Entscheidungsstichwort (Thema)

Dienstleistungen als Heilmittel

 

Beteiligte

Kläger und Revisionskläger

Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I.

Der 1934 geborene R. leidet seit etwa 1950 an Schizophrenie. Die beklagte Krankenkasse, bei der R. freiwillig versichert ist, trug die Kosten für die mit Unterbrechungen durchgeführte stationäre Behandlung in dem Psychiatrischen Landeskrankenhaus Sch. (PLK). Seit 1965, als die Mutter des Versicherten nach Sch. verzog, wird er jährlich nur einige Wochen stationär auf Kosten der Beklagten behandelt. In den übrigen Zeiten wird er von dem PLK in der Weise betreut, daß ihm an fünf Wochentagen halbtags Beschäftigungs- und Bewegungstherapie gewährt wird. Die Kosten für diese Betreuung wurden von dem klagenden Sozialhilfeträger übernommen.

Im vorliegenden Verfahren verlangt der Kläger von der beklagten Krankenkasse den Ersatz der im Jahre 1973 entstandenen Kosten in Höhe von 445,50 DM nach § 1531 der Reichsversicherungsordnung (RVO), weil die Betreuung des Versicherten als sogenannte Tagklinik-Behandlung angesehen werden müsse. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen: Die dem Versicherten gewährte Behandlung habe, was sich aus den Stellungnahmen des PLK ergebe, nur eine entfernte Ähnlichkeit mit der sogenannten Tagklinik-Behandlung, die als Sonderform der Krankenhauspflege zu beurteilen gewesen wäre. Zu einer mit der Krankenhauspflege nicht vergleichbaren Leistung sei die Krankenkasse nicht verpflichtet. Die Berufung ist zugelassen worden.

Der Kläger hat mit Zustimmung der Beklagten Sprungrevision eingelegt. Er beantragt,unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Beklagte zum Ersatz von 445,50 DM zu verurteilen,hilfsweise,einen der Satzung entsprechenden Zuschuß zu zahlen.

Er ist der Auffassung, die dem Versicherten in dem Krankenhaus gewährte Therapie sei als Leistung nach § l84 RVO (halboffene Krankenhauspflege) zu beurteilen. Sie sei, wenn auch von Hilfspersonen erbracht, ärztliche Behandlung im Sinne des § 122 RVO. Wenn die Therapie nicht als ärztliche Behandlung aufgefaßt werden könne, sei sie jedenfalls ein größeres Heilmittel. Schließlich könnten die Therapiemaßnahmen als Ersatzleistungen für volle Krankenhauspflege behandelt werden, wofür die Kasse nach der neueren Rechtsprechung des Senats aufzukommen habe.

Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die nach § 161 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.d.F. vor Inkrafttreten des Zweiten Änderungsgesetzes zum SGG vom 30. Juli 1974 (BGBl. I 1625) zulässige Sprungrevision ist nicht begründet. Die beklagte Krankenkasse ist nicht verpflichtet, dem klagenden Sozialhilfeträger die Kosten der Beschäftigungs- und Bewegungstherapie zu ersetzen, die dem Versicherten R. in dem PLK Sch. gewährt worden ist.

Die tatsächlichen Feststellungen des SG, die der Kläger nicht gerügt hat, ergeben, daß die Therapie nicht in der Form gewährt worden ist, daß sie als Leistung der sozialen Krankenversicherung beurteilt werden könnte. Die Therapie stellt weder Krankenpflege dar, die als Sachleistung von der Krankenkasse hätte gewährt werden müssen (§ 182 RVO a.F., d.h. i.d.F. vor Inkrafttreten des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation - RehaAnglG - vom 7. August 1974, BGBl. I 1881), noch ist sie als größeres Heilmittel zu charakterisieren, für das die Krankenkasse nach ihrer Satzung einen Zuschuß leisten muß (§§ 182, 193 RVO a.F.). Sie ist schließlich auch nicht als eine Sonderform - Teilzeit-Klinik - der Krankenhauspflege (§ 184 RVO a.F.) einzustufen, noch als Ersatzform für eigentliche Krankenhauspflege zu beurteilen.

Nach § 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO a.F. und § 193 RVO a.F. war die Beklagte verpflichtet, als Krankenpflege ärztliche Behandlung und Versorgung mit kleineren Heilmitteln - und Zuschußzahlungen für größere Heilmittel - zu gewähren. Unabhängig davon, ob und wie eine ärztliche Behandlung in das System der kassenärztlichen Behandlung einzugliedern wäre, scheitert die Annahme, es handele sich im vorliegenden Fall um ärztliche Behandlung an der für ärztliche Versicherungszweige der RVO geltenden Definition der ärztlichen Behandlung in § 122 Abs. 1 RVO. Diese Vorschrift geht in Satz 1 von dem Grundsatz aus, daß der Arzt persönlich behandelt. § 122 Abs. 1 Satz 2 RVO ermöglicht es, der ärztlichen Behandlung Hilfeleistungen anderer Personen zuzurechnen, wenn der Arzt sie anordnet. Die Tatsache, daß die unmittelbare Betreuung des Versicherten R. durch Nichtärzte - Heilpädagogen oder Krankengymnasten geschieht, steht zwar der Annahme einer ärztlichen Behandlung dann nicht entgegen, wenn die Nichtärzte auch im Einzelfall in der Weise durch einen Arzt angeleitet, gelenkt und überwacht werden, daß die Tätigkeit des Arztes als verantwortliche Mitwirkung in den Vordergrund tritt (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG 23, 176; 29, 27 und zuletzt Urteil vom 6. Mai 1975 - 6 RKa 22/74 in NJW 1975, 2271). Aus der Stellungnahme des PLK, auf die das SG verweist und die von den Beteiligten inhaltlich anerkannt wird, ergibt sich, daß die ärztliche Überwachung nur lose ist, weil die Beschäftigungswerkstätten mit hochqualifizierten Personal besetzt sind. Ob der Hinweis auf den geringen Grad der Überwachung schon ausreicht, die ärztliche Natur der Betreuung zu verneinen, mag mit dem Kläger bezweifelt werden. Der Hinweis darauf, daß die Betreuung durch hochqualifiziertes Personal geschieht, macht es aber hinreichend deutlich, daß die Tätigkeit dieses Personals nicht als Hilfeleistung, sondern als eigenverantwortliche Tätigkeit einzustufen ist.

Werden die Angehörigen nichtärztlicher Heilberufe eigenverantwortlich gegenüber Versicherten tätig, so wird - jedenfalls bei Verordnung durch einen Kassenarzt (§ 368 Abs. 2 RVO) - die Leistungspflicht der Kasse regelmäßig dadurch begründet, daß diese Tätigkeit als Heilmittel angesehen wird, weil für "nichtärztliche Behandlung" keine Leistungspflicht besteht. Ob alle von Nichtärzten erbrachten Heilmaßnahmen als Heilmittel gekennzeichnet werden können, ist indes zweifelhaft. Der Begriff Heilmittel setzt voraus, daß bei einer Heilmaßnahme jedenfalls zusätzlich zu Dienstleistungen ein sächliches Mittel angewendet wird. Werden wie hier persönliche Dienstleistungen erbracht, die praktisch ausschließlich in dem Einsatz geistiger Fähigkeiten bestehen, so handelt es sich um Maßnahmen, die ihrer Art nach der Behandlung näher stehen als der Anwendung von Heilmitteln. Besonders wenn hohe berufliche Qualifikationen als Voraussetzung für die Berufsausübung verlangt werden, erscheint es nicht sachgerecht, diese Berufsausübung entweder als Hilfeleistung bei der ärztlichen Behandlung oder als Anwendung von Heilmitteln zu kennzeichnen.

Eine notwendige Heilmaßnahme, die von einer dafür ausgebildeten nichtärztlichen Fachkraft erbracht werden muß, kann aber nicht deshalb versagt werden, weil diese Heilmaßnahme keinen wesentlichen auf sächliche Mittel bezogenen Gehalt hat (hinsichtlich Massagen vgl. BSG 28, 158, 160; 33, 36). Wenn solche Maßnahmen nicht als Heilmittel gekennzeichnet werden können, müssen sie jedenfalls wie solche beurteilt werden. Dies insbesondere in den Fällen, in denen sie auf den Körper überwiegend äußerlich einwirken (BSG 28, 158, 159; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand März 1976, Bd. II S. 386h).

Im vorliegenden Fall kann aber nach den tatsächlichen Gegebenheiten nicht davon ausgegangen werden, daß Beschäftigungs- und Bewegungstherapie als Heilmaßnahmen i.S. der gesetzlichen Krankenversicherung eingesetzt werden.

Dem steht nicht entgegen, daß keine kassenärztliche Verordnung vorliegt. Denn der Streit geht nur um die Frage, ob die streitigen Therapieformen als Heilmaßnahmen anerkannt werden können. Die Leistungspflicht der Kasse scheitert auch nicht daran, daß die Krankheit nicht im engeren Sinne "geheilt" werden kann. Die mit Aussicht auf Erfolg angestrebte Linderung und die Verzögerung von Verschlimmerungen würde ausreichen (BSG 30, 151, 153). Die Leistungspflicht ist schließlich auch nicht deshalb zu verneinen, weil Beschäftigungs- und Bewegungstherapie als solche nicht als Heilmaßnahmen anerkennt werden könnten. Die grundsätzliche Eignung dieser Therapieformen als Heilmaßnahmen zeigen die Aufnahme von Arbeitstherapie als - subsidiäre - Leistung in dem Katalog der Krankenpflegemaßnahmen (§§ 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. e und 182d RVO n.F.) und die Ermächtigung, unter bestimmten Voraussetzungen auch Sport als ergänzende Leistung zu gewähren (§ 193 RVO n.F.; siehe auch § 1237 Nr. 3 RVO n.F.).

Was der Charakterisierung von Beschäftigungs- und Bewegungstherapie als Heilmaßnahme entgegensteht, ist die Tatsache, daß diese Therapieform im vorliegenden Fall nicht als medizinische Maßnahmen gezielt zur Bekämpfung der Krankheit - Schizophrenie - eingesetzt werden. Die Beschäftigungen, zu denen der Versicherte in zahlenmäßig nicht festgelegten Gruppen mit anderen Kranken angeregt wird, bestehen in Malen, Flechten und Zeitungsbesprechungen. Hinsichtlich der Bewegungstherapie ist nicht dargetan, daß sie über das hinausgeht, was üblicherweise als Gymnastik oder Sport bezeichnet wird. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, daß die Maßnahme in erster Linie darauf abstellt, den allgemeinen - körperlichen und geistigen - Zustand des Versicherten zu beeinflussen; in diesem Sinne mag sie für den Versicherten sogar notwendig sein. Sie zielt jedoch - wie bereits hervorgehoben - nicht primär auf die medizinische Bekämpfung der Krankheit ab und wird auch nicht dadurch zur Heilmaßnahme, daß sie hier wegen der Krankheit des Versicherten mit Hilfe von geschulten Fachkräften erbracht wird.

Die Beschränkung der Leistungspflicht der Kassen auf Maßnahmen medizinischer Natur, die gezielt der Krankheitsbekämpfung dienen, ergibt sich aus dem Zweck der gesetzlichen Krankenversicherung, im Krankheitsfall die Mittel und Maßnahmen zur Heilung oder Linderung der Krankheit sowie auch zum Ausgleich von ausgefallenen geistigen oder körperlichen Funktionen (Hilfsmittel) zur Verfügung zu stellen (vgl. BSG 37, 138, 141). Sie hat hingegen von besonders geregelten Ausnahmefällen abgesehen (vgl. 185b RVO n.F. - Haushaltshilfe -) nicht die Aufgabe, sonstige wegen einer Krankheit notwendig werdende Hilfe im Bereich der Lebensführung zu bieten. Daraus folgt, daß bei Maßnahmen, deren medizinische Natur - wie hier - nicht ohne weiteres erkennbar ist, im Einzelfall ausdrücklich festgestellt wird, daß sie zur Krankheitsbekämpfung eingesetzt werden. Dieses Erfordernis wird verdeutlicht im Bereich der Verordnung von Arzneimitteln. Hier wird bei der Verordnung von Krankenkost eine besondere Begründung verlangt (Nr. 17 der Arzneimittel-Richtlinien i.d.F. vom 16. Dezember 1974 Beil. Nr. 12/75 zum Bundesanzeiger 1975 Nr. 59). Allein der Hinweis darauf , daß die streitigen Therapieformen sich günstig auf die Krankheit auswirken, reicht nicht aus darzutun, daß sie sich im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung halten. Auch das kann durch den Hinweis auf die Arzneimittel-Richtlinien verdeutlicht werden, wonach die Verordnung von Genuß- und Hygienemitteln jedenfalls dem Grundsatz nach (vgl. dazu BSG 38, 35, 39) ausgeschlossen ist (Nr. 18 der Richtlinien). Feststellungen in dieser Richtung scheiden im vorliegenden Fall aus.

Wenn man berücksichtigt, daß R. nur von den Fachärzten des PLK behandelt wird und jährlich regelmäßig einige Wochen im PLK verbringen muß, damit die geeignete Betreuung, Behandlung und medikamentöse Versorgung festgelegt werden kann, ist zu prüfen, ob die Betreuung, die in den übrigen Zeiten halbtags auf Empfehlung der Krankenhausärzte durchgeführt wird, als Teil einer Krankenhauspflege im Sinne des § 184 Abs. 1 RVO a.F. einzuordnen ist. Da die Krankenhauspflege nicht nur medizinische Maßnahmen umfaßt, wäre es unschädlich, daß die hier umstrittenen Maßnahmen nicht der Krankheitsbehandlung, sondern lediglich der Gesunderhaltung dienen. Pflege in diesem umfassenden Sinn kann aber als Versicherungsleistung nur dann gewährt werden, wenn und solange erforderliche medizinische Maßnahmen aus berechtigten Gründen im Rahmen eines Krankenhausaufenthaltes angewendet werden (Urteil des erkennenden Senats vom 18. November 1969 - 3 RK 24/68 in DOK 1970, 173) In der Zeit zwischen zwei - unstreitigen - Krankenhauspflegezeiten sind keine medizinischen Maßnahmen erforderlich, die im Krankenhaus durchgeführt werden müßten. Selbst wenn man davon ausgeht, daß Beschäftigungs- und Bewegungstherapie für den Versicherten nur im Krankenhaus erreichbar sind, handelt es sich nicht um Maßnahmen medizinischer Art. Das folgt aus der oben begründeten Erkenntnis, daß sie nicht als Heilmaßnahmen, sondern als Mittel der Gesunderhaltung eingesetzt werden.

Aus der Stellungnahme des PLK ergibt sich allerdings, daß sich der Versicherte ständig im PLK aufhalten müßte, wenn er nicht im Haushalt der Mutter gepflegt und vormittags mit den streitigen Therapieformen betreut werden könnte. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, daß die räumliche Nähe der Wohnung des Versicherten und seiner Mutter und die dadurch gegebenen engen Beziehungen zum PLK den stationären Aufenthalt "ersetzen". Dieser Aufenthalt wäre aber keine Krankenhauspflege im Sinne des § 184 RVO a.F., wie dies in dem im BSG 37, 130 entschiedenen Fall angenommen werden mußte. Denn - wie festgestellt - sind jährlich um einige Wochen bestimmte stationäre Maßnahmen erforderlich, um den Kläger auf neue Medikamente einzustellen. In der Zwischenzeit sind nur Pflege, Medikamenteneinnahme und Maßnahmen der relativen Gesunderhaltung erforderlich. Da die Krankenkasse somit für einen ganztägigen Krankenhausaufenthalt der streitigen Zeit nicht aufzukommen hätte, ist sie auch nicht verpflichtet, für einen Teilzeitaufenthalt Leistungen zu erbringen.

Die Sprungrevision gegen das somit zutreffende Urteil des SG war zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG)

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 Abs. 4 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 16

NJW 1976, 2318

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