Entscheidungsstichwort (Thema)

Ablaufhemmung durch Betriebsprüfung

 

Leitsatz (redaktionell)

Für die Verjährungsregelung nach § 146a Abs. 3 RAO und deren Fortgeltung im Rahmen von Art. 97 § 10 EGAO sowie die Anknüpfung der Ablaufhemmung an die Durchführung einer Betriebsprüfung bestehen hinreichend vernünftige und einleuchtende Gründe; insofern bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

 

Normenkette

GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; RAO § 146a Abs. 3; EGAO Art. 97 § 10; AO 1977 § 171 Abs. 4

 

Verfahrensgang

BFH (Beschluss vom 26.10.1988; Aktenzeichen I B 42/88)

FG Baden-Württemberg (Urteil vom 25.06.1987; Aktenzeichen VIII K 21/87)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

 

Gründe

Die angegriffenen Entscheidungen und die ihnen zugrunde liegende Regelung des § 146 a Abs. 3 RAO lassen eine Verletzung der Grundrechte der Beschwerdeführer nicht erkennen.

1. Weder kommt ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG noch ein solcher gegen Art. 3 Abs. 1 GG in Betracht.

a) Das Rechtsstaatsprinzip enthält als wesentliche Bestandteile die Rechtssicherheit und die materielle Gerechtigkeit. Beide Forderungen können miteinander in Widerstreit geraten. Hier ist es in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers, einen solchen Widerstreit zu entscheiden. Geschieht dies ohne Willkür, so kann die vom Gesetzgeber gewählte Regelung weder unter dem Blickwinkel des Rechtsstaatsprinzips (vgl. BVerfGE 25, 269 ≪290 f.≫; 35, 41 ≪47≫; 60, 253 ≪268 f.≫) noch unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes beanstandet werden. Der Spielraum des Gesetzgebers endet erst dort, wo ein einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung fehlt (vgl. BVerfGE 55, 72 ≪88≫; 76, 256 ≪329 f.≫).

Für die Regelung des § 146 a Abs. 3 RAO und für seine Fortgeltung im Rahmen des Art. 97 § 10 EGAO lassen sich vernünftige, einleuchtende und Willkür ausschließende Gründe anführen.

Zunächst ist es sachlich zu rechtfertigen, wenn der Gesetzgeber für abgeschlossene Veranlagungszeiträume vor Inkrafttreten der Abgabenordnung 1977 die bisherige Verjährungsregelung nach der Reichsabgabenordnung aufrecht erhält, da die Abgabenordnung 1977 neue andersartige Verjährungsgrundsätze festlegt. Des weiteren ist einsichtig, daß der Gesetzgeber in § 146 a Abs. 3 RAO (wie in § 171 Abs. 4 AO auch) die Durchführung einer Betriebsprüfung zum Anlaß der Regelung einer Ablaufhemmung nimmt. Die Betriebsprüfung als notwendiger Bestandteil des finanzamtlichen Ermittlungsverfahrens verlöre in vielen Fällen ihren Sinn, wenn die zu prüfenden Ansprüche vor Abschluß einer Betriebsprüfung verjähren könnten. Dies zu verhindern stellt einen legitimen Grund dar, die Rechtssicherheit um der Verwirklichung materieller Gerechtigkeit willen in einem gewissen Umfang einzuschränken. Verfassungsrechtlich unbedenklich ist auch, daß der Gesetzgeber in § 146 a Abs. 3 RAO eine feste zeitliche Grenze nicht vorgesehen hat, sondern den Eintritt der Verjährung von einem Handeln der Finanzbehörde abhängig macht. An welche Kriterien der Beginn und das Ende einer Verjährungshemmung geknüpft werden, ist hier eine Frage des gesetzgeberischen Ermessens. Dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit wird jedenfalls in ausreichender weise durch das Rechtsinstitut der Verwirkung Rechnung getragen. Im übrigen gehört es nicht zu den Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts, die vom Gesetzgeber gewählte Lösung auf ihre Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen (vgl. BVerfGE 50, 42 ≪47≫).

b) Auch die Anwendung des § 146 a Abs. 3 RAO begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Auslegung des einfachen Rechts, die Würdigung und Subsumtion des festgestellten Sachverhalts ist grundsätzlich allein Sache der Steuergerichte (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫; 42, 143 ≪148 f.≫; 60, 79 ≪90≫). Ein Verfassungsverstoß kann nur angenommen werden, wenn die Rechtsanwendung so fehlerhaft erscheint, daß sie nicht mehr verständlich ist und sich dadurch der Schluß aufdrängt, daß sie auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 54, 117 ≪125≫; 67, 90 ≪94≫) oder wenn die Gerichte im Wege der Auslegung gesetzlicher Vorschriften zu einer dem Gesetzgeber verwehrten Differenzierung gelangen (vgl. BVerfGE 35, 202 ≪218 f.≫; 58, 369 ≪374≫). Auch ein solcher Verstoß ist im Falle der Beschwerdeführer nicht gegeben.

Die höchstrichterliche Rechtsprechung (vgl. BFH, BStBl. II 1980, S. 368), auf der die angegriffenen Entscheidungen beruhen, wonach mit „auf Grund der Betriebsprüfung ergangenen Steuerbescheide” im Sinne des § 146 a Abs. 3 RAO auch Folgebescheide gemeint sind, läßt sich mit hinreichend sachlichen Gründen rechtfertigen. Denn auch sie trägt dem Anliegen des Gesetzgebers Rechnung, die Durchführung und den materiellrechtlich gebotenen Abschluß einer Betriebsprüfung ohne Gefährdung durch einen Verjährungseintritt sicherzustellen. Hinzu kommt für die hier vorliegende Fallgestaltung, daß jeder Steuerpflichtige, der gemeinschaftlich mit anderen Einkommensteuerpflichtigen Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt, entweder den auf Grund der Betriebsprüfung ergangenen Grundlagenbescheid selber vom Finanzamt erhält oder durch einen zur Entgegennahme des Grundlagenbescheides Bevollmächtigten vertreten wird (§ 183 AO; § 219 RAO). Damit hat der Steuerpflichtige zumindestens die Möglichkeit, bereits auf diese Weise über den Ansatz und die Höhe einzelner ihn betreffender Besteuerungsgrundlagen Kenntnis zu erlangen. Auch aus diesem Grund läßt sich rechtfertigen, daß die Durchsetzung des materiellen Steuerrechts der Rechtssicherheit vorgeht.

Wenn schließlich die Steuergerichte vorliegend die Voraussetzungen für die Annahme der Verwirkung auch nicht im Hinblick auf die am 30. Mai 1983 zwischen dem Beschwerdeführer und dem Finanzamt erzielte Verständigung als gegeben ansahen, ist dies ebenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

2. Nach alledem liegen auch keine Anhaltspunkte für ein Verstoß gegen Art. 1 GG vor.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1556436

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