Leitsatz (amtlich)

1. Verkauft eine Gemeinde ein Grundstück, das mit einem Fehler behaftet ist, so ist ihr für die Frage des arglistigen Verschweigens auch das Wissen eines vertretungsberechtigten Organmitgliedes zuzurechnen, das nicht selbst an dem Rechtsgeschäft mitgewirkt hat.

Die Zurechnung kommt auch in Betracht, wenn dieser Organvertreter von dem Rechtsgeschäft nichts weiß oder sogar schon aus dem Amt ausgeschieden ist.

2. Ist die Gemeinde hiernach so zu behandeln, als hätte sie beim Verkauf den Fehler gekannt, so kann sie auch hinsichtlich der weiteren subjektiven Elemente des (bedingten) Vorsatzes nach BGB § 463 S 2 nicht besser gestellt werden als eine natürliche Person, für die diese Vorsatzelemente dann zu vermuten sind.

 

Orientierungssatz

Zitierungen zur Wissenszurechnung von Organvertretern nichtöffentlich-rechtlicher juristischer Personen: vergleiche BGH, 1956-03-03, IV ZR 314/55, BGHZ 20, 149, 153; BGH, 1964-04-06, II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 287 mwN; BAG, 1984-09-20, 2 AZR 73/83, DB 1985, 237f; RG, 1935-02-08, V 223/34, JW 1935, 2044; BGH, 1984-03-01, IX ZR 34/83, NJW 1984, 1953, 1954 und BGH, 1958-10-23, II ZR 127/57, WM IV 1959, 81, 84.

 

Tatbestand

Die Klägerin kaufte mit notariellem Vertrag vom 25. Februar 1982 von der Beklagten, diese vertreten durch ihren Bürgermeister B., das Schlachthofgrundstück nebst Aufbauten zum Preise von 350.000 DM unter Ausschluß der Gewährleistung. Das Anwesen, das die Klägerin schon seit 1971 gegen Entgelt mitbenutzt hatte, wurde ihr am 1. April 1982 übergeben.

Mit Schreiben vom 20. Januar 1984 verfügte das Landratsamt L., die Nutzung des Schlachthofanbaues wegen potentieller Einsturzgefahr der Decken zu unterlassen, wenn nicht bis zum 1. Mai 1984 bestimmte Sanierungsmaßnahmen durchgeführt würden. Das Schreiben nahm Bezug auf eine Verfügung des Landratsamts vom 4. Oktober 1965 an die Beklagte und auf verschiedene Ortsbesichtigungen.

Mit der Verfügung vom 4. Oktober 1965 hatte das Landratsamt L. der Beklagten mitgeteilt, daß zur Abdeckung des im Jahre 1960 an das ältere Schlachthofgebäude angebauten Kühlraumes nebst Kuttelei vermutlich Spannbeton-Fertigteildecken mit Tonerde-Schmelzzement als Bindemittel verwendet worden seien, deren Tragfähigkeit erheblich gefährdet sei. Es hatte die baupolizeiliche Sperrung des Anbaues für den Fall angedroht, daß die in der Verfügung angeordneten baulichen Maßnahmen nicht durchgeführt würden. Die Beklagte war den Anordnungen nicht nachgekommen; sie hatte lediglich im Jahr 1975 den Anbau mit einem neuen Flachdach versehen lassen. Am 18. Mai 1981 hatte eine (weitere) Ortsbesichtigung des Anbaues unter Beteiligung verschiedener Behörden und eines Bediensteten der Beklagten stattgefunden. Die Mitteilung von der Besichtigung war, während eines Urlaubs des Bürgermeisters, dessen Stellvertreter K. vorgelegt worden; dieser hatte sie abgezeichnet und zu den Akten genommen.

Die Klägerin, die von der Beklagten bei den Vertragsverhandlungen und bei Kaufabschluß weder über den Mangel noch über die Verfügung des Landratsamts informiert worden war, begehrt die Feststellung, daß die Beklagte verpflichtet sei, ihr den Schaden zu ersetzen, der dadurch entstehe, daß sie die Decken im Anbau des Schlachthofes auswechseln müsse.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben; das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen.

Mit ihrer Revision erstrebt die Klägerin Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht sieht in der durch schlechte Materialien bedingten Einsturzgefahr der Decken einen offenbarungspflichtigen, erheblichen Mangel des Bauwerks, dessen Kenntnis für den Kaufentschluß der Klägerin von wesentlicher Bedeutung gewesen sei. Ein arglistiges Verschweigen des Mangels durch die Beklagte oder ihre Organe sei jedoch nicht erwiesen. Der erst 1977 in sein Amt gewählte Bürgermeister B. habe glaubwürdig verneint, Kenntnis von dem Mangel gehabt zu haben. Aus den Protokollen der Gemeinderatssitzungen ergebe sich nichts dafür, daß dem Gemeinderat bei Vertragsschluß der Mangel noch bewußt gewesen sei. Der Umstand, daß der im Jahre 1965 amtierende Bürgermeister von der Verfügung des Landratsamtes vom 4. Oktober 1965 Kenntnis erlangt gehabt habe und der stellvertretende Bürgermeister K. durch die Mitteilung von dem Ortstermin am 18. Mai 1981 gewußt habe, daß „irgendetwas nicht in Ordnung sei”, führe ebensowenig zu der Annahme eines arglistigen Verschweigens durch die Beklagte wie die Tatsache, daß der Bedienstete, der an der Ortsbesichtigung teilgenommen habe, im Zeitpunkt des Vertragsschlusses Kenntnis von dem Mangel gehabt habe. Denn die Beklagte müsse sich nur ein Handeln natürlicher Personen, die ihre Organe seien, zurechnen lassen. Arglist könne sich nicht allein aus der Fiktion ergeben, daß einer Rechtsperson das Wissen verschiedener natürlicher Personen zugerechnet werde. Der Täuschende müsse sich bewußt sein und zumindest in Kauf nehmen, die Willensbildung des anderen zu beeinflussen. Davon könne nicht ausgegangen werden, wenn die handelnde Person den Mangel nicht kenne und die Person, die Kenntnis habe, mit dem Geschäft nicht befaßt sei. Es könne deshalb allein auf das Wissen und den Willen einer als Organ oder Vertreter handelnden natürlichen Person abgestellt werden, bei der die Merkmale der Arglist erfüllt seien. Die objektive Täuschung der Klägerin über den Mangel beruhe aber allenfalls auf fahrlässigen Versäumnissen des früheren Bürgermeisters, des Gemeinderats und desjenigen Bediensteten, der den Besichtigungstermin wahrgenommen habe, ohne daß insoweit von einem Organisationsverschulden der Gemeinde ausgegangen werden könne.

II. Die Revision hat Erfolg.

1. Zu Recht geht das Berufungsgericht davon aus, die Klage könne nur unter dem Gesichtspunkt eines arglistigen Verschweigens des Mangels Erfolg haben (§ 463 Satz 2 i.V.m. §§ 31, 89 BGB), denn die Parteien haben die Haftung der Beklagten für Mängel der Sache ausgeschlossen (vgl. § 476 BGB).

2. Zutreffend bejaht das Berufungsgericht auch eine Pflicht zur Aufklärung darüber, daß die Abdeckung des Schlachthofanbaues wegen der Verwendung von Spannbeton-Fertigteildecken mit Tonerde-Schmelzzement als Bindemittel einsturzgefährdet und deshalb bereits eine behördliche Nutzungsuntersagung angedroht sei. Dieser ganz erhebliche, verborgene, Mangel war geeignet, die Nutzung des Schlachthofes in wesentlichen Teilen zu vereiteln; er war daher für den Kaufentschluß der Klägerin von wesentlicher Bedeutung, so daß diese nach der Verkehrsauffassung eine Mitteilung des Mangels und der darauf basierenden behördlichen Verfügungen erwarten durfte (vgl. dazu die st. Rspr. des BGH z.B. Senatsurt. v. 10. Juni 1988, V ZR 125/87, WM 1988, 1449, 1450 m.N.).

3. Der Senat folgt jedoch nicht den Erwägungen des Berufungsgerichts, soweit dieses ein arglistiges Verschweigen der Beklagten verneint.

a) Nicht zu beanstanden ist allerdings die Würdigung, daß bei keinem der Organvertreter der Beklagten alle Voraussetzungen der „Arglist” im Sinne des § 463 Satz 2 BGB vorgelegen hätten.

b) Damit allein läßt sich jedoch eine Haftung der Gemeinde für arglistiges Verschweigen des Mangels nicht verneinen. Vielmehr muß sich eine juristische Person (für eine fiskalisch handelnde Gemeinde gilt insoweit grundsätzlich nichts anderes, vgl. RGZ 59, 400, 408; 131, 343, 354) das Wissen aller ihrer vertretungsberechtigten Organwalter zurechnen lassen. Das Wissen schon eines in der Angelegenheit vertretungsberechtigten Organmitglieds ist als Wissen des Organs anzusehen und damit auch der juristischen Person zuzurechnen (BGHZ 20, 149, 153; 41, 282, 287 m.w.N.; BAG Betrieb 1985, 237f). Dies gilt auch dann, wenn das Organmitglied an dem betreffenden Rechtsgeschäft nicht selbst mitgewirkt hat (RG JW 1935, 2044; BGB-RGRK/Steffen, 12. Aufl. § 166 Rdn. 5). Die Wissenszurechnung kommt selbst dann in Betracht, wenn der Organvertreter von dem zu beurteilenden Rechtsgeschäft nichts gewußt hat (vgl. BGH Urt. v. 1. März 1984, IX ZR 34/83, NJW 1984, 1953, 1954 – Kenntnis des unterbevollmächtigten Kassierers einer Bankfiliale). Auch das Ausscheiden des Organvertreters aus dem Amt steht dem Fortdauern der Wissenszurechnung nicht entgegen (BGH Urt. v. 23. Oktober 1958, II ZR 127/57, WM 1959, 81, 84; h.M., vgl. etwa BGB-RGRK/Steffen aaO; Soergel/Leptien, BGB 12. Aufl. § 166 Rdn. 5). Soweit im Schrifttum hiergegen Bedenken erhoben werden (vgl. etwa Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts 1. Bd. 2. Teil § 11 IV, S. 398ff; Baumann, ZGR 1973, 284, 295; Schilken, Wissenszurechnung im Zivilrecht (1983), S. 127ff, 138f; vgl. auch schon Enneccerus-Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts 1. Halbband (1959), S. 658 Fn. 27 im Anschluß an RG SA Bd. 77 Nr. 65), hält der Senat diese – zumindest für einen Fall der vorliegenden Art – nicht für durchschlagend.

Die Frage der Wissenszurechnung von Organvertretern läßt sich nicht mit logisch-begrifflicher Stringenz (so freilich RG SA Bd. 77, Nr. 65), sondern nur in wertender Beurteilung entscheiden. Speziell in der allgemeinen Organisationslehre des öffentlichen Rechts ist die Unterscheidung zwischen dem Organ als einem institutionellen Subjekt und den wechselnden Organvertretern anerkannt (grundlegend H.J. Wolff, Organschaft und juristische Person – Theorie der Vertretung, S. 228f; zur begrifflichen Kontinuität des Organs als eines organisatorischen Gefüges über den Wechsel der Organperson hinweg: Böckenförde, Festschrift für H.J. Wolff, S. 269, 271). Daher ist es denklogisch nicht ausgeschlossen, in der Zurechnungskette vom Organvertreter über das Organ zur juristischen Person als dem „Zurechnungsendsubjekt” (Wolff, aaO, S. 261, 279) der juristischen Person einmal zugerechnete Kenntnisse über die Amtsdauer des kenntnisvermittelnden Organvertreters hinaus auch weiterhin zuzurechnen. Ob diese Zurechnungsfrage grundsätzlich im Sinne einer starren Einheitslösung entschieden werden muß (gegen eine solche Baumann, ZGR 1973, 284, 295), kann hier offenbleiben. Jedenfalls für die Frage der Risikoverteilung bei Grundstücksgeschäften der vorliegenden Art erscheint es dem Senat im Interesse des Verkehrsschutzes geboten, der Gemeinde das ihr durch Organvertreter einmal vermittelte, typischerweise aktenmäßig festgehaltene, Wissen auch weiterhin (hier: bis zum Abschluß des zu beurteilenden Vertrages) zuzurechnen. Nur so läßt sich die strukturelle Besonderheit der organisatorischen Aufspaltung gemeindlicher Funktionen in personeller und zeitlicher Hinsicht (Wechsel der Amtsträger) ausgleichen. Der Bürger, der mit der Gemeinde einen wirtschaftlich bedeutsamen Vertrag schließt und ihr dabei im Zweifel sogar erhöhtes Vertrauen entgegenbringt, darf im Prinzip nicht schlechter gestellt werden, als wenn er es, nur, mit einer einzigen natürlichen Person zu tun hätte.

Die Beklagte muß sich daher auch das Wissen des im Jahre 1965 amtierenden Bürgermeisters und des stellvertretenden Bürgermeisters K. entgegenhalten lassen.

c) Ist hiernach die Beklagte so zu behandeln, als hätte sie beim Verkauf des Schlachthofgrundstückes die Mängel der Decken im Anbau ebenso wie die Androhung der Nutzungsuntersagung gekannt, läßt sich die Arglist im Sinne des § 463 Satz 2, §§ 31, 89 BGB mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht verneinen. Zwar ist, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, weitere Voraussetzung der Haftung, daß der Verkäufer zugleich weiß oder doch mit der Möglichkeit rechnet und billigend in Kauf nimmt, daß der Vertragsgegner den Fehler nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt abgeschlossen hätte (st.Rspr.: BGH Urt. v. 28. Juni 1978, VIII ZR 112/77, WM 1978, 1175, 1176; Senatsurteile v. 10. Juni 1983, V ZR 292/81, WM 1983, 990; v. 20. März 1987, V ZR 27/86, NJW 1987, 2511, 2512; zuletzt Urt. v. 7. Juli 1989, V ZR 21/88, WM 1989, 1735). Soll aber der mit einer Gemeinde privatrechtlich kontrahierende Bürger, wie ausgeführt, in seinem Vertrauen geschützt werden und aus der Eigenart der gemeindlichen Organisation keinen Nachteil erfahren, so erscheint es interessengerecht, die Gemeinde auch hinsichtlich der weiteren Elemente des bedingten Vorsatzes nicht besser als eine natürliche Person zu stellen. Bei einer solchen könnte nach der Lebenserfahrung von der Kenntnis eines schwerwiegenden verborgenen Mangels der vorliegenden Art auf die Einsicht und die Billigung geschlossen werden, daß der Vertragspartner (Klägerin) den Mangel vielleicht nicht kennt und anderenfalls den Vertrag möglicherweise nicht oder nicht so, wie geschehen, abgeschlossen hätte (vgl. dazu auch Senatsurt. v. 10. Juni 1988, V ZR 127/87, WM 1988, 1449). Eine solche Gleichstellung rechtfertigt sich um so eher, als damit kein moralisches Unwerturteil verbunden ist. Ein moralisch vorwerfbares Verhalten ist bei dem – auf bedingten Vorsatz reduzierten – Tatbestandsmerkmal der „Arglist” im Sinne des § 463 Satz 2 BGB schon allgemein nicht erforderlich (vgl. MünchKomm/H.P. Westermann, 2. Aufl. § 463 Rdn. 8; MünchKomm/Kramer, 2. Aufl. § 123 Rdn. 6). Erst recht verflüchtigt sich ein etwa verbleibender Vorwurf gegenüber einer juristischen Person (Gemeinde) in dem Maße, in dem ihr – wie hier – Einzelwissen verschiedener natürlicher Personen (Organvertreter) kumulativ, gleichsam mosaikartig, zugerechnet wird. Dabei geht es nicht um eine Sanktion für moralisch vorwerfbares Verhalten, sondern um eine angemessene Risikoverteilung zwischen Bürger und Gemeinde.

4. Das Berufungsgericht hat danach zu Unrecht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 463 Satz 2 BGB verneint und das Urteil des Landgerichts aufgehoben. Da die Sache zur Endentscheidung reif ist, kann der Senat die beantragte Feststellung selbst aussprechen (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 650395

BGHZ, 327

NJW 1990, 975

DNotZ 1991, 122

JZ 1990, 548

JuS 1990, 667

DVBl. 1990, 789

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