Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschränkte Abzugsfähigkeit der Unterhaltsaufwendungen an die Tochter nach deren krankheitsbedingtem Studiumsabbruch im Veranlagungszeitraum 1984

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Zur Grundrechtsverletzung durch zu geringe Abzugshöchstbeträge für Unterhaltsaufwendungen für den Veranlagungszeitraum 1984.

2. Vgl. Beschlüsse des BVerfG vom 13. Dezember 1996 – 1 BvR 1474/88 und vom 30. 01. 1997 – 1 BvR 746/86.

 

Normenkette

EStG § 33a Abs. 1 S. 1; GG Art. 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

BFH (Beschluss vom 11.01.1989; Aktenzeichen III B 39/88)

FG Baden-Württemberg (Urteil vom 03.02.1988; Aktenzeichen V K 323/85)

 

Tatbestand

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft – mittelbar – die Verfassungsmäßigkeit des § 33 a Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Art. 1 Nr. 11 des Steueränderungsgesetzes 1979 vom 30. November 1978 (BGBl. I S. 1849) – EStG 1979.

1. Die Beschwerdeführer sind miteinander verheiratet und wurden im Veranlagungszeitraum 1984 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. In der Steuererklärung machten sie Unterhaltsaufwendungen in Höhe von 10.080 DM für die im Mai 1956 geborene gemeinsame Tochter Christa geltend, die zunächst ihr Studium krankheitshalber abgebrochen und später eine Eurythmie-Ausbildung aufgenommen hatte. Vom Finanzamt anerkannt wurden die Aufwendungen jedoch nur mit dem in § 33 a Abs. 1 Satz 1 EStG 1979 festgelegten Abzugshöchstbetrag von 3.600 DM. Das zu versteuernde Einkommen wurde auf 82.249 DM festgesetzt. Klage und Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision blieben ohne Erfolg.

2. In ihrer fristgerecht erhobenen Verfassungsbeschwerde berufen sich die Beschwerdeführer auf Art. 6 Abs. 1, Art 20 Abs. 1 und 3 sowie Art. 28 Abs. 1 GG; der Sache nach machen sie insbesondere einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG geltend. In Anknüpfung an eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 66, 214) tragen sie u.a. vor, daß der Höchstbetrag von 3.600 DM in realitätsfremder Weise zu gering bemessen und unter dem Gesichtspunkt der materiellen Steuergerechtigkeit nicht mehr hinnehmbar sei.

Für die Bundesregierung hat der Bundesminister der Finanzen mit Schreiben vom 30. November 1995 und 13. März 1996 in einem Parallelverfahren (1 BvR 746/86) Stellung genommen: Bei der Ermittlung des Wohnbedarfs im Rahmen des Existenzminimums sei entsprechend dem „Bericht über die Höhe des Existenzminimums von Kindern und Familien vom Jahr 1996” der Bundesregierung vom 2. Februar 1995 (BTDrucks 13/381) von den aus den Wohngeldstatistiken entnommenen Werten (für die Empfänger des sogenannten Tabellenwohngelds) auszugehen. In die sozialhilferechtlichen Durchschnittswerte, wie sie in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juni 1994 (BVerfGE 91, 93) zugrunde gelegt worden seien, seien auch Leistungen eingeflossen, die der Deckung unangemessen hohen Sonderbedarfs in Einzelfällen dienten (vgl. dazu auch BTDrucks 13/381, S. 3) und damit nicht Maßstab für die allgemein erforderliche Versorgung Bedürftiger mit angemessenem Wohnraum sein könnten. Diese Werte seien über dies nach der sogenannten Pro-Kopf-Methode berechnet, so daß sie das Ziel verfehlten, über eine Addition der individuellen Existenzminima zu den „richtigen” Existenzminima für die verschiedenen Familien- und Haushaltstypen zu gelangen. Seinen Stellungnahmen hat der Bundesminister der Finanzen Aufstellungen über die sich nach beiden Berechnungsmethoden ergebenden Vergleichswerte beigefügt. Der Bundesfinanzhof hat in seiner Stellungnahme auf die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur steuerlichen Freistellung von Unterhaltsleistungen hingewiesen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Verfassungsbeschwerde erfüllt nicht die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG in der Fassung des Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 2. August 1993 (BGBl. I S. 1442), die gemäß Art. 8 des Gesetzes auch für dieses Verfahren gelten.

1. Der Verfassungsbeschwerde kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). An einer grundsätzlichen Bedeutung fehlt es zum einen angesichts der zwischenzeitlichen Änderungen der Sach- und Rechtslage. Die hier inmitten stehende Fassung des § 33 a Abs. 1 EStG gilt bereits seit dem Veranlagungszeitraum 1986 nicht mehr; die Vorschrift wurde in der Folgezeit noch mehrere Male geändert. Den Materialien zum Jahressteuergesetz 1996, durch das sie neuerlich geändert worden ist, läßt sich entnehmen, daß der Gesetzgeber sich bei der Bemessung des Abzugshöchstbetrags am Existenzminimum orientiert hat (vgl. die Begründung des Finanzausschusses des Bundestags für die Anhebung den Abzugshöchstbetrags auf nunmehr 12.000 DM BTDrucks 13/1558, S. 149≫). Zum anderen sind die verfassungsrechtlichen Fragen, die die Verfassungsbeschwerde aufwirft, in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits im Jahre 1984 (BVerfGE 66, 214) – in bezug auf die für die Veranlagungszeiträume 1971 bis 1973 gültig gewesene Höchstbetragsregelung des § 33 a Abs. 1 Satz 1 EStG – entschieden, daß der Gesetzgeber für die steuerliche Berücksichtigung zwangsläufiger Unterhaltsverpflichtungen nicht realitätsfremde Grenzen ziehen dürfe. Als Maßstab für die Realitätsgerechtigkeit hat es auf den Grundfreibetrag und die Sozialhilferegelsätze zurückgegriffen. In Anknüpfung an diese Rechtsprechung hat es in späteren Entscheidungen (BVerfGE 82, 60; 87, 153; 91, 93) den existenznotwendigen Mindestbedarf (Existenzminimum), wie ihn der Gesetzgeber durch die Gewährung von Sozialhilfeleistungen (Regelsätze zuzüglich sogenannter Einmalbeihilfe sowie Leistungen für Unterkunft und Heizung) zugrunde lege, als Vergleichsmaßstab herangezogen und ausgeführt, daß das Gebot, Unterhaltsaufwendungen mindestens in Höhe des Existenzminimums von der Besteuerung auszunehmen, im Ergebnis dem Grundsatz entspreche, daß der Gesetzgeber bei der Berücksichtigung zwangsläufiger Unterhaltsleistungen nicht realitätsfremde Grenzen ziehen dürfe (vgl. BVerfGE 82, 60 ≪88≫). Weitere verfassungsrechtliche Fragen, die bislang nicht Gegenstand verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung waren, wirft die Verfassungsbeschwerde nicht auf.

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Verfassungsrechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Annahme würde insoweit voraussetzen, daß die geltend gemachte Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten besonderes Gewicht hat oder die Beschwerdeführer in existentieller Weise betrifft (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25≫). Beides ist hier nicht der Fall.

a) Ohne daß es darauf ankäme, nach welcher Methode der für das Existenzminimum maßgebliche Wohnbedarfswert ermittelt wird und ob – im Hinblick auf etwaige Besonderheiten der gewählten Berechnungsmethode – bestimmte Unterschreitungen der Vergleichsgrößen verfassungsrechtlich unbedenklich sind (vgl. dazu BVerfGE 91, 93 ≪113 ff.≫), erweist sich der Abzugshöchstbetrag von 3.600 DM für das Jahr 1984 bei Zugrundelegung der oben dargelegten Maßstäbe als zu gering: Stellt man auf die zuletzt vom Bundesverfassungsgericht (in BVerfGE 91, 93 ≪104≫) herangezogenen Vergleichsgrößen „Richtwerte”) ab, so ergibt sich für das Streitjahr 1984 schon für im Haushalt lebende minderjährige Kinder ein Wert von 4.920 DM. Bereits diesen Betrag unterschreitet der Abzugshöchstbetrag von 3.600 DM um knapp 27 vom Hundert und damit in einem Maße, das von Verfassungs wegen nicht mehr hingenommen werden kann (vgl. BVerfG a.a.O., S. 115: maximal 15 vom Hundert). Der naturgemäß höhere Mindestbedarf im eigenen Haushalt lebender Erwachsener beträgt nach den den Stellungnahmen des Bundesministeriums der Finanzen beigefügten Aufstellungen sogar 8.838 DM, wenn man für den Wohnbedarf auf die sozialhilferechtlichen Durchschnittswerte (wie in BVerfGE 91, 93 ≪”Richtwerte”≫) abstellt; für mit dem Unterhaltenden in häuslicher Gemeinschaft lebende Erwachsene ergeben sich immerhin noch 6.047 DM. Ermittelt man den Wohnbedarf nach Maßgabe der Berechnungsmethode im „Bericht über die Höhe des Existenzminimums von Kindern und Familien vom Jahr 1996” (BTDrucks 13/381), so belaufen sich die Vergleichswerte für diese Personengruppen auf 7.250 DM beziehungsweise 4.665 DM. Angesichts dessen, daß der Abzugshöchstbetrag von 3.600 DM all diese Werte um knapp 23 vom Hundert bis knapp 60 vom Hundert unterschreitet, kommt es auf die Frage, ob auch bei der neuen Berechnungsmethode noch eine Unterschreitung der Vergleichsgrößen zugelassen werden kann, nicht an. Allerdings sei darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung selbst davon ausgeht, daß diese Werte nicht mehr unterschritten werden dürfen (vgl. BTDrucks 13/381, S. 4 a. E.).

b) Es ist jedoch nicht ersichtlich, daß der zu geringen Bemessung des Abzugshöchstbetrags für das Jahr 1984 eine besonders gewichtige Grundrechtsverletzung – etwa eine generelle Vernachlässigung oder grobe Verkennung von Grundrechten (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25≫) – zugrunde läge. Insoweit ist insbesondere zu berücksichtigen, daß der konkrete Maßstab, an dem die verfassungsrechtlich erforderliche Steuerfreistellung zu messen ist (Summe aus Regelsatz und Einmalbeihilfe der Sozialhilfe zzgl. Wohn- und Heizungsbedarf), erst in späteren Jahren und sukzessive von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelt wurde; selbst das Bundesverfassungsgericht ist noch im November 1986 zu dem Ergebnis gelangt, daß der Höchstbetrag des § 33 a Abs. 1 Satz 1 EStG 1979 jedenfalls für den Veranlagungszeitraum 1980 von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden sei (Nichtannahmebeschluß vom 21. November 1986, DStZ 1988, 488).

Auch eine existentielle Betroffenheit (vgl. dazu BVerfGE 90, 22 ≪25≫) der Beschwerdeführer scheidet aus. Ihnen entsteht durch die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung kein besonders schwerer Nachteil. Wäre in § 33 a Abs. 1 Satz 1 EStG 1979 ein Höchstbetrag festgelegt gewesen, der noch den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Freistellung des Existenzminimums für Unterhaltsleistungen in BVerfGE 91, 93 (o.g. „Richtwerte” abzüglich 15 vom Hundert) entsprochen hätte, so hätte dies zwar eine Reduzierung des zu versteuernden Einkommens bewirkt. Angesichts des Jahreseinkommens der Beschwerdeführer nimmt sich die zu erwartende Verminderung der Steuerschuld jedoch vergleichsweise gering aus. Es ist daher nicht ersichtlich, daß sie die Versagung einer Entscheidung zur Sache besonders schwer trifft.

3. Da die Verfassungsbeschwerde im Ergebnis nur aus den unter 2. genannten Gründen ohne Erfolg bleibt, ist es billig, die Erstattung der den Beschwerdeführern erwachsenen notwendigen Auslagen anzuordnen (§ 34 a Abs. 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1496722

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