Leitsatz (amtlich)

Die Kosten des Besuchs einer Höheren Wirtschaftsfachschule mit dem Ziel, graduierter Betriebswirt zu werden, sind für einen Kaufmannsgehilfen Berufsausbildungskosten im Sinne des § 12 Nr. 1 EStG.

 

Normenkette

EStG 1967 §§ 9, 12 Nr. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hatte nach Abschluß der Volksschule und einem zweijährigen Besuch der Handelsschule im April 1959 die Ausbildung als Lehrling begonnen und im Herbst 1961 die Kaufmannsgehilfenprüfung vor der Industrie- und Handelskammer abgelegt. Nachdem er sieben Jahre in seinem Beruf tätig gewesen war, nahm er im September 1968 das Studium der Betriebswirtschaft an der Höheren Wirtschaftsfachschule auf mit dem Ziel, dort das Examen als graduierter Betriebswirt abzulegen.

Der Kläger machte die mit dem Studium verbundenen Aufwendungen im Rahmen des Lohnsteuer-Jahresausgleichs 1968 als Werbungskosten (Fortbildungskosten) geltend, nämlich

Miete am Studienort für fünf Monate 640 DM

15 Familienheimfahrten mit eigenem PKW 2 250 DM

notwendige Mehraufwendungen für Verpflegung

86 Tage x 11 DM 946 DM

Aufwendungen für Fachliteratur 416 DM

4 252 DM.

Diese Aufwendungen wurden vom Beklagten und Revisionsbeklagten (FA) nicht als Werbungskosten anerkannt.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das FG führte aus, es handele sich nicht um Fortbildungskosten, sondern um zu den Kosten der allgemeinen Lebensführung zählende Ausbildungskosten. Der Kläger wolle aufgrund eines längeren Studiums an der Höheren Wirtschaftsfachschule sein berufliches Wissen auf betriebswirtschaftlichem Gebiet vertiefen. Er verschaffe sich damit eine Berufsqualifikation, die sich erheblich von der Berufsart abhebe und unterscheide, in der er sich zunächst ausgebildet habe. Ein kaufmännischer Angestellter, der mit der Gehilfenprüfung seine kaufmännische Ausbildung abgeschlossen habe, strebe eine nicht unwesentliche berufliche Änderung an, wenn er seine Berufstätigkeit unterbreche, um ein Vollstudium an einer Höheren Wirtschaftsfachschule aufzunehmen. Wenn auch die mit der bestandenen Prüfung verliehene Berufsbezeichnung "Betriebswirt (grad.)" rechtlich nicht geschützt sei, so schaffe die Prüfung doch die Voraussetzungen für eine vom Kläger angestrebte, mit erweiterten Befugnissen und wirtschaftlichen Erfolgsaussichten verbundene Berufstätigkeit. Ein Beruf, zu dem der Kläger nur unter erschwerten Voraussetzungen, vor allem aufgrund eines längeren Studiums und einer Prüfung, Zugang habe, sei ein anderer Beruf als der, der unter leichteren Bedingungen erreichbar sei. Es komme nicht darauf an, ob das während des Studiums erworbene Wissen dem ausgeübten Beruf eines kaufmännischen Angestellten zugute komme und ob das Wissen auch auf andere Weise erworben werden könne. Entscheidend sei, daß der Studierende durch den Besuch der Fachschule eine Qualifikation für einen angestrebten höheren Beruf erwerben wolle und daß die Aufnahme eines solchen Studiums nicht mehr als übliche Weiterbildung zu verstehen sei.

Der Kläger rügt mit der vom FG zugelassenen Revision Verletzung des § 9 EStG und des § 20 LStDV. Die Höhere Wirtschaftsfachschule umschreibe in dem von ihr herausgegebenen Prospekt ihr Ausbildungsziel folgendermaßen:

"Die Höhere Wirtschaftsfachschule ist eine kaufmännische höhere Fachschule. Sie vermittelt begabten und strebsamen jungen Menschen nach abgeschlossener kaufmännischer Berufsgrundbildung und praktischer kaufmännischer Tätigkeit eine auf wissenschaftlichen Grundlagen beruhende erweiterte und vertiefte Fachund gehobene Allgemeinbildung. Ihr Ziel ist die Formung von Persönlichkeiten, die als Betriebswirte (HWF) gehobene und leitende Stellungen in Wirtschaft und Verwaltung übernehmen können."

Wenn er sich auch nach Abschluß des Studiums als Betriebswirt (grad.) bezeichnen könne, so werde er doch nach wie vor "Industriekaufmann" sein. Er sei auch während der Semesterferien in seinem erlernten Beruf als Industriekaufmann tätig gewesen.

Der Absolvent der Höheren Wirtschaftsfachschule strebe keinen "höheren" Beruf an. Der Industriekaufmann, der nach dem Studium z. B. als Buchhaltungschef in einem größeren Unternehmen tätig sei und vor Aufnahme des Studiums in einem kleineren Betrieb die Buchhaltung betreut habe, habe seinen Beruf nicht gewechselt.

Der BFH habe im Urteil vom 24. August 1962 VI 146/62 U (BFHE 75, 610, BStBl III 1962, 489) Aufwendungen eines Schiffsmaschinenbaugesellen für den Besuch einer Schiffsingenieurschule als Kosten der Berufsfortbildung anerkannt. Dieses Urteil könne im Streitfall zum Vergleich herangezogen werden, da sich die Ingenieurschulen und Höheren Wirtschaftsfachschulen nach Art und Ziel auf dem technischen und dem kaufmännischen Sektor entsprächen. Die Ingenieurschulen entließen den "Ingenieur (grad.)", die Höheren Wirtschaftsfachschulen den "Betriebswirt (grad.)". Die Höhere Wirtschaftsfachschule sei nicht vergleichbar mit einer Berufsaufbauschule, mit der sich der BFH im Urteil vom 4. August 1967 VI R 262/66 (BFHE 90, 21, BStBl III 1967, 774) befaßt habe. Denn die Höhere Wirtschaftsfachschule sei eine fachbezogene Fortbildungsveranstaltung. Zum Besuch des Instituts werde nur der zugelassen, der eine abgeschlossene kaufmännische Ausbildung und darüber hinaus eine mindestens einjährige Tätigkeit im Beruf nachweise.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und der Klage stattzugeben.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sind Fortbildungskosten Werbungskosten im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG, während Ausbildungskosten zu den nicht abzugsfähigen Kosten der Lebensführung im Sinne des § 12 Nr. 1 EStG gehören (vgl. Urteil vom 10. Dezember 1971 VI R 150/70, BFHE 104, 223, BStBl II 1972, 254, und die dort angeführten Entscheidungen des Senats). Diese Unterscheidung hat auch der Gesetzgeber indirekt dadurch bestätigt, daß er durch Art. 1 Nr. 1 Buchst. a des StÄndG 1968 vom 20. Februar 1969 (BGBl I 1969, 141, BStBl I 1969, 116) in § 10 Abs. 1 EStG eine Nr. 9 einfügte, die ab dem Veranlagungszeitraum 1969 die Berufsausbildungskosten in beschränktem Umfang als Sonderausgaben zum Abzug zuläßt.

Nach der neueren Rechtsprechung des BFH gehören die Kosten des Studiums an einer Universität und an einer Hochschule, die ein Steuerpflichtiger mit dem Ziel eines Universitäts- bzw. Hochschulabschlusses besucht, stets zu den Berufsausbildungskosten, und zwar unabhängig davon, ob der Steuerpflichtige das Studium neben dem weiterhin ausgeübten Beruf betreibt oder nicht (vgl. die im Urteil VI R 150/70 zitierten BFH-Entscheidungen sowie die BFH-Urteile vom 10. Dezember 1971 VI R 160/70, BFHE 104, 231, BStBl II 1972, 255, und vom 24. Juli 1973 IV R 27/72, BFHE 110, 265, BStBl II 1973, 817).

Der Senat hat im Urteil VI R 150/70 auch die Kosten des Studiums an einer Ingenieur-Fachschule mit dem Ziel, die Stellung eines grad. Ingenieurs zu erlangen, als Ausbildungskosten gewertet. Wie der Senat damals ausführte, treffen die Gründe, die den BFH veranlaßt haben, Aufwendungen für ein Hochschulstudium stets als Ausbildungsaufwendungen zu beurteilen, auch für Aufwendungen zum Besuch einer Ingenieur-Fachschule zu. Dem grad. Ingenieur kommt im beruflichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben eine Stellung zu, die zwar nicht der des Absolventen einer Technischen Hochschule gleichgestellt werden kann, die sich aber in ähnlicher Weise von anderen Berufstätigkeiten unterscheidet und eine herausgehobene berufliche Position vermittelt. Diese Überlegungen erfordern es, auch den Besuch von Ingenieurschulen stets als Ausbildung zu beurteilen. Es kommt, wie der Senat hervorgehoben hat, nicht darauf an, ob der Steuerpflichtige sein durch die Studien an einer Fachschule erworbenes Wissen auch in seiner derzeitigen Tätigkeit verwerten kann. Bei einem Steuerpflichtigen, der bereits im Berufsleben steht, wird der Besuch einer Fachschule, die zur Stellung eines grad. Ingenieurs führt, in aller Regel auch der ausgeübten Berufstätigkeit förderlich sein. Dieser Gesichtspunkt muß jedoch zurücktreten, wenn mit dem Fachschulbesuch ein so wesentlicher Schritt angestrebt wird, wie ihn der Übergang zur Stellung des grad. Ingenieurs darstellt. Es handelt sich nicht mehr um eine Fortentwicklung in dem ausgeübten Beruf. Die Bildungsmaßnahme stellt vielmehr ihrem wesentlichen Inhalt nach die Ausbildung zu einem anderen, vom bisherigen unterschiedenen Beruf dar.

Der Senat hält an dieser Ansicht fest. Er hat damit im Ergebnis seine frühere im Urteil VI 146/62 U vertretene Ansicht aufgegeben, Aufwendungen für den Besuch einer Schiffsingenieurschule durch einen Schiffsmaschinenbaugesellen seien Kosten der Berufsfortbildung und damit Werbungskosten.

Die Grundsätze, die der Senat im Urteil VI R 150/70 bezuglich der Kosten des Studiums an einer Ingenieur-Fachschule entwickelt hat, gelten in gleicher Weise für die Kosten des Studiums an einer Höheren Wirtschaftsfachschule mit dem Ziel, die Stellung eines grad. Betriebswirts zu erlangen. Gemäß den insoweit zutreffenden Ausführungen des Klägers lassen sich die Ingenieur-Fachschulen und die Höheren Wirtschaftsfachschulen gut miteinander vergleichen, da sie sich nach Art und Zielsetzung entsprechen. Die Absolventen beider Fachschulen erlangen eine einander gleichwertige graduierte Stellung als Ingenieur bzw. als Betriebswirt. Dem grad. Betriebswirt kommt wie das FG zutreffend hervorgehoben hat, im beruflichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben eine gegenüber anderen Berufstätigkeiten hervorgehobene berufliche Stellung zu. Der grad. Betriebswirt ist mehr als ein Kaufmannsgehilfe. Ein solcher beruflicher Aufstieg wird von der Höheren Wirtschaftsfachschule auch beabsichtigt. Gemäß dem von ihr herausgegebenen und vom Kläger zitierten Prospekt ist ihr Ziel "die Formung von Persönlichkeiten, die als Betriebswirte (HWF) gehobene und leitende Stellungen in Wirtschaft und Verwaltung übernehmen können". Es kommt nicht darauf an, ob im Einzelfall der Absolvent der Höheren Wirtschaftsfachschule in denselben früheren Betrieb und Aufgabenkreis als Kostenrechner, Terminplaner, Mitarbeiter im Betrieb usw. zurückkehrt. Entscheidend ist, daß er sich durch das Studium beruflich, gesellschaftlich und wirtschaftlich von seinen früheren Kollegen im Betrieb heraushebt und dadurch bessere berufliche Aufstiegsmöglichkeiten als Abteilungsleiter usw. erhält. Dem steht nicht entgegen, daß er den beruflichen Aufstieg evtl. auch ohne dieses Studium hätte erreichen können. Der Kläger hätte das Studium nämlich nicht ergriffen, wenn er sich davon nicht besondere Vorteile versprochen hätte, sei es gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Art oder sei es des schnelleren beruflichen Fortkommens wegen.

Entgegen der Ansicht des Klägers ist das Studium an der Höheren Wirtschaftsfachschule - wenn auch mit Einschränkungen - mit dem Besuch einer Berufsaufbauschule vergleichbar, deren Kosten der Senat im Urteil VI R 262/66 als Berufsausbildungskosten angesehen hat. Berufsaufbauschulen vermitteln als Schulen des zweiten Bildungsweges Allgemeinwissen und ermöglichen nach erfolgreichem Abschluß den Erwerb eines Reifezeugnisses, das den Weg zum Besuch einer Ingenieurschule und zum Ingenieurexamen eröffnet. Durch den Besuch der Höheren Wirtschaftsfachschule beschreitet man ebenfalls den zweiten Bildungsweg. Durch ihn erwirbt der Absolvent nach dem Prospekt der Höheren Wirtschaftsfachschule neben erweitertem und vertieftem Fachwissen auch "gehobene Allgemeinbildung", nämlich durch Vorlesungen und Übungen in Deutsch, Geschichte und politischer Bildung. Erfolgreichen und für das Hochschulstudium geeigneten Absolventen kann nach einem im Prospekt zitierten Ministerialerlaß auch die Hochschulreife zuerkannt werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70994

BStBl II 1974, 636

BFHE 1974, 490

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