Zurechnung der Verfügungsmacht: Schließen mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte ab und gelangt dieser Gegenstand bei der Beförderung oder Versendung unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer, liegt ein sog. Reihengeschäft vor. Endet die Warenbewegung in einem solchen Reihengeschäft im Inland und wird der Liefergegenstand hier eingeführt, so stellt sich die Frage, welchem der Beteiligten die Verfügungsmacht am Liefergegenstand zum Zeitpunkt der Einfuhr zuzurechnen ist.

Bis zum 15.7.2020 war in einem Reihengeschäft der Lieferer in der Reihe, der die EUSt entrichtet hat, zum Abzug derselben berechtigt.[31] Nunmehr ist auch bei Reihengeschäften für Zwecke des Abzugs der EUSt als Vorsteuer der Zeitpunkt der Lieferung – und damit der Zeitpunkt der Übertragung der Verfügungsmacht – nach den umsatzsteuerlichen Ortsbestimmungen des § 3 Abs. 6 bis Abs. 8 UStG zu ermitteln.[32]

Die Lösung derartiger Fälle hängt davon ab, wer den Gegenstand innerhalb der Reihe befördert oder versendet und in wessen Namen die Zollanmeldung erfolgt. Die Bestimmung der verfügungsberechtigten Person in einem Reihengeschäft anhand der Ortsbestimmung des § 3 Abs. 6 bis Abs. 8 UStG führt zu folgenden Ergebnissen[33]:

 

Ausgangsbeispiel:

Der dänische Unternehmer C bestellt beim Großhändler B aus Deutschland eine dort nicht vorrätige Maschine. B gibt die Bestellung an den Schweizer Hersteller A weiter. Die Maschine wird durch einen beauftragten deutschen Frachtführer unmittelbar aus der Schweiz nach Dänemark transportiert und dort dem C übergeben. Der beauftragte Spediteur meldet die Einfuhr der Maschine als direkter Zollvertreter bei den deutschen Zollbehörden zur Überlassung zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr an und entrichtet die entstandene (deutsche) EUSt schuldbefreiend für den Zollanmelder.

Die Lösung des Beispiels hängt davon ab, welcher der Unternehmer innerhalb der Reihe den Spediteur beauftragt und in wessen Namen die Zollanmeldung erfolgt.

Variante 1: Unternehmer A beauftragt den Spediteur und die Zollanmeldung erfolgt im Namen des Unternehmers B.

Lösung: Die Lieferung von A an B ist die bewegte Lieferung in einem Reihengeschäft, weil A die Versendung beauftragt (§ 3 Abs. 6a Satz 2 UStG). Der Ort dieser (bewegten) Lieferung liegt in der Schweiz, da dort die Versendung beginnt (§ 3 Abs. 6 Satz 1 UStG). Dort wird dem B auch die Verfügungsmacht an der Maschine übertragen. Die Vorschrift des § 3 Abs. 8 UStG kommt nicht zur Anwendung, weil B zwar als Zollanmelder Schuldner der EUSt wird, hinsichtlich der bewegten Lieferung aber nicht als Lieferer, sondern als Abnehmer fungiert.[34]

Die unbewegte Lieferung von B an C, die der Versendungslieferung folgt, gilt nach § 3 Abs. 7 Satz 2 Nr. 2 UStG dort als ausgeführt, wo die Versendung der Maschine endet. Der Ort der Lieferung von B an C liegt in Dänemark. Dort wird dem C auch die Verfügungsmacht an der Maschine übertragen.

Da dem B im Zeitpunkt der Zollanmeldung die Verfügungsmacht über die Maschine zusteht, ist er nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG zum Abzug der entstandenen (deutschen) EUSt als Vorsteuer berechtigt.

Dies würde auch gelten, wenn B in Belgien ansässig ist und bisher nicht in Deutschland registriert gewesen ist. B verwirklicht mit der Einfuhr in Deutschland und dem Innehaben der umsatzsteuerlichen Verfügungsmacht bis zur Beendigung der Versendung in Dänemark ein in Deutschland mit der Einfuhr beginnendes innergemeinschaftliches Verbringen nach § 3 Abs. 1a UStG. Dieses Verbringen ist einer Lieferung gegen Entgelt gleichgestellt und unter den weiteren Voraussetzungen des § 4 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. § 6a UStG steuerbefreit (§ 6a Abs. 2 UStG).[35] In Fällen der steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Lieferung liegt eine (im Mitgliedsstaat der Überführung in den freien Verkehr) grundsätzlich steuerbare Einfuhr vor. Soweit vereinzelt vertreten wird, dass die Einfuhrumsatzsteuer erst mit der vollzogenen Lieferung (= Ankunft) im Bestimmungsmitgliedstaat entstehen würde[36], ist dem nicht zu folgen[37], da sich die Ware mit der Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr (nebst Statuswechsel) nicht mehr in einer Nichterhebungssituation nach Art. 61 MwStSystRL befindet und damit eine Einfuhr im Sinne eines Eingangs in den Wirtschaftskreislauf vorliegt.

Dies hat auch zur Folge, dass der in Belgien ansässige B verpflichtet ist, sich aufgrund des Verbringenstatbestandes in Deutschland für umsatzsteuerliche Zwecke zu registrieren.

Variante 2: Unternehmer A beauftragt den Spediteur und die Zollanmeldung erfolgt im Namen des Unternehmers C.

Lösung: Da sich die umsatzsteuerliche Beurteilung gegenüber der Variante 1 nicht ändert, ist allein der B als Verfügungsberechtigter im Zeitpunkt der Einfuhr zum Vorsteuerabzug berechtigt, auch wenn der C als Anmelder die EUSt schuldet.

Probleme ergeben sich für den B aber hinsichtlich des Nachweises der Abzugsberechtigung, wenn B im zollamtlichen Einfuhrabgabenbescheid nicht als "Empfänger/Einführer" aufgeführt ist.

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