Leitsatz (amtlich)

Zur Ermittlung des gemeinen Werts einer Zuwendung an den Ehegatten des Vollstreckungsschuldners (hier: grundschuldbelastetes Grundstück).

 

Normenkette

AO 1977 § 278

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) veranlagte die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) und deren Ehemann mit Bescheiden vom 6. August 1974 und 23. Mai 1972 für die Jahre 1970 und 1971 zusammen zur Einkommensteuer. Im Zeitpunkt der Entscheidung des Finanzgerichts (FG) waren aus den beiden Bescheiden noch 55 718,40 DM offen, davon für das Jahr 1970 49 975 DM.

Durch Bescheid vom 26. Februar 1982 teilte das FA nach den §§ 268 f. der Abgabenordnung (AO 1977) die Steuern für das Jahr 1970 in der Weise auf, daß auf die Klägerin 0 DM entfielen.

Durch Bescheid vom 3. März 1982 forderte das FA die Klägerin auf, die nach dem Aufteilungsbescheid auf ihren Ehemann entfallenden Abgaben in der Gesamthöhe von 55 295,40 DM bis zum 15. März 1982 zu zahlen. Zur Begründung führte es aus, die Klägerin hafte nach § 278 Abs. 2 AO 1977 für diese Rückstände, da ihr Ehemann ihr Grundstücke schenkungsweise übertragen habe. Diesem Bescheid lagen zwei notarielle Verträge vom 12. April 1976 zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann zugrunde, mit denen der Ehemann der Klägerin mehrere Grundstücke "schenkte". Eines dieser Grundstücke war mit einer Grundschuld in Höhe von 80 000 DM zugunsten einer Bank belastet. In dem Vertrag über dieses Grundstück ist ausgeführt, der Ehemann stehe dafür ein, daß die Klägerin von der Grundschuldgläubigerin nicht durch Vollstreckung in das Grundstück in Anspruch genommen werde. Geschehe das dennoch, verpflichte er, der Ehemann, sich, der Klägerin Ersatz zu leisten.

Das FG änderte den Bescheid vom 3. März 1982 dahin ab, daß die darin enthaltene Zahlungsverpflichtung auf 49 975 DM herabgesetzt wurde. Im übrigen wies es die Klage ab.

Die im genannten Bescheid enthaltene Zahlungsverpflichtung sei zwar herabzusetzen, weil die Klägerin nur noch 49 975 DM schulde. Im übrigen sei der Bescheid rechtmäßig. Die Grundstücksübertragung auf die Klägerin sei unentgeltlich gewesen. Der gemeine Wert der Zuwendung habe mindestens 49 975 DM betragen; denn die Klägerin habe bezüglich des mit der Grundschuld belasteten Grundstücks schon einen Wert von 63 953 DM eingeräumt.

Mit der Revision beantragt die Klägerin, den Bescheid vom 3. März 1982 aufzuheben.

Bei der Bemessung des Werts des belasteten Grundstücks sei der Verkehrswert um die Belastung mit der Grundschuld zu mindern. Danach betrage der gemeine Wert des Grundstücks 0 DM. Die schuldrechtlichen Abmachungen seien für den Wert des Grundstücks ohne Bedeutung.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Die Feststellungen des FG reichen nicht aus, um entscheiden zu können, ob der Bescheid vom 3. März 1982 rechtmäßig ist.

a) Zutreffend ist das FG zwar davon ausgegangen, daß dieser Bescheid ein selbständiger Verwaltungsakt ist.

Für diese Entscheidung ist ohne Bedeutung, ob der Erlaß des Bescheids erforderlich (so Becker/Riewald/Koch, Reichsabgabenordnung, Kommentar, 1963, StAnpG § 6 Anm. 4) oder aus Gründen der Klarheit lediglich empfehlenswert war (so Szymczak in Koch, Abgabenordnung - AO 1977, 2. Aufl., § 278 Rz. 9; Schwarz in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 278 AO 1977 Anm. 7; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 278 AO 1977 Tz. 2; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 278 Anm. 3). Dafür ist allein maßgebend, daß der Bescheid die Voraussetzungen für einen Verwaltungsakt erfüllt. Das trifft zu. Er enthält eine Entscheidung zur Regelung eines Einzelfalls mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen (§ 118 Satz 1 AO 1977). Die Einzelfallregelung liegt darin, daß der Betrag bestimmt wird, bis zu dessen Höhe die Klägerin in Anspruch genommen werden soll, und daß die Klägerin, will sie die Vollstreckung vermeiden, zur Zahlung dieses Betrags innerhalb einer bestimmten Frist aufgefordert wird. Die Zahlungsaufforderung entspricht dem Inhalt des Leistungsgebots i. S. des § 254 AO 1977, das ebenfalls als Verwaltungsakt i. S. des § 118 Satz 1 AO 1977 angesehen wird (Szymczak, a. a. O., § 254 Rz. 3, mit weiteren Hinweisen).

b) Auch für die Rechtmäßigkeit des Bescheids ist ohne Bedeutung, ob sein Erlaß erforderlich war. Der Senat folgt der aufgezeigten, im Schrifttum vertretenen Auffassung, daß zur Inanspruchnahme eines Steuerschuldners nach § 278 Abs. 2 AO 1977 ein Bescheid zumindest empfehlenswert ist und der streitbefangene Bescheid vom 3. März 1982 infolgedessen zumindest erlassen werden durfte.

c) Zu Recht hat das FG auch entschieden, daß der Ehemann der Klägerin dieser "unentgeltlich Vermögensgegenstände zugewendet" (§ 278 Abs. 2 AO 1977) hat. Die Unentgeltlichkeit entfällt nicht deswegen, weil die Klägerin mit einem der Grundstücke auch die darauf ruhende Grundschuld übernommen hat. Wie der erkennende Senat entschieden hat, stellt die Übernahme einer dinglichen Belastung des übertragenen Grundstücks keine Gegenleistung im Sinne eines entgeltlichen Erwerbs dar; denn in einem solchen Fall erhält der Erwerber wirtschaftlich nicht den vollen Wert des Grundstücks, sondern dessen um den Wert der übernommenen Belastung geminderten Wert, wobei das Grundstück den Grundpfandgläubigern wie zuvor als Sicherungsobjekt erhalten bleibt (Urteile vom 8. August 1978 VII R 125/74, BFHE 125, 500, 507, BStBl II 1978, 663; vgl. auch vom 14. Juli 1981 VII R 49/80, BFHE 133, 501, 505, BStBl II 1981, 751).

d) Entgegen der Auffassung des FG ist bei der Inanspruchnahme der Klägerin nach § 278 Abs. 2 AO 1977 jedoch zu berücksichtigen, daß das Grundstück mit einer Grundschuld belastet ist.

Bei der Anwendung dieser Vorschrift ist zu beachten, daß sie - anders als etwa die Anfechtung nach dem Anfechtungsgesetz (AnfG; vgl. dazu Urteil des erkennenden Senats vom 2. März 1983 VII R 120/82, BFHE 138, 10, BStBl II 1983, 398, mit weiteren Hinweisen) - nicht die Vollstreckung in den zugewendeten Vermögensgegenstand ermöglichen soll. Die Regelung in § 278 Abs. 2 AO 1977 ist nicht - wie in § 7 AnfG - darauf gerichtet, die Vollstreckung gegen einen Dritten zu ermöglichen, der von der zu vollstreckenden Forderung nicht betroffen ist. Sie knüpft an die Regelung in § 278 Abs. 1 AO 1977 an und betrifft wie diese Vorschrift die Vollstreckung gegen einen Steuerschuldner. Ziel der Regelung in § 278 Abs. 2 AO 1977 ist es, die Beschränkung der Zwangsvollstreckung gegen einen Steuerschuldner nach § 278 Abs. 1 AO 1977 bis zur Höhe des gemeinen Werts der Zuwendung - wieder - zu erweitern, die der Steuerschuldner aus dem Vermögen einer mit ihm zusammenveranlagten Person erlangt hat, die ebenfalls Steuerschuldner ist, für die aber eine Beschränkung der Vollstreckung nach § 278 Abs. 1 AO 1977 durch die Aufteilung der Steuer nicht eingetreten ist. Die Inanspruchnahme nach § 278 Abs. 2 AO 1977 soll zwar - wie die Anfechtung nach dem AnfG - dazu dienen, die Beeinträchtigung des Vollstreckungsgläubigers auszugleichen, die dadurch eingetreten ist, daß das Vermögen der mit dem Steuerschuldner i. S. des § 278 Abs. 2 AO 1977 zusammenveranlagten Person durch die unentgeltliche Zuwendung von Vermögensgegenständen gemindert worden ist. Da die Inanspruchnahme aber nicht nur auf die Vollstreckung in den zugewendeten Gegenstand beschränkt ist, kann dieses Ziel nur dadurch erreicht werden, daß das Ausmaß der Inanspruchnahme der Höhe nach bestimmt wird, und zwar in der Weise, daß einerseits die Beschränkung des Vollstreckungsgläubigers durch die Zuwendung ausgeglichen, andererseits der Steuerschuldner aber nicht über den Vorteil hinaus in Anspruch genommen wird, den er durch die Zuwendung tatsächlich erlangt hat. Das wird dadurch erreicht, daß das Ausmaß der Inanspruchnahme nach dem Vermögensvorteil bestimmt wird, den der Steuerschuldner durch die Zuwendung erlangt hat.

Ist Gegenstand der Zuwendung ein dinglich belastetes Grundstück, so ist bei der Bemessung des dadurch erlangten Vermögensvorteils zu berücksichtigen, daß der Zuwendungsempfänger, wie dargelegt, nicht den vollen Wert, sondern nur den um den Wert der Belastung geminderten Wert des Grundstücks erlangt hat. Nur dieser geminderte Wert kann deshalb als Wert der Zuwendung berücksichtigt werden.

Ist die dingliche Belastung - wie im Streitfall - eine Grundschuld, so kommt es für die Bemessung des Werts der Zuwendung nicht darauf an, ob sie im Zeitpunkt der Zuwendung eine Fremdgrundschuld war oder dem Zuwendenden als Eigentümergrundschuld zustand. Auch soweit letzteres zutrifft, erlangt der Zuwendungsempfänger allein durch die Übertragung des Grundstücks nicht ohne weiteres einen Vermögensvorteil. Denn auch die Eigentümergrundschuld des Zuwendenden geht nicht schon aufgrund der Grundstücksübertragung auf den Zuwendungsempfänger über (vgl. Baur, Lehrbuch des Sachenrechts, 12. Aufl., S. 344, 438; Scherübl in Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 12. Aufl., § 1177 Rdnrn. 15 f.). Sie verbleibt vielmehr als Fremdgrundschuld bei dem Zuwendenden.

Die Belastung des Grundstücks mit der Grundschuld kann bei der Anwendung des § 278 Abs. 2 AO 1977 auch nicht deshalb unberücksichtigt bleiben, weil der Ehemann der Klägerin sich dieser gegenüber verpflichtet hat, die Vollstreckung aus der Grundschuld zu ihren Lasten zu verhindern oder ihr für daraus entstandene Nachteile Ersatz zu leisten. Durch diese Verpflichtung ist die Belastung des Grundstücks mit der Grundschuld nicht beseitigt worden. Die Zuwendung betrifft nach wie vor ein mit einer Grundschuld belastetes Grundstück.

Allerdings könnte die Verpflichtungserklärung trotzdem aufgrund von § 278 Abs. 2 AO 1977 zu einer Beseitigung der Vollstreckungsbeschränkung des § 278 Abs. 1 AO 1977 geführt haben, wenn die dadurch begründete Forderung der Klägerin auf Freistellung von einer etwaigen Vollstreckung des Grundpfandgläubigers oder auf Ersatz von Vollstreckungsnachteilen als eigenständige Zuwendung i. S. des § 278 Abs. 2 AO 1977 anzusehen wäre. Das trifft jedoch nicht zu.

Zweck der Regelung des § 278 Abs. 2 AO 1977 ist es - wie dargelegt -, dem Vollstreckungsgläubiger eine Möglichkeit zur Vollstreckung in das Vermögen des Zuwendungsempfängers als Ausgleich dafür zu verschaffen, daß das Vermögen des Zuwendenden durch eine unentgeltliche Zuwendung gemindert worden ist. Auf diese Weise soll eine Beeinträchtigung der Vollstreckungsmöglichkeiten durch eine Vermögensverschiebung zwischen Gesamtschuldnern i. S. des § 268 AO 1977 in den Fällen einer Vollstreckungsbeschränkung nach § 278 Abs. 1 AO 1977 vermieden werden (vgl. Szymczak in Koch, a. a. O., § 278 Rz. 9; Schwarz in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., § 278 AO 1977 Anm. 4). Der Zuwendungsempfänger soll also nur in dem Maße über die Beschränkung des § 278 Abs. 1 AO 1977 hinaus in Anspruch genommen werden können, in dem er etwas aus dem Vermögen des Zuwendenden erhalten hat, der Zugriffswert dieses Vermögens also durch Übertragung eines Gegenstandes auf den Zuwendungsempfänger zum Nachteil des Vollstreckungsgläubigers und zugunsten des Zuwendungsempfängers vermindert worden ist. Dadurch, daß der Ehemann der Klägerin dieser ein obligatorisches Recht eingeräumt hat, ist aus seinem Vermögen nichts in das Vermögen des Zuwendungsempfängers übergegangen.

Würde auch die Begründung einer Forderung in der Person des Zuwendungsempfängers durch eine Verpflichtungserklärung des Zuwendenden die Inanspruchnahme des Zuwendungsempfängers nach § 278 Abs. 2 AO 1977 rechtfertigen, so könnte sich daraus eine Verbesserung der Vollstreckungsmöglichkeiten gegenüber denjenigen ergeben, die ohne die Verpflichtungserklärung bestanden hätten. Da die Inanspruchnahme nach § 278 Abs. 2 AO 1977, wie dargelegt, nicht auf die Vollstreckung in den zugewendeten Gegenstand beschränkt ist, könnte der Vollstreckungsgläubiger nach Maßgabe der begründeten Forderung in das gesamte Vermögen des Zuwendungsempfängers vollstrecken, ohne daß der Vollstreckung in den Vermögensbereich des Zuwendenden Gegenstände entzogen worden wären. Eine solche Verbesserung der Vollstreckungsmöglichkeiten wäre mit dem aufgezeigten Zweck des § 278 Abs. 2 AO 1977 nicht vereinbar.

Dagegen kann nicht mit Erfolg eingewandt werden, daß die Erfüllung der Verpflichtungserklärung zu einem Vermögensvorteil führe. Wird die Verpflichtungserklärung erfüllt, so bewirkt erst die Erfüllung eine Zuwendung der Art, daß Vermögensgegenstände (Geld, Bankforderungen oder dergleichen) aus dem Vermögen des Zuwendenden in das des Zuwendungsempfängers übergehen. Erst diese Erfüllungshandlung kann deshalb als Zuwendung i. S. des § 278 Abs. 2 AO 1977 angesehen werden.

Das FG hat in der Meinung, der Wert des Grundstücks sei nicht um den Wert einer darauf lastenden Grundschuld gemindert, es unterlassen, zum Wert der der Klägerin zugewendeten Grundstücke abschließende Feststellungen zu treffen. Von der Höhe dieser Werte hängt es aber ab, ob der Bescheid vom 3. März 1982 ganz oder teilweise den Voraussetzungen des § 278 Abs. 2 AO 1977 entspricht. Die Sache ist daher an das FG zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 74918

BStBl II 1984, 287

BFHE 1984, 138

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