Entscheidungsstichwort (Thema)

Benachteiligung von Ehegatten bei der Kapitalverkehrsteuer; Kapitalersetzendes Darlehen eines Gesellschafter-Ehegatten

 

Leitsatz (amtlich)

Verfassungswidrigkeit der Benachteiligung von Ehegatten bei der Kapitalverkehrsteuer (§ 3 Abs. 2 Satz 2 Kapitalverkehrsteuergesetz).

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1; KVStG § 3 Abs. 2 S. 2, § 10 Abs. 1

 

Tatbestand

A.

I.

Nach § 3 Abs. 1 des Kapitalverkehrsteuergesetzes in der Fassung vom 24. Juli 1959 (BGBl I S. 530) – KVStG – unterliegt der Gesellschaftsteuer die Gewährung von Darlehen an eine inländische Kapitalgesellschaft durch einen Gesellschafter, wenn die Darlehnsgewährung eine durch die Sachlage gebotene Kapitalzuführung ersetzt. Darlehen, die der Ehegatte eines Gesellschafters gewährt, gelten nach § 3 Abs. 2 Satz 2 KVStG als Darlehen des Gesellschafters. Schuldner der Kapitalverkehrsteuer ist in jedem Fall die Kapitalgesellschaft (§ 10 Abs. 1 KVStG).

II.

Klägerin des Ausgangsverfahrens ist eine von Eheleuten im Jahre 1956 gegründete Gesellschaft mit beschränkter Haftung. An dem Stammkapital der Gesellschaft in Höhe von 20 000 DM waren zunächst der Ehemann mit 16 000 DM und die Ehefrau mit 4 000 DM beteiligt. Im Februar 1961 übertrug der Ehemann seinen Geschäftsanteil auf seine Ehefrau, die damit alleinige Gesellschafterin der Gesellschaft wurde. An demselben Tag vereinbarten die Ehegatten durch Ehevertrag die Gütertrennung.

Im Sommer 1961 gewährte der Ehemann der Gesellschaft ein Darlehen von rd. 32 000 DM, das für Anbauten an Wohn- und Büroräumen verwendet wurde. Eigenkapital stand der Gesellschaft hierfür nicht zur Verfügung.

Das FA sah in der Gewährung des Darlehens einen nach § 3 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 2 KVStG gesellschaftsteuerpflichtigen Vorgang und setzte hierfür einen Betrag von 487,50 DM als Gesellschaftsteuer fest.

Mit der gegen diesen Steuerbescheid erhobenen Sprungberufung macht die Gesellschaft geltend, die Vorschrift des § 3 Abs. 2 Satz 2 KVStG widerspreche dem Grundgesetz.

Das FG Rheinland-Pfalz hat das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG ausgesetzt und die Entscheidung des BVerfG darüber eingeholt, ob § 3 Abs. 2 Satz 2 des Kapitalverkehrsteuergesetzes in der Fassung vom 24. Juli 1959 (BGBl I S. 530) mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist. Nach seiner Auffassung hängt die Entscheidung des Rechtsstreits von der Rechtswirksamkeit dieser Vorschrift ab. Denn die Darlehnsgewährung durch den Ehemann ersetze eine durch die Sachlage gebotene Kapitalzuführung. Einen Verfassungsverstoß hält das FG aus folgenden Gründen für gegeben:

Nach § 3 Abs. 2 Satz 2 KVStG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 KVStG habe eine inländische Körperschaft, falls die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 KVStG gegeben seien, für Darlehen eines Gesellschafter-Ehegatten Gesellschaftsteuer zu zahlen. Darlehen anderer naher Angehöriger eines Gesellschafters oder Darlehen Dritter führten hingegen nicht zur Steuerpflicht. Damit sei eine ungleiche steuerliche Behandlung zweier im wesentlichen gleicher Sachverhalte gegeben. Für diese verschiedene Behandlung liege kein sachgerechter Grund vor.

Die zur Begründung des § 3 Abs. 2 Satz 2 KVStG gegebene Erklärung des Gesetzgebers, die allgemeine Entwicklung im Steuerrecht führe zur steuerlichen Einheit der Ehegatten (Amtliche Begründung zum Kapitalverkehrsteuergesetz vom 16. Oktober 1934, RStBl 1934 S. 1460 [1466]) sei unzutreffend. Die Annahme einer steuerlichen Einheit der Ehegatten entspreche nicht dem bürgerlichen Recht, in den meisten Fällen auch nicht der tatsächlichen Lage.

Auch die Erwägung, § 3 Abs. 2 Satz 2 KVStG erspare den Finanzämtern den schwierigen Nachweis einer Steuerumgehung, sei nicht sachgerecht. Zwar könnten Zweckmäßigkeitserwägungen wie die Verhinderung von Steuerumgehungen unter gewissen Voraussetzungen einen sachgerechten Grund für eine verschiedene Behandlung ähnlicher Sachverhalte darstellen. Die Regelung des § 3 Abs. 2 Satz 2 KVStG verfolge dieses Ziel jedoch auf unzulässige Weise. Denn in dieser Vorschrift werde eine Steuerumgehungsabsicht zwischen Ehegatten unwiderleglich vermutet. Darin liege eine mit Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbare Diskriminierung der Ehe.

III.

Der Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung und die Länderregierungen haben sich zu dem Vorlagebeschluß nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

B.

I.

Die Vorlage ist zulässig.

§ 3 Abs. 2 Satz 2 KVStG ist nachkonstitutionelles Recht.

Die Vorschrift gilt zwar in der jetzigen Fassung bereits seit Inkrafttreten des Kapitalverkehrsteuergesetzes vom 16. Oktober 1934 (RGBl I S. 1058); sie ist jedoch auch vom nachkonstitutionellen Gesetzgeber bestätigend in seinen Willen mit aufgenommen worden (vgl. BVerfGE 11, 126 [131 f.]; 13, 153 [157 f.]; 24, 20 [22]). Der Bestätigungswille ergibt sich insbesondere daraus, daß die Vorschrift des § 3 KVStG durch Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung verkehrsteuerrechtlicher Vorschriften vom 25. Mai 1959 (BGBl I S. 261) inhaltlich geändert wurde, wobei den Gegenstand des Gesetzesbeschlusses der vollständige Text des § 3 KVStG einschließlich seines Absatzes 2 Satz 2 bildete.

II.

§ 3 Abs. 2 Satz 2 KVStG ist mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar.

1. Nach § 2 KVStG unterliegt der Gesellschaftsteuer der Ersterwerb von Gesellschaftsrechten an einer inländischen Kapitalgesellschaft; außerdem werden auch gewisse Leistungen von Gesellschaftern an die Kapitalgesellschaft – wie z.B. Nachschüsse und Zubußen – als gesellschaftsteuerpflichtig angesehen. Zweck dieser Regelung ist die steuerliche Erfassung von Kapitalzuführungen an Kapitalgesellschaften.

Um zu verhüten, daß Gesellschaften aus steuerlichen Gründen mit einem nur geringen Grund- oder Stammkapital, dafür aber mit um so höheren Gesellschafterdarlehen finanziert werden, werden nach § 3 Abs. 1 KVStG auch Gesellschafterdarlehen der Steuer unterworfen (Boruttau-Schadeck, Kapitalverkehrsteuer, 2. Aufl., S. 99); Voraussetzung für die Besteuerung von Darlehen ist lediglich, daß die Darlehnsgewährung eine durch die Sachlage gebotene Kapitalzuführung ersetzt. Diese Vorschrift ist mit der Verfassung vereinbar (BVerfGE 13, 153 ff.). Als Darlehen eines Gesellschafters gelten nach § 3 Abs. 2 Satz 2 KVStG auch Darlehen, die der Ehegatte eines Gesellschafters gewährt.

2. Die Erweiterung des steuerlichen Tatbestandes durch die Vorschrift des § 3 Abs. 2 Satz 2 KVStG beruht ausschließlich auf dem Umstand, daß der Darlehnsgeber Ehegatte eines Gesellschafters ist. Die Darlehnsgewährung durch andere Personen (z.B. durch Kinder, Eltern oder andere nahe Angehörige eines Gesellschafters, vor allem aber auch durch familienfremde Dritte) unterliegt der Gesellschaftsteuerpflicht grundsätzlich nicht. Die Bestimmung des § 3 Abs. 2 Satz 2 KVStG enthält somit eine mittelbare Benachteiligung von Ehegatten gegenüber Unverheirateten, indem sie eine Steuerpflicht statuiert, die sonst nicht einträte.

3. Da es sich bei der von der Norm betroffenen Beschwerdeführerin um eine juristische Person handelt, die sich nicht selbst auf den in Art. 6 Abs. 1 GG verbrieften Schutz von Ehe und Familie berufen kann, kommt diese Grundrechtsbestimmung als unmittelbare Prüfungsnorm nicht in Betracht Art. 6 Abs. 1 GG behält allerdings seine Bedeutung als Wertmaßstab im Rahmen der Prüfung, ob die Vorschrift des § 3 Abs. 2 Satz 2 KVStG gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt (vgl. BVerfGE 13, 290 [298]; 18, 257 [269]).

Die steuerliche Behandlung der Ehegatten in § 3 Abs. 2 Satz 2 KVStG ist mit dem Gleichheitssatz nicht vereinbar, weil sich aus der Natur der Ehe im Hinblick auf das Wesen der Gesellschaftsteuer keine sachgerechten Gründe für diese Regelung ergeben.

a) Bei rein abgabenrechtlichen Bestimmungen liegt die Anknüpfung an den Ehestand an sich nicht in der Natur der Sache (BVerfGE 6, 75 [79]; 13, 290 [303]). Es ist zwar nicht zu verkennen, daß die Darlehnsgewährung an eine Kapitalgesellschaft durch den Ehegatten eines Gesellschafters häufig auf der ehelichen Beziehung beruhen wird, nämlich auf der besonderen persönlichen Bereitschaft des Ehegatten, mit dem Einsatz seiner Mittel dem anderen Ehepartner wirtschaftlich behilflich zu sein und dadurch auch in der Regel die gemeinsame wirtschaftliche Grundlage der Ehe zu verbessern.

Dieses zwischen Ehegatten bestehende persönliche Verhältnis könnte jedoch nur dann zur Rechtfertigung einer die Ehegatten benachteiligenden Regelung herangezogen werden, wenn es notwendig oder doch typischerweise eine Vermögensgemeinschaft oder eine wirtschaftliche Abhängigkeit des einen vom anderen Ehegatten mit sich brächte, so daß einer der Ehegatten jeweils immer nur die Stelle eines unselbständigen „Strohmannes” des anderen einnehmen würde (BVerfGE 16, 203 [208]).

Ein derartiges Verhältnis entspricht indessen nicht den Rechtsbeziehungen, die zwischen den Ehegatten nach bürgerlichem Recht bestehen. Abgesehen von der durch die Regelung der Unterhaltspflichten (§§ 1360 ff. BGB) bedingten „Unterhaltsgemeinschaft” begründet die Ehe als solche keine Vermögensgemeinschaft (vgl. BVerfGE 13, 290 [308] und 15, 328 [331 f.]). Die Vorstellung von einer „teilweisen steuerlichen Gütergemeinschaft” zwischen Ehegatten, von der der Gesetzgeber bei Schaffung des Gesetzes offenbar ausgegangen ist (vgl. Amtliche Begründung des Kapitalverkehrsteuergesetzes vom 14. Oktober 1934, RStBl 1934 S. 1460 [1466]), beruht, wie das FG unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte mit Recht festgestellt hat, auf unzutreffenden Voraussetzungen.

b) Auch die Absicht des Gesetzgebers, Steuerumgehungen zu verhindern und die Finanzämter davon zu befreien, im Einzelfall das Vorliegen eines Umgehungstatbestandes nachzuweisen, kann nicht als ausreichender Grund für die benachteiligende Regelung anerkannt werden.

Es mag zutreffen, daß die Gefahr von Steuerumgehungen bei Ehegatten wegen deren gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen größer ist als bei nicht miteinander verheirateten Personen. Erwägungen dieser Art vermögen indessen die getroffene Regelung verfassungsrechtlich nicht zu legitimieren. Zwar können Praktikabilitätserwägungen von Bedeutung sein, wenn ein Steuergesetz nur am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG zu prüfen ist. Die Praktikabilität muß jedoch hinter der besonderen Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG zurücktreten, die hier den gesetzgeberischen Gestaltungsraum des Art. 3 Abs. 1 GG einschränkt. Der Vorrang verfassungsrechtlicher Wertentscheidungen verbietet es, Zweckmäßigkeitserwägungen unter Verletzung solcher Wertungen voranzustellen (BVerfGE 6, 55 [83 f.]; 13, 290 [316 f.]). Aus diesem Grunde geht es nicht an, in jedem Fall eine Steuerumgehungsabsicht der Ehegatten unwiderlegbar zu vermuten. Vielmehr bestehen andere rechtliche Möglichkeiten – neue gesetzliche Regelungen oder jedenfalls die Anwendung der bestehenden Vorschriften (§§ 5 und 6 Abs. 1 und 2 StAnpG) –, um Steuerumgehungen zu bekämpfen.

 

Fundstellen

BStBl II 1969, 513

BVerfGE 26, 321

BVerfGE, 321

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