Leitsatz (amtlich)

Kapitalerträge aus Wertpapieren und sonstigen Kapitalforderungen eines Nachlasses, der nach dem Recht des Staates New York von einem executor verwaltet wird, können einem im Testament des Erblassers als Begünstigten bedachten unbeschränkt Steuerpflichtigen so lange nicht als Einkünfte aus Kapitalvermögen zugerechnet werden, als der executor uneingeschränkte Verfügungsmacht über die Wertpapiere und Kapitalforderungen hat.

 

Normenkette

EStG 1971 § 20 Abs. 1 Nrn. 1, 4; FGO § 118 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die für das Streitjahr zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden.

1971 verstarb der Vater der Klägerin im Staate New York (USA). Er besaß die amerikanische Staatsangehörigkeit Sein Vermögen, das hauptsächlich aus Wertpapieren bestand, hinterließ er durch Testament seiner Ehefrau und der Klägerin zu je ½, wobei die Nachlaßverbindlichkeiten sowie alle irgendwie mit dem Nachlaß (estate) im Zusammenhang stehenden Steuern dem Anteil der Klägerin belastet werden sollten. Nach dem Testament erfolgten die Zuwendungen uneingeschränkt und frei von jeglichem Treuhandverhältnis. Die Witwe und eine New Yorker Trust Company wurden als executors eingesetzt und zusätzlich zu den durch das Gesetz übertragenen Vollmachten ermächtigt, „sämtliche Handlungen vorzunehmen, sämtliche Verfahren durchzuführen und sämtliche Rechte und Privilegien auszuüben, …, die im Zusammenhang mit jeglichem solchen Vermögen stehen und zwar so, als ob sie uneingeschränkte Eigentümer davon wären (as if the absolute owners) und, im Zusammenhang damit, jegliche juristischen Instrumente zu machen, auszufertigen und auszuhändigen und sämtliche Vereinbarungen oder Übereinkünfte einzugehen, die im Hinblick auf meinen Nachlaß bindend sind”.

Nach der Schlußrechnung der executors vom 10. März 1976 für den Abrechnungszeitraum vom 7. September 1971 bis 7. Oktober 1975 wurden aus dem Nachlaß Barzahlungen an und für die Klägerin geleistet. Die darauf entfallende amerikanische Einkommensteuer wurde von den Testamentsvollstreckern im Weg des Steuerabzugs einbehalten.

In der das Streitjahr betreffenden Steuerberechnung wurde die Klägerin als Empfänger von 6 599,64 Dollar Dividendenzahlungen und von 7 577,80 Dollar Zinsen ausgewiesen. Für die Dividenden wurde ein Steuerabzug von 15 v. H. vorgenommen. Die Schlußrechnung der executors erfaßte im Streitjahr Gesamteinnahmen an Zinsen und Dividenden in Höhe von 73 602,93 Dollar.

In der Einkommensteuerveranlagung für 1972 schätzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt – FA –) die auf die Klägerin entfallenden Dividenden und Zinsen auf 29 012 DM, die darauf gemäß § 34 c Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für 1972 geltenden Fassung anzurechnende ausländische Steuer auf 4 352 DM (15 v. H.) zuzüglich der in Höhe von 332 DM erklärten sonstigen Quellensteuer, und erfaßte die Kapitalerträge als Einkünfte aus Kapitalvermögen. Der Steuerbescheid erging hinsichtlich der ausländischen Kapitalerträge und der anzurechnenden ausländischen Steuer vorläufig nach § 100 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung (AO).

Der dagegen eingelegte Einspruch, der sich auch gegen die Besteuerung der geschätzten Kapitalerträge dem Grunde und der Höhe nach richtete, blieb in diesem Punkt erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) gab mit seinem Urteil, das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1980, 346 veröffentlicht ist, der Klage statt und führte im wesentlichen aus: Die streitigen Einkünfte aus Kapitalvermögen könnten nicht der Klägerin für das Streitjahr zugerechnet werden, da sie von den eingesetzten executors für den unverteilten, ein Zweckvermögen bildenden Nachlaß bezogen worden seien. Die executors seien im Streitfall nicht als nur formale Eigentümer anzusehen, da ihnen im Testament Befugnisse erteilt worden seien, aufgrund derer sie „uneingeschränkte Verfügungsmacht” über den Nachlaß innegehabt hätten.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es ist der Ansicht, daß die executors nicht als Eigentümer der Nachlaßgegenstände anzusehen seien, sondern als Amtspersonen, die lediglich in fremden Interessen, nämlich denen des Staates, der Nachlaßgläubiger und der Erben tätig wären. Es stände ihnen weder ein Recht auf die Substanz des Nachlasses, noch an dessen Ertrag, noch eine Nutzungs-, Verwertungs- oder sonstige Befugnis im eigenen Interesse zu. Der Aufgabenkreis eines Testamentsvollstreckers nach §§ 2203 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) decke sich wirtschaftlich betrachtet in seinen wesentlichen Punkten mit dem des executors nach amerikanischem Recht. Die beiden Rechtsinstitute seien deshalb bezüglich ihrer Wirkung auf das deutsche Recht gleichzustellen.

Das FA beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Der Klägerin sind die dem unverteilten Nachlaß im Streitjahr zugeflossenen Kapitalerträge nicht nach § 2 Abs. 3 Nr. 5, § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 4 EStG zuzurechnen.

1. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sind Einkünfte demjenigen zuzurechnen, der den Tatbestand der Erzielung dieser Einkünfte erfüllt (Urteile vom 13. Mai 1980 VIII R 63/79, BFHE 131, 212, BStBl II 1981, 295, und vom 9. März 1982 VIII R 160/81, BFHE 136, 72, BStBl II 1982, 540 mit weiteren Rechtsprechungshinweisen; Beschluß vom 29. November 1982 GrS 1/81, BFHE 137, 433, 438, 439, BStBl II 1983, 272, 274).

Einkünfte aus Kapitalvermögen i. S. des § 2 Abs. 3 Nr. 5, § 20 Abs. 1 EStG bezieht nicht nur derjenige, der selbst Kapitalvermögen gegen Entgelt zur Nutzung überlassen hat, sondern auch dessen Nachfolger in dem Rechtsverhältnis, das der Überlassung des Kapitals zur Nutzung zugrunde liegt, soweit ihm die Einnahmen aus Kapitalvermögen zivilrechtlich gebühren (BFHE 137, 433, BStBl II 1983, 272).

Nachfolger im Rechtsverhältnis der Kapitalüberlassung ist der Gesamtrechtsnachfolger oder der Einzelrechtsnachfolger (BFHE 136, 72, BStBl II 1982, 540). Ob Rechtsnachfolge durch eine dieser beiden Erwerbsformen eingetreten ist, ist für Erwerbsfälle im Inland nach inländischem Recht und für Erwerbsfälle im Ausland nach ausländischem Recht zu beurteilen, wenn dessen Rechtsinstitute dem inländischen Recht entsprechen. Können die Begriffe des ausländischen Rechts nicht in den Begriffen des inländischen Rechts gleichgesetzt werden, dann ist die wirtschaftliche Bedeutung dessen maßgebend, was das ausländische Recht für den Einzelfall vorschreibt. Nur soweit der ausländische Erwerbsvorgang in seiner wirtschaftlichen Bedeutung der inländischen Gesamtrechtsnachfolge oder Einzelrechtsnachfolge gleicht, kommt eine Tatbestandsverwirklichung des § 2 Abs. 3 Nr. 5, § 20 Abs. 1 EStG durch den Erwerber in Betracht.

2. Im Streitfall können die umstrittenen Kapitalerträge nicht der Klägerin zugerechnet werden, weil diese im Streitjahr noch keine Wertpapiere oder sonstigen Kapitalforderungen vom Erblasser erworben hatte.

a) Nachfolgerin in dem Rechtsverhältnis, das der Überlassung des Kapitals zur Nutzung zugrunde liegt, ist die Klägerin nicht durch Gesamtrechtsnachfolge geworden.

Mit dem FG ist davon auszugehen, daß der bewegliche Nachlaß eines in New York ansässigen Erblassers nicht unmittelbar auf den oder die „Erben” übergeht, sondern zunächst auf den personal representative, nämlich den administrator bei gesetzlicher Erbfolge oder, wie hier, executor bei testamentarischer Erbfolge (vgl. Ferid/Firsching, Internationales Erbrecht, Bd. VI USA-Grundzüge, Rdnrn. 20, 55 e und 68 ff.; Firsching, Deutsche Notar-Zeitschrift – DNotZ – 1959, 354 ff., dort S. 360, 368, und Marx, Neue Juristische Wochenschrift – NJW – 1953, 529 f., dort S. 530). Dieser wird durch Beschluß des ausländischen Nachlaßgerichts rückwirkend auf den Erbfall treuhänderisch Eigentümer der beweglichen Nachlaßgegenstände, ohne daß der „Erbe” diese Gegenstände schon erworben hätte (BFH-Urteil vom 12. Mai 1970 II 52/64, BFHE 105, 44, BStBl II 1972, 462).

An dieser Beurteilung ändert sich für den Streitfall dadurch nichts, daß der executor im allgemeinen nur die Rechtsstellung eines Treuhänders besitzt und daher nicht als Erbe des zunächst auf ihn übergehenden Nachlasses anzusehen ist (vgl. Ferid/Firsching, a.a.O., Rdnrn. 55 e, 56 c, 85, 270 in Anm. 1; Schwenn, NJW 1952, 1113 ff., dort S. 1114 nach Anm. 7 und 1116 bei Anm. 25; Firsching, DNotZ 1959, 360, 368). Das FG hat nämlich das Testament dahin gehend ausgelegt, daß den executors Befugnisse über das normale Maß hinaus erteilt worden seien, aufgrund derer sie „uneingeschränkte Verfügungsmacht” über den Nachlaß innegehabt hätten. Aus diesen umfassenden Vollmachten der executors folgert das FG unter Berufung auf Ausführungen im BFH-Urteil vom 31. Mai 1961 II 284/58 U (BFHE 73, 120, 123, BStBl II 1961, 312, 313, ergangen zu einem Fall der unumschränkten trust-Verwaltung), daß die dem unverteilten Nachlaß zugeflossenen Zinsen und Dividenden diesem als Einkünfte eines selbständigen Zweckvermögens zuzurechnen sind, weil sie von den uneingeschränkt bevollmächtigten executors während der nach dem Recht des Staates New York durchgeführten Testamentsvollstreckung für dieses Zweckvermögen vereinnahmt wurden. Diese rechtliche Würdigung des FG ist, weil sie sich für die Entscheidung einer steuerrechtlichen Vorfrage auf ausländisches Recht bezieht, der revisionsrichterlichen Prüfung weitgehend entzogen (§ 118 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 118 FGO Anm. 5). Irrevisibel ist nach den vom erkennenden Senat geteilten Grundsätzen des Bundesgerichtshofs (BGH) in dessen Urteil vom 16. Juni 1969 VII ZR 119/67 (Wertpapier-Mitteilungen – WM – 1969, 1140) nämlich nicht nur die Auslegung des ausländischen Rechts selbst, sondern auch die Auslegung von Verträgen, die nach ausländischem Recht abgeschlossen wurden; denn die Vertragsauslegung ist Bestandteil der Rechtsanwendung. Gleiches muß nach Auffassung des Senats auch für die Auslegung von Testamenten, denen ausländisches Erbrecht zugrunde liegt, gelten. Er ist daher daran gehindert, zu entscheiden, ob die Qualifikation der executors als „uneingeschränkt” Bevollmächtigter und die damit in unmittelbarem Zusammenhang stehende rechtliche Folgerung, der Nachlaß sei ein selbständiges Zweckvermögen, zutrifft. Denn ähnlich wie bei Tatsachenfeststellungen ist das Revisionsgericht nur befugt zu prüfen, ob die vom FG vorgenommene Auslegung gegen allgemeine Denkgesetze verstößt (vgl. Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 118 FGO Anm. 32) oder ob sie Lücken aufweist, weil das FG eine einschlägige Rechtsvorschrift übersehen hat (BFH-Urteil vom 19. Mai 1982 I R 257/78, BFHE 136, 363, 369, BStBl II 1982, 768, 771); nicht dagegen, ob Auslegungsregeln oder allgemeine Rechtsgrundsätze des ausländischen Rechts verletzt wurden (vgl. BGH-Urteil in WM 1969, 1140, 1141). Ein Verstoß gegen allgemeine Denkgesetze liegt im Streitfall nicht vor, denn die Auslegung des FG ist denkgesetzlich möglich. Auch eine lückenhafte Rechtsanwendung ist nicht ersichtlich, da das FG sowohl die einschlägigen Vorschriften des Staates New York beigezogen als auch die entscheidungsrelevanten Passagen des Testaments eingehend gewürdigt hat.

b) Die Klägerin ist Nachfolgerin im Rechtsverhältnis, das der Kapitalüberlassung zugrunde liegt, auch nicht im Wege der Einzelrechtsnachfolge geworden.

Dies wäre nach dem vom FG festgestellten Recht des Staates New York nur bei Übereigung der Wertpapiere an die Klägerin aufgrund eines rechtskräftigen Verteilungsbeschlusses des amerikanischen Nachlaßgerichts oder bei teilweiser vorheriger Verteilung aufgrund entsprechender Anordnung des Nachlaßgerichts möglich. Beides hat nach den vom FA nicht angegriffenen Feststellungen des FG im Streitfall nicht stattgefunden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 510461

BFHE 1985, 321

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