Leitsatz (amtlich)

Der Rechtsanwalt muß sich nach der Erteilung klarer Weisungen, deren Erledigung keine Schwierigkeiten erkennen läßt, nicht ohne besonderen Anlaß bei seiner sonst zuverlässigen Hilfsperson erkundigen, ob die Weisung ordnungsgemäß ausgeführt worden ist.

 

Verfahrensgang

OLG Hamburg (Entscheidung vom 26.09.1990)

LG Hamburg (Entscheidung vom 18.01.1990)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten zu 1) wird der Beschluß des 7. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts zu Hamburg vom 26. September 1990 aufgehoben.

Der Beklagten zu 1) wird gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 18. Januar 1990 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Beschwerdewert: 5.580 DM.

 

Gründe

I.

Die Beklagte zu 1) (im folgenden: die Beklagte) hat gegen ein am 7. Februar 1990 zugestelltes Urteil des Landgerichts mit einem bei dem Oberlandesgericht am 8. März 1990 eingegangenen Schriftsatz vom 7. März 1990 Berufung eingelegt. Nachdem sie durch einen gerichtlichen Hinweis vom 26. März 1990, der ihrem Prozeßbevollmächtigten am 30. März 1990 zugegangen war, auf die Versäumung der Berufungsfrist hingewiesen worden war, hat die Beklagte durch einen am 9. April 1990 eingegangenen Schriftsatz wegen der Fristversäumnis Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Das Oberlandesgericht hat durch Beschluß vom 26. September 1990 das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen und die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen. Gegen diesen am 4. Oktober 1990 zugestellten Beschluß richtet sich die am 17. Oktober 1990 bei Gericht eingegangene sofortige Beschwerde der Beklagten.

II.

Das rechtzeitig eingelegte und auch sonst zulässige Rechtsmittel ist begründet.

1.

Die Beklagte hat zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs vor dem Berufungsgericht folgenden Sachverhalt vorgetragen und glaubhaft gemacht:

Ihr Prozeßbevollmächtigter hat am 7. März 1990 vor 18.30 Uhr die Berufungsschrift seinem Sohn, dem Jurastudenten Burkhard P., in der Kanzlei mit dem ausdrücklichen Hinweis, daß die Berufungsfrist am selben Tage ablaufe, zur sofortigen Beförderung zum Gerichtsbriefkasten übergeben. Burkhard P. ist seit 6 Monaten als Aushilfskraft in der Kanzlei tätig; er ist mehrfach über die Bedeutung gesetzlicher Fristen und die Folgen einer Fristversäumnis eingehend belehrt worden. In der Vergangenheit hat er schon des öfteren fristwahrende Schriftsätze zuverlässig zum Gerichtsbriefkasten befördert. An diesem Abend wollte Burkhard P. eine Theateraufführung besuchen. Da sich sein Aufbruch verzögerte, entschloß er sich, zunächst das Theater zu besuchen statt weisungsgemäß den Schriftsatz sogleich zum Gerichtsbriefkasten zu bringen. Nach der Theateraufführung dachte Burkhard P. zunächst nicht mehr an seinen Beförderungsauftrag; erst auf dem Heimweg fiel er ihm wieder ein. Sein anschließender Versuch, den Gerichtsbriefkasten noch rechtzeitig zu erreichen, mißlang; er warf das Schriftstück erst einige Minuten nach Mitternacht ein.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts scheitert die Wiedereinsetzung deshalb, weil die Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 ZPO versäumt worden ist. Zwar sei davon auszugehen, daß der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten erst durch die gerichtliche Verfügung vom 26. März 1990 positiv von der Fristversäumung Kenntnis erhalten habe. Es sei für ihn jedoch ein Gebot zumutbarer Sorgfalt gewesen, am Tage nach der Erteilung des Beförderungsauftrages - also am 8. März 1990 - seinen Sohn zu befragen, ob er den Auftrag rechtzeitig ausgeführt habe. Da er dies unterlassen habe, könne seine Unkenntnis von der Fristversäumung seit dem 8. März 1990 nicht mehr als unverschuldet angesehen werden, so daß die Wiedereinsetzungsfrist nach § 234 Abs. 2 ZPO bereits an diesem Tage zu laufen begonnen habe und deshalb bei der Einreichung des Wiedereinsetzungsgesuchs am 9. April 1990 verstrichen gewesen sei.

2.

Nach Auffassung des Senats ist die Wiedereinsetzungsfrist des § 234 ZPO gewahrt. Diese Frist begann erst zu laufen, als der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten durch die gerichtliche Verfügung am 30. März 1990 erfuhr, daß die Berufungsfrist versäumt worden war.

a)

Die Wiedereinsetzungsfrist beginnt nach § 234 Abs. 2 ZPO mit dem Ablauf des Tages, an dem das Hindernis behoben ist. Das ist schon dann der Fall, wenn das Weiterbestehen des Hindernisses nicht mehr als unverschuldet angesehen werden kann. Maßgebend für den Fristbeginn ist somit der Zeitpunkt, in dem der verantwortliche Anwalt bei Anwendung der unter den gegebenen Umständen von ihm zu erwartenden Sorgfalt die eingetretene Säumnis hätte erkennen können (vgl. BGH, Beschluß vom 12. Oktober 1989 - I ZB 3/89 - VersR 1990, 402 m.w.N.).

Von diesen Beurteilungsgrundsätzen geht auch das Berufungsgericht aus. Dabei überspannt es jedoch die Sorgfaltsanforderungen. Im Unterschied zum Berufungsgericht ist der Senat der Auffassung, daß der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten, dessen Verschulden sich die Beklagte zurechnen lassen müßte (§ 85 Abs. 2 ZPO), nicht schuldhaft gehandelt hat, als er es am 8. März 1990 unterlassen hat, seinen Sohn nach der rechtzeitigen Ausführung des Beförderungsauftrages zu befragen. Er hatte seinem Sohn einen Botengang übertragen, dessen Erledigung aus seiner Sicht keine Hindernisse entgegenstanden; insbesondere reichte der zur Verfügung stehende Zeitrahmen aus. Sein Sohn hatte derartige Gänge bisher ohne Beanstandung erledigt. Der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten konnte deshalb erwarten, daß dies auch in diesem Fall geschehen werde. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, daß der Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen darf, eine sonst zuverlässige Bürokraft werde seine Weisungen befolgen. Dies gilt nicht nur für allgemeine Anweisungen, sondern erst recht auch dann, wenn der Anwalt in einem konkreten Einzelfall - sei es auch mündlich - eine spezielle Weisung erteilt (vgl. BGH, Senatsurteil vom 6. Oktober 1987 - VI ZR 43/87 - VersR 1988, 185, 186 m.w.N.). Diese Grundsätze gelten nicht minder, wenn der Weisungsadressat ein in der Kanzlei als Hilfskraft tätiger Jurastudent ist. Der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten konnte angesichts der Burkhard P. bekannten Bedeutung einer Fristversäumnis erwarten, daß ihm sein Sohn ein Mißlingen seines Botengangs mitteilen werde. Es würde zu weit gehen, von einem Anwalt zu verlangen, sich nach der Erteilung klarer Weisungen, deren Erledigung keine Schwierigkeiten erkennen läßt, auch ohne besonderen Anlaß stets zu erkundigen, ob die Weisung ordnungsgemäß ausgeführt worden ist (vgl. BGH, Beschluß vom 20. November 1967 - VIII ZB 46/67 - NJW 1968, 504, vgl. ferner Senatsurteil vom 6. Oktober 1987 - VI ZR 43/87 - a.a.O. S. 186).

b)

Den Prozeßbevollmächtigten der Beklagten trifft auch im übrigen kein Verschulden an der Versäumung der Berufungsfrist. Er verletzte insbesondere keine Sorgfaltspflicht dadurch, daß er die Beförderung des Schriftstücks seinem Sohn anvertraute. Anerkanntermaßen kann ein Rechtsanwalt mit Hilfeleistungen, vor allem mit Botendiensten, auch minder qualifizierte Kräfte betrauen (vgl. BGH, Beschluß vom 13. Januar 1988 - IVa ZB 13/87 - VersR 1988, 610, 611; Senatsbeschluß vom 4. Oktober 1988 - VI ZB 21/88 - VersR 1989, 165, 166). Dann durfte der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten erst recht seinem Sohn, einem Jurastudenten, der schon wiederholt Schriftsätze zuverlässig zum Gerichtsbriefkasten befördert hatte, die Beförderung des Schriftsatzes anvertrauen.

Beschluss:

Beschwerdewert: 5.580 DM.

 

Fundstellen

NJW 1991, 1179

NJW 1991, 1179 (Volltext mit red. LS)

VersR 1991, 790-791 (Volltext mit red. LS)

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