Entscheidungsstichwort (Thema)

Entstehung von Aussetzungszinsen vor dem 1.1.1987 bei erfolgloser Klage gegen einen außersteuerlichen Grundlagenbescheid

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für die Frage, ob § 237 Abs. 1 AO 1977 i.d.F. vor oder nach Inkrafttreten des StBereinG 1986 anzuwenden ist, ist auf den Zeitpunkt der Entstehung des geltend gemachten Zinsanspruchs abzustellen.

2. Nach § 237 Abs. 1 AO 1977 in der bis zum 31. Dezember 1986 geltenden Fassung entstand kein Zinsanspruch, wenn ein förmlicher außergerichtlicher Rechtsbehelf oder die Klage gegen einen außersteuerlichen Grundlagenbescheid endgültig keinen Erfolg hatte.

 

Normenkette

AO 1977 § 237 Abs. 1 Fassung: 1976-03-16, Abs. 1 Fassung: 1985-12-19

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine inländische AG. Sie ist seit dem 31. Dezember 1985 Gesamtrechtsnachfolgerin der F-KGaA, die wiederum seit dem 31. Dezember 1977 Gesamtrechtsnachfolgerin der F-GmbH war. Die F-GmbH veräußerte zunächst in 1975 Stammaktien der D-AG. Mit Wirkung zum 1. Januar 1976 veräußerte sie weitere Stammaktien der D-AG im Nennwert von ... DM für ... DM an die B-AG. In 1976 und 1977 erwarb sie jeweils Aktien der us-amerikanischen G-Corp.

In ihrer Steuerbilanz zum 31. Dezember 1975 bildete die F-GmbH eine Rücklage gemäß § 6b des Einkommensteuergesetzes (EStG) im Hinblick auf den Gewinn aus der Veräußerung von Aktien der D-AG. In 1976 führte sie der Rücklage weitere Beträge zu, um gleichzeitig einen Teilbetrag auf eine Wertberichtigung zu den Anschaffungskosten von Aktien der G-Corp gemäß §§ 4 des Auslandsinvestitionsgesetzes (AIG), 6b EStG zu übertragen. Damit ergab sich zum 31. Dezember 1976 ein Stand der Rücklage nach §§ 4 AIG, 6b EStG in Höhe von ... DM. Zum 31. Dezember 1977 übertrug nunmehr die F-KGaA einen Betrag von ... DM wiederum gemäß §§ 4 AIG, 6b EStG auf die Wertberichtigung zu den Anschaffungskosten auf die Beteiligung an der G-Corp. Gleichzeitig wurde die Rücklage gemäß § 6b EStG in Höhe eines Teilbetrags aufgelöst, weshalb sich zum 31. Dezember 1977 ein Stand der Rücklage von ... DM ergab. Das Bundesministerium für Wirtschaft (BMWi) hatte gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 AIG bescheinigt, daß der Erwerb der Anteile an der G-Corp unter Berücksichtigung der Veräußerung der Anteile an der D-AG volkswirtschaftlich besonders förderungswürdig und geeignet sei, der internationalen Arbeitsteilung oder einer verstärkten weltwirtschaftlichen Verflechtung zu dienen.

Im Anschluß an eine Außenprüfung für die Wirtschaftsjahre 1976 und 1977 erließ das FA geänderte Körperschaftsteuerbescheide 1976 und 1977, die in den hier interessierenden Streitpunkten endgültig waren und in denen die Übertragung der Rücklage gemäß § 4 Abs. 1 AIG auf die Beteiligung an der G-Corp steuerlich anerkannt wurde.

Das BMWi nahm seine Bescheinigungen gemäß § 4 AIG rückwirkend zurück. Die Klägerin erhob dagegen Klage, die sie jedoch im Berufungsverfahren zurücknahm.

Aufgrund der Rücknahme der Bescheinigungen durch das BMWi erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) geänderte Körperschaftsteuerbescheide 1976 und 1977. In den Bescheiden wurde lediglich die Wertberichtigung gemäß §§ 4 AIG, 6b EStG in Höhe von ... DM nicht mehr berücksichtigt. Die darüber hinaus gebildete Rücklage gemäß §§ 4 AIG, 6b EStG wurde erst in späteren Jahren aufgelöst. Die geänderten Bescheide wurden der Klägerin übergeben. Sie legte Einspruch ein, weil die Anfechtung der Rücknahmebescheide des BMWi aufschiebende Wirkung habe. Aufgrund des Einspruchs setzte das FA die Vollziehung der geänderten Steuerbescheide ab Fälligkeit bis einen Monat nach Bekanntgabe der Entscheidung des Verwaltungsgerichts aus. Die Bearbeitung der Einsprüche wurden ausgesetzt. Die Aussetzung der Vollziehung wurde später bis einen Monat nach Bekanntgabe der Entscheidung des OVG verlängert. Während des Einspruchsverfahrens ergingen erneut geänderte Körperschaftsteuerbescheide 1976 und 1977, gegen die die Klägerin erneut Einspruch einlegte.

Nachdem die Rechtsvorgängerin der Klägerin ihre verwaltungsgerichtliche Klage im Dezember 1985 zurückgenommen hatte, überwies sie am 6. Januar 1986 die rückständigen Beträge an Körperschaftsteuer 1976 und 1977 und Ergänzungsabgabe 1976, deren Vollziehung ausgesetzt war. Die Klägerin beantragte, das FA möge einer Änderung der Bilanz zum 31. Dezember 1976 in der Weise zustimmen, daß der nach der ursprünglichen Bilanz auf den Erwerb der Beteiligung an der G-Corp gemäß § 6b Abs. 3 EStG übertragene Veräußerungsgewinn in eine Rücklage eingestellt und im Folgejahr aufgelöst werde. Das FA stimmte der Bilanzänderung nicht zu. Es wies die Einsprüche durch Einspruchsentscheidung als unbegründet zurück.

Die Klägerin erhob Klage, der das Finanzgericht (FG) teilweise stattgab. Gegen das Urteil hat das FA Revision (I R 20/94) eingelegt, über die noch nicht entschieden ist.

Noch während des Einspruchsverfahrens setzte das FA am 20. März 1987 Aussetzungszinsen für die Zeit vom 31. Januar 1984 bis 6. Januar 1986 fest. Die Klägerin legte gegen den Zinsbescheid insgesamt Einspruch ein, den das FA als unbegründet zurückwies. Vor dem FG schränkte die Klägerin ihr Klagebegehren dahin ein, daß sie nur noch die Festsetzung von Aussetzungszinsen auf die Körperschaftsteuer und Ergänzungsabgabe 1976 anfocht. Das FG gab dieser Klage der Klägerin statt. Es ließ die Revision zu.

Mit seiner Revision rügt das FA die unvollständige Darstellung des Sachverhalts und die Verletzung des § 237 der Abgabenordnung (AO 1977).

Es beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Auf den Streitfall ist § 237 Abs. 1 AO 1977 i.d.F. vor Inkrafttreten des Steuerbereinigungsgesetzes (StBereinG) 1986 vom 19. Dezember 1985 --AO 1977 a.F.-- (BGBl I 1985, 2436; BStBl I 1985, 735) anzuwenden. Das FA hat zwar den angefochtenen Zinsbescheid erst am 20. März 1987 und damit nach Inkrafttreten des durch Art. 1 Nr. 41 StBereinG 1986 neu gefaßten § 237 AO 1977 n.F. erlassen. Es hat jedoch die Entstehung des Zinsanspruchs noch im Dezember 1985 aufgrund der Rücknahme der verwaltungsgerichtlichen Klage angenommen. Die Entstehung eines entsprechenden Zinsanspruchs kann sich nicht nach § 237 Abs. 1 AO 1977 n.F. beurteilen, weil die Vorschrift erst am 1. Januar 1987 in Kraft trat (Art. 25 Abs. 1 StBereinG 1986).

2. Nach § 237 Abs. 1 AO 1977 a.F. ist der geschuldete Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes oder eines Folgebescheides ausgesetzt wurde, nur dann zu verzinsen, wenn und soweit ein förmlicher außergerichtlicher Rechtsbehelf (§ 348 AO 1977) oder eine Anfechtungsklage gegen einen Steuerbescheid, eine Steueranmeldung oder einen Verwaltungsakt, der einen Steuervergütungsbescheid aufhebt oder ändert, endgültig keinen Erfolg hatte. Im Streitfall ist keine dieser Voraussetzungen erfüllt.

3. Die Klägerin bzw. ihre Rechtsvorgängerin focht einerseits die vom BMWi erlassenen Rücknahmebescheide an. Der Widerspruch gegen die Rücknahmebescheide ist jedoch kein außergerichtlicher Rechtsbehelf i.S. des § 348 AO 1977, sondern ein solcher i.S. des § 69 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die später gegen die Rücknahmebescheide vor dem zuständigen Verwaltungsgericht erhobene Anfechtungsklage ist keine solche gegen einen Steuerbescheid, sondern eine solche gegen einen außersteuerlichen Verwaltungsakt. Die Rücknahmebescheide beinhalten als Verwaltungsakt weder eine Steueranmeldung, noch ändern oder heben sie einen Steuervergütungsbescheid auf (§ 155 Abs. 6 AO 1977). Deshalb sind die Voraussetzungen des § 237 Abs. 1 AO 1977 a.F. bezogen auf die Anfechtung der Rücknahmebescheide nicht erfüllt.

4. Die Klägerin bzw. ihre Rechtsvorgängerin focht außerdem den geänderten Körperschaftsteuerbescheid 1976 zunächst mit dem Einspruch und später mit der Anfechtungsklage an. Der angefochtene Körperschaftsteuerbescheid ist auch zweifelsfrei ein Steuerbescheid i.S. des § 237 Abs. 1 AO 1977 a.F. Jedoch ist weder über den außergerichtlichen Rechtsbehelf noch über die Anfechtungsklage der Klägerin endgültig entschieden. Die Entscheidung des Senats über die Revision des FA I R 20/94 gegen das Urteil des FG vom 29. Oktober 1993 steht noch aus. Deshalb fehlt es auch insoweit an der Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 237 Abs. 1 AO 1977 a.F. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist also bisher der geltend gemachte Zinsanspruch nicht entstanden.

5. Zwar bezieht sich die Rechtsfolge aus § 237 Abs. 1 AO 1977 a.F. auch auf einen geschuldeten Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung eines Folgebescheides ausgesetzt wurde. Daraus mag folgen, daß der in § 237 Abs. 1 AO 1977 a.F. erwähnte Steuerbescheid auch ein Grundlagenbescheid sein kann, dessen Anfechtung endgültig keinen Erfolg hatte. Es ist jedoch zwischen den Tatbestandsvoraussetzungen und der Rechtsfolge zu unterscheiden. Der in der Rechtsfolge enthaltene Hinweis auf "Folgebescheide" ist nicht geeignet, die ausdrücklich geregelten Tatbestandsvoraussetzungen dahin zu erweitern, daß unter den Begriff "förmlicher außergerichtlicher Rechtsbehelf" i.S. des § 348 AO 1977 auch ein solcher i.S. des § 69 VwGO bzw. unter den Ausdruck "Steuerbescheid" auch ein außersteuerlicher Verwaltungsakt mit Grundlagenbescheidfunktion für einen Steuerbescheid fällt. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, daß § 171 Abs. 10 AO 1977 a.F. den Ausdruck "Grundlagenbescheid" in einem weiten Sinne definiert. Entscheidend ist die engere Formulierung des Eingangshalbsatzes von § 237 Abs. 1 AO 1977 a.F. Sie zwingt dazu, den Ausdruck "Grundlagenbescheid" innerhalb des § 237 Abs. 1 AO 1977 a.F. nur auf Steuerbescheide zu beziehen. Die rechtsfolgemäßige Erwähnung von Folgebescheiden in § 237 Abs. 1 AO 1977 a.F. macht auch dann noch Sinn, wenn man sie nur auf solche Grundlagenbescheide bezieht, die zugleich Steuerbescheide sind.

6. Zwar sieht § 237 Abs. 3 AO 1977 a.F. die entsprechende Anwendung des Abs. 1 vor, wenn nach Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheides, des Körperschaftsteuerbescheides oder eines Feststellungsbescheids auch die Vollziehung eines Gewerbesteuermeßbescheides oder Gewerbesteuerbescheides ausgesetzt wird. Jedoch bestätigt dies letztlich nur die Auffassung des Senats, daß die ursprüngliche Fassung des § 237 Abs. 1 AO 1977 sich nur auf solche Grundlagenbescheide bezog, die zugleich Steuerbescheide waren. Zwar ist § 236 Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 a.F. für den Fall der Entstehung von Erstattungszinsen weitergefaßt. Daraus folgt jedoch nicht, daß für § 237 Abs. 1 AO 1977 a.F. Spiegelbildliches gelten müsse.

7. Die Vorentscheidung entspricht zumindest im Ergebnis der hier wiedergegebenen Rechtslage. Sie verletzt deshalb kein Bundesrecht. Die Revision war als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 65470

BFH/NV 1996, 57

BFH/NV 1996, 57-58 (LT)

BStBl II 1996, 212

BFHE 179, 198

BB 1996, 785-786 (LT)

DB 1996, 557 (T)

DStR 1996, 380-381 (KT)

DStZ 1996, 254 (KT)

HFR 1996, 315-316 (L)

StE 1996, 142 (K)

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