Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 4 EStG a. F.

 

Leitsatz (NV)

1. Nach § 34 Abs. 4 EStG a. F. waren nicht nur diejenigen Stpfl. begünstigt, die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit oder aus der Ausübung eines sog. ,,Katalogberufs" (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG) hatten, sondern auch solche Stpfl., die ,,Einkünfte aus der selbständigen wissenschaftlichen, künstlerischen, schriftstellerischen . . . Tätigkeit" als ,,Haupteinkünfte" bezogen.

2. Bei den zu ,,Haupteinkünften" führenden Tätigkeiten eines Wissenschaftlers muß es sich um Berufstätigkeiten handeln, die nach Herkommen oder Verkehrsanschauung einem konkreten Berufsbild entsprechen. Die Erstellung von Rechtsgutachten kann unter gewissen Voraussetzungen als eine solche Berufstätigkeit angesehen werden.

 

Normenkette

EStG a.F. § 34 Abs. 4

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war früher als . . . sowie als Honorarprofessor für . . . tätig. In den Streitjahren 1974, 1975, 1977 und 1978 bezog er außer seinem Ruhegehalt als Beamter Honorare für die Erstattung von Rechtsgutachten, Autoren- und Vortragshonorare, Sitzungsvergütungen für seine Tätigkeit als Sachverständiger sowie Einkünfte aus Kapitalvermögen und aus Vermietung und Verpachtung.

Nachdem der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) bei früheren Veranlagungen des Klägers zur Einkommensteuer die Einkünfte aus der Tätigkeit als Fachschriftsteller und als Sachverständiger, später auch die Einkünfte aus der Erstattung von Gutachten, nach § 34 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) einem ermäßigten Steuersatz unterworfen hatte, vertrat er im Anschluß an eine Betriebsprüfung die Auffassung, der Kläger könne den ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 4 EStG nicht beanspruchen, weil dessen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nicht die ,,übrigen Einkünfte" i. S. des § 34 Abs. 4 EStG überwögen; dabei sei davon auszugehen, daß die Gutachterhonorare den ,,übrigen Einkünften" zuzuordnen seien.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Auch das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, daß dem Kläger die Tarifvergünstigung nach § 34 Abs. 4 EStG nicht zustehe, weil seine ,,Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit oder aus einer Berufstätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG" (Haupteinkünfte) die ,,übrigen Einkünfte" in allen Streitjahren nicht überwögen. Die unstreitig als wissenschaftlich zu qualifizierende Gutachtertätigkeit könne nicht den ,,Haupteinkünften" zugerechnet werden. Sie sei keine praktische Berufstätigkeit; sie sei keine Anwaltstätigkeit und auch keiner Anwaltstätigkeit ,,ähnlich" (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG).

Mit der Revision gegen dieses Urteil rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Seine Tätigkeit als Rechtsgutachter müsse als ,,Berufstätigkeit" i. S. des § 34 Abs. 4 EStG angesehen werden. Es handle sich um eine den Katalogberufen des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG zuzurechnende ,,Rechtsanwalt-ähnliche" Tätigkeit. Abgesehen hiervon gehörten zu den ,,Haupteinkünften" i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG nicht nur die Einkünfte aus einer Katalogberufstätigkeit, sondern auch aus den anderen in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannten freiberuflichen Tätigkeiten als Künstler, Wissenschaftler und Schriftsteller; eine andere Auslegung des Gesetzes würde gegen das Grundgesetz (GG) verstoßen. Die Einkünfte aus seiner wissenschaftlichen Gutachtertätigkeit müßten daher bei der Frage des ,,Überwiegens" i. S. des § 34 Abs. 4 EStG in jedem Fall den ,,Haupteinkünften" zugerechnet werden.

Der Kläger beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Einkommensteuerbescheide 1974, 1975, 1977 und 1978 zu ändern; dabei sei die Tarifvergünstigung des § 34 Abs. 4 EStG für folgende Einkünfte zu gewähren:

1974 . . .

1975 . . .

1977 . . .

1978 . . .

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Der Kläger ist am . . . verstorben. Erben sind die nunmehrigen Revionskläger zu 1 bis 3.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Nach § 34 Abs. 4 EStG a. F. können ,,Nebeneinkünfte aus wissenschaftlicher, künstlerischer und schriftstellerischer Tätigkeit" bei Steuerpflichtigen mit ,,Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit oder aus selbständiger Arbeit, die aus der Berufstätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 bezogen werden", tarifbegünstigt sein. Die einzelnen Voraussetzungen hierfür können im Streitfall erfüllt sein.

1. Hinsichtlich des Personenkreises, der die Tarifvergünstigung nach § 34 Abs. 4 EStG in Anspruch nehmen kann, hat der Bundesfinanzhof (BFH) früher die Auffassung vertreten, daß nur diejenigen Steuerpflichtigen nach § 34 Abs. 4 EStG begünstigt sein könnten, die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit oder aus der Ausübung eines der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG aufgeführten sog. Katalogberufe (wie z. B. Ärzte, Rechtsanwälte, Steuerberater usw.) beziehen; dagegen sei die selbständig ausgeübte wissenschaftliche, künstlerische und schriftstellerische Tätigkeit keine ,,Berufstätigkeit" i. S. des § 34 Abs. 4 EStG, da sich diese Einkünfte von den Nebeneinkünften aus wissenschaftlicher, künstlerischer und schriftstellerischer Tätigkeit nicht zufriedenstellend abgrenzen ließen (BFH-Urteil vom 30. November 1978 IV R 34/74, BFHE 126, 467, BStBl II 1979, 239).

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat dagegen entschieden, der Wortlaut des § 34 Abs. 4 EStG lasse nicht erkennen, daß der Gesetzgeber mit der Beschränkung der Steuervergünstigung auf die sog. Katalogberufe gerechnet oder diese sogar gebilligt habe. Die Auslegung des BFH weiche mithin vom Gesetzeswortlaut ab und unterlaufe die Entscheidung des Gesetzgebers für eine Gleichbehandlung der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannten Personengruppen (BVerfG-Beschluß vom 14. Januar 1986 1 BvR 209/79, 1 BvR 221/79, BVerfGE 71, 354, BStBl II 1986, 376). Demgemäß können auch solche Steuerpflichtige einen Anspruch auf die Vergünstigung haben, die ,,Einkünfte aus der selbständig ausgeübten wissenschaftlichen, künstlerischen, schriftstellerischen . . . Tätigkeit" (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG) als Haupteinkünfte beziehen (BFH-Urteil vom 19. März 1987 IV R 27/86, BFHE 149, 459, BStBl II 1987, 497).

2. Die Gewährung der Steuervergünstigung nach § 34 Abs. 4 EStG setzt voraus, daß die ,,Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit oder aus der Berufstätigkeit . . . die übrigen Einkünfte überwiegen" (§ 34 Abs. 4 Nr. 1 EStG).

Voraussetzung ist hiernach ein bestimmtes Größenverhältnis zwischen den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit und aus freier Berufstätigkeit einerseits und den gesamten anderen Einkünften (aus Gewerbebetrieb, Land- und Forstwirtschaft, Vermietung und Verpachtung usw). andererseits. Bei dieser Gegenüberstellung werden die - nicht zu den Haupteinkünften zählenden - Einkünfte aus wissenschaftlicher, künstlerischer und schriftstellerischer (Neben-)Tätigkeit, für die die Tarifermäßigung begehrt wird, zu den ,,übrigen" Einkünften gerechnet (BFH-Urteile vom 26. April 1968 IV R 191/67, BFHE 92, 286, BStBl II 1968, 526; in BFHE 149, 459, BStBl II 1987, 497).

Für die Frage, welche Einkünfte ,,überwiegend", ist bei den Steuerpflichtigen, die als Wissenschaftler, Künster oder Schriftsteller selbständig tätig sind, zunächst festzustellen, welche ihrer Einkünfte (neben etwaigen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit) als ,,Haupteinkünfte" und welche als ,,Nebeneinkünfte" anzusehen sind. Wie der Senat bereits in seiner Entscheidung in BFHE 149, 459, BStBl II 1987, 497 ausgeführt hat, wollte der Gesetzgeber das Verhältnis der Haupttätigkeit zur geförderten Nebentätigkeit rein zahlenmäßig bestimmen. Ob von ,,Nebeneinkünften" gesprochen werden kann, entscheidet sich somit nur nach dem rechnerischen Verhältnis der einander gegenüberzustellenden Einkünfte.

3. Nach § 34 Abs. 4 Nr. 2 EStG ist für die Gewährung der Tarifvergünstigung außerdem erforderlich, daß die Nebeneinkünfte aus wissenschaftlicher, künstlerischer oder schriftstellerischer Tätigkeit nicht zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören und von den Einkünften aus der Berufstätigkeit abgrenzbar sind.

a) Zur Abgrenzbarkeit der begünstigten Einkünfte gegenüber den ,,Einkünften aus der Berufstätigkeit" hat die - nunmehr durch den Beschluß des BVerfG in BVerfGE 71, 354, BStBl II 1986, 376 für verfassungswidrig erklärte - frühere Rechtsprechung des BFH die Auffassung vertreten, unter der ,,Berufstätigkeit" i. S. des § 34 Abs. 4 Nr. 1 EStG seien nur die Tätigkeiten zu verstehen, die zu den in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannten ,,Katalogberufen" gehören. Die begünstigten ,,Nebeneinkünfte" müßten gegenüber den (nicht begünstigungsfähigen) Einkünften aus einer Katalogberufstätigkeit klar abgrenzbar sein (vgl. BFH-Urteil vom 14. Dezember 1972 IV R 12/68, BFHE 107, 524, BStBl II 1973, 159).

b) Nach der Entscheidung des BVerfG in BVerfGE 71, 354, BStBl II 1986, 376 und der hierauf geänderten Rechtsprechung des BFH (Urteil in BFHE 149, 459, BStBl II 1987, 497) können dagegen nicht nur Einkünfte aus einer Katalogberufstätigkeit, sondern auch aus anderen selbständigen Berufstätigkeiten (künstlerischer, wissenschaftlicher und schriftstellerischer Art) als ,,Hauptberufstätigkeit" in Betracht kommen. Um in derartigen Fällen in einer dem Sinn des Gesetzes entsprechenden Weise Abgrenzungen vornehmen zu können, ist es erforderlich, die zu den ,,Haupteinkünften" führende Tätigkeit in genügend konkreter Weise zu bestimmen. Es muß sich - ähnlich wie bei den Katalogberufen - um Berufstätigkeiten handeln, die nach Herkommen oder Verkehrsanschauung einem konkreten Berufsbild entsprechen. Nur eine derartige Konkretisierung der Tätigkeit kann die sachgerechte Feststellung ermöglichen, was im Rahmen der ,,Hauptberufstätigkeit" und was außerhalb des jeweiligen Berufs - und damit möglicherweise in einer gemäß § 34 Abs. 4 EStG begünstigten Weise - geleistet wird.

c) Die vom Kläger mit seiner Revision vertretene Auffassung, seine Gutachtertätigkeit sei als ,,Berufstätigkeit" i. S. des § 34 Abs. 4 EStG anzusehen gewesen, trifft zu.

Eine Gutachtertätigkeit stellt sich zwar vielfach nur als Ausschnitt aus einer Berufstätigkeit dar (so insbesondere bei Rechtsanwälten, Ärzten und Architekten); sie kann sich jedoch in manchen Bereichen auch zu einem eigenständigen Berufsbild verdichten. So hat der BFH in seiner früheren Rechtsprechung z. B. Architekten, die entweder als öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für Gebäude, Brandschadenregulierungen und Schätzungen oder als vereidigte Bauschätzer einer Brandversicherungskammer tätig wurden, als Angehörige eines eigenständigen (freien) Berufs angesehen (BFH-Urteile vom 4. Februar 1954 IV 6/53 U, BFHE 58, 618, BStBl III 1954, 147, und vom 30. April 1959 IV 45/58 U, BFHE 69, 16, BStBl III 1959, 267); auch in seiner neueren Rechtsprechung hat der BFH ausgesprochen, daß Architekten und Ingenieure, die hauptberuflich als gerichtliche Sachverständige für Hochbau, Tiefbau und Maschinenbau tätig sind, eine Berufstätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausüben (BFH-Urteile vom 10. Juli 1986 IV R 244/84, BFHE 147, 328, BStBl II 1986, 843).

Was speziell die Erstellung von Rechtsgutachten anbelangt, so bildet diese Tätigkeit zwar ein unselbständiges Element der praktischen Arbeit vieler juristischer Berufe. Es kann indessen auch zu einer Verselbständigung dieser Tätigkeit zu einem eigenständigen Beruf kommen; das gilt insbesondere für solche Steuerpflichtige, die nach Beendigung ihrer früheren beruflichen Tätigkeit (als Universitätsprofessor, Richter oder Rechtsanwalt) wegen ihrer reichen Berufserfahrung und ihres besonderen fachlichen Ansehens mit der wissenschaftlichen Begutachtung von schwierigen Rechtsfragen beauftragt werden. Wird ein solcher Rechtsgutachter daneben noch als juristischer Sachverständiger für gesetzgebende Körperschaften, wissenschaftliche Beiräte und dergl. tätig, so wird auch diese Tätigkeit als ,,Annextätigkeit" vom Berufsbild des Rechtsgutachters umfaßt.

Auch die Gutachter- und Sachverständigentätigkeit des Klägers entsprach diesen Voraussetzungen. Der Kläger, der sich in den Streitjahren bereits im Ruhestand befand und seit 1974 auch von seinem Lehrauftrag entbunden war, wurde nach den tatsächlichen Feststellungen des FG im Auftrag von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden sowie von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften als bekannter Fachmann auf dem Gebiet des . . . rechts mit der Erstellung wissenschaftlicher Gutachten beauftragt; er wurde außerdem in einigen Ministerien als Sitzungsgutachter tätig. Seine in diesen Bereichen entfaltete Tätigkeit läßt sich als ,,Berufstätigkeit" i. S. des § 34 Abs. 4 EStG ansehen.

4. Das FG ist in dem angefochtenen Urteil von der früheren, inzwischen vom BVerfG abgelehnten Rechtsprechung des BFH ausgegangen, nach der Einkünfte aus einer wissenschaftlichen Gutachtertätigkeit in jedem Fall zu den ,,übrigen" Einkünften zu rechnen sind und nicht zu den ,,Haupteinkünften" zählen können. Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung hat das FG zu den ,,übrigen" Einkünften des Klägers auch dessen Gutachtereinkünfte gezählt. Daraus ergab sich ein zur Ablehnung der Vergünstigung nach § 34 Abs. 4 EStG führendes ,,Überwiegen" der ,,übrigen" Einkünfte.

Es ist nunmehr zu prüfen, ob nach Anerkennung der Gutachtereinkünfte als solche aus einer ,,Berufstätigkeit" i. S. des § 34 Abs. 4 EStG die vom Kläger erstrebte Begünstigung zu gewähren ist. Da es hierzu (insbesondere hinsichtlich der Höhe der einzelnen Einkünfte) noch tatsächlicher Feststellungen bedarf, ist das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415411

BFH/NV 1988, 492

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