Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftungsbescheid nach § 191 AO, Haftung der Gesellschafter für Steuerschulden einer aufgelösten BGB-Gesellschaft

 

Leitsatz (amtlich)

Auch der nicht geschäftsführende Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft haftet für Gewerbesteuerschulden der Gesellschaft als Gesamtschuldner (§§ 714, 421, 427 BGB), wenn Gesellschaftsvermögen nicht mehr vorhanden ist.

 

Normenkette

AO § 191 Abs. 1, 4; BGB §§ 714, 421, 427; GewStG 1977 § 2 Abs. 1, § 5 Abs. 1 S. 3; EStG § 15 Abs. 2

 

Verfahrensgang

OVG für das Land NRW (Beschluss vom 06.06.1990; Aktenzeichen 22 A 32/90)

VG Düsseldorf (Urteil vom 28.09.1989; Aktenzeichen 11 K 1169/87)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen den Beschluß des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 6. Juni 1990 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

 

Tatbestand

I.

Der Kläger schloß im Jahre 1973 mit Rechtsanwalt B.… einen Vertrag über die Bildung einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GbR) “B.… und S.… GbR” mit Sitz in Dusseldorf. Gegenstand des Unternehmens sollte der Erwerb, die Bebauung, die Verwaltung und die Veräußerung von Grundbesitz sein. Geschäftsführung und Vertretung nach außen wurden B.… übertragen. Am Vermögen der GbR war der Kläger zu 90 Prozent, B.… zu 10 Prozent beteiligt. Im gleichen Verhältnis sollten Gewinn und Verlust der GbR geteilt werden. Nach der Veräußerung eines 1976 fertiggestellten Hauses in Düsseldorf wurde die Gesellschaft am 31. Dezember 1980 aufgelöst.

Mit Bescheid vom 19. November 1982 setzte das Finanzamt für die Gesellschaft für das Kalenderjahr 1980 Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 424 494 DM fest. Die hiergegen erhobene Klage blieb beim Finanzgericht erfolglos; eine gegen das Urteil des Finanzgerichts erhobene Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom Bundesfinanzhof verworfen. Aufgrund der Gewinnfeststellung und der Festsetzung des Gewerbesteuermeßbetrages durch das Finanzamt setzte der Beklagte mit Bescheid vom 19. Januar 1983 eine Gewerbesteuer in Höhe von 52 662 DM für das Steuerjahr 1980 fest. Ein hiergegen erhobener “Einspruch” des Klägers vom 17. Februar 1983 wurde vom Beklagten nicht mehr beschieden.

Mit Haftungsbescheid vom 21. Januar 1987 nahm der Beklagte den Kläger für die rückständigen Gewerbesteuern der Gesellschaft in Anspruch. Als ehemaliger Gesellschafter der aufgelösten GbR hafte er nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs gemäß §§ 421, 427 BGB auch für Steuerschulden persönlich. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, er sei zwar an der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts beteiligt gewesen, habe aber weder eine Befugnis zur Geschäftsführung noch Einfluß auf die Abwicklung der Geschäfte gehabt. Der Beklagte wies den Widerspruch als unbegründet zurück.

Die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 28. September 1989 abgewiesen, die anschließende Berufung das Oberverwaltungsgericht mit Beschluß vom 6. Juni 1990 als unbegründet zurückgewiesen und hierzu unter anderem ausgeführt:

Rechtsgrundlage für die Heranziehung des Klägers für die Gewerbesteuerschulden der Gesellschaft sei § 191 Abs. 1 AO. Danach könne, wer kraft Gesetzes für eine Steuer hafte, mit Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. § 191 Abs. 1 AO gelte auch für eine in zivilrechtlichen Vorschriften vorgesehene Haftung eines Gesellschafters für Steuerschulden der Gesellschaft. Die Voraussetzungen des § 191 Abs. 1 AO seien gegeben. Der Kläger hafte für Steuerschulden der Gesellschaft als Mitunternehmer nach den sich aus den §§ 421, 427 BGB ergebenden Rechtsgedanken, weil durch das Auftreten der gemeinschaftlich verbundenen Gesellschafter im Rechtsverkehr eine kraft Steuerrechts teilbare Schuld der Gesellschaft entstanden, die Gesellschaft inzwischen aufgelöst und Gesellschaftsvermögen nicht mehr vorhanden sei. Die Haftung erstrecke sich auch auf Gewerbesteuerschulden, da die Gewerbesteuer an eine selbständige, nachhaltige Betätigung mit Gewinnerzielungsabsicht anknüpfe.

Mit der vom Bundesverwaltungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Der Beklagte tritt der Revision entgegen.

Der Oberbundesanwalt beteiligt sich am Verfahren. Er hält die Revision für unbegründet.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Der angefochtene Beschluß entspricht der Rechtslage (§§ 137 Abs. 1, 144 Abs. 2 VwGO).

Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, daß der Haftungsbescheid des Beklagten seine (formelle) Rechtsgrundlage in § 191 Abs. 1 AO findet. Danach kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet, die ein anderer schuldet (Haftungsschuldner).

Die Haftung nach § 191 Abs. 1 AO setzt voraus, daß die “B.… und S.… GbR” die vom Beklagten festgesetzten Gewerbesteuern für das Jahr 1980 in Höhe von 52 662 DM schuldet. Das ist der Fall. Nach § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG (1977) ist Steuerschuldner der Gewerbesteuer die Gesellschaft, wenn die Tätigkeit einer Personengesellschaft Gewerbebetrieb ist. Nach der Legaldefinition. des § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes vom 22. Dezember 1983 (BGBl I S. 1583) ist Gewerbebetrieb eine selbständige, nachhaltige Betätigung, die mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt, soweit nicht Ausübung von Land- und Forstwirtschaft, eines freien Berufes Oder einer anderen selbständigen Arbeit vorliegt. Der insoweit unstreitige Sachverhalt gibt keine Anhaltspunkte, die Eigenschaft der “B.… und S.… GbR” als Gewerbebetrieb im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG in Verbindung mit § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG in Zweifel zu ziehen. Auch das Finanzgericht ist in seinem (rechtskräftigen) Urteil vom 17. Dezember 1987 von Einkünften der Gesellschaft aus Gewerbebetrieb in Höhe von 424 494 DM ausgegangen. Mit Ablauf des Jahres 1980 ist damit die Gewerbesteuer in Höhe von 52 662 DM entstanden.

Das Berufungsgericht hat weiterhin zutreffend angenommen, daß sich § 191 Abs. 1 AO auch auf eine in zivilrechtlichen Vorschriften vorgesehene Haftung eines Gesellschafters für Steuerschulden der Gesellschaft erstreckt. Dies hat der erkennende Senat bereits entschieden (vgl. Urteile vom 7. Juli 1989 – BVerwG 8 C 85.87 – Buchholz 401.0 § 191 AO Nr. 3 S. 3 und vom 12. März 1993 – BVerwG 8 C 20.90 – UA S. 10). Daran ist festzuhalten. § 191 AO (1977) hat insoweit gegenüber § 113 RAO die Rechtslage nicht geändert (vgl. dazu auch die Gesetzesbegründung zu § 172 AO in BT-Drucks. 6, 1982 S. 159).

Das Berufungsgericht hat die zivilrechtliche Haftung des Klägers für die Gewerbesteuerschulden der GbR dem Rechtsgedanken der §§ 421, 427 BGB entnommen, “well durch das Auftreten der gemeinschaftlich verbundenen Gesellschafter im Rechtsverkehr eine kraft Steuerrechts teilbare Schuld der GbR entstanden ist, die Gesellschaft sich inzwischen aufgelost hat und Gesellschaftsvermögen nicht mehr zur Verfügung steht”. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision greifen nicht durch.

Der Bundesfinanzhof leitet in ständiger Rechtsprechung die persönliche gesamtschuldnerische Haftung der Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft für deren Steuerschulden aus dem Rechtsgedanken der §§ 421, 427, 714 BGB her (vgl. BFH, Urteile vom 23. Oktober 1985 – VII R 187/82 – BFHE 145, 13 ≪15 f.≫, vom 27. Juni 1989 – VII R 100/86 – BFHE 158, 1 ≪2 ff.≫ und vom 27. März 1990 – VII R 26/89 – BFHE 161, 390 ≪391 f.≫). Er hat das für Umsatzsteuerschulden einer BGB-Gesellschaft und für die damit zusammenhängenden Säumnis- und Verspätungszuschläge entschieden. Haftungsbegründend für die Gesellschafter ist nach dieser Rechtsauffassung des Bundesfinanzhofs, der sich der erkennende Senat anschließt, die gemeinsame Tatbestandsverwirklichung durch die Gesellschafter in Verbindung mit dem Rechtsgedanken des § 427 BGB. Die gemeinsame Verwirklichung des steuerlichen Tatbestandes (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG in Verbindung mit § 15 Abs. 2 EStG) durch die Gesellschafter, die entsprechend dem Gesellschaftsvertrag gemeinschaftlich am Rechtsverkehr teilnehmen und durch die unternehmerische Tätigkeit der Gesellschaft Steuerforderungen entstehen lassen, führt auch zu einer persönlichen gesamtschuldnerischen Haftung der Gesellschafter, wenn die Gesellschaft aufgelost und Gesellschaftsvermögen nicht mehr vorhanden ist.

Diese vom Bundesfinanzhof im Anschluß an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHZ 23, 307 ≪313≫; 61, 338 ≪343≫; 74, 240 ≪243≫) entwickelten Grundsatze zur Haftung des BGB-Gesellschafters für Umsatzsteuerschulden der GbR sind nach Auffassung des Senats auch auf Gewerbesteuerschulden anzuwenden. Hieran vermag der Hinweis der Revision auf den Charakter der Gewerbesteuer als Objekt- oder Sachsteuer nichts zu andern. Auch die Gewerbesteuer entsteht aufgrund der unternehmerischen Betätigung der Gesellschafter.

Auf die von der Revision ferner aufgeworfene Rechtsfrage, ob die Haftungsbeschrankung zugunsten des Klägers nach dem Gesellschaftsvertrag für den Beklagten erkennbar gewesen sei, kommt es nicht an. Die zivilrechtlich anerkannten Haftungsbeschrankungen zugunsten der Gesellschafter einer GbR finden nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (vgl. BFH, Urteil vom 27. März 1990, a.a.O. ≪392 ff.≫ m.weit.Nachw.), der sich der Senat anschließt, keine Anwendung. Die Steuerschuld entsteht unabhängig vom Verwirklichungswillen des Steuerschuldners und des Steuergläubigers. Zivilrechtliche Haftungsbeschrankungen für Steuerschulden der Gesellschaft kann es daher nicht geben (vgl. BFH, Urteil vom 27. Juni 1989, a.a.O.).

Gründe, aus denen sich ergeben könnte, daß der Erlaß des Haftungsbescheides gegen den Kläger als ehemaligen Gesellschafter der GbR ermessensfehlerhaft gewesen sei, hat die Revision nicht vorgetragen. Da die Gesellschaft seit 31. Dezember 1980 aufgelost, Gesellschaftsvermögen nicht mehr vorhanden und der Mitgesellschafter B.… vermögenslos verstorben ist, waren die Gründe für die Inanspruchnahme des Klägers durch Haftungsbescheid nach § 191 Abs. 1 und 4 AO evident. Einer über den Haftungsbescheid vom 21. Januar 1987 (vgl. Beiakte II S. 1) hinausgehenden Begründung bedurfte es daher nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

 

Unterschriften

Prof. Dr. Weyreuther, Dr. Kleinvogel, Prof. Dr. Driehaus, Dr. Silberkuhl, Dr. Honnacker

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1254486

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