Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit des Sonderausgabenabzugs von Beiträgen zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen für die Veranlagungszeiträume vor 2005

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Den Verfassungsbeschwerden, die eine ungenügende Berücksichtigung von Beiträgen zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen, zu privaten Lebens- und Rentenversicherungen sowie zu Berufsunfähigkeitsversicherungen durch § 10 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 10 Abs. 3 EStG in den bis zum 31.12.2004 geltenden Fassungen geltend machen, fehlt vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Rentenbesteuerung (BVerfGE 105, 73) und der Neuregelung der Besteuerung der Altersbezüge durch das Alterseinkünftegesetz die hinreichende Aussicht auf Erfolg. Etwaige Ungleichheiten bei der Besteuerung der Altersvorsorge müssen bis zum Jahr 2005 hingenommen werden.

2. Ein etwaiger Verstoß gegen das Verbot doppelter Besteuerung durch das Zusammenwirken der einkommensteuerrechtlichen Regelungen der Aufbauphase einer Altersversorgung vor Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes und der Regelungen der Versorgungsphase seit Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes ist in den Veranlagungszeiträumen der Versorgungsphase zu rügen, in denen die Altersbezüge der Besteuerung unterworfen werden.

 

Normenkette

EStG § 10 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3; GG Art. 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

BFH (Urteil vom 10.11.2004; Aktenzeichen XI R 37/02; BFH/NV 2005, 1024)

BFH (Beschluss vom 17.03.2004; Aktenzeichen IV B 185/02; BFH/NV 2004, 1245)

FG Köln (Urteil vom 30.10.2002; Aktenzeichen 12 K 5343/01; EFG 2003, 1018)

FG Münster (Urteil vom 03.09.2002; Aktenzeichen 7 K 3026/99 E)

 

Tenor

1. Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

2. Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.

3. Die Bundesrepublik Deutschland hat den Beschwerdeführern die Hälfte der notwendigen Auslagen der Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

 

Tatbestand

A.

Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden richten sich unmittelbar gegen finanzgerichtliche Entscheidungen und mittelbar gegen § 10 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 10 Abs. 3 EStG in der für die Veranlagungszeiträume 1997 (2 BvR 1220/04) und 1999 (2 BvR 410/05) geltenden Fassung. Die Beschwerdeführer rügen eine nach ihrer Auffassung zu niedrige einkommensteuerrechtliche Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen, insbesondere von Beiträgen zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen.

I.

1. In den zentralen Vorsorgebereichen Alter, Tod, Invalidität, Krankheit, Pflegebedürftigkeit und Arbeitslosigkeit findet der Steuergesetzgeber eine Vielfalt öffentlicher und privater Vorsorgesysteme mit ganz unterschiedlichen Strukturmerkmalen vor. Die einkommensteuerrechtliche Erfassung der mit diesen Systemen verbundenen Zahlungsströme ist dementsprechend komplex und verteilt sich auf eine Vielzahl von Normen des Einkommensteuergesetzes. Dabei zeigt sich das für die verfassungsrechtliche Würdigung maßgebliche einkommensteuerrechtliche Normengeflecht erst dann, wenn man neben den Veranlagungszeiträumen, in denen Versorgungsanwartschaften aufgebaut werden (Aufbauphase), auch diejenigen der Versorgungsphase in den Blick nimmt (vgl. auch BVerfGE 105, 73 ≪127 ff.≫).

2. Soweit es um die hier im Vordergrund stehenden berufsständischen Versorgungseinrichtungen geht, befanden sich in den Streitjahren 1997 und 1999 die für die Beschwerdeführer relevanten Vorschriften in § 10 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 10 Abs. 3 EStG (Aufbauphase) und in § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a EStG (Versorgungsphase). Danach stand einer der Höhe nach beschränkten Abzugsfähigkeit der Aufwendungen in der Aufbauphase die sogenannte Ertragsanteilsbesteuerung in der Versorgungsphase gegenüber. Von diesen Regelungen für Selbständige, zu denen auch die Beschwerdeführer gehören, unterscheidet sich die Rechtslage für die Gruppe der Arbeitnehmer erheblich: Bei diesen sind die Zukunftssicherungsleistungen ihres Arbeitgebers in der Aufbauphase steuerfrei (§ 3 Nr. 62 EStG). Im Gegenzug wurde bei ihnen in den Streitjahren der Vorwegabzug nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchstabe a EStG gekürzt.

II.

1. Das Bundesverfassungsgericht hat sich bereits mehrfach zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Besteuerung von Altersbezügen geäußert. Im Anschluss an seinen Beschluss vom 26. März 1980 (BVerfGE 54, 11) mahnte der Erste Senat mit Beschluss vom 24. Juni 1992 eine “dem Gleichheitssatz entsprechende umfassende Regelung der Besteuerung aller Altersbezüge” an, wozu auch die Altersbezüge der Selbständigen gehörten (BVerfGE 86, 369 ≪379 f.≫). Eine Frist zur Neuregelung wurde dem Gesetzgeber dabei nicht gesetzt (vgl. hierzu auch BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. August 1997 – 1 BvR 1300/89 –, HFR 1997, S. 937, sowie vom 20. August 1997 – 1 BvR 1523/88 –, HFR 1998, S. 397).

2. Im Urteil vom 6. März 2002 (BVerfGE 105, 73) stellte der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts für das Streitjahr 1996 fest, dass die unterschiedliche Besteuerung der Beamtenpensionen nach § 19 EStG einerseits und der Renten nichtselbständig Tätiger aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 22 EStG andererseits mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist. Dem Gesetzgeber wurde aufgetragen, spätestens mit Wirkung zum 1. Januar 2005 eine verfassungskonforme Neuregelung zu schaffen.

3. Zur Vorbereitung der gesetzlichen Neuregelung wurde eine Sachverständigenkommission eingesetzt, die am 11. März 2003 ihren Abschlussbericht erstattete (vgl. Abschlussbericht der Sachverständigenkommission zur Neuordnung der steuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen, BMF-Schriftenreihe, Band 74, 2003). Auf dieser Grundlage wurde das Gesetz zur Neuordnung der einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen erarbeitet, das zum 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist (Alterseinkünftegesetz – AltEinkG – vom 5. Juli 2004, BGBl I S. 1427).

III.

1. a) Die Beschwerdeführerin zu 1) ist als selbständige Rechtsanwältin tätig. Sie machte im Streitjahr 1997 Vorsorgeaufwendungen von insgesamt 22.900 DM geltend. Davon entfielen rund 13.900 DM auf Beiträge zum Anwaltsversorgungswerk des Landes Nordrhein-Westfalen sowie rund 6.800 DM auf private Kranken- und Pflegeversicherungen. Daneben unterhielt die Beschwerdeführerin eine private Unfall- und eine Lebensversicherung. Das Finanzamt ließ hiervon unter Berufung auf § 10 Abs. 3 EStG bei Gewährung eines ungekürzten Vorwegabzugs insgesamt lediglich 9.915 DM zum Abzug zu.

b) Die Beschwerdeführer zu 2) sind zusammenveranlagte Ehegatten und haben vier nach § 32 EStG berücksichtigungsfähige Kinder. Der Ehemann erzielte im Streitjahr 1999 unter anderem Einkünfte aus seiner Tätigkeit als selbständiger Arzt. Die Ehefrau erzielte in geringem Umfang Einkünfte aus einem Ehegattenarbeitsverhältnis. Die Beschwerdeführer zu 2) machten insgesamt Vorsorgeaufwendungen von 74.925 DM geltend. Davon entfielen rund 25.200 DM auf Beiträge des Ehemanns zum Versorgungswerk der Ärztekammer Nordrhein und rund 17.300 DM auf Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge für die gesamte Familie. Daneben unterhielten die Beschwerdeführer zu 2) private Unfall-, Berufsunfähigkeits-, Lebens- und Haftpflichtversicherungen. Das Finanzamt kürzte den Vorwegabzug wegen des Ehegattenarbeitsverhältnisses und ließ nach § 10 Abs. 3 EStG insgesamt 18.330 DM zum Abzug zu.

2. a) Die Beschwerdeführerin zu 1) erhob gegen die Behandlung ihrer Beiträge zum Anwaltsversorgungswerk Klage. Die Beiträge seien als Betriebsausgaben und nicht als Sonderausgaben zu qualifizieren. Außerdem sei der allgemeine Gleichheitssatz durch die betragsmäßige Relation von steuerfreien Arbeitgeberleistungen zugunsten der Arbeitnehmer einerseits (§ 3 Nr. 62 EStG) und Vorwegabzug zugunsten der Selbständigen andererseits (§ 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG) verletzt. Das Finanzgericht wies die Klage ab. Die gegen die Nichtzulassung der Revision erhobene Beschwerde wies der Bundesfinanzhof mit der Begründung zurück, Beiträge von Angehörigen freier Berufe zu den Versorgungswerken der jeweiligen Kammern seien nicht als Betriebsausgaben im Sinne von § 4 Abs. 4 EStG, sondern als Vorsorgeaufwendungen im Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG zu qualifizieren (BFH/NV 2004, 1245). Auch ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG wegen des Verhältnisses der steuerfreien Arbeitgeberleistungen zum Vorwegabzug sei in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des XI. Senats des Bundesfinanzhofs zu verneinen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass das Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 6. März 2002 (BVerfGE 105, 73) darauf verzichtet habe, den Gesetzgeber zu einer rückwirkenden Änderung der verschiedenen Vorschriften über die steuerliche Behandlung von Vorsorgeaufwendungen und Rentenzahlungen zu verpflichten.

b) Die Beschwerdeführer zu 2) erhoben unter anderem Klage gegen die nach ihrer Auffassung nicht hinreichende Berücksichtigung ihrer Vorsorgeaufwendungen nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 10 Abs. 3 EStG. Insbesondere wandten sie sich gegen die Verfassungsmäßigkeit der Nichtberücksichtigung von Kindern bei den Vorsorgeaufwendungen und gegen die Höhe des Vorwegabzugs nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG. Das Finanzgericht Köln wies die Klage ab (vgl. EFG 2003, S. 1018). Der Bundesfinanzhof wies die Revision zurück (BFH/NV 2005, S. 1024). § 10 Abs. 3 EStG sei verfassungsgemäß. Nach dem Inhalt des subjektiven Nettoprinzips müsse der Staat dem Steuerpflichtigen sein Einkommen zwar insoweit steuerfrei belassen, als es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein benötigt werde. Dabei sei jedoch zwischen dem gegenwärtigen Grundbedarf und den Aufwendungen zu unterscheiden, die erforderlich sind, um dem Steuerpflichtigen insbesondere im Alter eine das Existenzminimum sichernde Rente zu gewährleisten. Hier genüge es, wenn dem Steuerpflichtigen nach Erfüllung der Einkommensteuerschuld noch genügend Mittel verblieben, um die entsprechenden Beiträge aufzubringen. Vorsorgeaufwendungen seien auch nicht wie Erwerbsaufwendungen zum Abzug zuzulassen. Es handele sich entweder um besonders geartete Sparleistungen oder Aufwendungen zur vorsorgenden Absicherung bestimmter Risiken. Ein Abzug als Sonderausgaben sei von Verfassungs wegen nicht geboten. Das gelte auch, soweit es sich um Vorsorgeaufwendungen für die Kinder der Steuerpflichtigen handele.

3. In ihren Verfassungsbeschwerden erneuern die Beschwerdeführer ihre bereits vor den Finanzgerichten und dem Bundesfinanzhof vorgetragenen Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit von § 10 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 10 Abs. 3 EStG. Sie führen im Wesentlichen Folgendes aus:

a) Art. 3 Abs. 1 GG sei dadurch verletzt, dass abhängig Beschäftigte durch § 3 Nr. 62 EStG im Vergleich zu Selbständigen, denen im Gegenzug nur der Vorwegabzug nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG zugute komme, in einer nicht zu rechtfertigenden Weise bevorzugt würden. Der hier bestehende Unterschied entwickle sich immer stärker zu Ungunsten der Selbständigen. Die Pflichtbeiträge zu den berufsständischen Versorgungseinrichtungen könnten nicht anders behandelt werden als Arbeitgeberbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung. Andere Steuervorteile, in deren Genuss Selbständige möglicherweise kämen, wie etwa die Vergünstigungen bei der Betriebsaufgabe, rechtfertigten die Ungleichbehandlung nicht.

b) Die Beschwerdeführerin zu 1) ist zudem der Auffassung, Beiträge zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen seien von Verfassungs wegen als unbeschränkt abzugsfähige Betriebsausgaben und nicht als Sonderausgaben zu qualifizieren. Sie rügt in diesem Zusammenhang, dass der nach § 10 Abs. 3 EStG abzugsfähige Höchstbetrag bereits durch die privaten Krankenversicherungsbeiträge ausgeschöpft werde.

Die Beschwerdeführer zu 2) meinen, dass die in § 10 Abs. 3 EStG für Vorsorgeaufwendungen zum Abzug zugelassenen Sonderausgaben jedenfalls der Höhe nach nicht ausreichend seien, um die von Verfassungs wegen geforderte “Mindestvorsorge” zu gewährleisten. Zum insoweit steuerfrei zu stellenden Existenzminimum gehörten mindestens die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge für die Beschwerdeführer und ihre Kinder. Setze man zur Abdeckung der Alterssicherung und des Berufsunfähigkeitsrisikos in Anlehnung an die Pflichtbeiträge bei Geringverdienern noch zusätzlich 7.500 DM und 4.000 DM an, ergebe sich im vorliegenden Falle ein Gesamtbetrag von rund 29.000 DM für die Mindestvorsorge.

IV.

Zu den Verfassungsbeschwerden haben die Bundesregierung durch den Bundesminister der Finanzen sowie der IV. und X. Senat des Bundesfinanzhofs Stellung genommen.

1. Der IV. Senat des Bundesfinanzhofs, dessen Beschluss Gegenstand des Verfahrens 2 BvR 1220/04 ist, teilt mit, dass Krankenversicherungsbeiträgen entsprechend dem Vorlagebeschluss des X. Senats des Bundesfinanzhofs vom 14. Dezember 2005 – X R 20/04 – (BStBl II 2006, S. 312 = BFHE 211, 351)[1] eine “Sonderstellung” einzuräumen sei. Dies gelte jedoch nicht für Beiträge zu einem Anwaltsversorgungswerk.

2. Der X. Senat des Bundesfinanzhofs verweist hinsichtlich der Krankenversicherungsbeiträge ebenfalls auf seinen Vorlagebeschluss. Hinsichtlich der Altersvorsorge bekräftigt der X. Senat die von ihm getroffenen Entscheidungen (u.a. BFH/NV 2005, S. 513), wonach das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Rentenbesteuerung (BVerfGE 105, 73) so zu interpretieren sei, dass der Gesetzgeber zu einer Nachbesserung des die Altersvorsorge betreffenden Sonderausgabenabzugs nicht verpflichtet sei.

3. Das Bundesfinanzministerium setzt sich ausführlich mit sämtlichen von den Beschwerdeführern geltend gemachten Arten von Vorsorgeaufwendungen auseinander und kommt lediglich für Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zu dem Ergebnis, dass diese in bestimmtem Umfang von Verfassungs wegen steuerfrei zu stellen seien.

 

Entscheidungsgründe

B.

Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG sind nicht erfüllt.

I.

Soweit die Beschwerdeführer eine ungenügende Berücksichtigung ihrer Beiträge zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen, zu privaten Lebens- und Rentenversicherungen sowie zu Berufsunfähigkeitsversicherungen durch § 10 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 10 Abs. 3 EStG in den bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassungen geltend machen, fehlt ihren Verfassungsbeschwerden vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Rentenbesteuerung (BVerfGE 105, 73) und der Neuregelung der Besteuerung der Altersbezüge durch das Alterseinkünftegesetz die hinreichende Aussicht auf Erfolg.

1. a) Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass Beamtenpensionäre die gleichheitswidrige Besteuerung durch § 19 EStG bis zum 31. Dezember 2004 hinzunehmen hatten. Ein rückwirkender Abbau der Vergünstigungen bei der Besteuerung von Sozialversicherungsrenten bezogen auf das Streitjahr 1996 kam schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht in Betracht (vgl. BVerfGE 105, 73 ≪134≫). Dem Gesetzgeber wurde aufgegeben, eine Neuregelung mit Wirkung zum 1. Januar 2005 zu schaffen.

b) Die zum 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Regelungen des Alterseinkünftegesetzes beschränken sich nicht auf den Bereich der Beamtenpensionen und der Renten nichtselbständig Tätiger aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die Verfahrensgegenstand des Urteils zur Rentenbesteuerung waren, sondern umfassen den gesamten Komplex der Besteuerung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen auf der Grundlage des von der Sachverständigenkommission erarbeiteten Drei-Schichten-Modells (vgl. hierzu Abschlussbericht der Sachverständigenkommission, a.a.O., S. 13 ff.). Sie schließen die berufsständischen Versorgungseinrichtungen mit ein. Der Gesetzgeber hat den im Beschluss vom 24. Juni 1992 (BVerfGE 86, 369) erteilten und im Urteil zur Rentenbesteuerung vom 6. März 2002 konkretisierten Gesetzgebungsauftrag zutreffend so verstanden, dass eine gleichheitsgerechte Besteuerung der Altersbezüge nur möglich ist, wenn bei der Neuregelung die Besteuerung aller bestehenden Altersvorsorgesysteme aufeinander abgestimmt wird (vgl. auch den Abschlussbericht der Sachverständigenkommission, a.a.O., S. 9 f.). Ziel des Gesetzgebers war es, eine “steuerrechtssystematisch schlüssige und folgerichtige Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen” zu erreichen (BTDrucks 15/2150, S. 1 und 22).

c) Ob der Rechtsprechung des XI. Senats des Bundesfinanzhofs darin zuzustimmen ist, dass § 10 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 10 Abs. 3 EStG in den bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassungen verfassungsgemäß ist (vgl. das im Verfahren 2 BvR 410/05 angegriffene Urteil – BFH/NV 2005, S. 1024 – sowie etwa BFH BStBl II 2003, S. 179 = BFHE 200, 529; BStBl II 2003, S. 288 = BFHE 200, 548; BStBl II 2003, S. 650 = BFHE 201, 437), kann bei dieser Sachlage dahinstehen. Eine verfassungsgerichtliche Überprüfung der angegriffenen Normen kommt insoweit für Beiträge zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen nicht mehr in Betracht (vgl. auch den im Verfahren 2 BvR 1220/04 angegriffenen Beschluss – BFH/NV 2004, S. 1245 – sowie etwa BFH/NV 2003, S. 1048; BFH BStBl II 2006, S. 291 = BFHE 206, 260; BFH/NV 2005, S. 513; BFH/NV 2006, S. 1283; BFH BStBl II 2007, S. 574 = BFHE 216, 47).

aa) Schon aus gleichheitsrechtlichen Gründen können die Rügen der Beschwerdeführer, die die betragsmäßige Relation von steuerfreien Arbeitgeberleistungen (§ 3 Nr. 62 EStG) und Vorwegabzug (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 EStG) betreffen, mit Wirkung für Veranlagungszeiträume vor 2005 keinen Erfolg haben; denn jedenfalls im selben Umfang, wie dies den Beamtenpensionären bis zum 31. Dezember 2004 abverlangt wurde, hätten auch die Beschwerdeführer als selbständig tätige Mitglieder von berufsständischen Versorgungseinrichtungen die ungleiche Besteuerung ihrer Altersvorsorge im Verhältnis zu nichtselbständig tätigen Mitgliedern der gesetzlichen Rentenversicherung hinzunehmen.

bb) Eine andere Beurteilung ergibt sich nicht daraus, dass die im Urteil zur Rentenbesteuerung (BVerfGE 105, 73) unmittelbar zu prüfenden Normen (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 19 Abs. 2 Satz 1 EStG und § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a EStG) solche der Versorgungsphase waren, während die Beschwerdeführer sich gegen die einkommensteuerrechtliche Behandlung ihrer Altersvorsorgeaufwendungen in der Aufbauphase (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a in Verbindung mit § 10 Abs. 3 EStG) wenden. Die für die verfassungsrechtliche Beurteilung entscheidenden steuerrechtlichen Zusammenhänge ergeben sich stets erst aus einer Zusammenschau der steuerlichen Regelungen der Aufbauphase mit denjenigen der Versorgungsphase (vgl. auch BVerfGE 105, 73 ≪127 ff.≫). Das Alterseinkünftegesetz enthält dementsprechend auf der Grundlage des Konzepts der nachgelagerten Besteuerung Neuregelungen für beide Phasen (vgl. insb. § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a i.V.m. § 10 Abs. 3 EStG sowie § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a, aa EStG, jeweils in der Fassung des Alterseinkünftegesetzes).

d) Eine verfassungsgerichtliche Überprüfung von § 10 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 10 Abs. 3 EStG kommt für Veranlagungszeiträume vor 2005 auch nicht in Frage, soweit es um die von den Beschwerdeführern entrichteten Beiträge zu privaten Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherungen geht. Die mit diesen Versicherungen abgedeckten Risiken Alter, Invalidität und Tod (Hinterbliebenenversorgung) werden typischerweise von den klassischen Altersvorsorgesystemen wie der gesetzlichen Rentenversicherung, den berufsständischen Versorgungseinrichtungen und der Beamtenversorgung abgedeckt. Die Beschwerdeführer haben nicht dargetan, unter welchem Gesichtspunkt eine Berücksichtigung der Beiträge zu Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherungen neben den Beiträgen zu den berufsständischen Versorgungseinrichtungen verfassungsrechtlich geboten sein soll. Insbesondere für private Kapitallebensversicherungen, die in Ermangelung einer besonderen Vorsorgezweckbindung reinen Kapitalanlagecharakter haben, ist hierfür auch nichts ersichtlich.

2. Schließlich kommt eine verfassungsgerichtliche Überprüfung der Abzugsfähigkeit von Altersvorsorgeaufwendungen nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 10 Abs. 3 EStG für Veranlagungszeiträume vor 2005 auch im Hinblick auf das Verbot doppelter Besteuerung nicht in Frage.

a) Das Bundesverfassungsgericht hat zwar darauf hingewiesen, dass die Besteuerung von Vorsorgeaufwendungen für die Alterssicherung und die Besteuerung von Bezügen aus dem Ergebnis der Vorsorgeaufwendungen so aufeinander abzustimmen sind, dass eine doppelte Besteuerung vermieden wird (BVerfGE 105, 73 ≪134 f.≫). Damit ist jedoch keine Aussage darüber verbunden, ob die Besteuerung von Altersbezügen vor- oder nachgelagert zu erfolgen hat. Das Verbot doppelter Besteuerung kann vielmehr sowohl durch entsprechende Regelungen in der Aufbau- als auch in der Versorgungsphase gewahrt werden (vgl. auch den Abschlussbericht der Sachverständigenkommission, a.a.O., S. 10, 50 ff.).

b) Ob das Zusammenwirken der einkommensteuerrechtlichen Regelungen der Aufbauphase vor Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes und der Regelungen der Versorgungsphase seit Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes in bestimmten Fällen einen Verstoß gegen das Verbot doppelter Besteuerung bewirken kann, ist demnach hier nicht zu entscheiden, denn aus dem Verbot doppelter Besteuerung lässt sich kein Anspruch auf eine bestimmte Abzugsfähigkeit der Beiträge in der Aufbauphase ableiten. Der Gesetzgeber kann dem Verbot doppelter Besteuerung ebenso durch einen entsprechend schonenderen Zugriff in der Versorgungsphase Rechnung tragen. Ein Verstoß wäre deshalb in den Veranlagungszeiträumen der Versorgungsphase zu rügen, in denen die Altersbezüge der Besteuerung unterworfen werden (vgl. auch BVerfGK 4, 317 sowie BFH BStBl II 2006, S. 420 = BFHE 212, 242; BStBl II 2007, S. 547 = BFHE 216, 47).

II.

Soweit die Beschwerdeführer die begrenzte Abzugsfähigkeit ihrer Beiträge zu Kranken- und Pflegeversicherungen nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a in Verbindung mit § 10 Abs. 3 EStG für verfassungswidrig halten, sind die verfassungsrechtlichen Fragen durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Februar 2008 – 2 BvL 1/06 – geklärt. Danach hat der Gesetzgeber für eine Neuregelung mit Wirkung zum 1. Januar 2010 zu sorgen. Bis zu diesem Zeitpunkt bleiben § 10 Abs. 3 EStG sowie sämtliche Nachfolgeregelungen weiter anwendbar.

Vor diesem Hintergrund können die Beschwerdeführer mit ihren Verfassungsbeschwerden keine für die Streitjahre 1997 und 1999 günstigere Regelung erreichen. Ihnen war insoweit lediglich eine teilweise Erstattung der notwendigen Auslagen für die Verfassungsbeschwerdeverfahren zuzusprechen (§ 34a Abs. 3 BVerfGG).

III.

Soweit die Beschwerdeführer die mangelnde Abzugsfähigkeit von Beiträgen zu privaten Unfallversicherungen sowie die Beschwerdeführer zu 2) auch von Beiträgen zu privaten Haftpflichtversicherungen rügen, sind ihre Verfassungsbeschwerden nicht hinreichend substantiiert. Die Verfassungsbeschwerden enthalten schon keinerlei Spezifizierungen zu Art und Umfang des von den Beschwerdeführern unterhaltenen Versicherungsschutzes. Darüber hinaus wird nicht ersichtlich, unter welchem Gesichtspunkt eine Abzugsfähigkeit gerade dieser Beiträge von Verfassungs wegen geboten sein soll.

 

Unterschriften

Hassemer, Broß, Osterloh, Di Fabio, Mellinghoff, Lübbe-Wolff, Gerhardt, Landau

 

Fundstellen

BFH/NV Beilage 2008, 240

DStZ 2008, 234

HFR 2008, 507

NWB 2008, 1216

FamRZ 2008, 859

NVwZ-RR 2008, 361

EStB 2008, 162

NWB direkt 2008, 5

StBW 2008, 9

BFH/NV-Beilage 2008, 240

[1] Vgl. hierzu den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Februar 2008 – 2 BvL 1/06 –.

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