Gemäß § 253 Abs. 3 S. 1 HGB ist bei abnutzbaren Vermögensgegenständen des Anlagevermögens eine planmäßige Abschreibung über die Nutzungsdauer dieser Vermögensgegenstände vorzunehmen. Dabei ist gem. § 253 Abs. 3 S. 2 HGB auf die voraussichtliche Nutzungsdauer abzustellen. Unter Beachtung der GoB ist die Nutzungsdauer zu schätzen. Beachten Sie: Vor allem

ist bei der Festlegung der Nutzungsdauer ein hohes Gewicht beizumessen.[8]

[8] Vgl. u.a. ADS, § 253 HGB, Rz. 378; Merkt in Baumbach/Hopt, HGB, 40. Aufl. 2021, § 253 Rz. 12; Schubert/Andrejewski, BeckBilKomm., 12. Aufl. 2020, § 253 Rz. 228.

a) Vorsichtsprinzip

Das Vorsichtsprinzip stellt in diesem Zusammenhang eine Bewertungsregel beim Vorliegen von Ermessensspielräumen dar und verlangt die kritische Würdigung aller wertbeeinflussenden Chancen und Risiken.[9] Im Rahmen der Bewertung dient es als Schätzmaßstab und schreibt vor, dass aus einer unter Unsicherheit ermittelten Bandbreite an Werten jener Wertansatz in der Bilanz auszuweisen ist, welcher eine leicht pessimistischere als die wahrscheinlichste Entwicklung darstellt.[10]

Bedeutung des Vorsichtsprinzips: Somit legt das Vorsichtsprinzip fest, wie Bewertungsspielräume, welche trotz der durch andere GoB vorgegebenen Bewertungsregeln noch verbleiben, auszufüllen sind.[11] Insbesondere bei

  • der Schätzung der Nutzungsdauer sowie
  • der Wahl der Abschreibungsmethode für einen Vermögensgegenstand

hat das Vorsichtsprinzip große Bedeutung.[12]

[9] Vgl. Störk/Büssow, BeckBilKomm., 12. Aufl. 2020, § 252 Rz. 32 f.
[10] Vgl. Störk/Büssow, BeckBilKomm., 12. Aufl. 2020, § 252 Rz. 33.
[11] Vgl. Winnefeld, Bilanz-Handbuch, 5. Aufl. 2015, Rz. 72.
[12] Vgl. Ballwieser in MünchKomm/HGB, § 252 Rz. 46.

b) Dem Vorsichtsprinzip zugrunde liegende Regeln

Aus Gründen der Vereinfachung und Erleichterung sowie zur Eindämmung willkürlicher Schätzungen gibt es dabei für einige Posten

  • gesetzliche sowie
  • anhand von Erfahrungen entwickelte

Regeln, welchen das Vorsichtsprinzip zugrunde liegt.[13]

[13] Vgl. Störk/Büssow, BeckBilKomm., 12. Aufl. 2020, § 252 Rz. 33.

aa) Steuerliche AfA-Tabellen

Die von der Finanzverwaltung entwickelten steuerlichen AfA-Tabellen sind hier einzuordnen. Die in ihnen zugrunde gelegten Nutzungsdauern gelten als eine vorsichtige Schätzung und können daher als ein erster Anhaltspunkt für die handelsbilanziell anzusetzende Nutzungsdauer herangezogen werden.[14]Beachten Sie: Insbesondere bei der Erstellung einer Einheitsbilanz ist dies sinnvoll.

Problematisch ist unter handelsrechtlichen Gesichtspunkten jedoch der reine Rückgriff auf die AfA-Tabellen[15], denn

  • anders als von § 253 Abs. 3 S. 2 HGB gefordert, stellen die steuerlichen AfA-Tabellen für allgemein verwendbare Anlagegüter nicht auf die wirtschaftliche, sondern auf die technische Nutzungsdauer ab[16];
  • hinzu kommt, dass aufgrund der mit dem BilMoG weggefallenen umgekehrten Maßgeblichkeit eine durchgängige Anwendung der steuerlichen AfA-Tabellen für die Bestimmung der handelsrechtlichen Nutzungsdauern – spätestens ab dem Geschäftsjahr 2010 – nicht mehr möglich ist.

Beraterhinweis Stets muss daher im Falle eines Heranziehens der AfA-Tabellen durch den Rechnungslegenden die dort entnommene Nutzungsdauer vor dem Hintergrund der handelsrechtlich zugrunde zu legenden betriebsindividuell erwarteten Nutzungsdauer überprüft werden.[17]

[14] Für die Anwendbarkeit der steuerrechtlichen AfA-Tabellen im handelsrechtlichen Jahresabschluss vgl. HFA des IDW, IDW-Fn. 2001, 449.
[15] Vgl. Hoffmann/Lüdenbach, NWB Kommentar Bilanzierung, 12. Aufl. 2021, § 253 Rz. 145 f.; Schubert/Andrejewski, BeckBilKomm., 12. Aufl. 2020, § 253 Rz. 231.
[16] Kritisch dazu Hommel, BB 2001, 247.
[17] Vgl. Müller/Nohdurft, BC 2018, 26; Schubert/Andrejewski in BeckBilKomm., 12. Aufl. 2020, § 253 Rz. 231 ff.

bb) Steuerrechtliche Fiktion einer Nutzungsdauer von einem Jahr für Computerhardware und Software

Ebenso wie bei den in den AfA-Tabellen niedergelegten Werten handelt es sich bei der von der Finanzverwaltung neu geschaffenen steuerrechtlichen Fiktion einer Nutzungsdauer von einem Jahr für Computerhardware und Software nicht um eine nach handelsrechtlichen Grundsätzen bestimmte betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer. Beachten Sie: Zwar kann ein Widerspruch mit dem Vorsichtsprinzip nicht gesehen werden, da eine kürzere Abschreibungsdauer der Vermögensgegenstände in der Handelsbilanz gerade verhindert, dass ein höheres Vermögen als tatsächlich vorhanden bilanziell ausgewiesen wird. Gleichwohl ist das Vorsichtsprinzip nicht als Freifahrtsschein dafür zu sehen, dass die Nutzungsdauer unüblich kurz geschätzt werden kann.[18]

Beraterhinweis Insbesondere unter dem Aspekt

muss konstatiert werden, dass eine fiktive Nutzungsdauer von einem Jahr in der Regel den tatsächlichen Verhältnissen zuwiderlaufen wird. Die Übernahme der einjährigen Nutzungsdauer erscheint daher m.E. unter Zugrundelegung der GoB zunächst nicht gestattet.

[18] Vgl. Endert, DStR 2021, 592 f.; Schubert/Andrejewski, ...

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