Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit der Neufestsetzung der Ertragsanteile für Leibrenten durch das 2. HStrukG

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Gesetzgeber hat in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise im Rahmen des 2. HStruktG die Ertragsanteile für Leibrenten i. S. von § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG mit Wirkung ab Veranlagungszeitraum 1982 neu festgesetzt.

2. Es entspricht der Systematik der Rentenbesteuerung, wenn der Gesetzgeber auch bei Altverträgen den – erhöhten – Ertragsanteil auf das Lebensjahr des Rentenberechtigten bei Beginn des erstmaligen Rentenbezuges und nicht auf das Lebensjahr bei Inkrafttreten des 2. HStruktG abstellt. Dies ist mit den aus dem Rechtsstaatsprinzip von der Rechtsprechung abgeleiteten Regelungen über die Rückwirkung vereinbar.

 

Normenkette

GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; EStG 1982 § 22 Nr. 1 Buchst. a, § 52 Abs. 1 S. 1; 2. HStruktG Art. 26 Nrn. 9, 27

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 07.04.1986; Aktenzeichen 5 K 253/85)

 

Gründe

1. Der Gesetzgeber hat in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise im Rahmen des 2. Haushaltsstrukturgesetzes vom 22. Dezember 1981 ((BGB.. I S. 1523) in Art. 26 Nr. 9 die Ertragsanteile für Leibrenten im Sinne von § 22 Nr. 1 lit. a EStG mit Wirkung ab Veranlagungszeitraum 1982 neu festgesetzt (Art. 26 Nr. 27 des 2. Haushaltsstrukturgesetzes; § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG 1982).

a) Soweit die Anhebung der Ertragsanteile auch Rentenzahlungen ab 1. Januar 1982 betrifft, die bereits vorher zu laufen begonnen haben (sogenannte Altverträge), ist dies mit den aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) von der Rechtsprechung abgeleiteten Regelungen über die Rückwirkung vereinbar.

aa) Ein Fall einer nur ausnahmsweise zulässigen echten Rückwirkung liegt erkennbar nicht vor, da die gesetzliche Änderung der Tabelle zu § 22 Nr. 1 lit. a EStG nicht nachträglich ändernd in bereits abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift.

bb) Unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der hier anzuwendenden Regeln über die unechte Rückwirkung ergeben sich keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Anhebung der Ertragsanteile wirkt auch auf noch nicht abgeschlossene, bereits vor Ergehen des 2. Haushaltsstrukturgesetzes vereinbarte Leibrenten für die Zukunft ein. Regelungen mit unechter Rückwirkung sind grundsätzlich zulässig. Verfassungsrechtliche Schranken für den Gesetzgeber ergeben sich aber aus dem rechtsstaatlichen Prinzip der Rechtssicherheit, das in erster Linie für den Bürger Vertrauensschutz bedeutet. Das Vertrauen des Bürgers ist insbesondere enttäuscht, wenn das Gesetz einen entwertenden Eingriff vornimmt, mit dem der Betroffene nicht zu rechnen brauchte, den er also auch bei seinen Dispositionen nicht berücksichtigen konnte. Indessen kann sich der Einzelne dann nicht auf den Schutz seines Vertrauens berufen, wenn sein Vertrauen auf den Fortbestand einer ihm günstigen Regelung eine Rücksichtnahme durch den Gesetzgeber billigerweise nicht beanspruchen darf. Grundsätzlich kann der Bürger nicht darauf vertrauen, daß der Gesetzgeber Steuervergünstigungen und steuerliche Freiräume aufrechterhält sowie von der Erhebung zusätzlicher Steuern absieht. Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht nicht so weit, den Begünstigten vor jeder „Enttäuschung” seiner Erwartungen in die Dauerhaftigkeit der Rechtslage zu bewahren. Vielmehr müssen auf seiner Seite gewichtige zusätzliche Interessn angeführt werden können, die den öffentlichen Interessen vorgehen (BVerfGE 68, 237 ≪307≫ m.w.N.).

Der Gesetzgeber hat zum einen die für die Höhe der Ertragsanteile wesentlichen Rechengrößen der mittleren Lebenserwartung und des Zinssatzes bei der Neuberechnung den im Zeitpunkt der Änderung deutlich gewandelten Ertragsverhältnissen und der veränderten Lebenserwartung erstmals seit Einführung der auf den Ertragsanteil beschränkten Besteuerung von Leibrenten durch das Gesetz zur Neuordnung von Steuern vom 16. Dezember 1954 (BGBl. I S. 373) angepaßt. Zum anderen ist diese Maßnahme im Gesamtzusammenhang mit der Zielsetzung des Gesetzgebers zu sehen, die Neuverschuldung der öffentlichen Haushalte zurückzuführen und zusätzliche Mittel zur Anregung der Investitionstätigkeit zu gewinnen. Mit der Korrektur der Ertragsanteile rechnete der Gesetzgeber mit jährlichen Mehreinnahmen in Höhe von 50 Mio DM (vgl. BTDrucks. 9/842, S. 46/47 und S. 67).

Gegenüber diesen gewichtigen öffentlichen Interessen wiegt das Interesse der Rentenberechtigten aus Altverträgen an der Beibehaltung der bisherigen niedrigeren Ertragsanteile geringer, zumal die Ertragsanteile ohnehin aus Vereinfachungsgründen und zur Vermeidung sozialer Härten nur in einem grob pauschalierten Verfahren festgelegt worden sind (vgl. BVerfGE 54, 11 ≪15›.

Fehlt es aber an dem realen Bezug zu den individuellen Verhältnissen der Rentenberechtigten, so geht der Einwand der Beschwerdeführer gegen diese Berechnungsmethode fehl, eine Veränderung des bis 1981 maßgebenden Verhältnisses von Kapital- und Ertragsanteils führe durch die Absenkung des Kapitalanteils zu einem Eingriff in den Kapitalwert.

Die Beschwerdeführer können sich auch nicht darauf berufen, die Anhebung der Ertragsanteile begünstige die Rentenverpflichteten, weil sie nunmehr höhere Beträge als Werbungskosten oder Sonderausgaben absetzen dürften. Das bei wiederkehrenden Bezügen vom Gesetzgeber zwar grundsätzlich postulierte Korrespondenzprinzip kommt im Einkommensteuerrecht keineswegs ausnahmslos zum Zuge (vgl. Schmidt, EStG, 6. Aufl., § 22 Anm. 15 b). Insbesondere läßt sich aus diesem Prinzip aber nicht eine geschützte Rechtsposition des Rentenberechtigten ableiten, daß der Rentenverpflichtete nicht durch Veränderung der Ertragsanteile – zeitweilig – höher steuerlich entlastet werden dürfte.

Die Beschwerdeführer übersehen des weiteren, daß bei jeder Rentenzahlung, welche die der Berechnung des Ertragsanteils zugrunde gelegte mittlere Lebenserwartung zeitlich übersteigt, der Rentenberechtigte begünstigt, der Rentenverpflichtete aber benachteiligt wird, weil er trotz Verzehrs des Rentenstammrechts lediglich den gesetzlich festgelegten Ertragsanteil in gleichbleibender Höhe steuerlich absetzen kann.

Der Systematik der Rentenbesteuerung entspricht es, wenn der Gesetzgeber auch bei Altverträgen den – erhöhten – Ertragsanteil nach dem Lebensjahr des Rentenberechtigten bei Beginn des erstmaligen Rentenbezugs bemißt und nicht auf das höhere Lebensalter bei Tnkrafttreten des 2. Haushaltsstrukturgesetzes abgestellt hat. Die Anpassung der Rechnungsgrößen ist mit einer Erhöhung der Rente nicht gleichzusetzen (vgl. dazu Blümich/Falk, EStG, 12. Aufl.) § 22 Rdz. 103).

c) Das Prinzip der Steuergerechtigkeit (Art. 3 Abs. 1 GG) wird durch die Anhebung der Ertragsanteile offensichtlich nicht berührt. Hierdurch werden die Beschwerdeführer nicht über ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit hinaus besteuert. Die Beschwerdeführer wenden sich zudem ausdrücklich nicht gegen die höhere Steuer.

d) Die Erträge aus Kapitalvermögen werden jährlich real ermittelt. Ein Vergleich mit der Rentenbesteuerung scheidet also aus.

2. Das angegriffene Urteil des Finanzgerichts Rheinland/ Pfalz geht von den vorstehenden verfassungsrechtlichen Überlegungen aus.

Gegen den Beschluß des Bundesfinanzhofs, mit dem dieser die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision durch das Finanzgericht als unbegründet zurückgewiesen hat, haben die Beschwerdeführer keine spezifischen verfassungsrechtlichen Rügen erhoben.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 34 Abs. 2 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1556561

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