Da ein zulässiger Einspruch gem. § 367 Abs. 2 Satz 1 AO in vollem Umfang in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu überprüfen ist, kann es passieren, dass das Finanzamt den Einspruch nicht nur als unbegründet zurückweisen, sondern darüber hinaus den angefochtenen Verwaltungsakt zum Nachteil des Einspruchsführers ändern möchte. Um wenigstens diese Verböserung zu verhindern, bleibt dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit, den Einspruch bis zur Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung[1] nach § 362 AO zurückzunehmen. Hierzu bedarf es gem. § 367 Abs. 2 Satz 2 AO – als Ausfluss des Prinzips vom rechtlichen Gehör – eines vorherigen Verböserungshinweises durch das Finanzamt. Unterbleibt dieser Hinweis und erlässt das Finanzamt die verbösernde Einspruchsentscheidung, führt dies allerdings nicht zu deren Nichtigkeit. In einem solchen Fall muss der Steuerpflichtige daher unbedingt Klage erheben. Das Finanzgericht hat daraufhin gem. § 100 Abs. 2 FGO die Einspruchsentscheidung isoliert aufzuheben und die Sache zur Nachholung des Hinweises an das Finanzamt zurückzuweisen. Damit erhält der Steuerpflichtige wieder die Möglichkeit, den Einspruch zurückzunehmen. Wenn aber nach dem Prozessbegehren des Steuerpflichtigen eine Zurücknahme des Rechtsmittels nicht in ­Betracht kommt, er vielmehr vor dem Finanzgericht materiell-rechtliche Einwendungen gegen die Steuerfestsetzung erhebt und die Herabsetzung der Steuer beantragt, hat das Finanzgericht den Verfahrensfehler des Finanzamts nicht zu beachten, sondern über den weitergehenden Klageantrag zu entscheiden.[2] Ein unzulässiger ­Einspruch eröffnet dem Finanzamt keine Verböserungsbefugnis (z. B. bei fehlender Beschwer).[3]

Ein unterbliebener Verböserungshinweis ist allerdings unschädlich, wenn der zur Verböserung führende Sachverhalt auch unter eine Änderungsvorschrift subsumiert werden kann. In diesen Fällen kann die Androhung einer Verböserung entfallen, weil der damit verbundene Zweck nicht erreicht werden könnte.

 
Praxis-Beispiel

Verböserungshinweis entbehrlich

Gegen eine Steuerfestsetzung von 10.000 EUR legt ein Steuerpflichtiger Einspruch ein. Das Finanzamt kommt aufgrund einer inzwischen von der Steuerfahndung erhaltenen Kontrollmitteilung über hinterzogene Kapitaleinkünfte zu dem Ergebnis, dass 15.000 EUR hätten festgesetzt werden müssen. Der Steuerpflichtige erhält daraufhin Gelegenheit zur Stellungnahme. Nimmt er den Einspruch zurück, um einer verbösernden Entscheidung zuvorzukommen, nützt ihm dies nichts. Das Finanzamt könnte den nunmehr bestandskräftigen Steuerbescheid aufgrund der eigenständigen Änderungsvorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ohnehin ändern.

 
Praxis-Beispiel

Kein Hinweis auf Vorbehaltsaufhebung

Ein Steuerpflichtiger legt gegen einen nach § 164 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Steuerbescheid erfolglos Einspruch ein. In der Einspruchsentscheidung hebt es gleichzeitig den Vorbehalt der Nachprüfung auf, ohne den Einspruchsführer zuvor darauf hingewiesen zu haben. Dies ist zulässig, weil der Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 3 AO jederzeit aufgehoben werden kann.[4]

Stößt das Finanzamt anlässlich eines Einspruchsverfahrens auf einen verbösernden Gesichtspunkt, der einer eigenständigen Korrekturvorschrift zugänglich ist, kann es nicht in jedem Fall auf den Verböserungshinweis verzichten. Vielmehr hat es von Amts wegen die Auswirkungen einer eventuellen Rücknahme des Einspruchs auf die Festsetzungsverjährung zu prüfen. Würde mit der Rücknahme des Einspruchs wegen des damit verbundenen Wegfalls der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3a AO[5] Festsetzungsverjährung eintreten, wäre konsequenterweise ein Verböserungshinweis erforderlich.[6] Dies gilt auch, wenn das Finanzamt zuerst den verbösernden Änderungsbescheid und anschließend die Einspruchsentscheidung erlässt.[7]

Ob die Finanzämter dies in der Praxis immer beachten, ist zu bezweifeln. Daher ist bei der Überlegung, ob ein Einspruch wegen der drohenden Verböserung nicht lieber zurückgenommen werden sollte, auch die Festsetzungsfrist sorgfältig zu prüfen.

Will das Finanzamt nach Änderung eines bestandskräftigen Bescheids zuungunsten des Steuerpflichtigen und deren Anfechtung im anschließenden Einspruchsverfahren die Steuer nochmals – über den Rahmen der vorgenommenen Änderung hinaus – im Wege der Verböserung ändern, ist die Verböserung in einem solchen Fall nur eingeschränkt zulässig. Das Finanzamt hat nicht die Möglichkeit, den ursprünglich bestandskräftigen Erstbescheid in vollem Umfang in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht erneut zu überprüfen. Die Prüfung ist auf den Verfahrensgegenstand des Einspruchsverfahrens beschränkt. Wendet sich der Steuerpflichtige mit seinem Einspruch gegen einen Änderungsbescheid, ermöglicht § 367 Abs. 2 AO der Finanzbehörde lediglich die Überprüfung dieses Änderungsbescheids. Sie kann folglich eigene Fehler nur im Hinblick auf den Änderungsbescheid, nicht aber im Hinblick auf den Erstbescheid überprüfen. Dies bedeutet aber auch, dass die Steuer dann über die im Änder...

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