Leitsatz (amtlich)

1. Durch den Erlaß der Verordnung vom 14. Mai 1971 (BGBl II 1971, 233), nach der bei der Einfuhr Ausgleichsbeträge zu erheben waren, hat sich die Bundesrepublik Deutschland auch verpflichtet, bei der Ausfuhr Ausgleichsbeträge zu gewähren.

2. Den sich aus dieser Pflicht ergebenden Anspruch des Ausführers durfte der BML nicht durch Regelungen einschränken, die die rechtliche Wirksamkeit eines Antrags auf Gewährung der Ausgleichsbeträge von der Verwendung eines bestimmten Musters und der Einhaltung einer Ausschlußfrist abhängig machen.

 

Normenkette

EWGV 974/71 Art. 1, 7; Bekanntmachungen des BML über die Gewährung von Ausgleichsbeträgen bei der Ausfuhr von landwirtschaftlichen Erzeugnissen nach Mitgliedstaaten bzw. dritten Ländern vom 18. Mai 1971 (BAnz Nr. 93 vom 19. Mai 1971, BZBl 1971, 492, 494)

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ließ am 12. April 1972 bei einer Zollstelle zwei zur Ausfuhr nach Großbritannien bestimmte Sendungen Schweineschmalz abfertigen und beantragte, ihr zwei Kontrollexemplare zu erteilen. Auf diesen bescheinigte ein Zollamt (ZA) in Holland am selben Tage den Ausgang der Ware aus dem Gebiet der Gemeinschaft. Mit zwei Formanträgen vom 8. November 1972, die am 10. November 1972 bei dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt – HZA –) eingingen, beantragte die Klägerin für die Ware u. a. die Gewährung von Ausgleichsbeträgen nach der Bekanntmachung des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (BML) über die Gewährung von Ausgleichsbeträgen bei der Ausfuhr von landwirtschaftlichen Erzeugnissen nach dritten Ländern vom 18. Mai 1971 (Bundesanzeiger – BAnz – Nr. 93 vom 19. Mai 1971, Bundeszollblatt 1971 S. 494 – BZBl 1971, 494 –). Das HZA lehnte die Anträge durch Bescheid vom 15. November 1972 mit der Begründung ab, die für sie geltende Ausschlußfrist von sechs Monaten seit der Versandabfertigung sei versäumt. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) führte in seinem Urteil aus:

Zwar sei die Klage zulässig und für sie der Finanzrechtsweg gegeben; sie sei aber nicht begründet, denn das HZA habe die Anträge zu Recht als verspätet zurückgewiesen.

Art. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 974/71 (VO Nr. 974/71) des Rates vom 12. Mai 1971 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – ABlEG – Nr. L 106, 1 vom 12. Mai 1971) ermächtigte jeden Mitgliedstaat, bei der Ausfuhr nach Mitgliedstaaten oder dritten Ländern Ausgleichsbeträge zu gewähren, wenn er einen Wechselkurs zulasse, der über der durch die internationale Regelung genehmigten Bandbreite liege. Die VO Nr. 974/71 schreibe dem Mitgliedstaat für die Gewährung der Ausgleichsbeträge keine bestimmte Verfahrensweise vor. Auch die zu ihrem Vollzug erlassenen Durchführungsbestimmungen (z. B. VO Nr. 1013/71 der Kommission vom 17. Mai 1971, ABlEG Nr. L 110 8 vom 18. Mai 1971, BZBl 1971, 552; VO Nr. 1014/71 der Kommission vom 17. Mai 1971, ABlEG Nr. L 110, 10 vom 18. Mai 1971, BZBl 1971, 554, und die den Satz des Ausgleichsbetrags für den vorliegenden Streitfall regelnde VO Nr. 548/72 der Kommission vom 16. März 1972, ABlEG Nr. L 66, 1 vom 13. März 1972, BZBl 1972, 485) erwähnten nicht das Verfahren zur Gewährung von Ausgleichsbeträgen. Für die hier betroffenen Zeiträume lägen deshalb keine EWG-Bestimmungen darüber vor, ob Ausgleichsbeträge aufgrund eines Antrags zu gewähren seien, ob dieser Antrag formbedürftig sei und ob er innerhalb einer Frist gestellt werden müsse. Für den Bereich der Ausgleichsbeträge befasse sich erstmalig die VO Nr. 648/73 der Kommission über Durchführungsbestimmungen für die Währungsausgleichsbeträge vom 1. März 1973 (ABlEG Nr. L 64, 1 vom 9. März 1973, BZBl 1973, 323) mit der Formbedürftigkeit der Anträge und mit der Ausschlußfrist. Da es für den streitigen Zeitraum an einer entsprechenden Regelung durch EWG-Vorschriften gefehlt habe, sei die Bundesrepublik Deutschland aufgrund des Art. 1 VO Nr. 974/71 nicht nur materiell-rechtlich zur Gewährung der Ausgleichsbeträge ermächtigt, sondern auch zur Regelung der förmlichen Abwicklung des Verfahrens befugt gewesen. Aus Gründen der gleichen und allgemeinen Handhabung und aus Zweckmäßigkeitsgründen der Verwaltungsführung sei eine Regelung hinsichtlich der Antragsform und der Ausschlußfrist notwendig gewesen. Es handele sich hierbei im Bereich der gewährenden Verwaltung um Verfahrensüblichkeiten. Der Formantrag müsse innerhalb der Sechsmonatsfrist eingereicht werden. Er zähle zu den Unterlagen des Abschn. III Abs. 2 der Bekanntmachung vom 18. Mai 1971. Die Ausschlußfrist für die Antragstellung habe am 13. April begonnen und am 12. Oktober 1972 geendet (§ 82 der Reichsabgabenordnung – AO –, § 187 Abs. 1 und § 188 Abs. 2 BGB). Denn die Ausfuhrzollförmlichkeiten seien am 12. April 1972 erfüllt worden. Die vom 8. November 1972 datierten und am 10. November 1972 beim HZA eingegangenen Formanträge seien deshalb verspätet gewesen. Ein Fall höherer Gewalt liege nicht vor.

Mit der Revision macht die Klägerin geltend:

Die Bestimmungen der Bekanntmachung des BML vom 18. Mai 1971 über die Bindung des Antrags auf Gewährung der Ausgleichsbeträge an eine besondere Form und die Einführung einer Ausschlußfrist seien ungültig. Sie beträfen Fragen des materiellen Rechts, zu deren Regelung nur die Organe der EWG befugt gewesen seien. Nehme man aber an, daß es den Mitgliedstaaten überlassen sei, eine bestimmte Antragsform und eine Ausschlußfrist vorzuschreiben, dann seien die betreffenden Bestimmungen der Bekanntmachung des BML wegen Verletzung des verfassungsrechtlichen Vorbehalts des Gesetzes unwirksam.

Die Formvorschrift der Bekanntmachung für den Antrag auf Gewährung der Ausgleichsbeträge habe nur eine Ordnungsfunktion. Sie schließe nicht aus, den Antrag formlos zu stellen und damit die Ausschlußfrist zu wahren. Ein solcher formloser Antrag könne darin gesehen werden, daß der Ausführer gemäß der zu der Bekanntmachung des BML ergangenen Verwaltungsanweisung das Kontrollexemplar Nr. 5 mit der Überschrift „Ausgleichsbetrag” versehe, in ihm erkläre daß er die Bestimmungen der Bekanntmachung anerkenne, und daß dann das Kontrollexemplar der Behörde zugehe. Bei richtiger Anwendung der Bestimmungen der Bekanntmachung hätte das FG zu dem Ergebnis kommen müssen, daß ihr Antrag auf diese Weise vor Ablauf der Ausschlußfrist gestellt worden sei.

Die Klägerin beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und

  1. den Ablehnungsbescheid des HZA vom 15. November 1972 sowie die Einspruchsentscheidung vom 26. März 1973 aufzuheben,
  2. das HZA zu verpflichten, ihr einen Ausgleichsbetrag von 4 555,13 DM nebst 6 % Zinsen per annum seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
  3. hilfsweise, die Sache zur anderweitigen Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Das HZA beantragt, die Revision zurückzuweisen, und macht geltend:

Die VO Nr. 974/71 lege nur den Rahmen für die Erhebung und Gewährung von Ausgleichsbeträgen fest, schreibe also den Mitgliedstaaten das Verfahren nicht vor. Bis zum Inkrafttreten der VO Nr. 648/73 vom 7. März 1973 sei das Verfahren im Gemeinschaftsrecht unvollständig geregelt gewesen. Die ergänzende Regelung in der Bekanntmachung des BML vom 18. Mai 1971 sei daher zulässig gewesen.

Im Bereich der leistungsgewährenden Verwaltung seien Zuständigkeit und Verfahren nicht dem Gesetzesvorbehalt unterworfen. Zum Verfahren gehörten die Antragsform und die Ausschlußfrist. Das Kontrollexemplar habe nicht die Bedeutung eines schriftlichen Antrags. Dem stehe das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EGH) vom 22. Januar 1975 Rs. 55/74 (EGHE 1975, 9) nicht entgegen, da es sich nur auf den Bereich der Ausfuhrerstattung beziehe. Auch wenn das Kontrollexemplar wie im vorliegenden Falle die Angabe „Ausgleichsbetrag” enthalte, könne es nach der Bekanntmachung des BML nicht als Antrag angesehen werden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Für die vorliegende Streitigkeit über die Gewährung von Währungsausgleichsbeträgen ist, wie das FG mit Recht angenommen hat, der Finanzrechtsweg gegeben (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 23. November 1976 VII R 90/73, BFHE 121, 234).

Als die Klägerin die Ausfuhrsendungen abfertigen ließ, war die Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der EWG, der bei Handelsgeschäften für seine Währung einen über die durch internationale Regelung genehmigte Bandbreite hinausgehenden Wechselkurs zuließ, durch Art. 1 der VO Nr. 974/71 ermächtigt,

  1. bei der Einfuhr aus den Mitgliedstaaten und dritten Ländern Ausgleichsbeträge zu erheben und
  2. bei der Ausfuhr nach den Mitgliedstaaten und dritten Ländern Ausgleichsbeträge zu gewähren.

Die Bundesrepublik Deutschland hat von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht

  1. in bezug auf die Erhebung von Ausgleichsbeträgen bei der Einfuhr durch die Verordnung über die Erhebung einer Ausgleichsabgabe zur Sicherung der deutschen Landwirtschaft vom 14. Mai 1971 (BGBl II 1971, 233, BZBl 1971, 486), die – wie der erkennende Senat im Urteil vom 2. August 1977 VII R 37/74 (BFHE 123, 262) entschieden hat –, rechtswirksam ist.
  2. in bezug auf die Gewährung von Ausgleichsbeträgen bei der Ausfuhr durch die beiden Bekanntmachungen des BML vom 18. Mai 1971 über die Gewährung von Ausgleichsbeträgen bei der Ausfuhr von landwirtschaftlichen Erzeugnissen nach Mitgliedstaaten bzw. nach dritten Ländern (BAnz Nr. 93 vom 19. Mai 1971, BZBl 1971, 492, 494). Der Erlaß der beiden Bekanntmachungen vom 18. Mai 1971 war die zwangsläufige Folge des Erlasses der Verordnung der Bundesregierung vom 14. Mai 1971. Denn die Bundesrepublik Deutschland durfte gemäß Art. 7 VO Nr. 974/71 von der ihr durch Art. 1 VO Nr. 974/71 erteilten Ermächtigung nicht teilweise oder zeitweilig Gebrauch machen. Mit dem Entschluß, durch die Verordnung vom 14. Mai 1971 bei der Einfuhr Ausgleichsbeträge zu erheben, hat sie sich verpflichtet, bei der Ausfuhr Ausgleichsbeträge zu gewähren. Zur Erfüllung dieser Pflicht bedurfte es keines Gesetzes oder einer Rechtsverordnung; es genügten Verwaltungsanordnungen, wie sie der BML durch die beiden Bekanntmachungen vom 18. Mai 1971 getroffen hat. Der BML durfte jedoch den sich aus der Pflicht der Bundesrepublik Deutschland zur Gewährung von Ausgleichsbeträgen ergebenden materiellen Anspruch des Ausführers nicht durch Regelungen einschränken, die die rechtliche Wirksamkeit eines Antrags auf Gewährung der Ausgleichsbeträge von der Verwendung eines bestimmten Musters und der Einhaltung einer Ausschlußfrist abhängig machen, wie das im Abschn. V Abs. 1 und 5 der die Ausfuhr nach Mitgliedstaaten betreffenden Bekanntmachung und im Abschn. III Abs. 1 und 2 der die Ausfuhr nach dritten Ländern betreffenden Bekanntmachung geschehen ist. Diese schwerwiegenden und einen durch Rechtsvorschriften gewährten Anspruch vernichtenden Regelungen mögen praktischen Bedürfnissen der Verwaltung entsprechen und für das Verwaltungsverfahren sinnvoll sein, können aber keine materiell-rechtlichen Wirkungen beanspruchen. Selbst da, wo durch Gesetz vorgeschrieben ist, daß für den Antrag auf Gewährung einer staatlichen Leistung ein bestimmtes Formblatt zu verwenden ist, kann es gerechtfertigt sein, der Formvorschrift eine materiell-rechtliche Wirkung zu versagen, wenn dies die Zielsetzung des betreffenden Rechtsgebietes erfordert. Denn der Wunsch nach Erleichterung für das Verfahren der Verwaltungsbehörden muß hinter den Belangen des Antragstellers zurücktreten (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Oktober 1959 IV C 420.58, BVerwGE 9, 219).

Da somit die Klägerin einen rechtswirksamen Antrag auf Gewährung von Ausgleichsbeträgen gestellt hat, wird nunmehr das FG sich mit der Berechtigung des Begehrens der Klägerin nach Erteilung eines Ausgleichsbetragsbescheides über 4 555,13 DM nebst 0,5 % Zinsen pro Monat seit Klageerhebung befassen müssen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 514787

BFHE 1979, 341

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