Leitsatz (amtlich)

Das Projektieren von Elektro- und Blitzschutzanlagen durch jemand, der die nach den Ingenieurgesetzen der Länder vorgeschriebene oder eine vergleichbare Ausbildung nicht nachweist, ist nur dann ein der Berufstätigkeit der Ingenieure ähnlicher Beruf i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG, wenn diese Tätigkeit zumindest gelegentlich besonders schwierige und vielfältige Fragen mit sich bringt, deren Lösung Kenntnisse voraussetzt, wie sie üblicherweise durch die Berufsausbildung eines Ingenieurs vermittelt werden.

 

Normenkette

EStG 1971 § 18 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) im Streitjahr 1973 gewerblich oder freiberuflich tätig war.

Der Kläger hat eine Ausbildung als Elektroanlageninstallateur i. S. des § 1 der Verordnung über die Berufsausbildung in der Elektrotechnik vom 12. Dezember 1972 (BGBI I 1972, 2385) abgeschlossen. Er besuchte außerdem vier Semester lang eine Ingenieurschule und drei Semester eine Technikerschule. Seit Mitte 1971 betrieb er ein Planungsbüro für Elektroanlagen. Für Wohn- und Industriebauten, Schwimmbäder, Schulen und Kindergärten plante er die Stark- und Schwachstromanlagen, ferner die Blitzschutz- und Beleuchtungsanlagen. Im einzelnen führte er die Bedarfsermittlung durch, fertigte Entwurfs- und Ausführungszeichnungen sowie Massenberechnungen, überprüfte Angebote und Rechnungen und übernahm die fachtechnische Betreuung und Bauleitung. Mit seinen Auftraggebern schloß er "Ingenieurverträge" ab: seine Vergütungen berechnete der Kläger nach der Gebührenordnung für Ingenieure oder nach den Allgemeinen Vertragsbedingungen für Ingenieurleistungen.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA-) sah den Kläger als Gewerbetreibenden an. Der Einspruch des Klägers gegen den Gewerbesteuermeßbescheid für das Streitjahr 1973 blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.

Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung des § 2 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) 1968 und des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -)

Die für das Streitjahr festgestellten Tatsachen (§ 118 Abs. 2 FGO) reichen nicht aus, um eine Entscheidung darüber zu treffen, ob die Betätigung des Klägers als Gewerbebetrieb i. S. des § 2 Abs. 1 GewStG 1968 i. V. m. § 1 Abs. 1 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung (GewStDV) 1968 anzusehen ist. Es kann nicht abschließend beurteilt werden, ob die Betätigung eine freiberufliche Tätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG war (vgl. § 1 Abs. 1 GewStDV).

I. 1. Das FG hat allerdings im Ergebnis zu Recht verneint, da ß der Kläger die Berufstätigkeit der Ingenieure ausübt. Der Kläger ist nicht Ingenieur. Die selbständige Berufstätigkeit der Ingenieure i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG übt grundsätzlich nur aus, wer aufgrund der in den Ingenieurgesetzen vorgeschriebenen Ausbildung berechtigt ist, die Berufsbezeichnung Ingenieur zu führen.

- Die allgemeine Begründung hierzu ist gleichlautend mit Abschn. 1 Buchst. a bis c des vorstehenden Urteils vom 18. Juni 1980 I R 109/77 -

Der Kläger war im Streitjahr nicht Ingenieur i. S. der Ingenieurgesetze, denn er hat nicht die darin vorgeschriebene Berufsausbildung als Ingenieur abgeschlossen. Der vier Semester dauernde Besuch der Ingenieurschule allein ist für eine Berufsausbildung als Ingenieur nicht ausreichend.

2. Ob die Berufstätigkeit des Klägers der eines Ingenieurs i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ähnlich war, kann der Senat nach dem bisher festgestellten Sachverhalt nicht beurteilen.

a) Ähnlich heißt, daß das typische Bild des Katalogberufes mit allen seinen Merkmalen dem Gesamtbild der zu beurteilenden Tätigkeit vergleichbar ist (vgl. BFH-Urteil vom 7. Juli 1976 I R 218/74, BFHE 119, 274, BStBl II 1976, 621). Setzt der Vergleichsberuf eine qualifizierte Ausbildung voraus, muß bei dem ähnlichen Beruf auch die Ausbildung vergleichbar sein (vgl. für die akademischen Vergleichsberufe bereits Urteil des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 15. Juli 1924 II A 331/25, RFHE 14, 145; ferner z. B. BFH-Urteile vom 14. November 1957 IV 84/57 U, BFHE 66, 4, BStBl III 1958, 3, und vom 20. April 1972 IV R 7/72, BFHE 105, 370, BStBl II 1972, 615). Da der Ingenieur wenngleich nicht immer wissenschaftlich, so doch - auf wissenschaftlicher Grundlage tätig ist (vgl. BFH-Urteile vom 2. Dezember 1970 I R 23/67, BFHE 101, 66, BStBl II 1971, 233, und vom 5. November 1970 IV R 127/70, BFHE 101, 367, BStBl II 1971, 319: Mathematisch-technische Kenntnisse), setzt ein Beruf, der dem des Ingenieurs ähnlich sein soll, ebenfalls eine Ausbildung voraus, die mit der Berufsausbildung des Ingenieurs, wie sie die Ingenieurgesetze vorschreiben, verglichen werden kann. Eine Ausbildung mit vorwiegend praktischem Einschlag, vor allem eine handwerkliche Ausbildung, genügt nicht. Ihr fehlt die theoretische Basis, die durch das Ingenieurstudium vermittelt wird.

Man kann nicht davon ausgehen, daß der Kläger diese Grundlage schon deshalb besaß, weil er vier Semester lang die Ingenieurschule besucht hatte. Seine Ausbildung, die insgesamt durch die handwerkliche und später die praxisbezogene Ausbildung auf der Technikerschule geprägt ist, wird dadurch nicht der eines Ingenieurs vergleichbar. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des FG bildete der Besuch der Ingenieurschule auch nicht den Abschluß der Ausbildung, sondern lag vor dem Besuch der Technikerschule. Es ist schließlich nicht dargetan, mit welchem Erfolg die Schule besucht wurde. Ob für den ähnlichen Beruf grundsätzlich eine Ausbildung gefordert werden muß, die dem Niveau der Ausbildung des Vergleichsberufs im wesentlichen entspricht, kann hier offenbleiben. Die Ausbildung ist jedenfalls dann nicht mehr ähnlich, wenn die Abweichung zur Folge hat, daß die Ausbildung derjenigen eines anderen Berufs, hier der des Technikers im engeren Sinne (vgl. Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Bd 23, 1978, Stichwort "Techniker"; Der Große Herder, Bd. 4, 1954, Stichwort "Ingenieur"; Molle, Wörterbuch der Berufs- und Berufstätigkeitsbezeichnungen, 2. Aufl., 1975, Stichwort "Techniker") ähnlich wird.

b) Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, daß jemand die dem Ingenieur vergleichbare wissenschaftliche, d. h. mathematisch-technische, Grundlage erst nach Abschuß seiner schulischen Ausbildung erworben hat. Die Ausbildung des ähnlichen Berufe braucht nicht nur nicht an den gleichen Lehranstalten, sie braucht auch nicht in der gleichen Weise, d. h. durch Besuch einer Schule, erlangt zu sein. Die Kenntnisse können auch z. B. durch Fernkurse oder Selbststudium (BFH-Urteil vom 16. Januar 1974 I R 106/72, BFHE 111, 316, BStBl II 1974, 293, bei einem beratenden Betriebswirt) erworben sein. Der Kläger hat nicht dargetan, daß er durch systematische Fortbildung in dieser Weise Kenntnisse erworben hat, die mit denen eines Ingenieurs vergleichbar sind.

c) Der Nachweis einer solchen Ausbildung kann sich in besonderen Fällen erübrigen, in denen die berufliche Tätigkeit an sich schon so geartet ist, daß sie ohne theoretische Grundlage, wie sie eine der Berufsausbildung des Ingenieurs ähnliche Ausbildung vermittelt, gar nicht ausgeübt werden könnte (vgl. z. B. Niedersächsisches Architektengesetz § 4 Abs. 2: "...anhand eigener Arbeiten, die einer Ausbildung nach Abs. 1 Nr. 1 entsprechende Kenntnisse nachweist"). Dazu gehört nicht nur, daß sie besonders anspruchsvoll ist, sondern auch, daß sie eine gewisse fachliche Breite aufweist, d. h. die Tätigkeit muß zumindest das Wissen aus dem Kernbereich eines Fachstudiums voraussetzen.

Ob die Tätigkeit des Klägers dieses Maß an mathematisch-technischen Kenntnissen voraussetzte, vermag der Senat nicht zu beurteilen. Das FG hat zwar festgestellt, daß der Kläger die Projektierung der Elektro- und Blitzschutzanlagen für die verschiedensten Bauten durchführte; daraus ergibt sich aber noch nicht, daß diese Tätigkeit Kenntnisse erforderte, die umfassender und gründlicher waren als die handwerklichen Kenntnisse eines Elektroanlageninstallateurs oder als die Kenntnisse eines Technikers im engeren Sinne (vgl. dazu Molle, a. a. O., Stichwort "Techniker"). Der Senat ist der Ansicht, daß die Elektroplanung und erst recht die Planung der Blitzschutzanlagen für die genannten Gebäude grundsätzlich auch von handwerklich oder als Techniker im engeren Sinne ausgebildeten Fachkräften durchgeführt werden kann. Andererseits hält er es für möglich, daß bei der Planung solcher Anlagen in bestimmten Fällen technische Probleme auftreten können, deren Lösung Kenntnisse voraussetzt, wie sie üblicherweise nur die Ingenieurausbildung vermittelt. Dabei sind strenge Maßstäbe anzulegen; insbesondere ist zu berücksichtigen, daß auch die Ausbildung der Techniker z. T. sehr spezialisiert und vertieft ist. Es sind Kenntnisse erforderlich, die nur eine wissenschaftliche Ausbildung bzw. eine Ausbildung auf wissenschaftlicher Grundlage, d. h. zumindest eine Ausbildung auf einer Fachhochschule, vermittelt. Andererseits ist es nicht erforderlich, daß die Berufstätigkeit des Klägers überwiegend derartige Kenntnisse voraussetzte, es genügt, wenn sie gelegentlich erforderlich waren.

II. Der Kläger war nicht als Architekt i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG oder in einem ähnlichen Berufe tätig.

Die Berufstätigkeit des Architekten besteht im wesentlichen in der künstlerischen, technischen und wirtschaftlichen Planung von Bauwerken (BFH-Urteil vom 16. Januar 1975 IV R 75/74, BFHE 115,42, BStBl II 1975, 558, unter Hinweis auf § 1 Abs. 1 des Gesetzes zum Schutz der Berufsbezeichnung "Architekt" des Landes Baden-Württemberg vom 5. Dezember 1955, Gesetzblatt für Baden-Württemberg vom 5. Dezember 1955, Gesetzblatt für Baden-Württemberg 1955 S. 265; ähnlich § 3 Abs. 1 Nr. 1 Niedersächsisches Architektengesetz). Ob diese Tätigkeit auf wissenschaftlicher Grundlage ausgeübt wird, d. h. ob die Berufstätigkeit der Architekten wie die der Ingenieure eine qualifizierte Ausbildung voraussetzt, ist angesichts der unterschiedlichen Anforderungen in den Architektengesetzen der Länder fraglich und kann hier offenbleiben. Der Kläger behauptet selbst nicht, Architekt zu sein; es ist auch weder festgestellt noch vorgetragen, daß er in einer Architektenliste eingetragen war oder ist. Er übte im übrigen die Berufstätigkeit des Architekten schon deswegen nicht aus, weil er keine Bauwerke, sondern nur deren elektrische Anlagen und Blitzschutzanlagen plante. Das ist allenfalls ein kleiner Ausschnitt aus der einem Architekten obliegenden Leistung, der grundsätzlich nicht zum Kernbereich der Planung eines Bauwerks gehört.

2. Aus dem letztgenannten Grund war die Tätigkeit des Klägers auch nicht der Berufstätigkeit der Architekten "ähnlich".

Eine Spezialisierung beeinträchtigt nur dann die Ähnlichkeit mit dem Vergleichsberuf nicht, wenn die Tätigkeit in wesentlichen Punkten mit dem zu vergleichenden Beruf übereinstimmt (BFH-Urteile vom 20. April 1972 IV R 7/72, BFHE 105, 370, BStBl II 1972, 615, und vom 29. Mai 1973 VIII R 55-56/70, BFHE 111, 464, BStBl II

1974, 447). Das war hier nicht der Fall. Die Projektierung der Elektroinstallationen kann jedenfalls im Hinblick auf das Leistungsbild der gesamten Architektentätigkeit (vgl. dazu § 19 der Gebührenordnung für Architekten vom 13. Oktober 1950; Bundesanzeiger Nr. 216 vom 8. November 1950; § 15 der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure vom 17. September 1976, BGBI I 1976, 2805) nicht als wesentlich angesehen werden. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß der Kläger andere, mit der Planung der Elektroinstallation und Blitzschutzanlagen zusammenhängende Arbeiten (z. B. Bauleitung) übernahm.

III Die Voraussetzung für die Annahme eines ähnlichen Berufs i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ist die Vergleichbarkeit mit einem bestimmten der dort aufgeführten Berufe. Entgegen der Auffassung des FG genügt es nicht, wenn der Beruf Merkmale mehrerer Katalogberufe enthält, ohne jedoch dem typischen Berufsbild eines dieser Berufe vergleichbar zu sein (vgl. BFH-Urteil vom 5. Juli 1973 IV R 127/69, BFHE 110, 40, BStBl II 1973, 730). Es kann daher offenbleiben, ob die Tätigkeit des Klägers im übrigen Ähnlichkeit mit der Berufstätigkeit der Ingenieure und der Architekten aufweist.

Der Senat kann nicht abschließend beurteilen, ob die Berufstätigkeit des Klägers der der Ingenieure ähnlich i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG war. Das FG wird noch Feststellungen darüber zu treffen haben, ob die Tätigkeit mathematisch-technische Kenntnisse in dem oben beschriebenen Sinne voraussetzte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413417

BStBl II 1981, 121

BFHE 1981, 22

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