Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschwer im Klageverfahren; Wahl der Gewinnermittlungsart bei freien Berufen

 

Leitsatz (NV)

1. Ein Steuerpflichtiger kann auch durch eine zu niedrige Steuerfestsetzung in seinen Rechten verletzt sein und aus diesem Grund Klage erheben.

2. Ein Angehöriger eines freien Berufs kann seinen Gewinn entweder durch Vermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG oder durch Einnahmeüberschußrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG ermitteln. Sein Recht, den Gewinn durch Vermögensvergleich zu ermitteln, übt er dadurch aus, daß er zu Beginn eines Gewinnermittlungszeitraums eine Eröffnungsbilanz aufstellt und eine ordnungsmäßige Buchführung einrichtet.

 

Normenkette

FGO § 40 Abs. 2; EStG § 4 Abs. 3, 1

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die seit dem 6. Dezember 1974 verheiratet sind; sie wurden im Streitjahr 1974 zur Einkommensteuer zusammen veranlagt, während für den Kläger im Streitjahr 1973 eine Einzelveranlagung durchgeführt wurde. Am 2. Mai 1973 hatte der Kläger eine Zahnarztpraxis eröffnet, aus der er in den Streitjahren Einkünfte aus selbständiger Arbeit bezog.

Den Gewinn aus dieser Praxis ermittelte der Kläger in den Streitjahren durch Gegenüberstellung der Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben. Für das Rumpfwirtschaftsjahr 1973 ergab sich danach ein Verlust von 36 060 DM und für das Jahr 1974 ein Gewinn von 92 477,53 DM.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erließ zunächst den Erklärungen entsprechende vorläufige Einkommensteuerbescheide, wobei die Einkommensteuer 1973 auf 0 DM festgesetzt wurde. Bei einer auch die Streitjahre umfassenden Betriebsprüfung im März 1978 stellte der Prüfer fest, daß die Buchungen über das EDV-System Datev überwiegend nach dem Zahlungsein- und -ausgang erstellt worden waren und daß ordnungsmäßige Kassenberichte, Wareninventuren und Abschreibungsverzeichnisse vorlagen. Der Kläger hatte jedoch weder seine Forderungen zum Jahresende ermittelt noch einen vollständigen Abschluß erstellt. Der Prüfer ging deshalb weiterhin von einer Gegenüberstellung der Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben aus. Als Ergebnis der Prüfung erhöhte sich der Verlust für 1973 auf 54 583,51 DM und der Gewinn des Jahres 1974 auf 103 277,40 DM. Das FA hob daher für 1973 lediglich den Vorbehalt der Nachprüfung auf und änderte den Einkommensteuerbescheid 1974 zum Nachteil des Klägers. Der Einkommensteuerbescheid 1974 wurde der Klägerin nachträglich bekanntgegeben.

Nachdem der Kläger bereits während der Betriebsprüfung beantragt hatte, seinen Gewinn für die Streitjahre nach § 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu ermitteln, legte er gegen die ihm bekanntgegebenen Bescheide des FA Einsprüche ein. Zur Begründung dieser Einsprüche reichte der Kläger nachträglich erstellte Bilanzen zum 31. Dezember 1973 und zum 31. Dezember 1974 ein, die für das Rumpfwirtschaftsjahr 1973 einen Gewinn von 2 271,04 DM und für das Wirtschaftsjahr 1974 einen Gewinn von 260 076,53 DM auswiesen. Die Gewinnerhöhungen beruhten jeweils auf der Aktivierung von Forderungen und Materialbeständen.

Gegen den ihr nachträglich bekanntgegebenen Einkommensteuerbescheid 1974 legte die Klägerin ebenfalls Einspruch ein.

Das FA wies die Einsprüche des Klägers und den Einspruch der Klägerin gegen den Einkommensteuerbescheid 1974 als unbegründet zurück. Dagegen richtet sich die von den Klägern gemeinsam erhobene Klage, die ebenfalls keinen Erfolg hatte.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

Sie tragen vor, das Finanzgericht (FG) sei unzutreffend davon ausgegangen, daß die Forderungen zu den Bilanzstichtagen nicht erfaßt worden seien; hierüber habe man Einzelaufstellungen für die Vermögensaufstellung zum 1. Januar 1974 und zum 1. Januar 1975 gefertigt. Die Buchführung sei soweit ordnungsgemäß, daß der Kläger auch nach einem längeren Zeitraum zur fehlerfreien Beurteilung der Verhältnisse in der Lage gewesen sei. Außer den Aufzeichnungen über Ein- und Ausgaben habe auch eine den Stand des Vermögens bereits während des laufenden Kalenderjahres darstellende Buchführung vorgelegen. Der Kläger habe sich deshalb nicht zwangsläufig zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG entscheiden müssen; sein Steuerberater habe vielmehr versäumt, die zur Bilanzierung geeignete Buchführung entsprechend zu verwerten.

Die Kläger beantragen, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils der Besteuerung für das Jahr 1973 einen Gewinn von 2 271 DM und für das Jahr 1974 einen Gewinn von 260 076 DM zugrunde zu legen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

1. Die Revision ist zulässig.

Die Kläger sind auch insoweit beschwert, als sie für die Streitjahre eine höhere Steuerfestsetzung beantragen. Ein Steuerpflichtiger kann auch durch eine zu niedrige Steuerfestsetzung in seinen Rechten verletzt sein; dies ist dann der Fall, wenn die Festsetzung sich in späteren Veranlagungszeiträumen zu seinen Ungunsten auswirken kann (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 12. Dezember 1972 VIII R 39/67, BFHE 108, 278, BStBl II 1973, 323; vom 7. August 1974 I R 108/73, BFHE 113, 405, BStBl II 1975, 304, und vom 7. August 1979 VIII R 153/77, BFHE 129, 325, BStBl II 1980, 181).

Der Kläger beantragt für 1973 eine höhere Steuerfestsetzung als 0 DM, weil sich nach der von ihm begehrten Gewinnermittlungsart gemäß § 4 Abs. 1 EStG im ersten Jahr seiner selbständigen Tätigkeit kein Verlust errechnen würde. Dieser Verlust war nach § 10d EStG 1971 bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG nicht vortragsfähig. Um den Betrag der am 31. Dezember 1973 aktivierten Forderungen hat der Kläger in den Folgejahren geringere Einnahmen zu versteuern, so daß es im Ergebnis zu einer Berücksichtigung des Verlustes käme. Auch die zum 31. Dezember 1974 aktivierten Forderungen führen über den Bilanzenzusammenhang zu Mindergewinnen in den Folgejahren. Für den Kläger ergibt sich damit aus der geringeren Steuerfestsetzung für 1973 ein steuerlicher Nachteil im Folgejahr; Entsprechendes gilt für die Kläger, soweit sie sich gemeinsam gegen die geringere Steuerfestsetzung für 1974 wenden.

2. Die Revision ist unbegründet. Zu Recht haben FA und FG die nachträglich vom Kläger erstellten Bilanzen nicht der Gewinnermittlung für die Streitjahre zugrunde gelegt. Der Kläger konnte seine einmal getroffene Entscheidung für die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG nachträglich nicht wieder rückgängig machen.

a) Der Senat hat in seinem Urteil vom 2. März 1978 IV R 45/73 (BFHE 125, 45, BStBl II 1978, 431) ausgeführt, daß einem Angehörigen eines freien Berufs durch § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG ein Wahlrecht eingeräumt ist, seinen Gewinn entweder durch Vermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG oder durch Einnahmeüberschußrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG zu ermitteln (ebenso BFH-Urteile vom 24. November 1959 I 47/58 U, BFHE 70, 499, BStBl III 1960, 188, und vom 29. April 1982 IV R 95/79, BFHE 136, 94, BStBl II 1982, 593). Das auf Gewinnermittlung durch Vermögensvergleich gerichtete Wahlrecht ist zu Beginn eines Gewinnermittlungszeitraums durch Aufstellung einer Eröffnungsbilanz und Einrichtung einer ordnungsmäßigen kaufmännischen Buchführung auszuüben und nach Ablauf der betreffenden Gewinnermittlungszeiträume nicht mehr abänderbar (BFHE 125, 45, BStBl II 1978, 431; BFHE 136, 94, BStBl II 1982, 593, und BFH-Urteil vom 23. Juni 1983 IV R 185/81, BFHE 139, 56, BStBl II 1983, 723).

b) Nach den Feststellungen des FG, an die der Senat gebunden ist (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), hat der Kläger die Voraussetzungen nicht erfüllt, die nach den dargelegten Grundsätzen für eine Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich zu fordern sind. Die Vorentscheidung ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Kläger durch seinen Verzicht auf Erstellung einer Eröffnungsbilanz das ihm nach § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG eingeräumte Wahlrecht zu Beginn seiner selbständigen Tätigkeit ausgeübt und sich damit unwiderruflich für die Gewinnermittlung durch Einnahmeüberschußrechnung entschieden hat. Auch die Aufzeichnungen des Klägers haben nicht den Anforderungen genügt, die an eine ordnungsmäßige kaufmännische Buchführung zu stellen sind. So hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem FG die Feststellungen des Prüfers bestätigt, wonach grundsätzlich nach dem Forderungseingang gebucht worden sei, während er zur Frage der buchmäßigen Behandlung der Abrechnungen mit den Krankenkassen keine Auskunft geben konnte. Im Rahmen eines Betriebsvermögensvergleichs aber sind Forderungen mit ihrer Entstehung zu buchen, und ihr Bestand ist an den Bilanzstichtagen zu ermitteln. Dies ist nach den bis zur mündlichen Verhandlung vor dem FG unwidersprochen gebliebenen Feststellungen des Prüfers im Streitfall nicht geschehen. Wenn die Kläger daher erstmals mit der Revision vortragen, die Forderungsbestände seien zu den Bilanzstichtagen für Zwecke der Vermögensaufstellung ermittelt worden, so handelt es sich um neues tatsächliches Vorbringen, das der Senat nicht berücksichtigen kann (§ 118 Abs. 2 FGO).

c) Mit der Vorentscheidung stimmt der Senat auch darin überein, daß die Erstellung einer Eröffnungsbilanz unabdingbare Voraussetzung für die von den Klägern erstrebte Gewinnermittlung durch Vermögensvergleich ist. Die Eröffnungsbilanz weist den Anfangsbestand des Betriebsvermögens aus und bildet damit die Grundlage der Buchführung für die folgenden Wirtschaftsjahre (§ 6 Abs. 1 Nr. 6 EStG) und der sich anschließenden Vermögensvergleiche (§ 4 Abs. 1 EStG).

 

Fundstellen

Haufe-Index 414122

BFH/NV 1987, 504

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