einem Kunsthändler, und dem Finanzamt Hamm (Deutschland) wegen dessen Weigerung, auf Lieferungen von Kunstgegenständen, die der Kläger des Ausgangsverfahrens in anderen Mitgliedstaaten erworben hat, die Differenzbesteuerung anzuwenden.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Die Erwägungsgründe 4, 7 und 51 der Mehrwertsteuerrichtlinie lauten:

„(4) Voraussetzung für die Verwirklichung des Ziels, einen Binnenmarkt zu schaffen[,] ist, dass in den Mitgliedstaaten Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern angewandt werden, durch die die Wettbewerbsbedingungen nicht verfälscht und der freie Waren- und Dienstleistungsverkehr nicht behindert werden. Es ist daher erforderlich, eine Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern im Wege eines Mehrwertsteuersystems vorzunehmen, um so weit wie möglich die Faktoren auszuschalten, die geeignet sind, die Wettbewerbsbedingungen sowohl auf nationaler Ebene als auch auf Gemeinschaftsebene zu verfälschen.

(7) Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sollte, selbst wenn die Sätze und Befreiungen nicht völlig harmonisiert werden, eine Wettbewerbsneutralität in dem Sinne bewirken, dass gleichartige Gegenstände und Dienstleistungen innerhalb des Gebiets der einzelnen Mitgliedstaaten ungeachtet der Länge des Produktions- und Vertriebswegs steuerlich gleich belastet werden.

(51) Es sollte eine gemeinschaftliche Regelung für die Besteuerung auf dem Gebiet der Gebrauchtgegenstände, Kunstgegenstände, Antiquitäten und Sammlungsstücke erlassen werden, um Doppelbesteuerungen und Wettbewerbsverzerrungen zwischen Steuerpflichtigen zu vermeiden.”

Rz. 4

Art. 1 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:

„Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem beruht auf dem Grundsatz, dass auf Gegenstände und Dienstleistungen, ungeachtet der Zahl der Umsätze, die auf den vor der Besteuerungsstufe liegenden Produktions- und Vertriebsst...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge