Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die Rechtswirksamkeit der §§ 26 und 26 a EStG in der Fassung des Gesetzes zur änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957 wird anerkannt, weil es sich um eine kurz befristete übergangslösung zur Beseitigung eines Notstandes handelt.

GG Art. 3 Abs. 1, 6 Abs. 1; EStG §§ 26, 26 a in der Fassung des Gesetzes zur änderung

 

Normenkette

EStG §§ 26, 26a; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6/1

 

Tatbestand

Streitig ist die Zulässigkeit der Zusammenveranlagung des Beschwerdeführers (Bf.) mit seiner Ehefrau.

Der Bf., der seit 12. September 1952 verheiratet ist, wurde für 1953 mit seiner Ehefrau zusammen veranlagt. Dabei wurden seine Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und die Einkünfte der Ehefrau aus Kapitalvermögen und einer Leibrente zusammengerechnet. Der dagegen erhobene Einspruch, mit dem der Zusammenveranlagung widersprochen wurde, blieb ebenso wie die Berufung erfolglos.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde (Rb.) führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und der Einspruchsentscheidung.

Die Zusammenveranlagung des Bf. mit seiner Ehefrau und die Zusammenrechnung der beiderseitigen Einkünfte gründete sich auf § 26 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1953. Das Gesetz zur änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957 (Bundesgesetzblatt 1957 I S. 848, Bundessteuerblatt - BStBl - 1957 I S. 352 ff.) sieht im Art. 1 Ziff. 4 im neuen § 26 EStG vor, daß Ehegatten getrennt veranlagt werden. Diese Vorschrift gilt gemäß § 26 Abs. 2 auch für den hier streitigen Veranlagungszeitraum 1953 und ist nach § 26 Abs. 2 Ziff. 3 EStG im gegebenen Fall anzuwenden, weil der Steuerbescheid für 1953 am 30. Juni 1957 noch nicht rechtskräftig war.

Der Senat hat geprüft, ob gegen das Gesetz vom 26. Juli 1957 verfassungsrechtliche Bedenken bestehen. Hierbei ist er von folgenden Gesichtspunkten ausgegangen:

Der durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 1 BvL 4/54 vom 17. Januar 1957 (Bundesgesetzblatt 1957 I S. 186, BStBl 1957 I S. 193) herbeigeführte gesetzlose Zustand in der Einkommensbesteuerung der Ehegatten hatte zu einer so schwerwiegenden Lähmung der Verwaltung geführt, daß die Gefahr einer ernsthaften Beeinträchtigung der Staatsfinanzen in drohende Nähe gerückt war. Der Gesetzgeber, der allein in der Lage war, Abhilfe zu schaffen, stand vor einer schweren Aufgabe. Berücksichtigt man, daß die Ehegattenbesteuerung nicht als isoliertes Teilstück des Einkommensteuerrechts, sondern nur im Rahmen des gesamten Systems (insbesondere des Tarifs) geregelt werden konnte, und bedenkt man weiterhin, daß der Gesetzgeber kurz vor Beendigung der Legislaturperiode des Bundestages unter Zeitdruck stand, so muß man einräumen, daß es den gesetzgebenden Körperschaften unmöglich war, vor der Auflösung des Bundestages zu einer Endlösung zu kommen. Um den vorhandenen Notstand nicht zu einer Staatskrise auswachsen zu lassen, blieb nur die Möglichkeit eines übergangsgesetzes. Es liegt in der Natur einer Notlösung, daß sie nicht frei von Mängeln ist.

Der Senat hat wesentliche Bedenken verfassungsrechtlicher Art gegen die Regelung in den §§ 26 und 26 a des Gesetzes. So ist es z. B. mit dem Art. 6 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) nur schwer vereinbar, daß eine erhebliche steuerliche Mehrbelastung eintritt, wenn das Familieneinkommen von einem Ehegatten allein und nicht von beiden verdient wird (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 335/56 U vom 2. April 1957, Slg. Bd. 64 S. 432, BStBl 1957 III S. 162). Zwar sieht § 26 d Abs. 2 des Gesetzes vor, daß für den Veranlagungszeitraum 1957 im Falle der Zusammenveranlagung ein Freibetrag von 600 DM (früher 250 DM) vom Einkommen abgezogen wird. Damit wird aber die ungleichmäßige steuerliche Belastung der Ehen nicht ausgeglichen.

Es bestehen auch Bedenken, ob die im Gesetz vom 26. Juli 1957 vorgesehene verschiedene Behandlung der rechtskräftigen und nichtrechtskräftigen Veranlagungen der Jahre 1949 bis 1957 mit dem Art. 3 GG vereinbar ist. Die verschiedene Behandlung entspricht zwar Art. 79 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht. Es könnte jedoch zweifelhaft sein, ob diese Vorschrift im Hinblick auf die große Zahl der Fälle und die sachlich nicht gerechtfertigte verschiedene steuerliche Belastung der Steuerpflichtigen mit Art. 3 GG vereinbar ist.

Wenn der Senat trotz der schwerwiegenden Bedenken es für vertretbar hält, die Rechtswirksamkeit der §§ 26 und 26 a des Gesetzes vom 26. Juli 1957 anzuerkennen, so deshalb, weil es sich um eine kurz befristete übergangslösung zur Beseitigung eines Notstandes handelt. Der Gesetzgeber selbst hat die Geltungsdauer auf die Zeit bis zum 31. Dezember 1957 begrenzt. Die Entscheidung des Senats ist auch von dem Bestreben geleitet, den durch die übergangsbestimmungen nur notdürftig beseitigten Krisenzustand nicht erneut hervorzurufen. Denn die Rechtsprechung hat aus rechtsstaatlichen Erwägungen darauf zu achten, daß sich nicht die Funktionsfähigkeit der Verwaltung beseitigt.

Wenn demnach auch die §§ 26 und 26 a des Gesetzes vom 26. Juli 1957 als rechtswirksam anerkannt werden, so schließt das nicht aus, die Rechtswirksamkeit einzelner anderer Vorschriften aus gegebenem Anlaß noch einer besonderen Prüfung zu unterziehen.

Der Senat betont aber nochmals, daß er der im Gesetz selbst vorgesehenen zeitlichen Befristung bis zum 31. Dezember 1957 entscheidende Bedeutung beimißt. In der Frage der Ehegattenbesteuerung besteht zur Zeit eine große Rechtsunsicherheit. Die Ungewißheit über die endgültige Gestaltung der Ehegattenbesteuerung macht es den Bürgern unmöglich, ihre wirtschaftlichen Verhältnisse für die Zeit ab 1. Januar 1958 zu regeln. Dies gilt insbesondere von der Gestaltung des ehelichen Güterrechts. Die Rechtssicherheit und die Gleichmäßigkeit der Besteuerung verlangen, so schnell wie möglich wieder klare und dem GG entsprechende Rechtsgrundlagen zu schaffen.

Der Senat gründet die Rechtswirksamkeit der §§ 26 und 26 a EStG auf einen gesetzgeberischen Notstand. Das GG kennt diesen Begriff nicht. Wenn ein Gericht die Verantwortung übernimmt, den Begriff des gesetzgeberischen Notstands trotz schwerwiegender Bedenken, die man hiergegen geltend machen kann, zur Grundlage seiner Entscheidung zu machen, so darf es einen Notstand nur aus besonders dringenden Gründen anerkennen und muß ihn zeitlich so eng wie möglich begrenzen, damit die verfassungsmäßige rechtsstaatliche Ordnung nicht angetastet wird. Der Senat ist der Auffassung, daß die Lage für die Gesetzgebung für 1958 in entscheidenden Punkten anders ist als für 1949 bis 1957. Der Gesetzgeber hat das selbst dadurch anerkannt, daß er die übergangsregelung auf die Zeit bis zum 31. Dezember 1957 begrenzt hat. Der Senat ist der Ansicht, daß vom Veranlagungszeitraum 1958 ab eine Regelung ergehen muß, die im wesentlichen den Erfordernissen der Art. 3 und 6 GG entspricht, wie es bereits in der Entscheidung des Bundesfinanzhofs I 335/56 U vom 2. April 1957 zum Ausdruck gekommen ist.

Der Senat hält sich zu diesen Hinweisen für verpflichtet, um zu verhindern, daß gesetzliche Bestimmungen wieder nachträglich für verfassungswidrig erklärt werden müssen und damit erneut ein Krisenzustand entsteht.

Die angefochtene Entscheidung und die Einspruchsentscheidung, die den neuen Bestimmungen vom 26. Juli 1957 noch nicht Rechnung trugen, sind deshalb aufzuheben. Die Sache wird an das Finanzamt zurückverwiesen, das nunmehr gemäß §§ 26 und 26 a des Gesetzes vom 26. Juli 1957 getrennte Veranlagungen für den Bf. und dessen Ehefrau durchzuführen hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408910

BStBl III 1957, 433

BFHE 1958, 520

BFHE 65, 520

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