Leitsatz

1. Die Festsetzung von Erbschaftsteuer gegen unbekannte Erben ist zulässig, wenn hinreichend Zeit zur Verfügung stand, die Erben zu ermitteln.

2. Für eine Erbenermittlung, die keine besonderen Schwierigkeiten aufweist, ist ein Zeitraum von einem Jahr ab dem Erbfall in der Regel angemessen. Jedenfalls nach Ablauf von drei Jahren und fünf Monaten ist es auch bei besonders schwierigen Erbenermittlungen nicht zu beanstanden, Erbschaftsteuer gegen unbekannte Erben festzusetzen.

3. Der Bescheid ist dem Nachlasspfleger bekanntzugeben.

 

Normenkette

§ 20 Abs. 1 Satz 1, § 31 Abs. 6, § 32 Abs. 2 ErbStG, § 1960 Abs. 1 Satz 2 BGB, § 119 Abs. 1, § 162 Abs. 1 AO

 

Sachverhalt

Die Kläger sind die Erben des im Februar 2014 verstorbenen Erblassers. Die Erbengemeinschaft war zunächst nicht ermittelbar. Daher wurde im Juni 2014 ein Nachlasspfleger bestellt. Nachdem dieser eine Erbschaftsteuererklärung abgegeben hatte, setzte das FA im April 2015 gegenüber den "unbekannten Erben" des Erblassers Erbschaftsteuer fest. Der Bescheid war mit einem Vorläufigkeitsvermerk hinsichtlich der Anzahl der Erben, der Höhe der jeweiligen Erbteile, der Höhe der persönlichen Freibeträge und der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Bestimmung der Steuerklasse versehen. In der Anlage erläuterte das FA den Bescheid ergänzend. Der Bescheid wurde dem Nachlasspfleger bekanntgegeben.

Dieser legte in Vertretung der unbekannten Erben Einspruch ein. Er machte u.a. geltend, eine Steuerfestsetzung gegen unbekannte Erben sei nicht möglich. Es sei zudem von einer höheren Zahl von Erben auszugehen. Das FA gab dem Einspruch nur hinsichtlich dieser Zahl statt. Die Vorläufigkeit blieb bestehen.

Das FG wies die Klage ab (FG Düsseldorf, Urteil vom 9.8.2017, 4 K 442/16 Erb, Haufe-Index 11248163, EFG 2017, 1525).

Nachdem die Erben während des Revisionsverfahrens einen Erbschein erhalten hatten, wurde die Nachlasspflegschaft aufgehoben. Das Revisionsverfahren wurde zunächst von der Rechtsanwaltssozietät des Nachlasspflegers und nach deren Auflösung vom vormaligen Nachlasspfleger als Prozessbevollmächtigtem geführt.

 

Entscheidung

Der BFH wies die Revision der Kläger als begründet zurück. Das Revisionsverfahren sei nicht unterbrochen worden. Das FG habe zu Recht entschieden, dass die vom FA gegenüber den unbekannten Erben vorgenommene Festsetzung von Erbschaftsteuer im Wege einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nicht zu beanstanden sei.

 

Hinweis

Der BFH befasst sich im Besprechungsurteil mit der Festsetzung von Erbschaftsteuer gegen unbekannte Erben. Diese ist unter bestimmten Voraussetzungen zulässig.

1. Mit der Rechtsfigur der unbekannten Erben i.S.d. § 1960 Abs. 1 Satz 2 BGB ist als zunächst abstraktes Subjekt ein Steuerschuldner vorhanden, der Beteiligter eines Steuerschuldverhältnisses sein kann. Dieses abstrakte Subjekt kann sich später als eine Person oder – wenn der Nachlasspfleger nicht von vornherein als Pfleger für eine Einzelperson bestellt worden ist – als eine Mehrheit konkreter Personen erweisen.

2. Die Erbschaftsteuer kann nur dann gegen die unbekannten Erben festgesetzt werden, wenn eine Nachlasspflegschaft besteht (§ 1960 Abs. 2, §§ 1961, 1962 BGB).

a) Als gesetzlicher Vertreter der unbekannten Erben hat der Nachlasspfleger deren steuerliche Pflichten zu erfüllen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 AO). Gemäß § 31 Abs. 6 ErbStG ist er zur Abgabe der Erbschaftsteuererklärung verpflichtet. Nach § 32 Abs. 2 Satz 1 ErbStG ist ihm der Erbschaftsteuerbescheid bekanntzugeben. Er hat die festgesetzte Erbschaftsteuer aus dem Nachlass zu entrichten (§ 32 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 ErbStG, § 34 Abs. 1 Satz 2 AO) und die Vollstreckung in diesen zu dulden (§ 77 Abs. 1 AO).

b) Diese Bestimmungen des ErbStG erfassen auch die bedeutende Fallgruppe der unbekannten Erben und nicht nur Sachverhalte, bei denen die Erben bereits bekannt sind, die Nachlasspflegschaft aber noch nicht aufgehoben worden ist, oder Fälle, in denen die Annahme der Erbschaft noch nicht erfolgt oder ungewiss ist.

c) Der Nachlasspfleger hat darüber hinaus nach § 32 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 3 ErbStG auf Verlangen der Finanzbehörde aus dem Nachlass Sicherheit zu leisten. Solange die Steuer nicht vollständig entrichtet ist, können vielerlei Gründe – wie etwa fehlende liquide Mittel zur Steuerzahlung – vorliegen, vom Nachlasspfleger Sicherheiten (§§ 241 ff. AO) zu fordern.

3. Sind die Erben noch nicht ermittelt und benannt, sind die Besteuerungsgrundlagen für die Festsetzung der Erbschaftsteuer gemäß § 162 Abs. 1 Satz 1 AOzu schätzen.

a) Zu den zu schätzenden Besteuerungsgrundlagen gehören die Anzahl der Erben und die Größe der Erbteile, d.h. die jeweilige Erbquote. Auch bei den tatbestandlichen Voraussetzungen für die Einteilung der Erben in Steuerklassen (§ 15 ErbStG) und für die Bestimmung der persönlichen Freibeträge (§§ 16, 17 ErbStG) handelt es sich um Besteuerungsgrundlagen, die einer Schätzung zugänglich sind.

b) Eine Befugnis zur Schätzung besteht erst, wenn der Nachlasspfleger ausreichend Zeit hat...

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