Leitsatz

§ 24b Abs. 1 Satz 2 EStG vermutet unwiderlegbar, dass ein Kind, das in der Wohnung des alleinstehenden Steuerpflichtigen gemeldet ist, zu dessen Haushalt gehört.

 

Normenkette

§ 24b Abs. 1 Satz 2 EStG

 

Sachverhalt

Der Kläger ist seit 2005 verwitwet. Er bezog im Streitjahr 2010 für seine 1989 geborene Tochter Kindergeld. Die Tochter wohnte in einer eigenen Wohnung und nicht in der Wohnung des Klägers, in der sie jedoch mit Wohnsitz gemeldet war.

Im geänderten Einkommensteuerbescheid für 2010 versagte das FA den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Niedersächsische FG (Urteil vom 23.1.2013, 3 K 12326/12, Haufe-Index 4057471, EFG 2013, 1124) führte aus, die in § 24b Abs. 1 Satz 2 EStG aufgestellte Vermutung der Haushaltszugehörigkeit eines Kindes könne widerlegt werden und sei im Streitfall widerlegt worden.

 

Entscheidung

Die Revision des Klägers führte zur Stattgabe der Klage; der BFH setzte die Einkommensteuer 2010 unter Gewährung des Entlastungsbetrags niedriger fest.

 

Hinweis

1. Alleinstehende Steuerpflichtige können nach § 24b Abs. 1 Satz 1 EStG einen Entlastungsbetrag i.H.v. 1.308 EUR im Kalenderjahr abziehen, wenn zu ihrem Haushalt mindestens ein Kind gehört, für das ihnen ein Freibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG oder Kindergeld zusteht. Die Zugehörigkeit zum Haushalt ist nach § 24b Abs. 1 Satz 2 EStG anzunehmen, wenn das Kind in der Wohnung des Steuerpflichtigen gemeldet ist.

2. Ein Kind, das zwar in der Wohnung des alleinstehenden Steuerpflichtigen gemeldet ist, aber tatsächlich in einer eigenen Wohnung lebt, gehört zum Haushalt des Steuerpflichtigen. Die Meldung begründet eine unwiderlegbare Vermutung der Haushaltszugehörigkeit. Das begründet der BFH anhand des Gesetzeswortlauts, der Gesetzesmaterialien und der Gesetzessystematik.

3. Der Wortlaut des § 24b Abs. 1 Satz 2 EStG ("Die Zugehörigkeit zum Haushalt ist anzunehmen, wenn …") spricht für eine unwiderlegbare Vermutung. Er enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass die aufgrund einer Meldung unterstellte Haushaltszugehörigkeit widerlegt werden kann.

4. In den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 15/3339, 11) heißt es: "Bei Meldung des Steuerpflichtigen und seines Kindes mit Haupt- oder Nebenwohnsitz unter einer gemeinsamen Adresse wird durch die Neuregelung gesetzlich fingiert, dass das Kind zum Haushalt gehört."

5. Der systematische Zusammenhang belegt ebenfalls, dass eine unwiderlegbare Vermutung gewollt ist:

§ 24b Abs. 1 Satz 3 EStG trifft eine Kollisionsregelung für den Fall, dass ein Kind bei mehreren Steuerpflichtigen gemeldet ist. Es kommt dann auf die tatsächliche Haushaltsaufnahme (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG) an. Wenn die Vermutung gemäß § 24b Abs. 1 Satz 2 EStG grundsätzlich widerlegbar wäre, hätte es dieser Regelung nicht bedurft.

Während nach § 24b Abs. 1 Satz 2 EStG infolge der Meldung die Haushaltszugehörigkeit "anzunehmen" ist, "vermutet"§ 24b Abs. 2 Satz 2 EStG das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft, wobei diese Vermutung nach § 24b Abs. 2 Satz 3 EStG ausdrücklich widerlegbar ist. Hätte der Gesetzgeber das Tatbestandsmerkmal der Haushaltszugehörigkeit i.S.d. § 24b Abs. 1 Satz 2 EStG ebenfalls als widerlegbare Vermutung ausgestalten wollen, hätte er dies – wie in Abs. 2 Sätze 2 und 3 geschehen – auch in Abs. 1 zum Ausdruck bringen müssen.

6. Der Anspruch auf den Entlastungsbetrag wird durch einen Verstoß gegen das Meldegesetz nicht ausgeschlossen. Eine unwiderlegbare Vermutung kann ihren Zweck im Übrigen nur erfüllen, wenn sie davon unabhängig ist, ob eine Abweichung vom tatsächlichen Sachverhalt vorliegt und worauf diese beruht.

7.§ 24b Abs. 1 Satz 2 EStG begegnet als unwiderlegbare Vermutung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Sie ist durch ihren Vereinfachungszweck und die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers gerechtfertigt und widerspricht nicht dem BVerfG-Beschluss vom 22.5.2009, 2 BvR 310/07, BStBl II 2009, 884. Die vom BVerfG dort im Hinblick auf die Beanstandungen des Bundesrechnungshofs zu einem strukturellen Vollzugsdefizit des § 24b EStG angestellte Erwägung, die Finanzbehörde sei durch das Gesetz nicht gehindert, die tatsächlichen Verhältnisse aufzuklären, betrifft nur das Tatbestandsmerkmal des Alleinstehens der Steuerpflichtigen gemäß § 24b Abs. 2 EStG und nicht die Haushaltszugehörigkeit von Kindern gemäß § 24b Abs. 1 EStG.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 5.2.2015 – III R 9/13

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