Entscheidungsstichwort (Thema)

Ungleiche Besteuerung von Ehegatten in den neuen Bundesländern für eine kurze Übergangszeit

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Hoheitsakte für das Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik vor deren Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland unterliegen nicht der Kontrolle durch das BVerfG.

2. Die in den neuen Bundesländern für den Lohnsteuerabzug von Ehegatten im Zeitraum vom 3. Oktober 1990 bis zum 31. Dezember 1990 geltenden Regelungen lassen eine Verletzung der Grundrechte des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG nicht erkennen.

 

Normenkette

EinigVtr Anlage I, Kap. IV, Sachgebiet B, Abschn. II, Nr. 14; EStG § 38b; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1; StAnpG; WWSUVtr

 

Gründe

1. Soweit der Beschwerdeführer sich gegen den Lohnsteuerabzug in dem Zeitraum zwischen dem 1. Juli 1990 und dem 2. Oktober 1990 wendet, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil Hoheitsakte für das Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik vor deren Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland nicht der Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht unterliegen.

2. Im übrigen hat die Verfassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die in den neuen Bundesländern für den Lohnsteuerabzug von Ehegatten im Zeitraum vom 3. Oktober 1990 bis zum 31. Dezember 1990 geltenden Regelungen lassen eine Verletzung der Grundrechte des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG nicht erkennen.

Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Regelung besteuert zwar Ehegatten, die ein unterschiedlich hohes Arbeitseinkommen erzielt haben, in den neuen Bundesländern anders als in den alten Ländern. Die Verschiedenheit ist jedoch für eine Übergangszeit verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, weil sie durch hinreichende sachliche Gründe gerechtfertigt ist.

Die zum Zeitpunkt des Beitritts der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland geltenden Regelungen zum Lohnsteuerabzug beruhen auf dem Gesetz zur Änderung und Ergänzung steuerlicher Rechtsvorschriften bei Einführung der Währungsunion mit der Bundesrepublik Deutschland – Steueranpassungsgesetz – vom 22. Juni 1990 (GBl. der Deutschen Demokratischen Republik, Sonderdruck Nr. 1427), das auf der Grundlage des Staatsvertrages zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 18. Mai 1990 (BGBl. II, S. 537) von der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik erlassen wurde und das aufgrund der Regelung, die im Einigungsvertrag (Anlage I, Kap. IV, Sachgebiet B, Abschn. II, Nr. 14) zum Inkrafttreten des Rechts der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet der Besitz- und Verkehrssteuern getroffen wurde, bis zum 31. Dezember 1990 fortbestand.

Die auf diesen Regelungen beruhende unterschiedliche Besteuerung von Ehegatten begründet nur eine vorübergehende Benachteiligung, die Teil des durch den Staatsvertrag zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion eingeleiteten Prozesses der Angleichung des Rechts der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik an das Recht der Bundesrepublik Deutschland ist. Der im Einigungsvertrag für die Geltung des Rechts der Besitz- und Verkehrsteuern der Bundesrepublik Deutschland bestimmte Zeitpunkt ist mit einer Regelung vergleichbar, die im Rahmen einer Gesetzesänderung oder der Neuregelung eines Rechtsgebiets für die zeitliche Geltung des neuen Rechts getroffen wird. Für die Überleitung von einer älteren zu einer neueren, den Zielen der Verfassung besser entsprechenden Regelung steht dem Gesetzgeber indessen ein breiter Gestaltungsspielraum zur Verfügung. Das Bundesverfassungsgericht prüft in solchen Fällen nur, ob der Gesetzgeber den ihm zukommenden Gestaltungsspielraum in sachgerechter Weise genutzt, ob er die für die zeitliche Anknüpfung in Betracht kommenden Faktoren hinreichend gewürdigt hat und ob sich die gefundene Lösung im Hinblick auf den gegebenen Sachverhalt und das System der Gesamtregelung durch sachliche Gründe rechtfertigen läßt (vgl. BVerfGE 43, 282 ≪288 f.≫; 44, 1 ≪20 f.≫; 80, 297 ≪311≫). Dabei kann der Gesetzgeber auch die mit der Änderung des Rechts für die zuständigen Behörden und Gerichte verbundenen praktischen Schwierigkeiten berücksichtigen (BVerfGE 44, 1 ≪22≫).

Die für die Zeit vom 3. Oktober bis zum 31. Dezember 1990 im beigetretenen Teil Deutschlands für den Lohnsteuerabzug bei Verheirateten geltenden Regelungen sind unter diesem Gesichtspunkt verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Anwendung des Splitting-Verfahrens im Rahmen des Lohnsteuerabzugs setzt die Existenz von Lohnsteuerkarten voraus, aus denen die persönlichen Daten, die für die Berechnung der Lohnsteuer bei Ehegatten nach § 38b EStG erheblich sind, entnommen werden können. Die notwendigen Eintragungen in die Lohnsteuerkarte können nur von Behörden vorgenommen werden, die – wie etwa die Gemeindebehörden in den alten Bundesländern – die Kompetenz haben, die für die Eintragungen erforderlichen Daten zu beschaffen und zu verwerten. Diese für die Einführung des Splitting-Verfahrens notwendigen tatsächlichen und technischen Voraussetzungen waren im Zeitpunkt des Beitritts in den neuen Bundesländern noch nicht gegeben. Die Einführung von Lohnsteuerkarten war daher für die zuständigen Behörden in den neuen Bundesländern eine neue Aufgabe, die nur mit einer gewissen Vorlaufzeit bewältigt werden konnte. Ähnliche praktische Schwierigkeiten standen der Einführung eines Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahrens für das Jahr 1990 entgegen. Auch ein Lohnsteuer-Jahresausgleich setzt grundsätzlich Lohnsteuerkarten und eine Finanzverwaltung voraus, die in der Lage ist, ein solches Massenverfahren durchzuführen.

Der Gesetzgeber hat danach den Gestaltungsspielraum, der ihm bei der Überleitung des Rechts der Bundesrepublik Deutschland auf die neuen Bundesländer zur Verfügung stand, in sachgerechter Weise genutzt. Der Beschwerdeführer hat die ungleiche Besteuerung für eine kurze Übergangszeit hinzunehmen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1513770

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