Entscheidungsstichwort (Thema)

Schätzung bei der Hereinnahme von Geldmitteln aus dem Ausland

 

Leitsatz (NV)

Sind angeblich darlehensweise aus dem Ausland hereingenommene Geldmittel als Eigenmittel anzusehen, kommt eine Hinzuschätzung von Einkünften bis zur Höhe dieses Betrags in Betracht. Ist davon auszugehen, daß die Mittel im Ausland während des gesamten Streitzeitraums verzinslich angelegt waren, hat sich die Schätzung auf den Ansatz von Zinsen zu beschränken.

 

Normenkette

AO 1977 § 90 Abs. 2, §§ 160, 162

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) hat in den Jahren 1979 und 1980 Einkünfte aus Gewerbebetrieb (an Mitunternehmerschaften), aus Kapitalvermögen und aus Vermietung und Verpachtung erklärt. Er gab an, am 20. März 1980 bei X, (Schweiz), einen Kredit in Höhe von 220 000 DM aufgenommen zu haben. Nach dem vorgelegten schriftlichen Kreditvertrag verpflichtete sich der Kläger, eine ,,angemessene Sicherstellung für diesen Kredit" zu leisten. Der Kredit sollte bis zum 30. September 1982 laufen; ,,12 % Zinsen pro Jahr zuzüglich 5 % Agio vom Kreditbetrag" sollten bei Rückzahlung in Rechnung gestellt werden. Der Kläger legte die 220 000 DM im Inland als Festgeld an. Diese Anlage diente als Sicherheit für ein Bauvorhaben. Der Kläger soll nach einer schriftlichen Abrechnung des X diesem den Kreditbetrag von 220 000 DM nebst 11 000 DM Agio und 66 073,33 DM Zinsen - insgesamt 297 073,33 DM - am 14. September 1982 zurückgezahlt haben. Das Festgeldkonto wurde am 30. September 1982 durch Barabhebung aufgelöst.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) rechnete nach einer Außenprüfung dem Kläger 1980 sonstige Einkünfte in Höhe des Kreditbetrags von 220 000 DM - unter Berufung auf § 160 der Abgabenordnung (AO 1977) - zu; X sei nach einer Auskunft des Bundesamts für Finanzen lediglich Domizilgeber gewesen. In dem vorbehaltlosen Einkommensteuerbescheid für 1979 wurde demgemäß der Verlustrücktrag aus 1980 um 220 000 DM gekürzt. Der Einspruch blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage im wesentlichen statt: § 160 AO 1977 sei nicht anwendbar (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. März 1988 I R 151/85, BFHE 153, 293, BStBl II 1988, 759). Auch § 162 AO 1977 rechtfertige weder den Ansatz von sonstigen Einkünften im Jahre 1980 in Höhe von 220 000 DM noch die vom FA in der mündlichen Verhandlung vertretene Annahme, der Kläger habe in den Jahren 1977 bis 1979 gewerbliche Einkünfte von 220 000 DM erzielt (davon im Streitjahr 1979 anteilig 1/3). Das FA habe die sonstigen Einkünfte nicht geschätzt, sondern, gestützt auf § 160 AO 1977, fiktiv zugerechnet. Ein Ansatz gewerblicher Einkünfte in den Jahren 1977 bis 1979 sei durch keinerlei Feststellungen gedeckt. Der Kläger habe 1979 gewerbliche Einkünfte lediglich aus Mitunternehmerschaften erzielt. Diese Einkünfte könnten im Folgebescheidverfahren nicht überprüft werden. Die anderen Einkünfte des Klägers ließen nach Art und Höhe eine Hinzuschätzung von 1/3 von 220 000 DM nicht zu. Bei dieser Sachlage habe das FA nach den Regeln der objektiven Beweislast ,,den Nachteil des ungeklärten Vermögenszuwachses im Sinne einer nicht zulässigen Einkünftezurechnung zu tragen" (vgl. BFH-Urteil vom 28. Mai 1986 I R 265/83, BFHE 147, 105, BStBl II 1986, 732). Dem stehe nicht das BFH-Urteil vom 15. Februar 1989 X R 16/86 (BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462) entgegen, weil im Streitfall nur der Privatbereich berührt sei. Dem Kläger seien allerdings im Schätzwege Einkünfte aus Kapitalvermögen zuzurechnen. Der vorgebliche Darlehensbetrag sei in Höhe von etwa 200 000 DM Eigenkapital des Klägers gewesen, das erfahrungsgemäß verzinslich angelegt werde (Zinseinnahmen 1979 16 000 DM, 1980 4 000 DM, Zinssatz 8 %). Auf Grund der vom FA eingeholten Auskünfte - insbesondere des Bundesamts für Finanzen - bestünden keine Zweifel, daß X Repräsentant von schweizerischen Domizilgesellschaften gewesen sei. Der Kläger habe seiner Nachweispflicht aus § 90 Abs. 2 AO 1977 nicht genügt. Er habe es auch unterlassen, Ungereimtheiten der Darlehensabwicklung (fehlende Sicherstellung, Rückzahlung des Darlehens vor Auflösung des Festgeldkontos) aufzuhellen.

Das FA macht mit der Revision u. a. geltend: Das FG habe zu Unrecht die Regeln der objektiven Beweislast für anwendbar gehalten. Es habe verkannt, daß infolge der Verletzung der Mitwirkungspflichten des Klägers die Sachaufklärungspflicht begrenzt und das Beweismaß gemindert worden seien. Soweit ihm, dem FA, eine Verletzung seiner Ermittlungspflicht vorzuwerfen sei, hätte das FG gemäß § 100 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) den Fall zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts zurückverweisen können.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Das FG hat - für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO) - festgestellt, daß der Betrag von 220 000 DM, der dem Kläger 1980 aus der Schweiz zuging und von ihm für eine Festgeldanlage verwendet wurde, aus Eigenmitteln stammte. Das Vorbringen des Klägers, X habe ihm das Geld darlehensweise zur Verfügung gestellt, hat das FG mit eingehender Begründung verworfen. Zulässige und begründete Verfahrensrügen sind insoweit nicht erhoben worden.

Bei dieser Sachlage ist § 160 AO 1977 von vornherein nicht anwendbar (Bauer, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1988, 413). Die Vorschrift will einen Darlehensschuldner für mögliche Steuerverkürzungen des unbenannt gebliebenen Darlehensgläubigers eintreten lassen. Besteht zur Überzeugung des FG kein Darlehensverhältnis, sondern sind als Darlehensvaluta bezeichnete Eigenmittel hereingenommen worden, ist § 160 AO 1977 ohne Bedeutung. Die Vorschrift setzt voraus, daß das behauptete Darlehensverhältnis für bestehend oder zumindest für möglich erachtet wird.

2. Wird eine Darlehensschuld zu Unrecht behauptet, kann dies eine Einkünftekorrektur nach Schätzungsgrundsätzen begründen (§ 162 AO 1977). Bei Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich ist eine passivierte fingierte Darlehensschuld mit der Folge aufzulösen, daß eine Gewinnerhöhung eintritt (BFHE 153, 293, BStBl II 1988, 789 unter 4; unter Bezugnahme auf das BFH-Urteil vom 27. September 1967 I R 231/64, BFHE 90, 255, BStBl II 1968, 67).

Der Betriebsprüfer - und ihm zunächst folgend das FA - hat den Ansatz von sonstigen Einkünften in Höhe der angeblichen Darlehenssumme von 220 000 DM im Jahre 1980 damit begründet, die angezogene Rechtsprechung führe ,,analog" auch bei ,,Nichtanerkennung des im Privatvermögen aufgenommenen Darlehens zu Einkünften". Diese Auffassung ist, wovon inzwischen auch das FA ausgeht, unzutreffend. Es fehlt dem Privatbereich eine dem § 4 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vergleichbare Vorschrift, auf die sich bei Vermögenserhöhung durch Wegfall einer Schuld eine Erhöhung auch der Einkünfte stützen ließe.

Diese Überlegung schließt nicht aus, daß die zutage getretenen Eigenmittel von 220 000 DM aus nicht erklärten Einkünften betrieblicher oder/und nicht betrieblicher Art angesammelt wurden. Erweist sich die Behauptung, es bestehe eine Darlehensschuld, als unzutreffend, so gibt dies generell Anlaß, die Einkommensverhältnisse zu überprüfen und möglicherweise Einkünfte bis zur Höhe des angeblichen Darlehensbetrags hinzuzuschätzen.

3. Der I. Senat des BFH hat für den Fall der Aufdeckung privater Vermögenswerte (Sparguthaben) ausgesprochen, eine Hinzuschätzung der Guthabenbeträge zum Gewinn eines vom Steuerpflichtigen unterhaltenen Betriebs mit formell ordnungsmäßiger Buchführung komme regelmäßig nur dann in Betracht, wenn der ungeklärte Vermögenszuwachs mit Hilfe einer Vermögenszuwachs- oder Geldverkehrsrechnung aufgedeckt werde; andernfalls müsse nach Beweislastgrundsätzen eine Hinzuschätzung unterbleiben (in BFHE 147, 105, BStBl II 1986, 732 und Urteil vom 1. Juli 1987 I R 284-286/83, BFH/NV 1988, 12). Der erkennende Senat hat dem Umstand Bedeutung beigemessen, ob der Steuerpflichtige an der Aufklärung des Vermögenszuwachses in ausreichendem Maße mitgewirkt hat; fehle es hieran, komme zumindest bei einer Einlage des aufgedeckten privaten Vermögenswerts unbeschadet der Erstellung einer Vermögenszuwachs- oder Geldverkehrsrechnung eine Gewinnhinzuschätzung auch bei formell ordnungsmäßiger Buchführung in Betracht; eine Verletzung abgabenrechtlicher Mitwirkungspflichten lasse im Schätzungsverfahren Schlüsse zum Nachteil des Steuerpflichtigen zu, das Beweismaß mindere sich (in BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462).

Der Streitfall gibt keinen Anlaß, die Frage zu vertiefen, ob die Rechtsprechung des erkennenden Senats, wie das FA meint, auch auf Fälle zu erstrecken sei, in denen der aufgedeckte private Vermögenswert nicht eingelegt worden ist. Der Senat hat sich hierzu die Prüfung vorbehalten, ob zum Schutze der Privatsphäre des Steuerpflichtigen generelle Grenzen der Sachaufklärung und damit auch der Mitwirkung des Steuerpflichtigen bestehen (BFHE 156, 38, 44, BStBl II 1989, 462, unter 5 b aa). Andererseits macht der I. Senat eine Gewinnschätzung nur ,,in der Regel" von einer Vermögenszuwachs- oder Geldverkehrsrechnung abhängig. Auch nach Auffassung dieses Senats dürfte eine Gewinnschätzung dann zulässig sein, wenn eine andere Schätzungsmethode einen zuverlässigen Schluß von dem ungeklärten privaten Vermögenszuwachs auf eine Gewinnverkürzung zuläßt.

Für die Annahme des FA, der Darlehensbetrag könne auf nichtversteuerten gewerblichen Einkünften beruhen, fehlen hinreichende Anhaltspunkte. Soweit das FA auf die gewerblich tätigen Personengesellschaften hingewiesen hat, an denen der Kläger beteiligt war, ist schon nach dem Vortrag des FA nicht ersichtlich, in welcher Gesellschaft die behauptete Gewinnverkürzung stattgefunden habe oder wie sie sich auf mehrere dieser Gesellschaften verteilen könnte. Davon abgesehen müßte über die Gewinnverkürzung, wie das FG zu Recht anführt, in den Grundlagenverfahren der konkret betroffenen Personengesellschaft(en) befunden werden; das anhängige Folgeverfahren wäre auszusetzen, eine Beiladung der Personengesellschaft(en) ist vom Gesetz nicht vorgesehen. Eine gewerbliche Vermittlung von Kapitalanlagen (in einem gesonderten Einzelunternehmen), wie sie das FA in der Revisionsbegründung zum zweiten als ,,naheliegend" herausstellt, wird nicht einmal in Konturen erkennbar, geschweige, daß eine Betriebsstätte angegeben werden könnte. Auch wäre zu bedenken, daß eine solche gewerbliche Tätigkeit, wenn sie in der Schweiz ausgeübt worden sein sollte, nach Art. 7, Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 a des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen von der deutschen Besteuerung auszunehmen wäre.

4. Zutreffend hat das FG, nachdem es die Schätzung des FA für fehlerhaft hielt, von seiner eigenen Schätzungsbefugnis in nicht zu beanstandender Weise Gebrauch gemacht. Es hat, eine Anregung des FA aufgreifend, angenommen, daß der Kläger 1979 und 1980 (bis März) Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt hat. Das FA hatte geltend gemacht, es seien Zinseinnahmen für 1979 von 20 000 DM und für 1980 von 5000 DM angefallen; dabei sei ,,von einer Verzinsung des angesammelten Kapitals (durchschnittlicher Kapitalstand im Kalenderjahr 1980 ca. 200 000 DM) in Höhe von 10 % auszugehen". Von dieser Vorstellung ist das FG lediglich insofern geringfügig abgewichen, als es einen Zinssatz von 8 % für ausreichend erachtet und einen Kapitalstand von 200 000 DM auf den Beginn des Jahres 1979 angenommen hat; damit ergab sich, auch rechnerisch folgerichtig, ein Anwachsen auf die Kapitalsumme von 220 000 DM im Zeitpunkt der Festgeldanlage.

Diese Schätzung, die das FA im Revisionsverfahren nicht angegriffen hat, läßt keinen Raum für die vom FA in der Revisionsbegründung in den Vordergrund gestellte Annahme, die Kapitalsumme stamme teilweise aus gewerblichen Einkünften des Jahres 1979. Denn: befand sich die Kapitalsumme ab 1. Januar 1979 im Privatvermögen und verzinste sich hier, kann sie in 1979 nicht gleichzeitig - auch nicht anteilig - in einem Gewerbebetrieb erwirtschaftet und aus diesem entnommen worden sein. Es bleibt allenfalls noch Raum für die Annahme, daß die zu Beginn des Jahres 1979 mit 200 000 DM valutierende Kapitalsumme vor dem 1. Januar 1979 in einem Betriebsvermögen erwirtschaftet worden sein könnte. Dieser Zeitraum steht jedoch außerhalb des Streitzeitraums.

5. § 90 Abs. 2 AO 1977 rechtfertigt keine andere Beurteilung. Danach trifft den Kläger deswegen, weil er das Geld aus dem Ausland hereingenommen hat, eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Das FG hat dem Kläger eine Verletzung dieser Vorschrift entgegengehalten und hierauf seine Überzeugung gestützt, daß die vorgeblichen Darlehensmittel Eigenmittel waren. Es hat ferner wegen Verletzung dieser Mitwirkungspflicht einen Teilbetrag von 20 000 DM der ,,Darlehenssumme" als Einkünfte aus Kapitalvermögen aufgefaßt. Diese Schätzung ist, wie dargelegt, vertretbar und eine ausreichende Rechtsfolge i. S. des § 162 Abs. 2 Satz 1, § 90 Abs. 2 AO 1977.

 

Fundstellen

Haufe-Index 64072

BFH/NV 1992, 439

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