Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsmittel. Staatliche Beihilfen. Deutsche steuerrechtliche Bestimmungen über die Möglichkeit eines Verlustvortrags auf künftige Steuerjahre (‚Sanierungsklausel’). Beschluss, mit dem die Beihilferegelung für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt wird. Nichtigkeitsklage. Zulässigkeit. Individuell betroffene Person. Begriff der staatlichen Beihilfe. Tatbestandsmerkmal der Selektivität. Bestimmung des Referenzsystems. Rechtliche Qualifizierung der Tatsachen

 

Normenkette

AEUV Art. 263 Abs. 4, Art. 107 Abs. 1

 

Beteiligte

Deutschland / Kommission

Bundesrepublik Deutschland

Europäische Kommission

Lowell Financial Services GmbH

 

Tenor

1. Das Anschlussrechtsmittel wird zurückgewiesen.

2. Die Nrn. 2 und 3 des Tenors des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 4. Februar 2016, GFKL Financial Services/Kommission (T-620/11, EU:T:2016:59), werden aufgehoben.

3. Der Beschluss 2011/527/EU der Kommission vom 26. Januar 2011 über die staatliche Beihilfe Deutschlands C 7/10 (ex CP 250/09 und NN 5/10) „KStG, Sanierungsklausel” wird für nichtig erklärt.

4. Die Europäische Kommission trägt neben ihren eigenen durch das Verfahren im ersten Rechtszug und das Rechtsmittelverfahren entstandenen Kosten die der Bundesrepublik Deutschland durch das Rechtsmittelverfahren entstandenen Kosten sowie die der Lowell Financial Services GmbH durch das Verfahren im ersten Rechtszug entstandenen Kosten.

5. Die Lowell Financial Services GmbH trägt ihre eigenen durch das Rechtsmittelverfahren entstandenen Kosten.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 14. April 2016,

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch T. Henze und R. Kanitz als Bevollmächtigte,

Rechtsmittelführerin,

andere Parteien des Verfahrens:

Lowell Financial Services GmbH, vormals GFKL Financial Services AG, mit Sitz in Essen (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte M. Schweda, M. Knebelsberger und F. Loose,

Klägerin im ersten Rechtszug,

Europäische Kommission, vertreten durch R. Lyal, T. Maxian Rusche und K. Blanck-Putz als Bevollmächtigte,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, des Richters A. Rosas, der Richterinnen C. Toader und A. Prechal sowie des Richters E. Jarašiūnas (Berichterstatter),

Generalanwalt: N. Wahl,

Kanzler: I. Illéssy, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 19. Oktober 2017,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Mit ihrem Rechtsmittel begehrt die Bundesrepublik Deutschland die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 4. Februar 2016, GFKL Financial Services/Kommission (T-620/11, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2016:59), soweit das Gericht darin die Klage der GFKL Financial Services AG, dann GFKL Financial Services GmbH und nunmehr Lowell Financial Services GmbH (im Folgenden: GFKL) auf Nichtigerklärung des Beschlusses 2011/527/EU der Kommission vom 26. Januar 2011 über die staatliche Beihilfe Deutschlands C 7/10 (ex CP 250/09 und NN 5/10) „KStG, Sanierungsklausel” (ABl. 2011, L 235, S. 26, im Folgenden: streitgegenständlicher Beschluss) als unbegründet abgewiesen hat, sowie die Nichtigerklärung dieses Beschlusses.

Rz. 2

Mit ihrem Anschlussrechtsmittel begehrt die Europäische Kommission im Wesentlichen die Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit das Gericht darin die von ihr gegen die Klage erhobene Einrede der Unzulässigkeit zurückgewiesen hat, und infolgedessen die Abweisung der Klage als unzulässig.

Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitgegenständlicher Beschluss

Rz. 3

Die Vorgeschichte des Rechtsstreits und der streitgegenständliche Beschluss, die in den Rn. 1 bis 31 des angefochtenen Urteils dargestellt sind, lassen sich wie folgt zusammenfassen.

Deutsches Recht

Rz. 4

In Deutschland können nach § 10d Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (im Folgenden: EStG) die in einem Steuerjahr eingetretenen Verluste auf künftige Steuerjahre vorgetragen werden, so dass die betreffenden Verluste von den steuerpflichtigen Einkünften der folgenden Jahre abgezogen werden (im Folgenden: Regel des Verlustvortrags). Nach § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (im Folgenden: KStG) besteht die Möglichkeit des Verlustvortrags für Unternehmen, die der Körperschaftsteuer unterliegen.

Rz. 5

Die Möglichkeit des Verlustvortrags führte dazu, dass allein aus Gründen der Steuerersparnis Unternehmen erworben wurden, die ihren Geschäftsbetrieb eingestellt hatten, aber noch Verluste besaßen, die vorgetragen werden konnten. Um solchen als missbräuchlich angesehenen Vorgängen entgegenzuwirken, führte der deutsche Gesetzgeber im Jahr 1997 § 8 Abs. 4 KStG ein. Er beschränkte die Möglichkeit des Verlustvortrags auf Unternehmen, die mit dem Unternehmen, das die Verluste erlitten hatte, r...

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