Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Wahlrecht auf Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 oder Abs. 3 EStG
Leitsatz (NV)
1. Ein Kläger ist auch insoweit beschwert, als er eine höhere Steuerfestsetzung beantragt, wenn sich die angefochtene (niedrige) Steuerfestsetzung in späteren Veranlagungszeiträumen zu seinen Ungunsten auswirken kann.
2. Ein Freiberufler kann das Wahlrecht, seinen Gewinn aus selbständiger Arbeit durch Bestandsvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG zu ermitteln, nur zu Beginn eines Gewinnermittlungszeitraums durch Aufstellung einer Eröffnungsbilanz und Einrichtung einer ordnungsmäßigen kaufmännischen Buchführung ausüben. Zu den Voraussetzungen für die Ausübung dieses Wahlrechts gehört weder die Kenntnis aller steuerlichen Folgen noch das Bewußtsein, eine Wahl zu treffen.
Normenkette
FGO § 40 Abs. 2; EStG § 4 Abs. 1, 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die in den Streitjahren 1977 und 1978 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden. Als Fachärztin bezog die Klägerin zunächst Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, bis sie im September 1977 eine eigene Praxis eröffnete. Den Gewinn aus dieser Praxis ermittelte die Klägerin durch Jahresabschlüsse, die in eine Aufstellung der Einnahmen und Ausgaben gegliedert waren und die dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) zusammen mit den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre vorgelegt wurden. Der Gewinnermittlung waren eine ,,Errechnung des Privatverbrauchs", eine ,,Praxisertragsberechnung" sowie eine ,,Vermögens- und Abschreibungsübersicht für die Praxiseinrichtung" beigefügt. Die Einnahmen des Jahres 1977 setzten sich aus Honoraren von Privatpatienten in Höhe von 5 000 DM und Abschlagszahlungen der Kassenärztlichen Verrechnungsstelle (KV) für das III. und IV. Quartal in Höhe von 17 000 DM zusammen. Die Restzahlungen der KV, die mit 7 000 DM für das III. Quartal 1977 am 9. Januar und mit 101 000 DM für IV. Quartal 1977 am 5. April auf dem Bankkonto der Klägerin eingingen, wurden in der Vermögensübersicht auf den 31. Dezember 1977 aufgeführt und den Praxiseinnahmen für 1977 hinzugerechnet; entsprechend wurden die Praxiseinnahmen 1978 gemindert.
Anläßlich einer die Streitjahre umfassenden Außenprüfung stellte das FA u.a. fest, daß nur einfache Grundaufzeichnungen vorlagen. Die Geldeingänge auf den Bankkonten und in der Kasse wurden in ein Einnahmebuch übertragen, welches monatlich aufaddiert wurde. Die Ausgabenbelege waren kostenmäßig getrennt aufgezeichnet und aufbewahrt. Das FA ging deshalb davon aus, daß eine Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorliegt. Es erfaßte die Restzahlungen für das III. und IV. Quartal 1977 erst im Jahr 1978, minderte den Gewinn des Jahres 1977 entsprechend und änderte die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Einkommensteuerbescheide 1977 und 1978.
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung aus, die Klägerin habe ihren Gewinn gemäß § 4 Abs. 3 EStG ermittelt, denn sie habe nur die zugeflossenen Betriebseinnahmen und die abgeflossenen Betriebsausgaben aufgezeichnet. Für eine Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG habe es u.a. an der hierfür erforderlichen Eröffnungsbilanz gefehlt. Es sei nicht entscheidend, daß der Klägerin das Recht, zwischen beiden Arten der Gewinnermittlung zu wählen, nicht bekannt gewesen sei.Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
Aus dem Wortlaut des § 4 Abs. 3 EStG lasse sich ein Wahlrecht nicht ableiten. Gehe man jedoch von einem Wahlrecht aus, so werde dies nicht dadurch ausgeübt, daß der Steuerpflichtige eine Eröffnungsbilanz aufstelle oder auf Erstellung einer Eröffnungsbilanz verzichte. Die Ausübung eines Wahlrechts setze voraus, daß der Steuerpflichtige sich hierüber Gedanken mache. Im übrigen sei es nicht erforderlich gewesen, eine Eröffnungsbilanz zu erstellen. Ein Unternehmen beginne mit dem Entschluß, das Unternehmen zu gründen; zu diesem Zeitpunkt aber seien Aktiva und Passiva mit null DM zu bewerten.
Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und unter Änderung der Einkommensteuerbescheide 1977 und 1978 108 000 DM dem Gewinn des Jahres 1977 und nicht dem Gewinn des Jahres 1978 zuzurechnen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Die Revision ist zulässig.
Die Kläger sind auch insoweit beschwert, als sie für das Jahr 1977 eine höhere Steuerfestsetzung beantragen. Ein Steuerpflichtiger kann auch durch eine zu niedrige Steuerfestsetzung in seinen Rechten verletzt sein; dies ist dann der Fall, wenn die Festsetzung sich in späteren Veranlagungszeiträumen zu seinen Ungunsten auswirken kann (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 12. Dezember 1972 VIII R 39/67, BFHE 108, 278, BStBl II 1973, 323; vom 7. August 1974 I R 108/73, BFHE 113, 405, BStBl II 1975, 304, und vom 7. August 1979 VIII R 153/77, BFHE 129, 325, BStBl II 1980, 181).
Die Kläger begehren für 1977 eine Steuerfestsetzung nach Maßgabe eines um 108 000 DM höheren Gewinns aus selbständiger Arbeit und für 1978 eine Steuerfestsetzung nach einem um den gleichen Betrag geminderten Gewinn. Im Streitfall ergibt sich daher aus der geringeren Steuerfestsetzung für 1977 nicht nur ein steuerlicher Nachteil im Folgejahr, sondern infolge der Progressionswirkung des Einkommensteuertarifs insgesamt eine höhere Steuerbelastung.
2. Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin hat ihren Gewinn aus selbständiger Arbeit in den Streitjahren nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt, so daß die Abschlußzahlungen der KV für das III. und IV. Quartal 1977 nach § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG im Jahr 1978 zu erfassen waren.
a) Der Senat hat in seinem Urteil vom 2. März 1978 IV R 45/73 (BFHE 125, 45, BStBl II 1978, 431) ausgeführt, daß einem Angehörigen eines freien Berufs durch § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG ein Wahlrecht eingeräumt ist, seinen Gewinn entweder durch Vermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG oder durch Einnahme-Überschußrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG zu ermitteln (ebenso BFH-Urteile vom 24. November 1959 I 47/58 U, BFHE 70, 499, BStBl III 1960, 188, und vom 29. April 1982 IV R 95/79, BFHE 136, 94, BStBl II 1982, 593). Das auf Durchführung eines Vermögensvergleichs gerichtete Wahlrecht ist zu Beginn eines Gewinnermittlungszeitraums durch Aufstellung einer Eröffnungsbilanz und Einrichtung einer ordnungsmäßigen kaufmännischen Buchführung auszuüben.
b) Nach den unbestrittenen Feststellungen des FG, an die der Senat gebunden ist (§ 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), hat die Klägerin die Voraussetzungen nicht erfüllt, die nach den dargelegten Grundsätzen für eine Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich zu fordern sind. Die Vorentscheidung ist insoweit zutreffend davon ausgegangen, daß die Klägerin durch ihren Verzicht auf Erstellung einer Eröffnungsbilanz und auf Einrichtung einer Buchführung, das ihr durch § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG eingeräumte Wahlrecht zu Beginn ihrer selbständigen Tätigkeit ausgeübt und sich damit für die Gewinnermittlung durch Einnahme-Überschußrechnung entschieden hat. Die Vorentscheidung hat ferner zutreffend darauf hingewiesen, daß diese Wahl nachträglich nicht mehr abzuändern ist (BFHE 125, 45, BStBl II 1978, 431, und BFH-Urteil vom 23. Juni 1983 IV R 185/81, BFHE 139, 56, BStBl II 1983, 723). Dies ergibt sich zwingend aus den vorgenannten Grundsätzen; da der Vermögensvergleich von der Einrichtung einer Buchführung und der zeitnahen Aufstellung einer Eröffnungsbilanz abhängt, könnte die Klägerin diese Voraussetzungen nach Ablauf der Streitjahre nur noch für künftige Gewinnermittlungszeiträume verwirklichen.
3. Demgegenüber kann die Klägerin nicht mit Erfolg einwenden, sie habe sich zur Ausübung des Wahlrechts keine Gedanken gemacht oder machen können, weil ihr bei Praxiseröffnung die Folgen einer solchen Entscheidung nicht bewußt gewesen seien. Zu den tatbestandlichen Voraussetzungen für die Ausübung des nach § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG eingeräumten Wahlrechts gehört weder die Kenntnis aller steuerlichen Folgen der einmal getroffenen Wahl noch das Bewußtsein, überhaupt eine Wahl zu treffen. Wer sich, wie die Klägerin, als freiberuflich tätiger Arzt zur Erzielung von Einkünften niederzulassen beabsichtigt, hat vielmehr die Pflicht, sich darüber zu unterrichten, welche Bücher und Aufzeichnungen zu führen sind und welche Art der Gewinnermittlung zulässig ist. Unterläßt er dies und verzichtet auch auf die Unterstützung durch einen Steuerberater, so hat er die sich aus seinem Verhalten etwa ergebenden Nachteile zu tragen.
Etwas anderes folgt auch nicht aus der Entscheidung des BFH vom 30. September 1980 VIII R 201/78 (BFHE 132, 228, BStBl II 1981, 301), auf die sich die Revision beruft. Zwar führt der BFH dort aus, daß die Ausübung eines Wahlrechts den Willen voraussetze, eine Wahl zu treffen; diese Aussage bezieht sich jedoch ersichtlich auf die im Anschluß daran erörterte Voraussetzung, wonach sich der Steuerpflichtige bewußt sein muß, steuerpflichtige Einkünfte zu erzielen. Zutreffend schließt der BFH (BFHE 132, 228, BStBl II 1981, 301) daraus, daß derjenige, der keinen Gewinn ermitteln will, keine Wahl zwischen den Gewinnermittlungsarten getroffen hat. Im Streitfall war sich die Klägerin jedoch bewußt, Einkünfte zu erzielen. Sie hat ihre Gewinne aus selbständiger Arbeit ermittelt und sich dazu der vereinfachten, für freiberuflich tätige Steuerpflichtige allerdings üblichen, Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG bedient.
4. Mit der Vorentscheidung stimmt der Senat auch darin überein, daß die Erstellung einer Eröffnungsbilanz unabdingbare Voraussetzung für die von der Klägerin erstrebte Gewinnermittlung durch Vermögensvergleich ist. Die Eröffnungsbilanz weist den Anfangsbestand des Betriebsvermögens aus und bildet damit die Grundlage der Buchführung für die folgenden Wirtschaftsjahre (§ 6 Abs. 1 Nr. 6 EStG) und der sich anschließenden Vermögensvergleiche (§ 4 Abs. 1 EStG). Eine solche Eröffnungsbilanz ist auch nicht deshalb entbehrlich, weil, wie die Klägerin meint, bei Betriebseröffnung Aktiva und Passiva mit null DM zu bewerten seien. Entgegen der Auffassung der Revision ist als Stichtag für die Eröffnungsbilanz nicht der Zeitpunkt anzunehmen, in dem der Entschluß zur Unternehmensgründung fällt; andernfalls hätte es einer besonderen Einlagevorschrift wie der des § 6 Abs. 1 Nr. 6 EStG gar nicht bedurft, weil dann jede Zuführung von Wirtschaftsgütern als Einlage nach § 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG zu behandeln wäre. Stichtag für die Erstellung der Eröffnungsbilanz ist vielmehr der Zeitpunkt, in dem die Klägerin mit ihrer freiberuflichen Tätigkeit begonnen hat.
Fundstellen