Neue Steuerschuldnerschaft: Mit Umsetzung der zweiten Stufe des MwSt-Digitalpakets zum 1.7.2021 kommt auch eine neue Steuerschuldnerschaft für sog. elektronische Schnittstellen (i.d.R. Online-Markplätze/Plattformen). Diese gilt bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen für Fernverkäufe, bei denen Händler Waren im eigenen Namen an Nichtunternehmer verkaufen. Die Betreiber der Schnittstellen schulden dann die ordnungsgemäße Abführung der Umsatzsteuer. Umgangssprachlich wird daher oft von "Marktplatzhaftung" gesprochen. Diese ist jedoch abzugrenzen von der nationalen Marktplatzhaftung nach § 25e UStG, welche zusätzlich gilt.

Die Neuregelung gilt für bestimmte Umsätze bis zu einem Wert von 150 EUR, bei denen die Ware aus einem Drittland versendet wird (§ 3 Abs. 3a Satz 2 UStG). Bei Warenbewegungen innerhalb der EU greift die Regelung nur, wenn der Händler aus dem Drittland stammt (§ 3 Abs. 3a Satz 1 UStG). Die Neuregelung schafft eine fiktive Lieferkette, in der der Händler zunächst an den Betreiber der Schnittstelle verkauft und der Betreiber der Schnittstelle an den Kunden. Umsatzsteuerlich entsteht ein Reihengeschäft.

Zunächst stellt sich die Frage, wie der Begriff der elektronischen Schnittstelle genau definiert wird. Gesetzlich fallen unter den Begriff gem. § 3 Abs. 3a Satz 3 UStG elektronische Markplätze, elektronische Plattformen, elektronische Portale oder Ähnliches. In Ergänzung dazu liefert die Finanzverwaltung in Abschn. 3.18. Abs. 3 Satz 5 UStAE eine Auflistung von Merkmalen, die auf Vorliegen einer elektronischen Schnittstelle hindeuten können.[24]

Die möglichen Konsequenzen werden im nachfolgenden erneut anhand des Fallbeispiels erläutert.

[24] Vgl. BMF, Schr. v. 1.4.2021 – III C 3 - S 7340/19/10003.

a) Verkauf aus einem Lager in Deutschland

Fall:

Fall wie unter 1. a) – nur in diesem Fall veräußert H seine Haushaltsgeräte über einen Online-Marktplatz (MP) an K1 in Deutschland und K2 im übrigen Unionsgebiet. Aus logistischen Gründen wird die Ware in ein Zentrallager in Deutschland gebracht. Der Spediteur (indirekter Vertreter des H) und der MP sind beide in Deutschland ansässig. Die Lieferschwelle von 10.000 EUR/Jahr gilt als überschritten.

Lösung:

1. Schritt: Verbringen der Waren durch H auf das Lager in Deutschland und Überlassung der Waren zum freien Verkehr

Bei der Überlassung der Waren in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr sind von H Zollabgaben und Einfuhrumsatzsteuer zu entrichten. Wie zuvor auch, kann H dazu den in der EU ansässigen S als indirekten Vertreter beauftragen. Die im Rahmen der Einfuhr angefallene Einfuhrumsatzsteuer ist für H als Vorsteuer abziehbar, da dieser im Zeitpunkt der Einfuhr die Verfügungsmacht an der Ware innehat.

2. Schritt: Verkauf der Ware vom Lager an Kunden

Umsatzsteuerlich kommt es gem. § 3 Abs. 3a Satz 1 UStG zu einem fingierten Reihengeschäft, indem H an MP und MP an K liefert. Die Zuordnung der Warenbewegung wird gem. § 3 Abs. 6b UStG immer der Lieferung von MP an K zugeschrieben. Bei der Bestimmung der Warenbewegung geht § 3 Abs. 6b UStG als speziellere Vorschrift der Regelung des § 3 Abs. 6a UStG vor.[25] Die Warenbewegung ist somit immer der Lieferung zwischen MP und K zuzuordnen. Hinsichtlich der weiteren Lösung ist nun entscheidend, ob K in Deutschland oder in der übrigen EU ansässig ist:

[25] Vgl. Abschn. 3.18. Abs. 5 Satz 2 UStAE.

aa) Lieferung an Kunden in Deutschland

Die Lieferung des H an MP ist nach § 3 Abs. 7 Satz 2 Nr. 1 UStG in Deutschland steuerbar. Für die Lieferung greift jedoch eine neue Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 4c UStG. Dabei handelt es sich um eine sog. "echte" Steuerbefreiung. Somit ist der Abzug der Einfuhrumsatzsteuer und darüber hinaus anfallender Vorsteuern durch H möglich ist. H muss sich folglich in Deutschland umsatzsteuerlich registrieren lassen und die steuerfreien Lieferungen erklären. Letzteres wird insbesondere dadurch begründet, dass die Voraussetzungen des Vorsteuer-Vergütungsverfahrens nicht erfüllt sind und die Einfuhrumsatzsteuer nur im allgemeinen Besteuerungsverfahren abziehbar wäre. Die fingierte Lieferung von MP an K in Deutschland wird nach § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG in Deutschland ausgeführt. Die Erklärung der lokalen Lieferung kann H entweder im allgemeinen Besteuerungsverfahren oder im besonderen Besteuerungsverfahren nach § 18j UStG (OSS) vornehmen.

Beraterhinweis Beim vorliegenden Szenario kann eine lokale Lieferung über das OSS-Verfahren erklärt werden. Dies mag zunächst irritieren. Hintergrund dieser Regelung ist, dass der Marktplatz damit sämtliche fingierte Lieferungen unabhängig davon, ob sie an Kunden in Deutschland oder anderen EU-Mitgliedstaaten erfolgt sind, einheitlich im OSS Verfahren melden kann.

Interessant ist auch der Aspekt der Rechnungsstellung: Bei einer lokalen Lieferung an deutsche Kunden ist der Online-Marktplatz zur Ausstellung einer Rechnung verpflichtet, soweit dieser nicht das OSS-Verfahren nutzt.[26] Dies kann unter Umständen zu Verwirrung führen, da die zivilrechtlichen Leistungsbeziehungen lediglich zwischen Händler und Käufer bestehen. In der Praxis ist ein abgestimmt...

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