Entscheidungsstichwort (Thema)

Sonstiges Steuerliche Förderungsgesetze

 

Leitsatz (amtlich)

Die Ablehnung eines Antrages auf Billigkeitserlaß ist ein Ermessensverstoß, wenn eine Restkaufgeldschuld gesetzlich im Verhältnis 1 : 1 und nach 2 1/2 Jahren rückwirkend im Verhältnis 10 : 1 umgestellt wurde, und der Abgabepflichtige die an den privaten Gläubiger während der Geltungsdauer der 1 : 1-Umstellung entrichteten Zins- und Tilgungsleistungen mangels dessen Bereicherung nicht mehr zurückfordern kann.

Zweite Verordnung zur Neuordnung des Geldwesens vom 4. Juli 1948 Art. 16 Ziff. 36 Abs. a, 3; GUG

 

Normenkette

GUG §§ 6, 26; LAG §§ 91, 99, 102, 142, 147 Abs. 7

 

Tatbestand

Durch rechtskräftiges Urteil wies das Verwaltungsgericht die Berufung der Bf. zurück, mit der sie die Herabsetzung der Hypothekengewinnabgabe (HGA) aus einer Restkaufgeldschuld beantragt hatten. Diese Schuld, die auf einem Mietwohngrundstück lastete, bestand seit dem Jahre 1936.

Die Bf. beantragten, ihnen die Abgabeschuld aus Billigkeitsgründen zu erlassen. Der Antrag wurde von dem Finanzamt abgelehnt. Beschwerde und Berufung blieben ohne Erfolg.

Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Nach Art. 16 Ziff. 36 Abs. a, 3 der Zweiten Verordnung zur Neuordnung des Geldwesens (Umstellungsverordnung) vom 4. Juli 1948 (GVBl Berlin 1948 I S. 374) wurde eine nach dem 25. Juni 1948 fällige Verbindlichkeit, die die übernehmer einer unbeweglichen Sache dem anderen Vertragsteil gegenüber eingegangen war, im Verhältnis 1 : 1 umgestellt. Die bisherigen RM-Leistungen sind daraufhin nach der Währungsumstellung in voller Höhe als DM-Leistungen an die Gläubigerin der Restkaufgeldschuld gezahlt worden. Am 9. Januar 1951 erging das Gesetz über die Umstellung von Grundpfandrechten und über Aufbaugrundschulden - GUG - (GVBl Berlin 1951 I S. 71). Nach § 6 dieses Gesetzes wurden Verbindlichkeiten, die der übernehmer einer unbeweglichen Sache dem anderen Vertragsteil gegenüber eingegangen war, insbesondere Restkaufschuldverbindlichkeiten aus der Veräußerung von Grundstücken sowie Hypotheken, die zur Sicherung solcher Verbindlichkeiten bestellt worden waren, in Abweichung von der Vorschrift des Art. 16 Ziff. 36 Abs. a, 3 der Umstellungsverordnung im Verhältnis 10 : 1 umgestellt, wenn die Verbindlichkeiten vor dem 1. September 1939 begründet worden war. Diese Vorschrift trat rückwirkend am 25. Juni 1948 in Kraft (ß 26 GUG). Daraufhin wurde gegen die Gläubigerin auf Rückzahlung der zuviel gezahlten Beträge Klage erhoben, die aber mit der Begründung abgewiesen wurde, eine Bereicherung der Beklagten liege nicht vor.

Das Verwaltungsgericht hat in seiner ersten rechtskräftig gewordenen Entscheidung ausgeführt, daß der vorliegende Fall einen Sonderfall darstelle, dem gegebenenfalls nur im Billigkeitswege Rechnung getragen werden könnte. Es müsse den Bf. überlassen bleiben, die entsprechenden Schritte bei den Finanzbehörden zu unternehmen. Seine zweite Entscheidung, durch die die Berufung gegen die Ablehnung des Erlaßantrages zurückgewiesen wurde, hat das Verwaltungsgericht damit begründet, das Ergebnis einer eindeutigen gesetzlichen Regelung könne grundsätzlich im Billigkeitswege nur dann beseitigt werden, wenn dies besondere Gründe im Einzelfalle rechtfertigten. Solche besonderen Gründe seien dann gegeben, wenn die Ertragslage ungünstig sei, oder eine wirtschaftliche Bedrängnis vorliege. Derartige Gründe seien aber weder vorgetragen worden noch aus den Akten ersichtlich. Auch der Bundesminister der Finanzen habe in seinen Verordnungen und Erlassen, die die Anwendung des § 131 AO in Verbindung mit § 203 Abs. 5 LAG zum Gegenstand hätten, für den vorliegenden Sachverhalt keine Billigkeitsregelung vorgesehen. Wegen der langen Laufzeit der Lastenausgleichsabgaben sei bei einem Billigkeitserlaß äußerste Zurückhaltung erforderlich, so daß in der Ablehnung des Erlasses durch das Landesfinanzamt (Bg.) kein Ermessensmißbrauch erblickt werden könne.

Nach der Auffassung der Bf. liegt ein Fehler des Gesetzgebers vor, der bei der rückwirkenden änderung der Umstellung übersehen habe, die dadurch entstandenen Gesetzeslücken auszufüllen. Die sachliche Fehlerhaftigkeit der Regelung könne nicht durch den Hinweis gerechtfertigt werden, die formale Berechtigung zur Erhebung der HGA sei ausreichend. Die Ablehnung des Erlasses sei deshalb ein Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist begründet.

Voraussetzung einer Billigkeitsmaßnahme nach § 131 AO ist, daß die Einziehung der Abgabe unbillig ist. Die Unbilligkeit kann in der Sache selbst oder in der Person des Abgabepflichtigen begründet sein (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 418/56 U vom 14. November 1957, BStBl 1958 III S. 153, Slg. Bd. 66 S. 398).

Die Bf. stützen ihren Antrag auf eine sachliche Unbilligkeit. Liegt eine solche vor, so ist nicht erforderlich, daß zur Anwendbarkeit des § 131 AO gleichzeitig eine Unbilligkeit in der Person des Abgabepflichtigen vorliegen muß. Eine Unbilligkeit kann auch gegeben sein, wenn sich der Abgabepflichtige in guten wirtschaftlichen Verhältnissen befindet (vgl. Tipke-Kruse, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, Bd. I zu § 131 Anm. 6 letzter Absatz, und die dort angeführte Literatur). Es kann deshalb dem Verwaltungsgericht nicht zugestimmt werden, wenn es darauf abstellt, bei den Bf. liege weder eine ungünstige Ertragslage noch eine wirtschaftliche Bedrängnis noch ein anderer derartiger Grund vor.

Ein sachlicher Billigkeitsgrund ist dann gegeben, wenn er aus dem steuerlichen Tatbestande als solchem hervorgeht. In solchen Fällen ist eine Billigkeitsmaßnahme dann gerechtfertigt, wenn angenommen werden kann, daß der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage - hätte er sie geregelt - im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte. In der Versagung eines danach gerechtfertigten Billigkeitserlasses liegt ein Ermessensmißbrauch (Urteile des Bundesfinanzhofs V z 181/57 U vom 27. März 1958, BStBl 1958 III S. 248, Slg. Bd. 66 S. 647, und VII 185/57 U vom 28. Oktober 1958, BStBl 1959 III S. 11, Slg. Bd. 68 S. 27).

Die Rückwirkung, die sich ein Gesetz bei seinem Inkrafttreten geben kann, kann einfacher oder doppelter Art sein. Sie ist einfacher Art, wenn sich das Gesetz auf seine rückwirkende Geltung beschränkt, sie ist doppelter Art, wenn mit der rückwirkenden Geltung eine bisher gültige, insbesondere gegensätzliche gesetzliche Regelung ebenfalls rückwirkend aufgehoben wird. In beiden Fällen können Rechtspositionen, die in der Zeit bis zum Inkrafttreten des Gesetzes geschaffen wurden, beeinträchtigt oder in ihrer Gültigkeit in vollem Umfange beseitigt werden. Bei Gesetzen, die nur eine einfache Rückwirkung zur Folge haben, kann es von den jeweiligen Umständen abhängen, ob die in der Rückwirkung liegende Härte in Kauf genommen werden muß. In den Fällen aber, in denen der Gesetzgeber eine von ihm gesetzgeberisch geschaffene Rechtslage rückwirkend durch eine entgegengesetzte Regelung ersetzt, ohne für einen Ausgleich zu sorgen, obwohl dadurch eine ungleichmäßige, sachlich nicht gerechtfertigte Mehrbelastung eintritt, entsteht eine offenkundige Unbilligkeit, deren Tragung den betroffenen Beteiligten nicht zugemutet werden kann.

Eine solche Rechtslage liegt hier vor. Der Gesetzgeber für das Umstellungsrecht in Berlin hat durch die Umstellungsverordnung für Restkaufschuldverbindlichkeiten zunächst allgemein eine Umstellung im Verhältnis 1 : 1 und, nachdem diese Regelung 2 1/2 Jahre Geltung gehabt hatte, für die vor dem 1. September 1939 entstandenen Restkaufschuldverbindlichkeiten rückwirkend eine Umstellung im Verhältnis 10 : 1 bestimmt. Die in den 2 1/2 Jahren geschaffenen Rechtspositionen sowohl des Gläubigers wie des Schuldners sind dadurch in ihrem Bestand rückgängig gemacht worden. Diese rückwirkende änderung gewann für das HGA-Recht Bedeutung, als auch das LAG rückwirkend an den Währungsstichtag anknüpfte. Die Verletzung des Vertrauensschutzes, die dadurch eintrat, und in gleicher Weise den Gläubiger wie den Schuldner der Restkaufgeldverbindlichkeit traf, ist gesetzgeberisch nicht beseitigt worden. Zwar ist die Berücksichtigung des Vertrauensschutzes dem Gesetzgeber des Berliner Umstellungsrechtes wie dem Gesetzgeber des LAG nicht fremd. Das GuG hat in den §§ 10 und 11 vorgesehen, daß auf Grund der Rückwirkung entstandene Härten beseitigt werden könnten, jedoch konnte die HGA in diese Regelung nicht einbezogen werden, da das LAG zu jener Zeit erst im Entwurf vorlag, ganz abgesehen davon, daß dazu der Berliner Gesetzgeber nicht zuständig gewesen wäre. Die Sondervorschriften des LAG für die HGA in Berlin (§§ 142 ff. LAG) knüpfen weitgehend an die andersartige Rechtslage in Berlin an, die vor dem Inkrafttreten des LAG insbesondere auch auf dem Gebiete des Umstellungsrechtes bestand. So ist u. a. in § 147 Abs. 7 LAG vorgesehen, daß die bis zum 31. März 1952 zu entrichtenden Zins- und Tilgungsleistungen als erbracht gelten. Das hat, angewandt auf den vorliegenden Streitfall, zur Folge, daß die bis zum 9. Januar 1951 an die Gläubigerin geleisteten Zins- und Tilgungsleistungen nicht doppelt geleistet werden müssen. Die Unbilligkeit aber, daß bis zum 9. Januar 1951 geleistete Tilgungen im Verhältnis 1 : 1 an die Gläubigerin geleistet werden mußten und eine Rückerstattung nicht mehr erreicht werden kann, wird weder durch diese noch durch eine andere Vorschrift beseitigt.

Die Besonderheit, die im Ergebnis zu der Ablehnung des Billigkeitsantrages durch den Bg. und das Verwaltungsgericht geführt hat, besteht darin, daß der Gesetzgeber des LAG mit dem Gesetzgeber des GUG nicht identisch ist. Das LAG knüft an die endgültige Regelung des GUG an, so daß sich der Bg. wie das Verwaltungsgericht darauf berufen konnten, es liege hier eine klare gesetzliche Regelung vor. Damit soll offenbar zum Ausdruck gebracht werden, daß die vor dem Inkrafttreten des LAG rückwirkend vorgenommene änderung der Umstellung die LAG-Regelung von vornherein nicht berührt. Eine solche Beurteilung verkennt den engen Zusammenhang der HGA als Währungsgewinnabgabe mit dem Umstellungsrecht als Ganzem. Eine Umstellungsregelung, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des LAG aufgehoben war, hätte nur dann unberücksichtigt bleiben dürfen, wenn sie tatsächlich nicht zur Auswirkung gekommen ist, oder die Mehrbelastungen spätestens im Zeitpunkte des Inkrafttretens des LAG beseitigt waren. Hat die früher geltende Umstellungsregelung aber während eines längeren und damit auch nicht als geringfügig anzusehenden Zeitraumes Auswirkungen gehabt und können sie nicht mehr rückgängig gemacht werden, dann durfte der Gesetzgeber des LAG diese Auswirkungen ohne Verletzung des Vertrauensschutzes nicht stillschweigend übergehen. Die Tilgungsleistungen im Verhältnis 1 : 1 an die Gläubigerin in der Zeit bis zum Bekanntwerden des GUG, die geleistet werden mußten, ohne daß sich die Bf. rechtlich dieser Verpflichtung entziehen konnten, mußte deshalb der Gesetzgeber des LAG berücksichtigen, wenn er selbst diese Tilgung für sich in Anspruch nehmen wollte. Nimmt er darauf keine Rücksicht, entsteht eine sachliche Unbilligkeit, die im Wege des § 131 AO auszugleichen ist. In einem solchen Falle werden die Tilgungsleistungen im Ergebnis den vor dem Währungsstichtage in voller Höhe geleisteten Tilgungsbeträgen gleichgeachtet werden können, so daß im Billigkeitswege nach § 131 Abs. 1 Satz 2 AO die Abgabe von den noch verbleibenden Restbeträgen zu berechnen ist. Nur eine solche Ermessensentscheidung ist fehlerfrei, so daß auch nur diese Entscheidung möglich ist. Geschieht dies nicht, so liegt ein Ermessensmißbrauch vor. Dies hat das Verwaltungsgericht verkannt. Die Entscheidung ist deshalb aufzuheben und an das Finanzamt zurückzuverweisen, das unter Beachtung vorstehender Ausführungen den im Erlaßwege anzurechnenden Betrag zu ermitteln und dementsprechend bei der Veranlagung der HGA zu berücksichtigen hat (vgl. Gutachten des Bundesfinanzhofs Gr.S. D 1/51 S vom 17. April 1951, BStBl 1951 III S. 107, Slg. Bd. 55 S. 277, und Urteile des Bundesfinanzhofs I 182/56 U vom 4. Dezember 1956, BStBl 1957 III S. 31, Slg. Bd. 64 S. 82, und I 127/59 U vom 18. Oktober 1960, BStBl 1960 III S. 476, Slg. Bd. 71 S. 605).

 

Fundstellen

Haufe-Index 410932

BStBl III 1963, 511

BFHE 1964, 522

BFHE 77, 522

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