Entscheidungsstichwort (Thema)

Zeitpunkt der Zustellung. Bindung des Revisionsgerichts an festgestellte Tatsachen. Altersübergangsgeld. Höhe. Bemessung. Leistungssätze

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Revisionsgericht ist an vom Berufungsgericht festgestellte Tatsachen, auf denen das Berufungsurteil nicht beruht, auch dann gebunden (§ 163 SGG), wenn das Berufungsgericht zu Unrecht wegen angeblicher Versäumung der Berufungsfrist nicht in der Sache entschieden hat (Aufgabe von BSGE 9, 80 = SozR Nr. 17 zu § 55 SGG).

2. Auf das Altersübergangsgeld findet § 111 Abs. 2 und § 113 AFG gemäß § 249 e Abs. 3 AFG mit der Folge Anwendung, daß das Altersübergangsgeld nach Leistungssätzen zu zahlen ist, die der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung jeweils für ein Kalenderjahr durch Rechtsverordnung bestimmt.

3. Für 1991 und 1992 ist für Altersübergangsgeld ohne Zuschlag auf die Leistungssätze für das Unterhaltsgeld nach § 44 Abs. 2 Nr. 2 AFG zurückzugreifen.

 

Normenkette

SGG §§ 151, 163; VwZG §§ 5, 9; AFG §§ 111-112, 112a, 113, 249c, 249e; EinigVtr Art. 30

 

Verfahrensgang

KreisG Schwerin-Stadt (Urteil vom 24.06.1992; Aktenzeichen BSOB 4/91)

KreisG Rostock-Stadt (Entscheidung vom 27.09.1991; Aktenzeichen S Ar 37/91)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bezirksgerichts Schwerin vom 24. Juni 1992 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern verwiesen.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) der Klägerin Altersübergangsgeld (Alüg) zu zahlen hat.

Die 1934 geborene, verheiratete Klägerin war von 1963 bis zum 31. März 1991 bei einer Werft in Rostock als wissenschaftliche Mitarbeiterin beschäftigt. Ihr Bruttoarbeitsentgelt betrug in der Zeit vom 1. Januar bis zum 31. März 1991 monatlich 2.160,– DM; netto wurden ihr monatlich jeweils 1.649,86 DM ausgezahlt. Zu Beginn des Jahres 1991 war in die Lohnsteuerkarte der Klägerin die Steuerklasse III eingetragen, ab 1. April 1991 die Steuerklasse V.

Die Klägerin meldete sich beim Arbeitsamt Rostock (ArbA) arbeitslos und beantragte Alüg, das ihr das ArbA ab 1. April 1991 in Höhe von wöchentlich 205,20 DM bewilligte. Dieser Betrag enthält einen Erhöhungsbetrag von wöchentlich 14,40 DM. Der Bewilligung liegt ein gerundetes Bruttoarbeitsentgelt von 500,– DM wöchentlich, die Leistungsgruppe D (Steuerklasse V) und der Vomhundertsatz von 65 + 5 zugrunde (Bescheid vom 20. März 1991, Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 1991).

Auf die Klage, mit der die Klägerin ein wöchentliches Alüg in Höhe von 266,52 DM (= 70 vH der bisherigen Nettobezüge) verlangte, verurteilte das Kreisgericht (KreisG) unter entsprechender Änderung des ergangenen Bescheids die Beklagte, der Klägerin ein wöchentliches Alüg in Höhe von 247,80 DM unter Anrechnung der erbrachten Leistungen zu zahlen; im übrigen wies es die Klage ab (Urteil vom 27. September 1991). Zur Begründung des Urteils führte das KreisG aus, daß die Anspruchsvoraussetzungen vorlägen, entgegen der Auffassung der Beklagten aber die §§ 111, 113 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) für die Berechnung von Alüg keine Anwendung fänden. Vielmehr sei in enger Anlehnung an Art. 30 Abs. 2 des Einigungsvertrages (EinigVtr) ein pauschaler Steuerabzug vom Bruttoarbeitsentgelt im Bemessungszeitraum vorzunehmen, im Falle der Klägerin daher unter Berücksichtigung der Steuerklasse III. Dabei könne, weil sich dies kaum auswirke und die Klägerin sich nicht dagegen gewandt habe, die pauschale Heranziehung von Kirchensteuerhebesätzen der alten Bundesländer hier außer Betracht bleiben. Der Klägerin stehe danach Alüg in Höhe von 247,80 DM wöchentlich zu. Der Prozentsatz betrage bei ihr 65, nicht 70; auf den Erhöhungsbetrag habe sie keinen Anspruch.

Die am 20. Dezember 1991 eingelegte Berufung der Beklagten hat das Bezirksgericht (BezirksG) als unzulässig verworfen (Urteil vom 24. Juni 1992). Zur Begründung hat das BezirksG ausgeführt, es lasse sich nicht feststellen, daß die Berufung fristgerecht eingelegt worden sei. Es sei zu vermuten, daß das Urteil des KreisG bereits vor dem 20. November 1991 beim ArbA eingegangen sei, und zwar spätestens am 18. November 1991. Die Nichterweislichkeit des Zeitpunktes der Zustellung gehe zu Lasten der Beklagten.

Mit der – vom Senat zugelassenen – Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 151 Abs. 1, 63 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und der §§ 5 Abs. 2, 9 Abs. 2 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG): Maßgeblicher Zeitpunkt für die Zustellung nach § 5 Abs. 2 VwZG sei derjenige, an dem der zuständige zeichnungsberechtigte Bedienstete von dem Zugang des Schriftstückes Kenntnis erlange und sich entschließe, die Zustellung anzunehmen. Aus einem Vermerk auf der zugegangenen Urteilsausfertigung ergebe sich, daß die Zustellung am 21. November 1991 erfolgt sei. Demnach sei die Berufung rechtzeitig eingelegt worden. Nichts anderes gelte, wenn man als unabdingbare Voraussetzung für eine wirksame Zustellung nach § 5 Abs. 2 VwZG die Ausstellung eines Empfangsbekenntnisses fordere. Sollte kein Empfangsbekenntnis ausgestellt worden sein, wäre die Berufungsfrist nach § 9 Abs. 2 VwZG nicht in Gang gesetzt worden.

Die vom BezirksG festgestellten Tatsachen reichten für eine Entscheidung über die Höhe des Alüg aus. §§ 111 Abs. 2, 113 AFG seien bei der Berechnung von Alüg entsprechend anzuwenden. Das folge aus § 249 e Abs. 3 AFG. Die Maßgabe in § 249 e Abs. 3 Nr. 2 AFG betreffe lediglich die Abänderung des Vomhundertsatzes auf 65. Die Bezugnahme auf § 112 AFG diene ausschließlich zur Begriffsbestimmung des Arbeitsentgelts als eines solchen „im Sinne von § 112”. Das redaktionelle Aufgreifen des Begriffs „der bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallenden gesetzlichen Abzüge” sei keinesfalls eine die Vorschriften über das Arbeitslosengeld (Alg) ausschließende Maßgaberegelung. Auch die AFG-Leistungsverordnung stelle in diesem Sinne eine Vorschrift über das Alg dar. Das bis zum 31. Dezember 1990 im Beitrittsgebiet geltende abweichende Steuerrecht könne die Nichtanwendbarkeit der §§ 111 Abs. 2, 113 AFG auf den vorliegenden Fall nicht rechtfertigen. Hier sei § 249 c Abs. 11 AFG entsprechend anzuwenden. Art. 30 Abs. 2 Satz 2 EinigVtr stehe dieser Auffassung nicht entgegen. Bei dieser Vorschrift handele es sich um einen Programmsatz, der durch Art. 30 Abs. 2 Satz 3 EinigVtr, wonach die Gewährung von Alüg in Anlehnung an die Regelung des Alg erfolge, ausgefüllt werde. § 113 Abs. 2 AFG sei hier richtig angewendet worden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Bezirksgerichts aufzuheben, das Urteil des Kreisgerichts zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen,

hilfsweise,

den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen,

hilfsweise,

den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern zurückzuverweisen.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, es sei fragwürdig, ob die Zustellung des Urteils des KreisG erst als am 21. November 1991 erfolgt angesehen werden könne. In der Sache werde man zwar entgegen der Ansicht des KreisG die Anwendung des § 113 AFG über § 249 e Abs. 3 AFG bejahen müssen. Dennoch könne das Revisionsgericht nicht abschließend entscheiden, weil die dafür notwendigen Tatsachenfeststellungen nicht getroffen worden seien. Die Voraussetzung des § 113 Abs. 2 Satz 2 AFG sei nicht geprüft worden. Das Einkommen des Ehemannes der Klägerin sei nicht festgestellt worden, Deshalb könne nicht entschieden werden, ob der vorgenommene Steuerklassenwechsel dem Verhältnis der zu vergleichenden Einkommen der Ehepartner entsprochen habe.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist im Sinne der Zurückverweisung begründet.

Zu Recht rügt die Beklagte, daß das BezirksG ihre Berufung als unzulässig verworfen hat; denn die Berufung war statthaft (§ 143 SGG) und – entgegen der Auffassung des BezirksG – auch rechtzeitig eingelegt worden.

Der Statthaftigkeit der Berufung, die gemäß Art. 14 Abs. 1 des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 (BGBl I 50) nach dem bis zum 28. Februar 1993 geltenden Verfahrensrecht zu beurteilen ist, stand nicht entgegen, daß das Rechtsmittel die Höhe des Alüg betraf. Zwar war nach § 147 SGG (in der bis zum 28. Februar 1993 geltenden Fassung) die Berufung in Angelegenheiten der Arbeitslosenversicherung nicht zulässig, soweit sie die Höhe der Leistung betraf. Das SGG ist in Mecklenburg-Vorpommern, wo die Vorinstanzen ihren Sitz hatten, indes nur mit der Maßgabe in Kraft getreten, daß die §§ 144 bis 149 SGG keine Anwendung finden (Art. 8 EinigVtr vom 31. August 1990 iVm Kapitel VIII Sachgebiet D Abschnitt III Nr. 4 der Anlage I, BGBl II 889, 1032). Auch die weitere Maßgabe (aaO), daß in den in Art. 2 § 4 Abs. 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31. März 1978 (BGBl I 446), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 4. Juli 1985 (BGBl I 1274), genannten Fällen die Berufung der Zulassung bedarf, greift vorliegend nicht ein. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob dies schon deshalb der Fall ist, weil Art. 2 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit mit Wirkung vom 1. Januar 1991 aufgehoben worden ist (Art. 20 und 23 des Vierten Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 17. Dezember 1990, BGBl I 2809). Denn nach Art. 2 § 4 Abs. 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit bedurfte die Berufung der Zulassung nur, wenn bei einer Klage, die – wie hier – eine Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betraf, der Wert des Beschwerdegegenstands 500,– DM nicht überstieg, und selbst dann war die Berufung ohne Zulassung statthaft, wenn sie wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr betraf. Schon letzteres war hier der Fall; denn das KreisG hat die Beklagte zu höherem Alüg verurteilt, das für die damals 57jährige Klägerin für mehr als ein Jahr in Betracht kam.

Die am 20. Dezember 1991, einem Freitag, beim BezirksG eingegangene Berufung war rechtzeitig. Nach § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung einzulegen. Die Berufungsfrist hätte die Beklagte versäumt, wenn ihr das Urteil des KreisG vor dem 20. November 1991, einem Mittwoch, zugestellt worden wäre. Davon kann indes nicht ausgegangen werden.

Zuzustellen war das Urteil von Amts wegen, und zwar nach den §§ 2 bis 15 VwZG (§§ 135, 63 Abs. 2 SGG). Das KreisG hat eine „Zustellung durch die Behörde” vornehmen wollen. Bei dieser Zustellungsart händigt der zustellende Bedienstete das Schriftstück dem Empfänger aus; im Anschluß daran wird die Zustellung beurkundet (§ 5 Abs. 1 VwZG). Ist der Empfänger nicht anwesend oder zur Annahme nicht bereit, erfolgt die Zustellung gegebenenfalls ohne oder gegen seinen Willen (§ 5 Abs. 3, §§ 11, 13 VwZG). An Behörden, Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts, Rechtsanwälte usw kann das Schriftstück auch auf andere Weise als durch die nach § 5 Abs. 1 vorgeschriebene Aushändigung durch einen Zusteller übermittelt werden; als Nachweis der Zustellung genügt dann das mit Datum und Unterschrift versehene Empfangsbekenntnis, das an die Behörde zurückzusenden ist (§ 5 Abs. 2 VwZG). Diesen Zustellungsweg hat das KreisG eingeschlagen.

Es kann dahingestellt bleiben, ob zur Wirksamkeit einer solchen Zustellung gehört, daß der Empfänger des Schriftstücks das Empfangsbekenntnis datiert, unterzeichnet und zurücksendet, wie bisher in der Rechtsprechung überwiegend angenommen wird (BGHZ 57, 160, 162; BGH NJW 1975, 1171; vgl. BGH NJW 1991, 709; BSGE 15, 216, 221 = SozR Nr. 12 zu § 73 SGG; vgl. BFHE 102, 457, 459) oder ob eine Zustellung auch ohne Ausfüllung des Empfangsbekenntnisses wirksam sein kann (so BFHE 159, 425). Ebenso bedarf in tatsächlicher Hinsicht hier keiner Entscheidung, ob das in den Gerichtsakten fehlende Empfangsbekenntnis vom ArbA ausgestellt worden ist, worauf die Mitteilung der Beklagten vom 8. Mai 1992 an das BezirksG hindeutet, das Empfangsbekenntnis sei nach Auskunft des ArbA am 6. März 1992 dem BezirksG zugesandt worden und es auf dem Wege zum BezirksG verlorengegangen ist. Denn ist die Zustellung nicht wirksam, vermag sie den Lauf der Berufungsfrist nicht auszulösen. Ein Schriftstück gilt zwar nach § 9 Abs. 1 VwZG in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es der Empfangsberechtigte nachweislich erhalten hat; diese Vorschrift ist indes nicht anzuwenden, wenn mit der Zustellung eine Berufungsfrist beginnt (§ 9 Abs. 2 VwZG). Ist die Zustellung dagegen wirksam, fehlt es an hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkten, daß sie vor dem 20. November 1991 erfolgt ist.

Die gegenteilige Überzeugung des BezirksG geht von der Rechtsauffassung aus, die Zustellung nach § 5 Abs. 2 VwZG erfolge zu dem Zeitpunkt, zu dem das zuzustellende Schriftstück der Behörde zugehe. Das ist unrichtig. Der bloße Eingang der Sendung beim Empfänger bedeutet noch keine Zustellung (BSG SozR Nr. 4 zu § 5 VwZG). Auch die Möglichkeit, von dem Schriftstück Kenntnis zu nehmen, vollendet die Zustellung noch nicht (BSG aaO). Nach der inzwischen übereinstimmenden Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) und des Bundessozialgerichts (BSG) ist für die Zustellung nach § 5 Abs. 2 VwZG vielmehr der Zeitpunkt maßgebend, zu dem der Empfänger von dem Zugang des zuzustellenden Schriftstücks Kenntnis erlangt und bereit ist, die Zustellung entgegenzunehmen (BFHE 97, 57; 102, 457; BVerwGE 58, 107 = Buchholz 340 § 5 VwZG Nr. 6; BVerwG Buchholz 340 § 5 VwZG Nrn 7 und 13, 310 § 117 VwGO Nr. 23, 442.40 § 22 LuftVG Nr. 1; BSG aaO und SozR 1960 § 5 Nr. 2). Das gilt nicht nur für die Zustellung an Rechtsanwälte, sondern auch für die Zustellung an Behörden (BVerwG Buchholz 340 § 5 VwZG Nrn 7 und 13; BSG aaO). Seine hiervon abweichende, frühere Auffassung hat das BVerwG aufgegeben (BVerwG aaO). Da es nach den Angaben der Beklagten, die allgemein ihrer Praxis entsprechen, Aufgabe des ersten Sachbearbeiters nach dem SGG/Ordnungswidrigkeitengesetz war, Zustellungen von Urteilen entgegenzunehmen sowie Empfangsbekenntnisse auszufüllen und abzusenden, kann die Zustellung nicht bewirkt worden sein, bevor die Urteilsausfertigung diese in der Widerspruchsstelle des ArbA beschäftigte Person erreicht hat. Dies dürfte erst am 21. November 1991 gewesen sein, weil auf der Urteilsausfertigung dieser Tag als Eingang in der Widerspruchsstelle (III 08) vermerkt ist. Ein solcher Eingangsvermerk erfolgt nämlich nur dann, wenn der – an sich von der Poststelle anzubringende – Eingangsstempel fehlt oder die Tage des Eingangs in der Poststelle und bei der Widerspruchsstelle mehr als zwei Arbeitstage auseinanderliegen. Jedenfalls gibt es keine stichhaltigen Anhaltspunkte dafür, daß die Urteilsausfertigung vor dem 20. November 1991 bei der Widerspruchsstelle eingegangen und entgegengenommen worden ist. Unrichtig ist insoweit auch die Auffassung des BezirksG, es sei Sache der Beklagten, den Zeitpunkt der Zustellung des Urteils nachzuweisen; denn es war nicht ihre Aufgabe, die Zustellung des Urteils zu besorgen, und nicht zu ihren Gunsten, sondern zu Gunsten der Klägerin hätte sich eine Zustellung vor dem 20. November 1991 ausgewirkt. Die Berufung war hiernach rechtzeitig und durfte nicht als unzulässig verworfen werden.

Die Revision der Beklagten ist somit begründet, ohne daß sich das Urteil des Berufungsgerichts aus anderen Gründen als richtig darstellt. In einem solchen Fall hat das BSG in der Sache selbst zu entscheiden (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG). Das gilt auch dann, wenn die Vorinstanz sich zu Unrecht aus prozessualen Gründen gehindert gesehen hat, eine Sachentscheidung zu treffen, soweit die das Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz (§ 163 SGG) eine Entscheidung in der Sache ermöglichen (BSGE 25, 251, 254 = SozR Nr. 15 zu § 146 SGG; BSG SozR 1500 § 170 Nr. 4; SozR 2200 § 1248 Nr. 39; SozR 3-2500 § 106 Nr. 14; vgl. BVerwG Buchholz 402.44 VersG Nr. 2 mwN; BVerwG DVBl 1981, 495, 496). Bindend sind dabei nicht nur von den Beteiligten nicht oder nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffene Feststellungen, auf die die Vorinstanz ihre Entscheidung gestützt hat, sondern alle aus dem Urteil ersichtlichen Tatsachen (BVerwG DVBl 1963, 521). Das Gesetz knüpft die Bindung an die „im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen” ohne die Einschränkung, daß die Entscheidung auf diesen Tatsachen beruhen muß. Würde sich die Bindung auf Tatsachen beschränken, die für die getroffene Entscheidung tragend waren, könnte das BSG nur in Ausnahmefällen in der Sache selbst entscheiden, wenn die Entscheidungsgründe eine Gesetzesverletzung ergeben; das Gesetz erwartet indes in erster Linie eine abschließende Entscheidung, wie § 170 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 SGG deutlich machen (vgl. BSGE 4, 281, 288). An seiner früher vertretenen Auffassung, die Bindung nach § 163 SGG beschränke sich auf Tatsachen, auf denen das angefochtene Urteil beruht (BSGE 9, 80, 85 f), hält der Senat daher nicht fest. Ungeachtet des Umstands, daß das BezirksG die Berufung als unzulässig verworfen hat, hat mithin eine Prüfung in der Sache zu erfolgen, ohne daß es darauf ankommt, ob die zur Sachentscheidung erforderlichen Tatsachen von der Vorinstanz zur Beurteilung der Zulässigkeit der Berufung festgestellt worden sind (vgl. BSGE 25, 251, 254) oder zur Kennzeichnung des Streitgegenstandes nötig waren (vgl. BSG SozR 1500 § 163 Nr. 1).

Mit ihrer Klage hat die Klägerin geltend gemacht, daß ihr ab 1. April 1991 mehr als die 205,20 DM wöchentlich an Alüg zustehen, die ihr das ArbA bewilligt hat. Ob das der Fall ist, richtet sich nach der Vorschrift des § 249 e AFG, die durch die Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet E Abschnitt II Nr. 1 Buchst e des EinigVtr (BGBl II 1990, 889, 1033 ff) eingefügt worden ist. Durch Art. 1 Nr. 16 des Gesetzes zur Änderung arbeitsförderungsrechtlicher und anderer sozialrechtlicher Vorschriften vom 21. Juni 1991 (BGBl I 1306) ist § 249 e AFG zwar mit Wirkung vom 1. Juli 1991 geändert worden. Nach dem neu eingefügten § 249 e Abs. 11 AFG ist die Vorschrift in der vor dem 1. Juli 1991 geltenden Fassung indes auf Ansprüche auf Alüg weiterhin anzuwenden, die vor dem 1. Juli 1991 entstanden sind. Letzteres ist hier der Fall, worüber die Beteiligten nicht streiten und was nach dem Sachverhalt, den das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, auch nicht zweifelhaft ist. Über die hier allein streitige Höhe des Anspruchs auf Alüg bestimmt § 249 e Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 AFG aF, daß sie 65 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts iS des § 112 AFG beträgt. Nach § 249 e Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 AFG aF erhöht sich das Alüg für Ansprüche, die vor dem 1. April 1991 entstehen, für 312 Tage um 5 Prozentpunkte. Diese Vorschrift kommt indes der Klägerin nicht zugute, weil ihr Anspruch erst am und damit nicht schon vor dem 1. April 1991 entstanden ist. Auch für das Alüg, auf das nach § 249 e Abs. 3 Satz 1 AFG die Vorschriften über das Alg entsprechend anzuwenden sind, gilt, daß der Anspruch entsteht, wenn erstmals gleichzeitig alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind (vgl. BSGE 54, 212, 214 = SozR 4100 § 125 Nr. 2; SozR 4100 § 117 Nr. 19). Schon die Anspruchsvoraussetzung der Arbeitslosigkeit (§ 249 e Abs. 2 Nr. 1 AFG) erfüllte die Klägerin nicht vor dem 1. April 1991, weil sie nach den nicht angegriffenen Feststellungen des BezirksG bis zum 31. März 1991 in einer nicht nur kurzzeitigen Beschäftigung gestanden hat. Arbeitslos ist indes nur, wer vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht oder nur eine kurzzeitige Beschäftigung ausübt (§ 101 Abs. 1 Satz 1 AFG). Daß das ArbA davon ausgegangen ist, der Klägerin stehe das erhöhte Alüg zu und ihr daher das Alüg einschließlich eines Erhöhungsbetrages bestandskräftig zugebilligt hat, ändert nichts daran, daß der Klägerin von Rechts wegen das Alüg nur in Höhe von 65 vH des um die Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts iS des § 112 AFG zusteht, wie das KreisG zutreffend ausgeführt hat.

Daß das ArbA der Alüg-Bemessung ein Arbeitsentgelt von 500,– DM wöchentlich zugrunde gelegt hat, ist nicht zu beanstanden. Arbeitsentgelt ist nach § 112 Abs. 1 Satz 1 AFG das Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum durchschnittlich in der Woche erzielt hat. Bemessungszeitraum sind hier die frühzeitig abgerechneten Monate Januar bis März 1991. Denn der Bemessungszeitraum umfaßt die beim Ausscheiden des Arbeitnehmers abgerechneten Lohnabrechnungszeiträume der letzten drei Monate der die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung vor der Entstehung des Anspruchs, in denen der Arbeitslose Arbeitsentgelt erzielt hat. Da die Klägerin in dieser Zeit bei gleicher Arbeitszeit ein festes Monatsgehalt von 2.160,– DM erzielt hat, ergibt sich, gemäß § 112 Abs. 10 AFG auf den nächsten durch zehn teilbaren DM-Betrag gerundet, ein durchschnittlich in der Woche erzieltes Arbeitsentgelt von 500,– DM.

Angesichts des Vomhundertsatzes von 65 vH und dem Arbeitsentgelt von 500,– DM stehen der Klägerin für die Zeit vom 1. April 1991 bis zu der nach § 249 e Abs. 3 AFG entsprechend §§ 112 a, 249 c Abs. 13 AFG vorzunehmenden Erhöhung des Arbeitsentgelts, dh hier wohl bis zum 30. September 1991, mehr als die zugebilligten 205,20 DM nur zu, wenn die Klägerin nach § 111 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AFG nicht der Leistungsgruppe D, wie das ArbA angenommen hat, sondern der Leistungsgruppe A, B oder C angehört. Denn nur in diesen Leistungsgruppen machten 1991 65 vH eines um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts von 500,– DM mit 228,60 DM, 244,20 DM bzw 247,80 DM mehr als den zugebilligten Betrag aus. Das ergibt sich aus der Anlage 1 der AFG-Leistungsverordnung 1991 vom 6. Dezember 1990 (BGBl I 2647), in der der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) die Leistungssätze für 1991 des Unterhaltsgeldes nach § 44 Abs. 2 Nr. 2 AFG festgesetzt hat. Auf diese Leistungssätze ist für 1991 zurückzugreifen, da der BMA nicht ausdrücklich Leistungssätze für das gleichhohe Alüg festgesetzt hat, obwohl er nach § 249 e Abs. 3, § 111 Abs. 2 Satz 1 AFG hierzu ermächtigt war. Welcher Leistungsgruppe die Klägerin angehörte, richtet sich nach näherer Maßgabe des § 113 AFG danach, welche Steuerklasse auf ihrer Lohnsteuerkarte eingetragen war (§ 111 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AFG). Es gilt insoweit nichts anderes wie für das Alg, was aus § 249 e Abs. 3 AFG folgt. Denn nach dieser Generalverweisung sind auf das Alüg die Vorschriften über das Alg und für Empfänger dieser Leistung entsprechend anzuwenden. Die diesem Rechtsanwendungsbefehl beigegebenen Maßgaben beschränken ihn nicht bezüglich der Vorschriften des § 111 Abs. 2, § 112 a und § 113 AFG.

Was gegen die entsprechende Anwendung von § 111 Abs. 2, § 113 AFG vom KreisG und anderen (vgl. KreisG Halle, SGb 1992, 419; SG Dessau, SGb 1993, 243; Ambs ua, Gemeinschaftskomm zum AFG, Stand September 1993, § 249 e RdNrn 164 ff) ins Feld geführt wird, überzeugt nicht. Die Gegenmeinung verkennt die Gesetzessystematik, wie sie sich aus dem Wortlaut des § 249 e Abs. 3 AFG ergibt, und die – gewollten – Zusammenhänge mit dem Alg.

Sollen nicht nur einzelne, sondern grundsätzlich alle Vorschriften eines abgrenzbaren Rechtsgebiets für eine andere gesetzliche Regelung angewendet werden, entspricht eine Generalverweisung herkömmlicher Gesetzgebungstechnik. Sollen bestimmte Ausnahmen von der Verweisung gelten, werden diese üblicherweise aufgezählt. Dies und nichts anderes ist hier auch durch die vier Maßgaben geschehen, mit der die Generalverweisung eingeschränkt worden ist. Die Höhe des Alüg betreffen die Maßgaben Nrn 2 und 3. Die Maßgabe Nr. 3 modifiziert für das Alüg § 112 Abs. 11 AFG, die Maßgabe Nr. 2 steht anstelle des § 111 Abs. 1 AFG und schließt dessen entsprechende Anwendung aus. Die Anwendung der übrigen die Höhe des Alg betreffenden Vorschriften ist dagegen von den Maßgaben nicht eingeschränkt worden. Es mag sein, daß der Gesetzgeber bei der Nr. 2 sich auf die Regelung hätte beschränken können, daß der Vomhundertsatz 65 vH beträgt. Aus der geschehenen Ausformulierung der Maßgabe, die entsprechenden Regelungen bei anderen Leistungen entspricht, läßt sich nicht ableiten, daß – entgegen dem klaren Wortlaut – einzelne Regelungen über die Höhe des Alg nicht entsprechend gelten sollen, zumal hierfür weder systematische Gründe noch solche aus der Gesetzgebungsgeschichte angeführt werden können.

Gegenüber der Rechtsfolge, daß hiernach über § 249 e Abs. 3 AFG der BMA nach § 111 Abs. 2 Satz 1 AFG die Leistungssätze des Alüg Jeweils für ein Kalenderjahr durch Rechtsverordnung bestimmt, verfängt der Hinweis nicht, daß bei anderen Leistungen nach dem AFG der BMA jeweils ausdrücklich zur Bestimmung von Leistungssätzen ermächtigt worden ist (vgl. §§ 44 Abs. 2 c, 68 Abs. 4 Satz 2, 136 Abs. 3 AFG); denn dies ist nicht ausnahmslos der Fall. Wie beim Alüg hat sich das Gesetz auch beim Schlechtwettergeld einer – mit einer Ausnahme versehenen – Verweisung bedient, durch die der BMA ermächtigt wird, die Leistungssätze für das Schlechtwettergeld festzusetzen (vgl. § 86 AFG). Es sind insoweit auch keine aus Art. 80 Grundgesetz (GG) ableitbaren verfassungsrechtlichen Bedenken ersichtlich, über eine Generalverweisung die Ermächtigung zum Erlaß einer Rechtsverordnung auszusprechen. Denn es geht in § 249 e Abs. 3 AFG um eine vom Gesetz vorgeschriebene entsprechende Anwendung von Vorschriften, die ua eine Ermächtigung zum Erlaß einer Rechtsverordnung enthalten, nicht um eine Ermächtigung aufgrund Rechtsanalogie. Im übrigen ergeben sich Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung, die nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG im Gesetz bestimmt sein müssen, aus der gesetzlich geregelten Nettolohnersatzquote von 65 vH und den gesetzlichen Vorgaben des § 111 Abs. 2 Sätze 2 bis 6 AFG und des § 249 c Abs. 10 AFG, der ebenfalls mit dem EinigVtr eingefügt worden ist.

Die Gegenansicht verkennt ferner, daß das Alüg die durch die Verordnung vom 8. Februar 1990 (GBl I 42) eingeführte Vorruhestandsregelung der DDR, die ein Vorruhestandsgeld in Höhe von 70 % des durchschnittlichen Nettolohns der letzten zwölf Monate und in Höhe von 100 %, wenn der durchschnittliche Nettolohn weniger als 500,– Mark im Monat betrug, vorsah, nicht fortführen, sondern ablösen sollte. Folgerichtig knüpft die getroffene Regelung nicht an die Voraussetzungen dieser Verordnung an, sondern an den Anspruch auf Alg. Das entspricht Art. 30 Abs. 2 Satz 3 EinigVtr, wonach das Alüg in Anlehnung an die Regelungen des Alg gewährt wird. Auch hinsichtlich der Bemessungsweise sollte die Vorruhestandsregelung durch das System ersetzt werden, nach dem Alg bemessen wird, wie § 249 e Abs. 3 Nr. 2 AFG deutlich macht. Die Alg-Bemessung nach dem AFG kennzeichnet sich dadurch, daß das Alg 68 bzw 63 vH des Nettolohns ersetzen soll, den der Arbeitslose während des Leistungsbezugs erzielen würde, hätte er Arbeit (vgl. BSG SozR 4100 § 113 Nr. 7). Hier ordnet sich das Alüg ein, dessen Nettolohnersatzquote von 65 vH bewußt um 2 Prozentpunkte höher ist als die des Alg nach § 111 Abs. 1 Nr. 2 AFG, das im allgemeinen Arbeitslose beziehen, für die Alüg in Betracht kommt. Mit der Anlehnung des Alüg an die Alg-Bemessung ist zwangsläufig eine andere Rechtstechnik verbunden, als sie der Vorruhestandsregelung der DDR zugrunde lag. Rechtstechnisch knüpft die Bemessung des Alg nämlich nicht an den erzielten Nettolohn an, sondern im Regelfall an das erzielte Bruttoarbeitsentgelt (vgl. § 112 AFG). Auch das erzielte Bruttoarbeitsentgelt wird nicht unmittelbar der Alg-Bemessung zugrunde gelegt. Das im Regelfall zugrunde zu legende Arbeitsentgelt nach § 112 Abs. 1 bis 4 AFG ist vielmehr das Produkt eines Lohn- und eines Zeitfaktors, die beide lediglich den Lohnbedingungen entnommen werden, denen der Arbeitslose bislang unterlag. Das Bemessungsentgelt kann daher (wie im Falle der Klägerin) mit dem erzielten Arbeitsentgelt übereinstimmen, muß es indessen nicht, was insbesondere der Fall ist, wenn auch für Mehrarbeit Arbeitseinkommen erzielt worden ist. Das Bemessungsentgelt ist mithin pauschaliert und soll das Bruttoarbeitsentgelt wiedergeben, das der Arbeitslose erzielen würde, wenn er während seines Leistungsbezugs Arbeit hätte (BSG aaO; vgl. ferner das zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil des Senats vom 21. April 1993 – 11 RAr 37/92). Ausgehend von diesem Bemessungsentgelt richtet sich das Alg nach festen, allen denkbaren Bemessungsentgelten zugeordneten Leistungssätzen, die den gesetzlichen Vomhundertsatz und – nach Maßgabe der Lohnsteuerklasse des Arbeitslosen – die gesetzlichen Abzüge berücksichtigen, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen (§ 111 AFG). Weil das Alg (und damit auch das Alüg) den Nettolohn ersetzen soll, den der Arbeitslose erzielte, hätte er Arbeit, paßt das derzeitige Bemessungssystem des AFG das Bemessungsentgelt an die allgemeine Lohnentwicklung (§ 112 a AFG) an (sowie ggf an während des Leistungsbezugs eintretender Leistungseinschränkungen des Arbeitslosen, § 112 Abs. 8 AFG) und berücksichtigt durch die Vorschrift, die Leistungssätze für jedes Jahr neu festzusetzen (§ 111 Abs. 2 Satz 1 AFG), die allgemeine Entwicklung der Abgaben sowie über die Änderung der Leistungsgruppe infolge einer Änderung der Steuerklasse des Arbeitslosen (§ 113 AFG), welcher Abgabelast der einzelne Arbeitslose während des Leistungsbezugs in etwa unterläge, erzielte er Lohn, Dieses System unterscheidet sich wesentlich von der Bemessung des Vorruhestandsgeldes der DDR, die praktisch unmittelbar an Nettobezüge anknüpft.

Der entsprechenden Anwendung der §§ 111 Abs. 2, 113 AFG läßt sich nicht entgegenhalten, daß die genannten Vorschriften dann auch der Alüg-Leistung für die Zeit vom 3. Oktober bis zum 31. Dezember 1990 zugrunde zu legen wären, was in Ermangelung von Lohnsteuerkarten und Steuerklassen im Beitrittsgebiet in dieser Zeit nicht möglich sei. Denn zu den Vorschriften über das Alg, die nach § 249 e Abs. 3 AFG entsprechend anzuwenden sind, gehören auch die Übergangsvorschriften des Art. 9 Abs. 2 EinigVtr und der Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet E Abschnitt III Nr. 1 Buchst a Doppelbuchst ee (BGBl II 1990, 889, 1209). Dort ist bestimmt, daß für Zeiten, die vor dem 1. Januar 1991 im Beitrittsgebiet zurückgelegt werden, anstelle des § 111 AFG (und damit praktisch auch des § 113 AFG) § 111 des AFG der DDR weiterhin anzuwenden ist. Unter Berücksichtigung von § 249 e Abs. 3 Nr. 2 AFG beträgt die Höhe des Alüg in diesen Fällen mithin 70 vH des um die gesetzlichen Abzüge verminderten Arbeitsentgelts (§ 112 AFG-DDR). Allerdings gilt § 249 b Abs. 2 Sätze 3 bis 5 AFG entsprechend: Ungeachtet des Umstands, daß eine Verminderung der Leistung ausgeschlossen ist, ist für die Zeit ab 1. Januar 1991 grundsätzlich die Leistung unter Berücksichtigung von § 111 Abs. 2, § 113 AFG auf der Grundlage des Arbeitsentgelts neu festzusetzen, das für die Bemessung der Leistung maßgebend ist.

Der Auffassung des Senats steht Art. 30 Abs. 2 Satz 2 EinigVtr nicht entgegen. Dort ist allerdings vorgesehen, daß die Höhe des im Satz davor verheißenen Alüg 65 vH des letzten durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelts beträgt. Art. 30 Abs. 2 EinigVtr enthält insoweit indes keinen Rechtssatz, der auf unmittelbaren Vollzug angelegt ist, sondern eine Grundsatzbestimmung, in der die Leitvorstellung offengelegt wird, nach der das Alüg zu gestalten ist. Eine derartige Grundsatzbestimmung bedarf der legislatorischen Umsetzung und Konkretisierung. Das ist durch § 249 e AFG und die weiteren Änderungen und Ergänzungen des AFG erfolgt, die in der Anlage I zum EinigVtr aufgeführt sind und mit ihm ein einheitliches Gesetzgebungswerk darstellen. Daß bezüglich der Höhe des Alüg die getroffene Regelung nicht hinter der Verheißung des Art. 30 Abs. 2 Satz 2 EinigVtr zurückbleibt, ergibt sich im übrigen aus Art. 30 Abs. 2 Satz 3 EinigVtr, wonach das Alüg von der Bundesanstalt für Arbeit „in Anlehnung an die Regelungen des Arbeitslosengeldes, insbesondere der Regelung des § 105 c des Arbeitsförderungsgesetzes” gewährt wird. Nach dem AFG ist das Alg aber zu keinem Zeitpunkt in unmittelbarer Anknüpfung an ein konkretes durchschnittliches Nettoentgelt gewährt worden. Entsprechend wird in dem Entwurf eines Gesetzes zum Einigungsvertrag zu Art. 30 Abs. 2 EinigVtr ausgeführt, daß das Alüg sich an die Regelungen des Alg anlehne und in Höhe von 65 vH des letzten durchschnittlichen pauschalierten Nettoarbeitsentgelts gezahlt werde (BT-Drucks 11/7760 S 370).

Hiernach bestimmt aufgrund der Verweisung des § 249 e Abs. 3 AFG der BMA gemäß § 111 Abs. 2 Satz 1 AFG wie für das Alg auch für das Alüg die Leistungssätze jeweils für ein Kalenderjahr durch Rechtsverordnung. Dabei sind die Nettolohnersatzquote sowie die Vorgaben zu beachten, die § 111 Abs. 2 Sätze 2 bis 6 AFG und § 249 c Abs. 10 AFG enthalten. Der mit dem EinigVtr eingefügte § 249 c Abs. 10 AFG gewährleistet dabei auch für die ersten Jahre nach der Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands einheitliche Leistungssätze für das gesamte Bundesgebiet, wie es sie auch bis zum 3. Oktober 1990 gegeben hatte. Hiernach ist es dem BMA verwehrt, im Beitrittsgebiet bestehende Besonderheiten zu berücksichtigen. Verfassungsrechtlich zu beanstanden ist dies grundsätzlich nicht.

Nach § 111 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AFG ist in den fünf verschiedenen Leistungsgruppen als Lohnsteuer jeweils die Steuer nach den allgemeinen Lohnsteuertabellen der Steuerklassen I, III, V und VI zugrunde zu legen. Regelungen über die gewöhnlichen gesetzlichen Abzüge vom Arbeitsentgelt, die im Beitrittsgebiet gelten, sind nach § 249 c Abs. 10 Nr. 1 AFG nicht zu berücksichtigen, soweit sie von denen in den alten Ländern abweichen. Der Tariffreibetrag nach § 32 Abs. 8, § 60 Einkommensteuergesetz (idF des Steueränderungsgesetzes 1991 vom 24. Juni 1991, BGBl I 1322) von 100,– DM (Steuerklasse I, II, IV) bzw 200,– DM (III) monatlich für 1991 und 50,– DM bzw 100,– DM monatlich für 1992 und 1993, durch den Arbeitsplätze im Beitrittsgebiet gefördert werden sollen, erhöhen die Leistungssätze daher nicht (aA SG Dessau, SGb 1993, 243, 246).

Nach § 111 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AFG hat der Bundesminister als Kirchensteuer-Hebesatz den im Vorjahr geltenden niedrigsten Kirchensteuer-Hebesatz zugrunde zu legen. § 249 c Abs. 10 Nr. 2 AFG bestimmt hierzu, daß Kirchensteuer-Hebesätze, die im Beitrittsgebiet gelten, erstmals bei der Leistungsverordnung für das dritte Kalenderjahr nach Einführung der Kirchensteuer in diesem Gebiet zu berücksichtigen sind. In den ersten Jahren kommt es also für die Bestimmung der Leistungssätze weiterhin auf den im Vorjahr geltenden niedrigsten Kirchensteuer-Hebesatz in den alten Ländern an. Aus diesen Vorschriften ergibt sich zunächst, daß das Gesetz die Kirchensteuer auch nach der Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands zu den Abgaben zählt, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, obwohl im Beitrittsgebiet nur eine Minderheit der lohnsteuerpflichtigen Arbeitnehmer dieser von der Zugehörigkeit zu einer zur Erhebung von Kirchensteuern berechtigten Religionsgemeinschaft abhängigen Steuer unterliegt. Zum anderen folgt aus den genannten Vorschriften, daß der Verordnungsgeber die Belastung mit Kirchensteuer bei allen Leistungssätzen berücksichtigen muß und nicht befugt ist, für Arbeitslose, die einer kirchensteuererhebenden Religionsgemeinschaft nicht angehören, hiervon abzusehen und für sie höhere Leistungssätze vorzusehen. Es ist hier nicht zu entscheiden, ob es sinnvoller wäre, wenn statt der Berücksichtigung der Kirchensteuer eine entsprechend geringere Nettolohnersatzquote vorgeschrieben worden wäre. Verfassungsrechtlich bedenklich wäre die geltende Regelung nur, wenn der Gesetzgeber bei der grundsätzlich zulässigen Pauschalierung von am Nettolohn ausgerichteten Lohnersatzleistungen (vgl. BVerfGE 63, 255, 262 = SozR 4100 § 111 Nr. 6) den Umstand zu berücksichtigen hätte, daß Arbeitnehmer, die keine Kirchensteuer zu zahlen haben, generell bei Arbeitslosigkeit einen höheren Verlust an Nettoarbeitsentgelt erleiden. Das ist indes nicht der Fall, weil der Unterschiedsbetrag gering ist und der Arbeitslose insoweit auch keinen besonderen Bedarf hat; im übrigen wird auch bei den Beiträgen zur BA nicht danach unterschieden, ob der Arbeitnehmer einer zur Erhebung von Kirchensteuer berechtigten Religionsgemeinschaft angehört oder nicht. Höheres Alüg steht Arbeitslosen jedenfalls nicht deshalb zu, weil die Kirchensteuer im Beitrittsgebiet nicht zu den Abgaben gehört, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen (aA SG Dessau aaO) oder keine Kirchensteuer zu zahlen wäre, wenn Arbeitsentgelt erzielt würde.

Nach § 111 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 AFG hat der BMA bei der Bildung der Leistungssätze als Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung die Hälfte des gewogenen Mittels der am 1. Juli des Vorjahres geltenden allgemeinen Beitragssätze zu berücksichtigen. Hierzu bestimmt § 249 c Abs. 10 Nr. 3 AFG, daß Beitragssätze der gesetzlichen Krankenversicherung, die im Beitrittsgebiet gelten, erstmals für die Leistungsverordnung 1992 gelten, dh bei der Feststellung des gewogenen Mittels mitzählen. Hieraus folgt, daß höheres Alüg für das Jahr 1991 auch nicht deshalb beansprucht werden kann, weil der Beitragssatz im Beitrittsgebiet günstiger als das gewogene Mittel ist, bzw das für die Leistungssätze 1991 zugrunde gelegte gewogene Mittel günstiger wäre, wenn auch die Beitragssätze der DDR zum 1. Juli 1990 herangezogen worden wären.

Leistungssätze für das Alüg hat der BMA allerdings erst für 1993 ausdrücklich ausgewiesen (vgl. Anlage 1 der AFG-Leistungsverordnung vom 18. Dezember 1992, BGBl I 2354). Es muß daher für 1991 und 1992 – unter Beachtung der Leistungsbemessungsgrenze (§ 249 c Abs. 9 AFG) – auf die vom BMA für das Unterhaltsgeld nach § 44 Abs. 2 Nr. 2 AFG festgesetzten Leistungssätze zurückgegriffen werden. Die Alüg-Empfänger erleiden hierdurch keinen Nachteil, da dieses Unterhaltsgeld ebenfalls 65 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts iS des § 112 AFG beträgt und der BMA bei der Festsetzung der Leistungssätze für das Unterhaltsgeld ebenfalls § 111 Abs. 2 Sätze 2 bis 6 und § 249 c Abs. 10 AFG zu beachten hat (§ 44 Abs. 2 c Satz 2 AFG). Ausdrücklich für das Alüg ausgewiesene Leistungssätze hätten von den Leistungssätzen für dieses Unterhaltsgeld nicht abweichen können.

Mehr als die zugebilligten 205,20 DM in der Woche stünden der Klägerin mithin nur zu, wenn sie der Leistungsgruppe A, B oder C angehörte. Der Gruppe A gehörte die Klägerin an, wenn auf ihrer Lohnsteuerkarte die Steuerklasse I oder IV eingetragen wäre, der Gruppe B bei der Steuerklasse II und der Gruppe C bei der Steuerklasse III (§ 111 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AFG). Maßgebend ist grundsätzlich die Steuerklasse, die zu Beginn des Kalenderjahres eingetragen war, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 AFG). Das war hier die Steuerklasse III. Spätere Änderungen der Steuerklasse werden indes berücksichtigt (§ 113 Abs. 1 Satz 2), auch Änderungen infolge eines Steuerklassenwechsels unter Ehegatten (§ 113 Abs. 2 AFG). Einen solchen Steuerklassenwechsel haben die Klägerin und ihr Ehemann vorgenommen, indem die Klägerin zum 1. April 1991 die Steuerklasse V übernommen hat und der Ehemann die Steuerklasse III. Hiernach hätte das ArbA zu Recht der Klägerin die Leistungen ab 1. April 1991 nach der Leistungsgruppe D bewilligt. Nach § 113 Abs. 2 Satz 2 AFG sind indes abweichend von der eingetragenen Steuerklasse aufgrund des Steuerklassenwechsels die dem Verhältnis der monatlichen Arbeitslöhne beider Ehegatten entsprechenden Lohnsteuerklassen für die Höhe der Leistung maßgebend, wenn die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen an diesem Tage offensichtlich nicht diesem Verhältnis entsprechen. Ein Ausfall des Arbeitslohns, der den Anspruch auf eine lohnsteuerfreie Lohnersatzleistung (wie das Alüg) begründet, bleibt bei der Beurteilung der Verhältnisse der monatlichen Arbeitslöhne außer Betracht (§ 113 Abs. 2 Satz 3 AFG). Maßgebend ist hiernach in Fällen vorliegender Art, ob angesichts der „Arbeitslöhne” beider Ehegatten die gewählte Steuerklassenkombination zum geringsten Lohnsteuerabzug führen würde (vgl. BSGE 61, 45, 50 = SozR 4100 § 113 Nr. 5; SozR 4100 § 113 Nrn 3 und 7). Die Vorschriften verhindern nicht nur Manipulationen, sondern bewirken auch, daß sich ein Steuerklassenwechsel, der infolge Arbeitslosigkeit steuerrechtlich geboten ist, sich nicht nachteilig für den Arbeitslosen auswirkt, indem der Lohnersatzleistung die Steuerklasse zugrunde gelegt wird, die der Arbeitslose vernünftigerweise hätte, wenn er in Arbeit wäre. Nach den Feststellungen des BezirksG ist der Arbeitslohn, der der Klägerin am 1. April 1991 zuzurechnen ist, zwar mit 2.160,– DM bekannt. Es fehlen indes Feststellungen über den Arbeitslohn des Ehemannes der Klägerin an diesem Tage. Es läßt sich daher nicht beurteilen, ob die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen am 1. April 1991 offensichtlich nicht dem Verhältnis der Arbeitslöhne der Ehegatten entsprachen und von welcher anderen Steuerklassenkombination (III Klägerin, V Ehemann; IV/IV) ggf statt dessen auszugehen ist. Es kann daher nicht entschieden werden, ob der Klägerin das Alüg nach der Leistungsgruppe D (Steuerklasse V), der Leistungsgruppe C (Steuerklasse III) oder der Leistungsgruppe A (Steuerklasse IV) zusteht. Die Leistungsgruppe B kommt allerdings nicht in Betracht, weil die Steuerklasse II für zusammenlebende Verheiratete nicht vorgesehen ist. Gehört die Klägerin in die Leistungsgruppe C, wäre ihre Klage in Höhe von 247,80 DM wöchentlich und gehört sie in die Leistungsgruppe A in Höhe von 228,60 DM begründet, solange das Arbeitsentgelt nach § 112 AFG unverändert 500,– DM wöchentlich beträgt.

In Ermangelung ausreichender Feststellungen kann der Senat daher nicht abschließend entscheiden, vielmehr ist die Sache gemäß § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Nachdem das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern in Angelegenheiten der Sozialgerichtsbarkeit mit Wirkung vom 1. Juli 1992 an die Stelle des gleichzeitig aufgehobenen BezirksG getreten ist (vgl. Art. 1 § 1, Art. 5 des Gerichtsorganisationsgesetzes vom 2. Juni 1992, GVBl MV 1992, 314), war die Sache an dieses Gericht zu verweisen.

Bei seiner erneuten Entscheidung, die auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu betreffen hat, sollte das Berufungsgericht beachten, daß sowohl zu den Anpassungstagen (§ 112 a AFG) als auch jeweils zum Jahresbeginn Änderungsbescheide ergangen sein dürften, die Gegenstand des Verfahrens geworden sind (§§ 96, 153 Abs. 1 SGG) oder es mit der Wiedereröffnung der Berufungsinstanz werden (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl 1993, § 171 RdNr. 4 mwN).

 

Fundstellen

BSGE, 195

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge