Gesetzestext

 

(1) Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger sind während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig.

(2) 1Zwangsvollstreckungen in künftige Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis des Schuldners oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge sind während der Dauer des Verfahrens auch für Gläubiger unzulässig, die keine Insolvenzgläubiger sind. 2Dies gilt nicht für die Zwangsvollstreckung wegen eines Unterhaltsanspruchs oder einer Forderung aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung in den Teil der Bezüge, der für andere Gläubiger nicht pfändbar ist.

(3) 1Über Einwendungen, die aufgrund des Absatzes 1 oder 2 gegen die Zulässigkeit einer Zwangsvollstreckung erhoben werden, entscheidet das Insolvenzgericht. 2Das Gericht kann vor der Entscheidung eine einstweilige Anordnung erlassen; es kann insbesondere anordnen, daß die Zwangsvollstreckung gegen oder ohne Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen oder nur gegen Sicherheitsleistung fortzusetzen sei.

1. Allgemeines

 

Rn 1

Wie schon § 88 für den Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens soll § 89 nach Verfahrenseröffnung verhindern, dass sich Insolvenzgläubiger im Wege von Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen wegen ihrer Insolvenzforderungen befriedigen. Vielmehr soll eine möglichst umfassende gemeinschaftliche Gläubigerbefriedigung sichergestellt und dem in § 1 niedergelegten Gedanken der Gesamtvollstreckung Rechnung getragen werden. Entsprechend § 14 Abs. 1 KO enthält die Vorschrift daher ein umfassendes allgemeines Vollstreckungsverbot für Insolvenzgläubiger.[1] Sie ergänzt daher die in § 80 geregelte Unwirksamkeit von rechtsgeschäftlichen Verfügungen des Schuldners um die Unwirksamkeit von Verfügungen, die im Wege der Zwangsvollstreckung durch Insolvenzgläubiger vorgenommen werden.[2]

 

Rn 2

Des Weiteren dehnt die Vorschrift über den bisherigen Rechtszustand hinaus das Verbot der Vollstreckung in bestimmte künftige Forderungen des Schuldners auf alle Gläubiger aus. Damit soll in Ergänzung zu § 81 Abs. 2 die nunmehr vorgesehene Möglichkeit einer Restschuldbefreiung des Schuldners gewahrt bleiben. Auch § 89 ist in Zusammenhang mit den in § 21 Abs. 2 Nr. 3, § 88, § 110 Abs. 2, § 114 Abs. 3 und § 321 geregelten Mechanismen zu sehen, Einzelzugriffe und eine damit verbundene Bevorzugung von Insolvenzgläubigern im Interesse einer gemeinschaftlichen Gläubigerbefriedigung möglichst weit zurückzudrängen. § 89 Abs. 2 Satz 2 ist entsprechend auf die in § 114 Abs. 3 enthaltene Regelung wegen der dort enthaltenen Verweisung anwendbar.

[1] BegrRegE, in: BT-Drs. 12/2443, S. 137 = Kübler/Prütting, Bd. I, S. 266.
[2] Gerhardt, in: Kölner Schrift, S. 193 (214 Rn. 44).

2. Vollstreckungsverbot für Insolvenzgläubiger (Abs. 1)

2.1 Zwangsvollstreckungsmaßnahmen und Dauer des Verbots

 

Rn 3

Der Begriff der "Zwangsvollstreckungen" in § 89 ist weiter als der entsprechende Begriff in § 88. Unter den Begriff fallen bei § 89 – insoweit übereinstimmend mit § 88 (siehe dort Rn. 5) – zunächst alle Vollstreckungsakte, die zu einer Sicherung für die Forderung des Insolvenzgläubigers führen würden, wenn es § 89 nicht gäbe, also Pfändungen von Gegenständen des beweglichen Vermögens durch den Gerichtsvollzieher bzw. das Vollstreckungsgericht (§§ 803 ff. ZPO), Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen gemäß §§ 864 ff. ZPO (bei Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung i.V.m. den Vorschriften des ZVG) und die Vollziehung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung (§§ 928 ff. ZPO),[3] z.B. einer auf Eintragung einer Vormerkung gerichteten einstweiligen Verfügung (§ 885 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB).[4] Nach h.M. ist nicht nur die Vollziehung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung, sondern auch schon deren Anordnung durch § 89 verboten.[5] Dem ist trotz des an sich zutreffenden Hinweises von Jauernig[6], der der Prüfung der Arrest- oder Verfügungsvoraussetzungen dienende Prozess sei eine Art "summarisches Erkenntnisverfahren", zuzustimmen. Denn die Verfahren dienen der "Sicherung der Zwangsvollstreckung" (§ 916 Abs. 1 ZPO; ähnlich für die Sicherungsverfügung § 935 ZPO), und in ihnen ist der Mangel an Gründlichkeit bei der Prüfung des materiell-rechtlichen Anspruchs (vgl. § 920 Abs. 2, § 936 ZPO) durch eine spezifisch vollstreckungsrechtliche Voraussetzung, den Arrest- bzw. Verfügungsgrund (§§ 917, 918, 935 ZPO), ersetzt.[7] Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist eine Vorpfändung wegen der ihr durch § 845 Abs. 2 ZPO beigelegten Wirkung ebenso unzulässig[8] wie eine Pfändung; diese auch dann, wenn ihr eine vor Verfahrenseröffnung erfolgte Vorpfändung vorausgegangen war.[9] An § 89 Abs. 1 scheitert auch die Heilung einer fehlerhaften (verfrühten) Pfändung, wenn die Pfändung zwar vor Verfahrenseröffnung (und vor Beginn der Sperrfrist des § 88) vorgenommen worden ist, die fehlenden Vollstreckungsvoraussetzungen (§§ 750, 751, 798 ZPO) aber erst nach Verfahrenseröffnung nachgeholt worden sind.[10] § 89 gilt auch für die Verwaltungsvollstreckung wegen Steuer- oder sonstiger öffentlich-rechtlicher Forderungen[11] und für ...

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