Leitsatz

Ordnet das Insolvenzgericht gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 InsO an, dass Verfügungen des Insolvenzschuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind, werden Drittschuldner aus Leistungen an den Insolvenzschuldner gemäß § 24 Abs. 1 InsO nur unter den Voraussetzungen des § 82 InsO befreit. Hat der Drittschuldner mangels Schuldbefreiung nochmals an den Verwalter im Eröffnungsverfahren oder im eröffneten Verfahren zu zahlen, entsteht eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 oder Abs. 4 InsO.

 

Normenkette

§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 24 Abs. 1, § 55 Abs. 1 und Abs. 4, § 82 InsO, § 13a Abs. 1 Nr. 1 Fall 1 UStG

 

Sachverhalt

Aufgrund eines Insolvenzantrags bestellte das Insolvenzgericht mit Beschluss vom 8.6.2016 Rechtsanwalt R zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen des Insolvenzschuldners X. Das Insolvenzgericht ordnete an, dass Verfügungen des Insolvenzschuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind. Er wurde ermächtigt, Forderungen auf ein Treuhandkonto einzuziehen. Mit Beschluss vom 15.6.2016 bestellte das Insolvenzgericht den Kläger anstelle von R zum vorläufigen Insolvenzverwalter und nahm dabei auf die Anordnungen im Beschluss vom 8.6.2016 Bezug.

Der Insolvenzschuldner verfügte über ein Girokonto bei der B‐Bank. Auf diesem Konto wurden am 22.6.2016 eine Überweisung in Höhe von 446,25 EUR sowie am 28.6.2016 Überweisungen in Höhe von 357 EUR, 4.373,25 EUR sowie 238 EUR gutgeschrieben.

Den Beschluss über die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung übermittelte der Kläger der B‐Bank am 28.6.2016 um 08:53 Uhr.

Am 30.6.2016 erstellte der Kläger ein Insolvenzgutachten, das auf Besprechungen mit dem Insolvenzschuldner am 22., 26. und 29.6.2016 beruhte. Der Insolvenzschuldner habe zwischen dem 26.6.2016 und 29.6.2016 telefonisch mitgeteilt, dass auf dem B‐Bankkonto eine Zahlung eines Auftraggebers von 3.000 EUR eingehen werde.

Am 1.7.2016 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

Mit Bescheid vom 18.4.2017 setzte das Finanzamt die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Voranmeldungszeitraum Juni 2016 gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter auf 1.627,85 EUR fest und legte hierbei steuerpflichtige Umsätze in Höhe von 8.570 EUR zugrunde. Darin waren die Überweisungen vom 28.6.2016 in Höhe von 357 EUR und 4.373,25 EUR enthalten. Dagegen legte der Kläger Einspruch ein und begehrte die Herabsetzung der Steuer auf 892,05 EUR, da lediglich die tatsächlich auf dem Treuhandkonto vereinnahmten Forderungen Masseverbindlichkeiten auslösen könnten. Die vom Insolvenzschuldner auf dessen Konto vereinnahmten Beträge seien hingegen erst nach Insolvenzeröffnung und nicht in voller Höhe auf dem Treuhandkonto eingegangen.

Nach Vorlage von Kontoauszügen des Insolvenzschuldners wurden dem FA weitere Zahlungseingänge bekannt. Daher setzte das FA abweichend von der am 22.8.2018 eingereichten Umsatzsteuererklärung des Klägers für 2016 die Umsatzsteuer mit Bescheid vom 5.10.2018 fest. In der Bemessungsgrundlage von 10.527,03 EUR wurden die Überweisungen vom 22.6.2016 und 28.6.2016 berücksichtigt. Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg.

Demgegenüber gab das Finanzgericht der Klage statt (Hessisches FG, Urteil vom 19.11.2019, 6 K 1571/18, Haufe-Index 13628804, EFG 2020, 396). Würden nach der Bestellung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters auf einem Bankkonto des Insolvenzschuldners Entgeltzahlungen gutgeschrieben, sei die dabei entstehende Umsatzsteuer dann keine Masseverbindlichkeit, wenn das Insolvenzgericht Drittschuldnern nicht verboten habe, an den Insolvenzschuldner zu zahlen.

 

Entscheidung

Der BFH hob die Entscheidung der Vorinstanz auf und verwies die Sache an das FG zurück. Zwar habe das FG für die Auslegung von § 55 Abs. 4 InsO zutreffend auf die rechtlichen Befugnisse des vorläufigen Verwalters abgestellt. Es habe aber nicht § 82 InsO berücksichtigt, der auch im Insolvenzeröffnungsverfahren anwendbar sei. Hierzu seien in einem zweiten Rechtsgang weitere Feststellungen zu treffen. Die Festsetzung einer Masseverbindlichkeit könne sich im Streitfall auch bei einer Vereinnahmung nach Insolvenzeröffnung als gerechtfertigt erweisen, da das Insolvenzverfahren noch im Jahr der Bestellung des vorläufigen Verwalters eröffnet worden sei.

 

Hinweis

1. Im Insolvenzfall ist bei der steuerrechtlichen Anspruchsdurchsetzung zwischen Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) und Masseverbindlichkeiten (§ 55 InsO) zu unterscheiden. Zu den Masseverbindlichkeiten gehören gemäß § 55 Abs. 4 InsO auch Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind. Der BFH stellt für die Anwendung dieser Vorschrift auf die rechtlichen Befugnisse des vorläufigen Verwalters ab (BFH, Urteil vom 6.6.2019, V R 51/17, BFHE 265, 294). Folge dieser Sichtweise ist, dass für § 55 Abs....

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