Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulassung – Heilmittel – Logopäde – Klinischer Linguist – Sprachtherapeut

 

Leitsatz (amtlich)

Außer Logopäden können auch Klinische Linguisten zur Leistungserbringung in Teilbereichen der Sprachtherapie zugelassen werden.

Stand: 28. Januar 2002

 

Normenkette

SGB V § 124 Abs. 1, 5, 2 S. 1 Nrn. 1-2; HeilMRL Fassung: 2001-02-06

 

Beteiligte

AOK Baden-Württemberg-Hauptverwaltung-

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 22.09.2000; Aktenzeichen L 4 KR 2679/98)

SG Stuttgart (Entscheidung vom 13.05.1998; Aktenzeichen S 10 KR 1246/97)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. September 2000 geändert.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. Mai 1998 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten in allen Rechtszügen zu erstatten.

 

Gründe

I

Es ist streitig, ob die Klägerin die beruflichen Voraussetzungen für eine Zulassung als Sprachtherapeutin nach § 124 Abs 2 Satz 1 Nr 1 und 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) erfüllt.

Die 1954 geborene Klägerin studierte bis 1982 Germanistik (mit dem Schwerpunkt Linguistik) und Anglistik. Das anschließende Studienreferendariat schloß sie mit dem 2. Staatsexamen ab. Danach absolvierte sie ein Zweitstudium im Fach Neuro- und Patholinguistik, das 1994 mit der Promotion endete. Vom Bundesverband Klinische Linguistik eV (BKL) erhielt sie mit Zertifikat vom 5. April 1995 bescheinigt, daß sie nach Bestehen der Abschlußprüfung am 9. März 1995 die vom Verband festgesetzten Kriterien zur Führung der Berufsbezeichnung „Klinische Linguistin (BKL)” erfülle. Seit November 1995 ist die Klägerin vollschichtig als Klinische Linguistin in einer Neurologischen Klinik beschäftigt. Zu ihren Aufgaben gehört die diagnostische und therapeutische Versorgung von Patienten mit neurologisch bedingten Sprach-, Sprech- und Schluckstörungen.

Im Juli 1996 beantragte die Klägerin ihre Zulassung als selbständige „Klinische Linguistin” in Stuttgart. Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 26. August 1996, Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 1997): Die Ausbildung als Klinische Linguistin genüge nicht den Anforderungen, die an eine Zulassung zur Abgabe von Sprachtherapie geknüpft seien, weil hier – anders als bei der Logopädie – der Ausbildungsschwerpunkt im theoretisch-wissenschaftlichen und nicht im therapeutisch-praktischen Bereich liege. Außerdem umfasse die Klinische Linguistik mit ihrer Beschränkung auf neurologisch bedingte Fehlfunktionen nur einen Teilbereich der Sprachtherapie.

Mit der Klage hat die Klägerin geltend gemacht, sie sei nach ihrer Hochschulausbildung und der anschließenden berufspraktischen Ausbildung berechtigt und befähigt, sprachtherapeutische Dienstleistungen in weitem Umfang zu erbringen. Im Bereich der Aphasien und Dysarthrien sei die theoretische und die praktische Ausbildung der Klinischen Linguisten sogar intensiver als die der Logopäden.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage auf Verurteilung zur „Zulassung der Klägerin als Klinische Linguistin (BKL)/Sprachtherapeutin” wegen der noch nicht vorhandenen Praxisräume und Praxisausstattung (§ 124 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB V) abgewiesen, zugleich aber die angefochtenen Bescheide geändert und festgestellt, „daß die Klägerin die Voraussetzungen für eine Zulassung als Klinische Linguistin (BKL)/Sprachtherapeutin nach § 124 Abs 2 Satz 1 Nr 1 und 2 SGB V erfüllt” (Urteil vom 13. Mai 1998). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage insgesamt abgewiesen (Urteil vom 22. September 2000): Die Zulassung nach § 124 SGB V im Bereich Sprachtherapie erfordere eine Ausbildung und Berufspraxis in der gesamten Breite sprachtherapeutischer Leistungen. Maßgeblich sei das Berufsbild des Logopäden. Die Klägerin verfüge zwar auf dem Gebiet der neurologisch bedingten Sprach- und Sprechstörungen über die erforderlichen theoretischen und praktischen Kenntnisse. Damit werde jedoch nur ein Teilbereich der mit der Sprachtherapie zu behandelnden Fehlfunktionen erfaßt.

Mit der Revision macht die Klägerin eine Verletzung des § 124 SGB V geltend. Sie meint, eine volle Vergleichbarkeit mit dem Tätigkeitsbild des Logopäden könne nicht gefordert werden. Für den großen Bereich der neurologisch bedingten Sprach- und Sprechstörungen verfüge sie über die erforderlichen theoretischen und praktischen Kenntnisse. Dies reiche für die Erfüllung der Zulassungsvoraussetzungen des § 124 Abs 2 Satz 1 Nr 1 und 2 SGB V aus.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 22. September 2000 zu ändern und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Stuttgart vom 13. Mai 1998 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach den §§ 165, 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

II

Die Revision der Klägerin ist begründet. Das erstinstanzliche Urteil war wiederherzustellen.

1) Nachdem die Klägerin die vom SG allein wegen der noch fehlenden Praxisräume und Praxisausstattung (§ 124 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB V) ausgesprochene teilweise Abweisung ihrer auf „Verurteilung zur Zulassung” als Sprachtherapeutin gerichteten Klage nicht angefochten hat, ist Streitgegenstand allein die – vom SG bejahte und vom LSG verneinte – Feststellung, daß sie die beruflichen Voraussetzungen des § 124 Abs 2 Satz 1 Nr 1 und 2 SGB V erfüllt. Die auf diese Feststellung gerichtete Klage ist nach § 55 Abs 1 Nr 1 SGG zulässig. Auf Feststellung einzelner Elemente eines Rechtsverhältnisses gerichtete Klagen sind zwar im allgemeinen unzulässig (BSGE 4, 184 und 37, 245, 247 = SozR 2600 § 2 Nr 1; Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl 1998, § 55 RdNr 9, 9a). Eine Elementenfeststellungsklage ist jedoch ausnahmsweise zulässig, wenn sicher anzunehmen ist, daß durch sie der Streit der Beteiligten insgesamt bereinigt wird (BSGE 31, 235, 240 = SozR Nr 14 zu § 141 SGG und 43, 134, 137 = SozR 4100 § 34 Nr 6; Meyer-Ladewig, aaO RdNr 9a). Das ist hier der Fall. Die Beteiligten streiten nur darüber, ob die Klägerin als Klinische Linguistin von ihrer Ausbildung und berufspraktischen Tätigkeit her überhaupt zur Abgabe sprachtherapeutischer Leistungen zugelassen werden kann (§ 124 Abs 2 Satz 1 Nr 1 und 2 SGB V). Die sonstigen Zulassungsvoraussetzungen (§ 124 Abs 2 Satz 1 Nr 3 und 4 SGB V) sind nicht im Streit. Es steht auch nicht zu erwarten, daß es zu einem Streit über die räumliche und ausstattungsmäßige Eignung der – noch anzumietenden und einzurichtenden – Praxis in Stuttgart kommen könnte.

2) Die Klage ist auch begründet. Heilmittel in Form sprachtherapeutischer Dienstleistungen dürfen an Versicherte nur von zugelassenen Leistungserbringern abgegeben werden (§ 124 Abs 1 und 5 SGB V). Zuzulassen ist nach § 124 Abs 2 Satz 1 SGB V, wer

  1. die für die Leistungserbringung erforderliche Ausbildung sowie eine entsprechende zur Führung der Berufsbezeichnung berechtigende Erlaubnis besitzt,
  2. eine berufspraktische Erfahrungszeit von mindestens zwei Jahren nachweist, die innerhalb von zehn Jahren vor Beantragung der Zulassung in unselbständiger Tätigkeit und in geeigneten Einrichtungen abgeleistet worden sein muß,
  3. über eine Praxisausstattung verfügt, die eine zweckmäßige und wirtschaftliche Leistungserbringung gewährleistet, und
  4. die für die Versorgung der Versicherten geltenden Vereinbarungen anerkennt.

Die Klägerin erfüllt die im Rahmen der Feststellungsklage allein streitigen Voraussetzungen für eine Zulassung als Klinische Linguistin (BKL)/Sprachtherapeutin nach § 124 Abs 2 Satz 1 Nr 1 und 2 SGB V.

Zu dem in § 124 Abs 1 SGB V generalisierend bezeichneten Bereich der „Sprachtherapie” gehören aus medizinisch-fachlicher Sicht die Stimmtherapie, die Sprechtherapie und die eigentliche Sprachtherapie. Die Stimmtherapie dient der Wiederherstellung, Besserung und Erhaltung der stimmlichen Kommunikationsfähigkeit und des Schluckaktes sowie der Vermittlung von Kompensationsmechanismen (zB Bildung einer Ersatzstimme, Üben des Gebrauchs elektronischer Sprechhilfen). Die Sprechtherapie ist auf die Wiederherstellung, Besserung und den Erhalt der koordinierten motorischen und sensorischen Sprechleistung sowie des Schluckvorganges gerichtet. Maßnahmen der Sprachtherapie dienen der Wiederherstellung, Besserung und dem Erhalt der sprachlichen und kommunikativen Fähigkeiten (vgl Ziffer 18 der Richtlinien über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung ≪Heilmittel-Richtlinien/HMR≫ vom 16. Oktober 2000/6. Februar 2001, BAnz Nr 118a vom 29. Juni 2001).

Die vom LSG bestätigte Auffassung der Beklagten, daß ein Leistungsanbieter nur dann zur Abgabe sprachtherapeutischer Leistungen zugelassen werden kann, wenn er von seiner Ausbildung und Berufspraxis her die gesamte Breite der Sprachtherapie iS des § 124 Abs 1 SGB V, also die Stimmtherapie, die Sprechtherapie und die eigentliche Sprachtherapie, abdeckt und dabei sämtliche Arten von Fehlfunktionen, also organische, psychische und neurologische Störungen gleichermaßen behandeln kann, ist unzutreffend. Die umfassenden Tätigkeitsfelder der Logopäden und staatlich anerkannten Sprachtherapeuten mögen zwar Leitbild der Zulassungsregelung des § 124 SGB V gewesen sein. Eine Beschränkung hierauf findet sich aber weder in dieser Vorschrift noch in den Gesetzesmaterialien (BR-Drucks 200/88 S 204 zu § 133 E). Eine solche Beschränkung wäre auch verfassungsrechtlich bedenklich. § 124 SGB V stellt eine die Berufsausübung regelnde Bestimmung dar, die am Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art 12 Abs 1 Grundgesetz (GG) zu messen ist (BSG SozR 3-2500 § 124 Nr 5). Nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit wäre eine solche Beschränkung nur dann mit Art 12 Abs 1 GG vereinbar, wenn der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit auf sachgerechten, vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls beruht und der Berufstätige nicht übermäßig und unzumutbar belastet würde (vgl BVerfGE 7, 377, 405 f; 32, 1, 34; 65, 116, 125; 70, 1, 28 = SozR 2200 § 376d Nr 1; BVerfGE 77, 308, 332; 78, 155, 162; 81, 156, 189 = SozR 3-4100 § 128 Nr 1; BVerfGE 83, 1, 19; 85, 248, 259; BSG SozR 3-2500 § 124 Nr 5). Die Zulassungsregelung des § 124 SGB V dient der Sicherung des Versorgungsauftrags der Krankenkassen auf Erhalt bzw Wiederherstellung der Gesundheit der Versicherten (§ 1 SGB V). Den Ausschluß aller Heilmittelerbringer, die von ihrer Ausbildung oder ihrer Berufspraxis her nicht – wie die Logopäden – die gesamte Bandbreite der Sprachtherapie abdecken, sondern nur einen erheblichen, inhaltlich abgrenzbaren Teilbereich der Sprachtherapie anbieten können (oder wollen), kann dieser Grund des Gemeinwohls nicht rechtfertigen; es ist nicht erkennbar, daß die Versorgung der Versicherten durch einen nur auf einen Teilbereich spezialisierten Sprachtherapeuten gefährdet werden könnte. Soweit Spezialkenntnisse erforderlich sind, dürfte im Gegenteil eine Verbesserung der Versorgung eintreten.

Die restriktive Gesetzesauslegung der Beklagten wird auch durch das positive Recht unterhalb der Verfassung nicht gedeckt. Weder § 124 SGB V noch die HMR enthalten eine Regelung, daß die Zulassung als „Sprachtherapeut” nur dann erteilt werden darf, wenn der Interessent über eine Ausbildung und eine berufspraktische Erfahrungszeit in der gesamten Bandbreite der Sprachtherapie verfügt, wie es bei Logopäden der Fall ist (vgl Gesetz über den Beruf des Logopäden vom 7. Mai 1980, BGBl I S 529, und die Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Logopäden ≪LogAPro≫ vom 1. Oktober 1980, BGBl I S 1892, idF der Verordnung vom 6. Dezember 1994, BGBl I S 3770). Auch nach den Gemeinsamen Rahmenempfehlungen der Spitzenverbände der Krankenkassen zur einheitlichen Anwendung der Zulassungsbedingungen nach § 124 Abs 2 SGB V vom 26. August 1996 reicht es aus, wenn die Ausbildung und Berufspraxis nur einen Teilbereich der Sprachtherapie erfaßt. Dort heißt es zB (Teil IV Ziff 1.1.6), daß Sprachheilpädagogen sowie Diplomlehrer, Diplomvorschulerzieher und Diplomerzieher für Sprachgeschädigte und Sprachgestörte unter bestimmten Bedingungen zur Abgabe sprachtherapeutischer Leistungen „bei Sprachentwicklungsstörungen, Stottern und Poltern bei Kindern”, also einem abgrenzbaren Teilbereich der Sprachtherapie, zugelassen werden können. Ferner heißt es dort, die Zulassung zur Behandlung weiterer Störungsbilder könne Angehörigen dieser Berufsgruppen im Einzelfall erteilt werden, wenn sie detailliert die nach der Anlage der Rahmenempfehlungen erforderlichen theoretischen Kenntnisse und praktischen Erfahrungen nachweisen. Auch diese Regelung setzt zutreffend um, daß § 124 SGB V die Beschränkung der Zulassung auf einzelne abgrenzbare Felder der Sprachtherapie nicht ausschließt.

Die Klinische Linguistik bietet ebenfalls einen solchen abgrenzbaren Teilbereich der Sprachtherapie an, nämlich die Behandlung neurologisch bedingter Sprach- und Sprechstörungen. Das Berufsbild der Klinischen Linguistik umfaßt im Bereich der Diagnostik die Diagnose von zentralorganisch bedingten Sprach-, Sprech- und Stimmstörungen (Aphasien, Sprechapraxien, Dysarthrophonien) und Sprachentwicklungsstörungen bzw -verzögerungen mit differentialdiagnostischer Abgrenzung gegenüber assoziierten Störungsbildern (bei entsprechender Zusatzqualifikation können auch weitere Störungsbilder diagnostiziert werden), die Ermittlung des Schweregrades des jeweiligen Syndroms sowie die Beurteilung der Behandlungsbedürftigkeit und die gutachterliche Tätigkeit zB für gesetzliche und private Leistungsträger. Im Bereich der Therapie umfaßt es die Behandlung von zentralorganisch bedingten Sprach-, Sprech- und Stimmstörungen (Aphasien, Sprechapraxien, Dysarthrophonien) und Sprachentwicklungsstörungen bzw -verzögerungen (die Behandlung weiterer Störungsfelder bei entsprechender Zusatzqualifikation), die Erstellung von Therapieprogrammen und -materialien, die Evaluation von Therapieverläufen, die Angehörigenberatung und die Supervision. Im Bereich von Forschung und Lehre geht es um die Entwicklung und Evaluation von Diagnoseverfahren (zB von Aphasietests), die Entwicklung linguistisch und phonetisch fundierter Therapiekonzepte und -verfahren, die neurolinguistische, phonetische und psycholinguistische Grundlagenforschung im Rahmen interdisziplinärer Projekte, die Fortbildung von Praktikanten und von anderen Berufsgruppen sowie um die Lehre an Universitäten, Logopädieschulen, Krankenpflegeschulen, Weiterbildungsakademien usw. (vgl Beschluß des Bundesverbandes Klinische Linguistik eV ≪BKL≫ von 1991, veröffentlicht in der Informationsbroschüre des BKL „Berufsbild Klinische Linguistik”).

Daß es sich – anders als zB bei den Logopäden – nicht um ein gesetzlich geregeltes Berufsbild handelt, ist im vorliegenden Zusammenhang unerheblich. § 124 SGB V enthält keine hierauf begrenzte Zulassungsregelung. Die Vorschrift verlangt für die Zulassung lediglich den Nachweis „der für die Leistungserbringung erforderlichen Ausbildung” sowie den Besitz „einer entsprechenden zur Führung der Berufsbezeichnung berechtigenden Erlaubnis”. Soweit gesetzliche Regelungen zu den Ausbildungsanforderungen über einen bestimmten Beruf und zur Führung der Berufsbezeichnung bestehen (wie zB bei den Logopäden), müssen die Leistungsanbieter allerdings diese gesetzlichen Voraussetzungen auch für die Kassenzulassung erfüllen. Leistungsanbieter mit einer Hochschulausbildung müssen hingegen, soweit ihr Beruf nicht gesetzlich geregelt ist, nur nachweisen, daß sie die Voraussetzungen der einschlägigen kultusministeriell genehmigten Studien- und Prüfungsordnung erfüllen. Ein solches Hochschulstudium der Klinischen Linguistik kann die Klägerin zwar nicht vorweisen. Erst in jüngster Zeit bieten einzelne Universitäten in der Bundesrepublik Deutschland ein Hochschulstudium im Fach Klinische Linguistik an, dessen Studien- und Prüfungsordnungen von den jeweils zuständigen Kultusministerien der Länder genehmigt sind. § 124 SGB V sieht die Zulassung von Leistungsanbietern mit gesetzlich oder hochschulrechtlich geregelter Ausbildung und Berufsbezeichnung indessen nur als Regelfall an, schließt damit aber die Zulassung von Leistungsanbietern ohne geregelten Ausbildungsgang nicht aus, wenn die Ausbildung und die bisherige Berufspraxis so wie hier fachlich qualifiziert sind, was von den Beteiligten nicht bezweifelt wird. Auch die Gemeinsamen Rahmenempfehlungen der Spitzenverbände nehmen Klinische Linguisten nicht von vornherein von der Zulassung als Sprachtherapeuten aus (vgl Teil IV Ziff 1.2.1). Dort sind nur „Sprachwissenschaftler = Linguisten” und „Sprachwissenschaftler mit einer Spezialisierung Stimm- und Sprachtherapie”, also Linguisten ohne Spezialisierung auf die Neuro- und Patholinguistik und ohne Weiterbildung im Bereich der Klinischen Linguistik, von der Zulassung ausgeschlossen.

Die Klägerin besitzt auch eine zur Führung der Berufsbezeichnung „Klinische Linguistin” berechtigende Erlaubnis. Der Klägerin wurde vom Bundesverband Klinische Linguistik eV (BKL) mit Zertifikat vom 5. April 1995 bescheinigt, daß sie nach Bestehen der Abschlußprüfung am 9. März 1995 die vom Verband festgesetzten Kriterien zur Führung der Berufsbezeichnung „Klinische Linguistin (BKL)” erfüllt. Da es nicht um eine gesetzlich geregelte Berufsbezeichnung geht, reicht hier der Nachweis einer fachlichen Qualifikation durch einen Berufsverband für Klinische Linguistik aus. Dieses nicht amtliche Zertifikat stellt eine zur Führung der Berufsbezeichnung berechtigende Erlaubnis iS des § 124 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB V dar. Es belegt die Absolvierung der geforderten Ausbildung. Die Vergabe dieses Zertifikats ist an bestimmte Kriterien geknüpft, die gewährleisten, daß diejenigen, die die erforderliche Ausbildung durchlaufen haben, zur Durchführung der dort aufgeführten Bereiche der Sprachtherapie geeignet sind. Nach den Bestimmungen des BKL ist Voraussetzung für das Führen der genannten Berufsbezeichnung ein abgeschlossenes Hochschulstudium im Hauptfach Linguistik, Phonetik, Kommunikationswissenschaften oder einer Philologie mit Schwerpunkt Linguistik sowie den Schwerpunkten Neuro- und Psycholinguistik, ein dreimonatiges Vorpraktikum während des Studiums und das Absolvieren eines Postgraduiertenpraktikums über die Dauer eines Jahres.

Die Beklagte darf demgemäß Klinische Linguisten, die über eine Ausbildung verfügen, wie sie die Klägerin aufzuweisen hat, nicht von der Zulassung zur Abgabe von Leistungen der Sprachtherapie ausschließen; sie ist jedoch berechtigt und verpflichtet, die Zulassung auf die speziellen Tätigkeitsgebiete Klinischer Linguisten zu beschränken, um die Versorgung der Versicherten nicht zu gefährden und die Transparenz der Leistungserbringung zu gewährleisten.

Die Klägerin verfügt auch über die nach § 124 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB V erforderliche berufspraktische Erfahrungszeit von mindestens zwei Jahren innerhalb von zehn Jahren vor der Beantragung der Zulassung. Nach der Auskunft der Neurologischen Klinik B. ist die Klägerin seit dem 15. November 1995 ununterbrochen vollschichtig als Sprachtherapeutin (Klinische Linguistin) im Bereich der diagnostischen und therapeutischen Versorgung von Patienten mit neurologisch bedingten Sprach-, Sprech- und Schluckstörungen tätig. Damit verfügte die Klägerin zwar vor der Antragstellung im Juli 1996 nur über eine einschlägige Berufspraxis von weniger als einem Jahr. Dies ist aber nicht entscheidend. Weil das SG die Verpflichtungsklage auf Erteilung der Zulassung rechtskräftig abgewiesen hat, bedarf es nunmehr eines neuen Zulassungsantrags der Klägerin. Die berufspraktische Erfahrungszeit vor diesem neuen Antrag beträgt mehr als zwei Jahre.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

FA 2002, 190

SozR 3-2500 § 124, Nr. 9

AuS 2002, 61

SozSi 2002, 325

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