Leitsatz

1. § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG steht der depotübergreifenden Verrechnung von Altverlusten i.S. des § 23 EStG in der bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Fassung (EStG a.F.) bei der (Antrags‐)Veranlagung gemäß § 32d Abs. 4 EStG nicht entgegen, da die depotbezogenen unterjährigen Verlustverrechnungen der auszahlenden Stelle i.S. des § 43a Abs. 3 EStG zwar vorrangig, aber nicht endgültig sind.

2. Die depotübergreifende Verrechnung von Altverlusten i.S. des § 23 EStG a.F. ist auch aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten.

3. Auch die Regelung des § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG steht der Verlustverrechnung nicht entgegen.

 

Normenkette

§ 20 Abs. 6 Sätze 1 und 6, § 32d Abs. 4, § 43a Abs. 3, § 43 Abs. 5 EstG, Art. 3 Abs. 1 GG

 

Sachverhalt

Der Kläger erzielte aus einem Depot bei der A‐Bank und aus einem Depot bei der B‐Bank nach der Verrechnung von Verlusten i.S.d. § 20 Abs. 2 EStG (ohne Aktien) innerhalb des Depots positive Kapitaleinkünfte. In der Einkommensteuererklärung beantragte er die Überprüfung des Steuereinbehalts nach § 32d Abs. 4 EStG. Außerdem beantragte er die Verrechnung von sog. Altverlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S.d. § 23 EStG in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung (EStG a.F.).

Bei der Steuerfestsetzung verrechnete das FA die nach der Feststellung der Banken vom Kläger erzielten Erträge nach § 20 Abs. 2 EStG mit dem Verlustvortrag aus privaten Veräußerungsgeschäften gemäß § 23 EStG a.F. Die danach verbleibenden Kapitalerträge legte es der Besteuerung nach § 32d Abs. 1 EStG zugrunde.

Hiergegen machte der Kläger geltend, dass die Verlustverrechnung durch die auszahlende Stelle i.S.d. § 43a Abs. 3 EStG nur vorläufig sei. Führe – wie im vorliegenden Fall – eine depotübergreifende Verrechnung von Altverlusten i.S.d. § 23 EStG a.F. mit den im Streitjahr erzielten positiven Einkünften i.S.d. § 20 Abs. 2 EStG zu einem günstigeren Ergebnis, sei diese im Veranlagungsverfahren vorzunehmen. Das FG gab der Klage statt (FG Düsseldorf, Urteil vom 19.3.2015, 16 K 4467/12 E, Haufe-Index 8152209, EFG 2015, 1445).

 

Entscheidung

Der BFH hat die Revision des FA als unbegründet zurückgewiesen.

 

Hinweis

1. Streitpunkt war im vorliegenden Fall die Frage, ob die Verlustverrechnung durch die depotführende Bank nach § 43a Abs. 3 Satz 2 EStG endgültig ist. Hierfür spricht der Wortlaut des § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG. Danach sind verbleibende positive Einkünfte aus Kapitalvermögen erst nach der Verrechnung i.S.d. § 43a Abs. 3 EStG mit sog. Altverlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S.d. § 23 EStG a.F. zu verrechnen.

2. Dies kann – wie im vorliegenden Fall – für den Steuerpflichtigen von Nachteil sein. Werden nach der Einführung der Abgeltungsteuer positive Einkünfte i.S.d. § 20 Abs. 2 EStG erzielt, sind diese nach Maßgabe des § 20 Abs. 6 EStG mit im selben Jahr entstandenen negativen Kapitaleinkünften auf dem Depot zu verrechnen. Wäre diese Verrechnung endgültig, käme eine Verrechnung mit den Altverlusten nach § 23 EStG a.F. nicht mehr in Betracht. Dies hätte zur Folge, dass der Steuerpflichtige Potential für eine Verrechnung mit Altverlusten i.S.d. § 23 EStG a.F. verliert und höhere Kapitaleinkünfte zu besteuern hätte.

3. Nach Auffassung des BFH ist die Verlustverrechnung nach § 43a Abs. 3 EStG bei der auszahlenden Stelle jedoch nicht endgültig. Der Steuerpflichtige kann gemäß § 32d Abs. 4 EStG beantragen, dass vom FA eine depotübergreifende günstigere Verrechnung mit Altverlusten i.S.d. § 23 EStG a.F. durchgeführt wird. Der Antrag nach § 32d Abs. 4 EStG hat zur Folge, dass die abgeltende Wirkung des Steuerabzugs entfällt.

4. Die Regelung des § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG steht der Verlustverrechnung nicht entgegen. Die Vorschrift verlangt für die Verrechnung von Verlusten aus Kapitalvermögen zwar eine Bescheinigung der auszahlenden Stelle i.S.d. § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG. Dies soll einen doppelten Verlustabzug verhindern. Diese Gefahr war im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben, da sich aus den Erträgnisaufstellungen der Banken jeweils ein positiver Endsaldo ergab.

5. Die Entscheidung des BFH war auch aus ver­fassungsrechtlichen Gründen geboten. Zum einen wird eine Ungleichbehandlung der Verlustverrechnung von Kapitaleinkünften vermieden, die nicht dem Kapitalertragsteuerabzug gemäß §§ 43ff. EStG unterliegen und direkt mit den Altverlusten nach § 23 EStG a.F. verrechnet werden können. Zum anderen würde der Ausschluss einer depotübergreifenden Verlustverrechnung zu einer erheblich höheren steuerlichen Belastung des Steuerpflichtigen bei gleicher steuerlicher Leistungsfähigkeit führen.

6. Schließlich wird durch die depotübergreifende Verlustverrechnung gewährleistet, dass Altverluste i.S.d. § 23 EStG a.F. innerhalb der vom BFH als verfassungsgemäß angesehenen Fünfjahresfrist des § 52a Abs. 11 Satz 11 EStG mit Kapitaleinkünften verrechnet werden. Die Frist ist am 31.12.2013 abgelaufen.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 29.8.2017 – VIII R 23/15

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge