Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerbefreiung, Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, Herauslösen und Vermehrung von Knorpelzellen zur Reimplantation beim Patienten

 

Leitsatz (amtlich)

Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass das Herauslösen von Gelenkknorpelzellen aus dem einem Menschen entnommenen Knorpelmaterial und ihre anschließende Vermehrung zur Reimplantation aus therapeutischen Zwecken eine „Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin“ im Sinne dieser Bestimmung ist.

 

Normenkette

EWGRL 388/77 Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c

 

Beteiligte

Verigen Transplantation Service International

Finanzamt Leverkusen

Verigen Transplantation Service International AG

 

Verfahrensgang

BFH (Beschluss vom 01.04.2009; Aktenzeichen XI R 52/07; BFH/NV 2009, 1050)

 

Tatbestand

„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie ‐ Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c ‐ Befreiungen dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten ‐ Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin ‐ Herauslösen und Vermehrung von Knorpelzellen zur Reimplantation beim Patienten“

In der Rechtssache C-156/09

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 1. April 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Mai 2009, in dem Verfahren

Finanzamt Leverkusen

gegen

Verigen Transplantation Service International AG

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano sowie der Richter J.-J. Kasel, A. Borg Barthet (Berichterstatter), E. Levits und der Richterin M. Berger,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: A. Calot Escobar,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

‐ der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und C. Blaschke als Bevollmächtigte,

‐ der spanischen Regierung, vertreten durch F. Díez Moreno als Bevollmächtigten,

‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Triantafyllou als Bevollmächtigten,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 29. Juli 2010

folgendes

Urteil

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c und Art. 28b Teil F Abs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in der durch die Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 (ABl. L 102, S. 18) geänderten Fassung (im Folgenden: Sechste Richtlinie).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Verigen Transplantation Service International AG (im Folgenden: VTSI) und dem Finanzamt Leverkusen (im Folgenden: Finanzamt) wegen dessen Weigerung, die Umsätze von VTSI aus der Vermehrung von Gelenkknorpelzellen für in anderen Mitgliedstaaten ansässige Empfänger von der Mehrwertsteuer zu befreien.

Rechtlicher Rahmen

Sechste Richtlinie

Rz. 3

Nach Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie unterliegen „Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt“, der Mehrwertsteuer.

Rz. 4

Art. 9 Abs. 1 und 2 der Sechsten Richtlinie bestimmt:

„(1) Als Ort einer Dienstleistung gilt der Ort, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus die Dienstleistung erbracht wird, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort.

(2) Es gilt jedoch

c) als Ort der folgenden Dienstleistungen der Ort, an dem diese Dienstleistungen tatsächlich bewirkt werden:

‐ Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen;

…“

Rz. 5

Art. 13 Teil A („Befreiungen bestimmter dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten“) der Sechsten Richtlinie sieht in Abs. 1 Buchst. c vor:

„Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:

c) die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht werden;

…“

Rz. 6

In Art. 28b Teil F der Richtlinie heißt es:

„Bei Begutachtungen von oder Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen, die an Empfänger erbracht werden, die eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer in einem anderen Mitgliedstaat als dem haben, in dem diese Dienstleistungen tatsächlich erbracht werden, gilt abweichend von Artikel 9 Absatz 2 Buchst...

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