Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Oktober 1994 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der klagende Sozialhilfeträger begehrt Kostenerstattung für eine Behandlung mit dem Drogensubstitutionsmittel Methadon.

Der früher als Elektriker erwerbstätige W. H. (Versicherter) war bei der Innungskrankenkasse Hagen (IKK) krankenversichert. Er ist drogenabhängig und leidet an einer chronischen Hepatitis. Mehrere stationäre Drogen-Entgiftungsbehandlungen hatten keinen nachhaltigen Erfolg. Zwischen Mai 1990 und August 1994 erhielt der Versicherte eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit.

Während einer Krankenhausbehandlung um den Jahreswechsel 1989/90 wurde dem Versicherten die Ersatzdroge Methadon (= Levomethadon, Handelsname: L-Polamidon) verabreicht. Im Anschluß daran verordnete der Hausarzt des Versicherten regelmäßig L-Polamidon. Nach Schriftwechsel mit der Stadt (als dem zuständigen Sozialhilfeträger), mit dem Versicherten und mit dem behandelnden Arzt verneinte die IKK einen entsprechenden Anspruch. Die Klage der Stadt hatte demgegenüber Erfolg. Das Sozialgericht (SG) hat den Versicherten beigeladen und die IKK antragsgemäß zur Kostenübernahme ab dem 17. März 1990 verurteilt; dabei hat es die ablehnenden Schreiben der IKK als Bescheide angesehen und aufgehoben (Urteil vom 28. Januar 1994).

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) dieses Urteil geändert und die Klage abgewiesen (Urteil vom 13. Oktober 1994). Mit der Klage werde ein Erstattungsanspruch nach § 104 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren (SGB X) geltend gemacht, über den nicht durch Verwaltungsakt zu entscheiden gewesen sei; das SG habe daher die „Bescheide” der IKK nicht aufheben dürfen. Die – vom SG ebenfalls aufgehobene – ablehnende Entscheidung gegenüber dem Versicherten vom 25. Januar 1990 sei mit dem Widerspruch angefochten, stehe jedoch einer sachlichen Entscheidung im Erstattungsstreit nicht entgegen. Die IKK sei nicht verpflichtet, dem Beigeladenen eine Substitutionsbehandlung zu gewähren, denn im konkreten Einzelfall handele es sich nicht um Krankenbehandlung i.S. des § 27 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V). Die Voraussetzungen der „Richtlinien zur Methadon-Substitutionsbehandlung bei i. v. -Heroinabhängigen” vom 2. Juli 1991 (Anlage 1 Nr. 2 zu den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V [NUB-Richtlinien]) seien nicht erfüllt. Der Beigeladene sei nicht im Rahmen eines zeitlich begrenzten Therapieplans behandelt worden; die Substitution sei im Grunde auf Dauer angelegt und man hoffe, daß der Beigeladene aufgrund seiner durch fortdauernde Substitution veränderten Lebensumstände einmal so stabilisiert sein werde, daß er dann möglicherweise auf Drogen verzichten könne. Damit fehle es an der in § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V vorausgesetztengezielten Einwirkung auf die Krankheit. In ähnlicher Weise würden hinsichtlich der Lebererkrankung lediglich die Lebensumstände des Versicherten gebessert, um nachteilige Auswirkungen des Drogenmißbrauchs auf die Leber (schlechter Allgemeinzustand, Intoxikation, Ansteckungsgefahr) zu vermeiden. Selbst wenn dies Beschwerden lindere bzw. eine Verschlimmerung verhüte, widerspreche es dem Sinn des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V, diese Ziele dadurch zu erreichen, daß die Sucht aufrechterhalten werde. Unter Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitsgebots müsse die Heilung vorrangig vor den anderen in § 27 SGB V genannten Behandlungszielen verfolgt werden.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin sinngemäß eine Verletzung des § 27 SGB V. Die Methadon-Behandlung sei nach ihrem Wesen geeignet, die Verschlimmerung einer Suchterkrankung zu verhüten und Krankheitsbeschwerden zu lindern, indem die äußerst quälenden Entzugssymptome verhindert würden. Zu diesem Ergebnis seien auch der erstinstanzlich gehörte Sachverständige und verschiedene Studien über die Erfolge von Methadon-Behandlungen gekommen. Die mangelnde Erfolgsaussicht der klassischen Therapie des Entzugs und die günstigen Erfolgsaussichten der Methadon-Behandlung machten diese zur einzig sinnvollen Möglichkeit, das Krankheitsbild des Beigeladenen zu bessern. Das Wirtschaftlichkeitserfordernis sei auch dann erfüllt, wenn begründete Aussichten auf Erfolg bestünden und keine preiswertere Behandlung zur Verfügung stehe.

Die Klägerin beantragt:

das Urteil des LSG vom 13. Oktober 1994 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen die Verurteilung zur Leistung im Urteil des SG vom 28. Januar 1994 zurückzuweisen.

Die im Laufe des Revisionsverfahrens als Rechtsnachfolgerin an die Stelle der IKK getretene Beklagte beantragt:

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der Beigeladene leide an einer zwar chronischen, aber wenig aktiven Hepatitis, so daß die Voraussetzungen der NUB-Richtlinien zur Methadon-Behandlung nicht erfüllt seien. Nach seinen Äußerungen in der Berufungsverhandlung sei der Beigeladene zu einem Entzug oder einer psychotherapeutischen oder psychiatrischen Behandlung nicht bereit; dadurch sei zusätzlich belegt, daß eine auf Abstinenz gerichtete Behandlung nicht durchgeführt werde.

Der Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

II.

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.

Das Begehren der Klägerin ist auf die Verurteilung der Beklagten zur Erstattung der von ihr verauslagten Kosten nach § 104 SGB X gerichtet und als echte Leistungsklage i.S. des § 54 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig. Zwar hatte sich der im Klageverfahren gestellte Antrag auf eine Kostenübernahme und nicht auf eine Kostenerstattung bezogen. Maßgeblich ist jedoch nicht die Fassung des Antrags, sondern das mit der Klage verfolgte Ziel (vgl. § 123 SGG). In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Klägerin klargestellt, daß es ihr um die Erstattung der für die Substitution beim Beigeladenen verauslagten Kosten und nicht um die Übernahme künftiger Kosten geht. Da dieses Begehren vom Wortlaut des ursprünglichen Antrags umfaßt wird, bestehen gegen eine derartige Präzisierung keine Bedenken.

Die fehlende Bezifferung des Anspruchs steht der sachlichen Entscheidung nicht entgegen (vgl. § 130 Satz 1 SGG), auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit der Berufung, denn zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung betraf der Streit wiederkehrende Leistungen (dazu BSG SozR 1500 § 144 Nr. 35) für einen Zeitraum von über vier Jahren nach der letzten Kostenübernahme durch die Beklagte (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die Klage kann jedoch keinen Erfolg haben. Die Beklagte ist nicht zur Erstattung der von der Klägerin für die Drogensubstitution verauslagten Kosten verpflichtet, weil der Beigeladene in der hier fraglichen Zeit keinen Anspruch auf Versorgung mit der Ersatzdroge Methadon als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung hatte.

§ 104 SGB X gibt dem gemäß § 2 Abs. 1 des Bundessozialhilfegesetzes nachrangig leistungspflichtigen Sozialhilfeträger einen Erstattungsanspruch, wenn der Berechtigte gegen einen anderen Leistungsträger, hier die beklagte Krankenkasse, vorrangig einen Anspruch hat. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Behandlung umfaßt u.a. die ärztliche Behandlung und die Versorgung mit Arzneimitteln. Nach § 12 Abs. 1 SGB V müssen die von der Krankenkasse gewährten Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Daraus bzw. aus früheren im wesentlichen gleichen Vorschriften hat die Rechtsprechung schon bisher gefolgert, daß der Versicherte nur gesundheitliche Maßnahmen fordern kann, die gezielt der Krankheitsbekämpfung dienen; die Krankenkasse hat nicht die Aufgabe, sonstige wegen einer Krankheit notwendig werdende Hilfe im Bereich der Lebensführung zu bieten (BSGE 42, 16, 18 f. = SozR 2200 § 182 Nr. 14 S. 30 mit Hinweis auf BSGE 37, 138 = SozR 2200 § 187 Nr. 1; im Versorgungsrecht: BSG SozR 3100 § 11 Nr. 13 S. 10; zur stationären Behandlung vgl. BSG SozR 2200 § 184 Nr. 28 m.w.N.). Insbesondere bei der Beurteilung des Einsatzes von Ersatzdrogen zur Bekämpfung von Suchtkrankheiten hat der Senat auf die notwendige Zielsetzung hingewiesen, die in der Regel dahingehen müsse, daß der Gebrauch von Drogen beendet werde. Deshalb entspreche die Drogensubstitution allein in der Regel nicht dem Gebot des § 12 Abs. 1 SGB V (BSG vom 5. Juli 1995 – 1 RK 6/95, zur Veröffentlichung in SozR 3-2500 § 27 Nr. 5 bestimmt).

Zur Zielsetzung der Versorgung des Beigeladenen mit Methadon hat das LSG festgestellt: Eine Befreiung von der Sucht sei im Fall des Beigeladenen zwar nicht ausgeschlossen, sie werde aber nicht gezielt angestrebt. Durch die Besserung der Lebensumstände werde allenfalls mittelbar das Fortschreiten der Suchterkrankung verhindert und infolgedessen auch die Lebererkrankung günstig beeinflußt; die Substitution erfolge aber nicht im Rahmen eines zeitlich begrenzten Therapieplans. Die mögliche Linderung oder Verhütung einer Verschlimmerung sei im Hinblick auf die gleichzeitig aufrechterhaltene Drogenabhängigkeit nicht zu rechtfertigen.

Diese Feststellungen sind auch der Entscheidung des Senats zugrunde zu legen (§ 163 SGG), denn sie beruhen auf einer Auswertung und Abwägung der im Laufe des Verfahrens abgegebenen medizinischen Stellungnahmen und der Äußerungen der Beteiligten. Sie betreffen den Einzelfall des Beigeladenen und sind als Beweiswürdigung vom Revisionsgericht nur eingeschränkt überprüfbar. Verfahrensrügen oder eine Verletzung der Denkgesetze hat die Klägerin dagegen nicht geltend gemacht. Das gilt auch für die Erwägung des LSG, die möglicherweise mittelbar zu erreichende Linderung könne die Aufrechterhaltung der Drogenabhängigkeit nicht rechtfertigen, weil § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V die Krankenbehandlung in erster Linie an der Heilung orientiere. Der rechtliche Ausgangspunkt des LSG stimmt insoweit mit der bereits genannten Rechtsprechung des Senats überein, ohne daß entschieden zu werden braucht, ob bereits die Unmöglichkeit der Heilung allein (oder erst i.V.m. gezielten medizinischen Maßnahmen) zu einem Behandlungsanspruch führen würde. Im übrigen ist die Abwägung zwischen den Nachteilen der durch Methadon bewirkten (oder ersetzten) Abhängigkeit und dem Vorteil einer möglichen Linderung bzw. der Verhütung einer Verschlimmerung tatsächlicher Natur und – bei dem vom LSG ermittelten Gesundheitszustand des Beigeladenen – revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Unter diesen Umständen erfüllt die Substitution beim Beigeladenen nicht die oben aufgezeigten Voraussetzungen, um sie als Krankenbehandlung i.S. des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V einordnen zu können – so sinnvoll sie aus sozialen Gründen und so erfolgreich sie letztlich auch sein mag. Daran vermögen die Einwände der Klägerin zur grundsätzlichen Eignung und Erfolgsaussicht einer „Behandlung” mit Methadon nichts zu ändern, denn eine solche wird im Fall des Beigeladenen – insbesondere mit dem Ziel der Suchtbeendigung – nicht durchgeführt. Von der möglichen Eignung der Substitution – dort mit Remedacen – zu Behandlungszweken ist auch der Senat im Urteil vom 5. Juli 1995 (BSG SozR 3-2500 § 27 Nr. 5) ausgegangen. Er hat aber bereits dort die Leistungspflicht der Krankenkasse nur unter weiteren Voraussetzungen angenommen, zu denen auch die Verfolgung eines der in der Krankenversicherung zugelassenen Behandlungsziele gehört. Fehlt es daran im konkreten Fall, kann die Leistung von der Krankenkasse nicht verlangt werden, und zwar unabhängig davon, ob die Indikationen der Methadon-Richtlinien vorliegen oder nicht.

Da das LSG einen Erstattungsanspruch zutreffend verneint hat, ist die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

NJW 1996, 2450

GesPol 1996, 32

Breith. 1996, 824

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