Entscheidungsstichwort (Thema)

Beginn der Steuerberaterhaftung bei einem Veranlagungsschaden

 

Leitsatz (amtlich)

Rügt die Nichtzulassungsbeschwerde, das Berufungsgericht habe die allgemein bezeichnete Rechtsprechung des BGH grundlegend missverstanden, so ist die Erforderlichkeit der Revisionszulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nur dann hinreichend ausgeführt, wenn durch einen Vergleich der entscheidungstragenden, nicht notwendig geschriebenen Obersätze des Berufungsurteils mit der herangezogenen Rechtsprechung eine Rechtssatzabweichung dargelegt wird.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Haftung des Steuerberaters für einen Veranlagungsschaden des Mandanten beginnt mit der Bekanntgabe der entsprechenden Steuerbescheide. Als Bekanntgabe genügt diejenige an den Berater; auf die Kenntnis des Mandanten selbst kann es erst in den Fällen ankommen, in denen § 68 StBerG a.F. für den Verjährungsbeginn nicht mehr anzuwenden ist. Soweit es sich um einen Schaden aus der Beteiligung an einer Personengesellschaft handelt, reicht infolge der Bindungswirkung für die persönliche Steuerfestsetzung die Bekanntgabe der Grundlagenbescheide an die Gesellschaft oder ihren steuerlichen Berater aus.

2. Hat eine einzige, in sich abgeschlossene Verletzungshandlung mehrere Schadensfolgen ausgelöst, beginnt nach dem Grundsatz der Schadenseinheit die Anspruchsverjährung bereits, sobald irgendein Teilschaden entstanden ist. Das gilt auch im Hinblick auf nachträglich auftretende, zunächst nur drohende Folgen, die als möglich vorhersehbar sind. Haben sich dagegen mehrere selbstständige Handlungen des Schädigers ausgewirkt, so beginnt die Verjährung regelmäßig mit den jeweils dadurch verursachten Schäden gesondert zu laufen.

3. Hat ein Steuerberater Einsprüche gegen Steuerbescheide verspätet eingelegt, verletzt er ggf. seine Pflichten erneut. Mit der Einspruchseinlegung muss er aber nur Nachteile seiner Mandanten aus der vorangegangenen Pflichtverletzung abwenden oder mindern, für die er im Streitfall ohnehin einzustehen hat. Ein solches Versäumnis enthält keine selbstständige schadensursächliche Pflichtverletzung, welche die frühere schadensstiftende Handlung – als Schadenszurechnungsgrund – gleichsam aufhebt und eine neue Verjährungsfrist anlaufen lassen kann.

4. Der Bundesgerichtshof hat noch nicht entschieden, wann der Anspruch auf Ersatz eines Drittschadens der Geschäftsführer beim laufenden Buchführungs- und Steuerberatungsmandat einer GmbH verjährt, sofern sie in dessen Schutzbereich einbezogen sind und vom Finanzamt persönlich nach den §§ 34, 69, 191 AO für Steuernachforderungen gegen die GmbH in Haftung genommen werden.

 

Normenkette

ZPO § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 544 Abs. 2 S. 3; StBerG § 68

 

Verfahrensgang

OLG Hamm (Urteil vom 23.09.2008; Aktenzeichen 25 U 114/07)

LG Dortmund (Entscheidung vom 28.06.2007; Aktenzeichen 7 O 477/06)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 21.06.2012; Aktenzeichen IX ZR 36/11)

 

Tenor

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des 25. Zivilsenats des OLG Hamm vom 23.9.2008 wird auf Kosten der Kläger zurückgewiesen.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 100.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

Rz. 1

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet.

I.

Rz. 2

Die Begründung des Rechtsmittels genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht.

Rz. 3

1. Mit der Rüge von Rechtsfehlern und der Behauptung, das Berufungsgericht habe die Rechtsprechung des Senats zu der Frage, wann ein Schadensersatzanspruch gegen den Steuerberater entstanden sei (beispielhaftes Zitat von BGH, Urt. v. 12.2.1998 - IX ZR 190/97, WM 1998, 786 und BGH, Urt. v. 11.5.1995 - IX ZR 140/94, BGHZ 129, 386), grundlegend missverstanden, ist das Erfordernis der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung als Grund der Revisionszulassung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO) nicht dargelegt. Die Beschwerdebegründung hätte vielmehr einen bestimmten, entscheidungserheblichen Obersatz des Berufungsurteils herausarbeiten müssen, der, sei es aufgrund eines Missverständnisses, sei es aufgrund anderer Erwägungen, von dem Obersatz einer Vergleichsentscheidung abweicht. In dieser Hinsicht gilt nichts anderes als für die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und der Rechtsfortbildung (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 22.10.2009 - IX ZB 50/09, WM 2010, 237 Rz. 4). Auf den Obersatzvergleich stellt der Senat auch für die Einheitlichkeitssicherung in ständiger Rechtsprechung ab (vgl. zuletzt etwa BGH, Beschl. v. 16.12.2010 - IX ZR 150/08, bei juris Rz. 2; v. 2.12.2010 - IX ZR 56/09, bei juris Rz. 2; v. 16.9.2010 - IX ZB 203/09, bei juris Rz. 1).

Rz. 4

Diese Auslegung deckt sich mit dem von der Beschwerde selbst angeführten Beschluss des V. Zivilsenats vom 8.9.2004 (V ZR 260/03, NJW 2005, 154, 155 unter II. 2. a). Der V. Zivilsenat hat dort zwar zum Ausdruck gebracht, ebenso wie die Heranziehung eines unrichtigen Obersatzes erzeuge ein grundlegendes Missverständnis eine strukturelle Wiederholungsgefahr der fehlerhaften Rechtsanwendung (kritisch dagegen Hk-ZPO/Kayser, 4. Aufl., § 543 Rz. 28). In der Sache bedeutet das jedoch nichts anderes als die Subsumtion unter einen Obersatz, welcher - hier infolge eines Missverständnisses - von der Vergleichsentscheidung abweicht. Sonst kann ein Missverständnis zwar schwerwiegend sein, es wäre aber nicht grundlegend.

Rz. 5

Im Sinne des Obersatzvergleiches hat auch der V. Zivilsenat seine ältere Zulassungsrechtsprechung klargestellt (grundlegend BGH, Beschl. v. 18.3.2004 - V ZR 222/03, NJW 2004, 1960, 1961 unter 2.a; aus jüngerer Zeit vgl. etwa BGH, Beschl. v. 16.7.2009 - V ZA 5/09, bei juris; v. 19.6.2008 - V ZR 190/07, bei juris Rz. 7). Ebenso verfahren andere oberste Bundesgerichte (vgl. etwa BFH/NV 2009, 1264 Nr. 792). Um nichts anderes als eine versteckte Obersatzdivergenz handelt es sich schließlich, wenn ein Gericht in einer bestimmten Rechtsfrage in ständiger Praxis höchstrichterliche Rechtsprechung nicht berücksichtigt, was der V. Zivilsenat als Rechtsfehler mit symptomatischer Bedeutung bezeichnet (vgl. Beschl. v. 29.5.2002 - V ZB 11/02, BGHZ 151, 42, 46).

Rz. 6

Der Obersatzvergleich muss, ähnlich wie früher bei der Divergenzrevision, von der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nachvollzogen werden (vgl. bereits BGH, Beschl. v. 29.5.2002 - V ZB 11/02, a.a.O., S. 45; v. 27.3.2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 293; Hk-ZPO/Kayser, a.a.O., § 544 Rz. 18). Diesen Begründungsanforderungen der Nichtzulassungsbeschwerde ist mit der Bezeichnung der ganz allgemeinen Rechtsfrage, wann der Schadensersatzanspruch gegen den Steuerberater entsteht, hier nicht genügt.

Rz. 7

2. Der von der Beschwerde weiter genannte Grund zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, das Berufungsurteil habe unter Bezugnahme auf das Senatsurteil vom 12.2.1998 (IX ZR 190/97, a.a.O.) fehlerhaft angenommen, schon die belastenden Steuerbescheide beruhten auf pflichtwidrigem Verhalten des Beraters und die Versäumung der Einspruchsfrist habe diesen Schaden nur verfestigt, statt erstmals einen Schaden entstehen zu lassen, bezeichnet nur einen Subsumtionsfehler, der nicht zur Zulassung der Revision führen kann. Diese Abgrenzungsfrage mag der tatrichterlichen Würdigung Schwierigkeiten bereiten und häufiger zu Fehlern führen. Es ist aber nicht dargelegt, dass solche Subsumtionsergebnisse auf der Anwendung eines abweichenden Obersatzes beruhen. Unter diesen Umständen ist eine Wiederholungs- oder Nachahmungsgefahr durch das Berufungsurteil, die ohnehin nur indizielle Bedeutung für eine Obersatzabweichung haben können, nach der Zulassungsrechtsprechung des BGH nicht begründet.

II.

Rz. 8

Die Rechtsgrundsätze, nach denen das Berufungsgericht den Streitfall entschieden hat, sind in der Rechtsprechung des BGH geklärt und ohne Abweichung im Grundsätzlichen angewendet worden.

Rz. 9

1. Die Haftung des Steuerberaters für einen Veranlagungsschaden des Mandanten, den der Berater zu vertreten hat, beginnt mit der Bekanntgabe der entsprechenden Steuerbescheide (BGH, Urt. v. 11.5.1995 - IX ZR 140/94, BGHZ 129, 386, 390; st.Rspr.). Als Bekanntgabe genügt diejenige an den Berater; auf die Kenntnis des Mandanten selbst kann es erst in Fällen ankommen, in denen § 68 StBerG a.F., anders als hier, für den Verjährungsbeginn nicht mehr anzuwenden ist (BGH, Urt. v. 10.1.2008 - IX ZR 53/06, WM 2008, 613 Rz. 11; v. 7.2.2008 - IX ZR 198/06, WM 2008, 1612 Rz. 29). Soweit es sich um einen Schaden aus Beteiligung an einer Personengesellschaft handelt, reicht infolge der Bindungswirkung für die persönliche Steuerfestsetzung die Bekanntgabe der Grundlagenbescheide an die Gesellschaft oder ihren steuerlichen Berater aus (BGH, Urt. v. 12.11.2009 - IX ZR 218/08, WM 2010, 138 Rz. 11).

Rz. 10

2. Hat eine einzige, in sich abgeschlossene Verletzungshandlung mehrere Schadensfolgen ausgelöst, beginnt nach dem Grundsatz der Schadenseinheit die Anspruchsverjährung bereits, sobald irgendein Teilschaden entstanden ist. Das gilt auch im Hinblick auf nachträglich auftretende, zunächst nur drohende Folgen, die als möglich vorhersehbar sind. Haben sich dagegen mehrere selbständige Handlungen des Schädigers ausgewirkt, so beginnt die Verjährung regelmäßig mit den jeweils dadurch verursachten Schäden gesondert zu laufen (BGH, Urt. v. 1.12.2005 - IX ZR 115/01, WM 2006, 148, 150 unter III. 2. a m.w.N.).

Rz. 11

a) Im Beschwerdefall hat das Berufungsgericht bereits nach unstreitigem Sachverhalt angenommen, der Beklagte habe die mangelhafte Buchführung der von ihm betreuten Gesellschaften zu vertreten und damit den Schaden der auf Schätzungen des Finanzamts beruhenden Steuerbescheide vom 14.10.2003 schuldhaft verursacht. Die Beweislastfrage hat es in diesem Zusammenhang ausdrücklich offen gelassen. Ein auf die Beweislast bezogener Zulassungsgrund eröffnet sich folglich nach dem Berufungsurteil nicht. Der Angriff der Beschwerde gegen die Subsumtion des Berufungsgerichts, nach welcher der Beklagte bereits aufgrund seiner vorangegangenen Pflichtverletzungen auf Ersatz des Veranlagungsschadens der Schätzungsbescheide vom 14.10.2003 gehaftet hat, könnte zwar revisionsrechtlich von Interesse sein, lässt aber gleichfalls keinen Grund zur Zulassung des Hauptrechtsmittels erkennen.

Rz. 12

b) Der Beklagte hat allerdings mit der verspäteten Einlegung der Einsprüche gegen die Steuerbescheide vom 14.10.2003 erneut seine Pflichten verletzt. Er musste hierbei aber nur Nachteile seiner Mandanten aus der vorangegangenen Pflichtverletzung abwenden oder mindern, für die er nach der hier maßgeblichen Ansicht des Berufungsgerichts ohnehin einzustehen hatte. Ein solches Versäumnis enthält keine selbständige schadensursächliche Pflichtverletzung, welche die frühere schadensstiftende Handlung - als Schadenszurechnungsgrund - gleichsam aufgehoben hat und eine neue Verjährungsfrist hätte anlaufen lassen können (vgl. BGH, Urt. v. 18.12.1997 - IX ZR 180/96, WM 1998, 779, 780 unter II. 1.).

Rz. 13

Der geltend gemachte Schaden war nach Annahme des Berufungsgerichts bereits aufgrund der älteren Pflichtverletzung des Beklagten vollen Umfanges entstanden. Dagegen rügt die Beschwerde zwar, der geltend gemachte Veranlagungsschaden beruhe ausschließlich auf einem groben Schätzungsfehler des Finanzamtes und sei deshalb dem Beklagten nicht als Folge der von ihm zu vertretenden Buchhaltungsmängel zuzurechnen. Sie beanstandet jedoch auch hier lediglich einen Rechtsfehler, ohne die grundsätzliche Bedeutung des Schutzzwecks der verletzten Vertragspflicht im Hinblick auf das finanzverfahrensrechtlich drohende Risiko einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen herauszuarbeiten. Das genügt zulassungsrechtlich nicht.

Rz. 14

Das Risiko einer fehlerhaften Schätzung gehört im Übrigen typischerweise in den Zurechnungszusammenhang einer Pflichtverletzung, nach welcher das Finanzamt Besteuerungsgrundlagen schätzen durfte. Bestand der mögliche Fehler - wie hier - darin, dass das Finanzamt bei unklarer Verteilung der Gewinne zwischen einem Speiseeishersteller und einem Verkäufer dieser Produkte an Endverbraucher für beide Gesellschaften den wahrscheinlich insgesamt erzielten Gewinn als Besteuerungsgrundlage in Ansatz gebracht hat, statt eine immerhin fragwürdige Aufteilung vorzunehmen, so lag gerade diese Vorgehensweise nicht außerhalb jeder Erwartung, sondern verwirklichte nur das spezifische Schätzungsrisiko, welches nach dem Ausgangspunkt des Berufungsgerichtes von dem Beklagten zu vertreten war.

Rz. 15

c) Für die nach den Schätzungsbescheiden vom 14.10.2003 veranlagten Körperschaftsteuern der GmbH sind die Kläger als ihre Gesellschafter durch Haftungsbescheide vom 25.1.2007, die dem Beklagten am Folgetage zugegangen sind, persönlich in Anspruch genommen worden. Hieran will die Beschwerde für den Verjährungsbeginn anknüpfen, obwohl die Haftungsbescheide nur einen Teilschaden betreffen.

Rz. 16

Der BGH hat noch nicht entschieden, wann der Anspruch auf Ersatz eines Drittschadens der Geschäftsführer bei dem laufenden Buchführungs- und Steuerberatungsmandat einer GmbH verjährt, sofern sie in dessen Schutzbereich einbezogen sind und vom Finanzamt persönlich nach den §§ 34, 69, 191 AO für Steuernachforderungen gegen die GmbH in Haftung genommen werden. Diese Rechtsfrage hat die Beschwerde weder bezeichnet noch hat sie hieraus eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache herzuleiten versucht, was freilich mangels Entscheidungserheblichkeit nicht erfolgversprechend gewesen wäre (vgl. BGH, Beschl. v. 7.1.2003 - X ZR 82/02, BGHZ 153, 254, 257). Für das Beschwerdegericht war die bezeichnete Frage nicht entscheidungserheblich, weil es als schadensbegründend auch insoweit bereits die Schätzungsbescheide vom 14.10.2003 angesehen hat.

 

Fundstellen

BFH/NV 2011, 1646

BB 2011, 1218

DStR 2011, 2114

DStRE 2012, 131

NJW 2011, 2443

WM 2011, 1196

ZAP 2011, 716

ZIP 2011, 1444

BtPrax 2011, 182

MDR 2011, 750

BRAK-Mitt. 2011, 197

Mitt. 2011, 387

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge