Leitsatz

1. Die Änderung einer durch arglistige Täuschung eines fremden Dritten zugunsten des Steuerschuldners erwirkten Anrechnungsverfügung ist zulässig. Sie setzt jedoch eine Abwägung widerstreitender Gesichtspunkte voraus und verlangt eine diesbezügliche Ermessensentscheidung des FA.

2. Durch die Bekanntgabe der Steuerfestsetzung wird die Frist für die Zahlungsverjährung der festgesetzten Steuer in Lauf gesetzt. Eine Änderung der Anrechnungsverfügung nach Ablauf dieser Frist ist ungeachtet dessen, ob sie zu einer Erhöhung oder einer Verminderung der Abschlusszahlung oder einer Rückforderung erstatteter Steueranrechnungsbeträge führt, unzulässig.

 

Normenkette

§ 5, § 130 Abs. 2, § 218 Abs. 2, § 220 Abs. 2, §§ 228, 229 Abs. 2 AO, § 36 Abs. 4 S. 1, § 45a Abs. 3 EStG, § 45 KStG a.F.

 

Sachverhalt

Ein Kreditinstitut hatte 1991 von dem beigeladenen Börsenmakler Aktien cum Dividende erworben und noch am selben Tag, dem Dividendenstichtag, ex Dividende zurückveräußert, wobei bei Kauf und Verkauf zwischen dem Beigeladenen und der Klägerin zwei weitere Banken in der Verkaufskette zwischengeschaltet waren. In ihrer Körperschaftsteuererklärung 1991 machte die Klägerin unter Vorlage zweier von ihr erstellter Steuerbescheinigungen Steueranrechnungsbeträge von ... DM aus Ausschüttungen auf vorgenannte Aktien geltend.

Die Veranlagung ist insofern erklärungsgemäß erfolgt. Es wurde dabei die Körperschaftsteuer auf 0 DM festgesetzt und bei der Abrechnung u.a. anrechenbare Körperschaftsteuer, Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag entsprechend den vorgelegten Steuerbescheinigungen angesetzt, sodass ein Guthaben ausgewiesen wurde. Später ist das FA aufgrund von Feststellungen der Steuerfahndung zu der Auffassung gelangt, der der Klägerin von dem Kassenverein, der damaligen zentralen Depotbank der deutschen Kreditinstitute, gutgeschriebene Betrag (Nettodividende) könne nicht als Dividende behandelt werden. Der Beigeladene habe nämlich initiiert, dass in Wahrheit gar nicht existierende Aktien mit Dividende verkauft und von der Klägerin ex Dividende an den Beigeladenen zurückveräußert worden sind, sodass Steuern erstattet wurden, die mangels tatsächlicher Dividendenausschüttung nicht gezahlt worden sind.

Das FA hat deshalb nach § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO die Anrechnungsverfügung 2001 geändert und von der Klägerin den Anrechnungsbetrag zurückgefordert. Das FG hat der Klage stattgegeben (FG Hamburg, Urteil vom 19.11.2008, 6 K 167/06, EFG 2009, 540, Haufe-Index 2119662).

 

Entscheidung

Der BFH hat das Urteil im Ergebnis bestätigt: es ist Zahlungsverjährung eingetreten und überdies nicht, wie geboten, Ermessen ausgeübt worden.

 

Hinweis

1.§ 130 Abs. 2 Nr. 3 AO ermöglicht die Rücknahme einer Anrechnungsverfügung, wenn der Begünstigte falsche Angaben gemacht hat. Dann dürfte sog. intendiertes Ermessen gegeben, die Rücknahme also i.d.R. zwingend geboten (und insofern nicht begründungsbedürftig) sein. Aber macht ein Kreditinstitut in einer von ihm erstellten Steuerbescheinigung falsche Angaben, wenn es eine Ausschüttungsbelastung und Kapitalertragsteuer im Hinblick auf nicht in der Verfügungsgewalt der Handelspartner befindliche, "fiktive" Aktien bescheinigt? Die tatsächliche Abführung jener Steuerbeträge durch die Körperschaft kann es ja niemals bescheinigen, weil es von ihr keine Kenntnis hat und sich im Allgemeinen auch keine Kenntnis verschaffen kann.

2.§ 130 Abs. 2 Nr. 3 AO ermöglicht ferner eine Rücknahme, wenn ein Abrechnungsbescheid durch unlautere Mittel wie arglistige Täuschung oder Drohung oder Bestechung erwirkt worden ist. Im Entscheidungsfall konnte allenfalls dem Beigeladenen der Vorwurf einer arglistigen Täuschung gemacht werden. Vorausgesetzt, dieser hat – was vom FG nicht festgestellt worden war – "nicht existierende" Aktien verkauft und dabei damit gerechnet, dass ein Erwerber wegen der vermeintlich auf diese Aktien erfolgten Ausschüttungen und deren Besteuerung anrechenbare Körperschaft- und Kapitalertragsteuer sowie Solidaritätszuschlag zu Unrecht, aber erfolgreich geltend machen werde. Dann wäre er kraft seiner Wissensherrschaft als mittelbarer "Täter" einer Steuerhinterziehung anzusehen (er sieht voraus, dass das Kreisgeschäft [siehe Sachverhalt] bei dem letzten Käufer und Rückverkäufer Dividende zur [unberechtigten] Steueranrechnung führen wird), was es rechtfertigt, ihm das Erwirken des Steueranrechnungsbescheids mittels Unlauterkeit vorzuwerfen.

Aber reicht das für die Anwendung des § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO? Oder ist hier gleichsam als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal mitzulesen, dass die für die zurückzunehmende Begünstigung ursächliche arglistige Täuschung von dem Begünstigten selbst oder zumindest jemandem begangen worden ist, der für denjenigen, zu dessen Gunsten der Verwaltungsakt ergangen ist, nicht (wie im Entscheidungsfall) ein völlig fremder Dritter ist? Der BFH hatte es bisher (auch im Rahmen des § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c AO) mit Fällen zu tun, bei denen zwischen dem Täuschenden und dem Begünstigten ein gewisses N...

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