Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschäftsführerhaftung - Ermessensbetätigung des FA

 

Leitsatz (NV)

1. Zu den lohnsteuerlichen Pflichten des Geschäftsführers einer GmbH.

2. Zur Ermessensbetätigung des FA bei der Inanspruchnahme eines GmbH-Geschäftsführers für nicht einbehaltene, angemeldete und abgeführte Lohnsteuern auf Aushilfslöhne und zur Begründung der Ermessensentscheidung.

3. In Fällen, in denen die Lohnsteuer nicht vom Arbeitslohn des Arbeitnehmers einbehalten worden ist, kann das FA sich wegen seiner Nachforderung sowohl an den Arbeitnehmer als Steuerschuldner als auch an den Arbeitgeber als Haftungsschuldner halten. Steuerschuldner und Haftungsschuldner sind Gesamtschuldner. Die Wahl ist nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen.

4. Die bei der Inanspruchnahme des Haftungsschuldners zu treffende Ermessensentscheidung kann im Rahmen der gerichtlichen Prüfung nur dann als rechtmäßig angesehen werden, wenn das FA bei seiner Entscheidung von dem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist.

5. Zur Haftung des GmbH-Geschäftsführers für die pauschale Lohnsteuer nach § 40 Abs. 1 EStG.

 

Normenkette

AO §§ 103, 109, 118 S. 1; FGO § 102

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war Geschäftsführer einer GmbH, die wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht worden ist. Anläßlich einer für die Zeit vom 1. Januar 1971 bis zum 16. November 1976 durchgeführten Lohnsteueraußenprüfung stellte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) fest, daß für von der GmbH gezahlte Aushilfslöhne keine Steuerabzugsbeträge abgeführt worden waren. Entgelte für Büroreinigung, Bürohilfen, Bauhilfsarbeiten und Schlosserhilfsarbeiten waren lohnsteuerlich nicht berücksichtigt worden. Da Unterlagen über ausgezahlte, aber nicht versteuerte Aushilfslöhne nur für kurze Zeiträume vorlagen, nahm das FA auf der Grundlage der vorgefundenen Unterlagen eine Hinzuschätzung vor, indem es die sich daraus ergebenden Beträge zeitlich hochrechnete. Die auf diesem Wege geschätzte Bemessungsgrundlage (55 132,19 DM) unterwarf es pauschal einem Lohnsteuersatz von 25 v. H. Aufgrund dieser Feststellungen nahm das FA den Kläger mit Haftungsbescheid vom 20. Dezember 1977 für Lohnsteuern 1971 bis 1975 in Höhe von 13 783,05 DM in Anspruch.

Mit der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage behauptete der Kläger erstmals, etwa 80 v. H. der nicht versteuerten Aushilfslöhne seien an den damaligen Buchhalter K gezahlt worden. K habe sich selbst sein eigenes Arbeitsentgelt brutto, d. h. ohne Abzug von Lohnsteuern ausgezahlt. Hinsichtlich der Lohnsteuer für diesen Arbeitslohn, der insgesamt 30 250 DM betragen habe, sei es ermessenswidrig, ihn - den Kläger - als Haftenden in Anspruch zu nehmen. Vielmehr müsse das FA insoweit K als den Steuerschuldner im Wege der Veranlagung zur Einkommensteuer heranziehen.

Außerdem sei die Schätzung der nicht versteuerten Aushilfslöhne für das Jahr 1973 falsch. Das FA habe nicht die anhand der vorgefundenen Unterlagen für dreieinhalb Monate in Höhe von 6 591 DM festgestellten Aushilfslöhne auf zwölf Monate hochrechnen dürfen. Denn die festgestellten Aushilfslöhne bezögen sich auf den Arbeitnehmer K, der im Jahre 1973 nur drei Monate tätig gewesen sei. Die Summe der nicht versteuerten Aushilfslöhne betrage somit lediglich 39 125 DM, von denen 30 250 DM auf K entfielen. Er könne deshalb nur für die Lohnsteuer hinsichtlich der restlichen Aushilfslöhne in Höhe von 8 875 DM als Haftender in Anspruch genommen werden.

Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hob durch Urteil den Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung dem Antrag des Klägers entsprechend in Höhe von 11 564,30 DM auf. Zur Begründung führte es aus:

Der Haftungsbescheid sei rechtswidrig, weil das FA es unterlassen habe, sein Ermessen auszuüben, ob für die streitigen Lohnsteuern der Arbeitnehmer K als Steuerschuldner oder der Kläger als Vertreter des Arbeitgebers in Anspruch zu nehmen sei (Ermessensunterschreitung). Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) handele es sich beim Erlaß von Haftungsbescheiden um eine zweigliedrige Entscheidung (Urteil vom 13. April 1978 V R 109/75, BFHE 125, 126, BStBl II 1978, 508). Das FA habe zunächst zu prüfen, ob die Person, die es zur Haftung heranziehen wolle, die tatbestandlichen Voraussetzungen erfülle. Insoweit handele es sich um eine vom Gericht in vollem Umfang überprüfbare Rechtsentscheidung. Daran anschließend müsse das FA außerdem eine Entscheidung darüber treffen, ob es den Haftenden in Anspruch nehmen oder sich an den Steuerschuldner halten wolle. Diese Entscheidung stelle eine Ermessensentscheidung dar, die vom Gericht nur im Rahmen des § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) überprüft werden könne. Komme das FG zu der Feststellung, daß das FA sein Ermessen nicht ausgeübt habe, so sei der Haftungsbescheid fehlerhaft und müsse aufgehoben werden.

Der angefochtene Haftungsbescheid sei allerdings nicht deshalb zu beanstanden, weil ihn das FA seinerzeit ohne irgendwelche Ausführungen zum Ermessen erlassen habe. Denn zu diesem Zeitpunkt habe es davon ausgehen können, daß es sich um einen der üblichen Lohnsteuerhaftungsfälle handele, in denen der Haftende die Lohnsteuer zwar einbehalten, aber nicht abgeführt habe. In diesen Fällen sei davon auszugehen, daß das FA sein Ermessen ausreichend ausgeübt habe, auch wenn die zugrunde liegenden Erwägungen nicht schriftlich festgehalten seien. Denn die zu treffende Ermessensentscheidung sei hier derart stark vorgeprägt, daß individuelle Gesichtspunkte des Einzelfalles keine Rolle spielten.

Nach der angeführten Entscheidung des BFH sei jedoch dem angefochtenen Bescheid der Boden entzogen, wenn das Klageverfahren aufgrund neuer tatsächlicher Feststellungen zu anderen Voraussetzungen für die Ermessensentscheidung führe und diese eine dem Kläger günstigere Entscheidung ermöglichten. Diese Voraussetzungen seien im Streitfall erfüllt, da der Kläger im Klageverfahren erstmals einen Sachverhalt vorgetragen habe, aufgrund dessen das Ermessen - möglicherweise - anders auszuüben sei und nicht der Kläger selbst, sondern der bei der GmbH angestellte Arbeitnehmer K in Anspruch genommen werden müsse. Nach dem Vortrag des Klägers habe sich der Buchhalter K die ihm zustehenden Löhne ohne Abzug von Lohnsteuern ausgezahlt und ihm als Geschäftsführer der Arbeitgeberin davon keinerlei Kenntnis gegeben. In solchen Fällen sei nach den in Abschn. 110 Abs. 7 der Lohnsteuer-Richtlinien 1975 (LStR 1975) enthaltenen Grundsätzen zur Ausübung des Ermessens grundsätzlich nicht der Arbeitgeber bzw. sein Vertreter als Haftender, sondern der Arbeitnehmer als Schuldner in Anspruch zu nehmen. Aufgrund des im Klageverfahren vorgetragenen Sachverhalts müsse der Haftungsbescheid daher aufgehoben und dem FA erneut Gelegenheit zur Ausübung seines Ermessens gegeben werden.

Allerdings sei dem FA einzuräumen, daß noch nicht in jeder Hinsicht feststehe, ob der vom Kläger vorgetragene Sachverhalt richtig sei. Das Gericht habe aber immerhin in den vom Kläger eingereichten Buchführungsunterlagen der GmbH die von diesem behaupteten Zahlungen in Höhe von 125 DM bzw. 250 DM je Woche für ,,Bürotätigkeiten" finden können. Insofern komme es daher zur Beurteilung des Sachvortrags des Klägers vor allem darauf an, ob diese Beträge in den vom FA festgestellten nicht versteuerten Aushilfslöhnen tatsächlich zu 80 v. H. enthalten seien. Denn nur in diesem Fall könne davon ausgegangen werden, daß auch in dem im Wege der Schätzung hochgerechneten Betrag der nicht versteuerten Aushilfslöhne die an den Arbeitnehmer K für Bürotätigkeiten gezahlten Löhne zu 80 v. H. enthalten seien. Da die Frage, zu welchem Prozentsatz diese Löhne in dem vom FA seiner Schätzung zugrunde gelegten Betrag enthalten seien, letztlich nur vom FA selbst - etwa durch Befragen seines Außenprüfers und Einsichtnahme in dessen Prüfungsunterlagen - beantwortet werden könne, überlasse das Gericht die insofern noch vorzunehmende Aufklärung des Sachverhalts dem FA. Dabei werde das FA ggf. auch zu prüfen haben, ob der Kläger mit dem Arbeitnehmer K etwa eine Nettolohnvereinbarung getroffen habe.

Mit der Revision rügt das FA eine Verletzung der §§ 76, 102 FGO und § 109 der Reichsabgabenordnung (AO) durch das FG. Das FG hätte den Haftungsbescheid nicht aufheben dürfen, ohne die Sache aufzuklären. Wie das angefochtene Urteil zutreffend ausführe, sei im Rahmen der zweigliedrigen Entscheidung zunächst eine Rechtsentscheidung über die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen der Haftung zu treffen. Diese Entscheidung sei gerichtlich voll überprüfbar und unterliege damit der Amtsermittlung gemäß § 76 Abs. 1 FGO. Das FG hätte sich daher nicht mit der Behauptung des Klägers begnügen dürfen, die er erstmals im Klageverfahren vorgetragen habe und von der das FG selbst als noch nicht erwiesen ausgehe. Da im Urteil die tatsächlichen Voraussetzungen der Haftung als zweifelhaft bezeichnet würden, hätte das FG nicht in die Überprüfung der Ermessensentscheidung eintreten dürfen.

Anläßlich der Lohnsteueraußenprüfung sei festgestellt worden, daß die GmbH für eine Vielzahl von Arbeitnehmern, die als Bürohilfen, Büroreinigungen, Bauhilfsarbeiter und Schlosserhilfsarbeiter tätig gewesen seien, den gesetzlich vorgeschriebenen Steuerabzug nicht vorgenommen habe. Nach einer Hinzuschätzung im Wege der Hochrechnung der festgestellten Aushilfslöhne sei die Lohnsteuer gemäß § 35b Abs. 1 Nr. 2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) 1971 bzw. § 40 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1975 im Wege der Pauschalierung errechnet worden. Steuerschuldner für die so ermittelte Lohnsteuer sei allein der Arbeitgeber. Ein Auswahlermessen für die Inanspruchnahme sei nicht gegeben. Das FG habe das neue Vorbringen des Klägers im Klageverfahren, daß 80 v. H. der vom FA ermittelten Aushilfslöhne auf den Buchhalter K entfielen, ohne Sachverhaltsaufklärung zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht, daß - möglicherweise - eine andere Ermessensentscheidung zu treffen sei.

Das FA beantragt, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Entscheidung über die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners zweigliedrig ist (BFHE 125, 126, BStBl II 1978, 508). Zunächst hat das FA zu prüfen, ob in der Person oder in den Personen, die es heranziehen will, die tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftung erfüllt sind. Zutreffend führt das FG aus, daß es sich insoweit um eine vom Gericht in vollem Umfang überprüfbare Rechtsentscheidung handelt. Daran anschließend hat das FG eine nur im Rahmen des § 102 FGO überprüfbare Ermessensentscheidung zu treffen, ob es den nach den gesetzlichen Vorschriften Haftenden in Anspruch nehmen will (§ 118 AO, § 191 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -).

a) Die gesetzlichen Voraussetzungen der Haftung des Klägers als Geschäftsführer einer GmbH für deren steuerliche Verbindlichkeiten ergeben sich aus den §§ 103, 109 Abs. 1 AO, die auf vor dem 1. Januar 1977 begründete Haftungstatbestände, um die es im Streitfall geht, weiterhin Anwendung finden (Art. 97 § 11 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 -). Nach § 103 AO i.V.m. § 35 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) hatte der Kläger alle Pflichten zu erfüllen, die der GmbH als Arbeitgeberin beim Lohnsteuerabzug oblagen, insbesondere bei jeder Lohnzahlung die Lohnsteuer für die Arbeitnehmer einzubehalten, diese dem FA anzumelden und sie an das FA abzuführen (§ 41 Abs. 1 EStG i.d.F. bis 1974, § 44 LStDV 1971, § 38 Abs. 3, § 41a Abs. 1 EStG 1975). Dieser Verpflichtung ist er hinsichtlich der von der GmbH gezahlten Aushilfslöhne, die bei der Lohnsteueraußenprüfung festgestellt worden sind, nicht nachgekommen.

Soweit durch schuldhafte Verletzung dieser Pflichten Steueransprüche verkürzt worden sind, haftet der Kläger nach § 109 Abs. 1 AO persönlich neben dem Steuerpflichtigen. Das FG ist offensichtlich von einer schuldhaften Pflichtverletzung des Klägers ausgegangen. Denn es hat den Haftungsbescheid hinsichtlich der Lohnsteuer, die nach dem Vorbringen des Klägers auf Arbeitsentgelte entfiel, die an den Arbeitnehmer K gezahlt worden sind, nicht mangels Verschulden des Klägers, sondern wegen fehlender Ermessensbetätigung des FA aufgehoben. Diese Wertung des FG stimmt überein mit der des Klägers, der seine Haftung für die Lohnsteuer für Aushilfslöhne, die an andere Arbeitnehmer gezahlt worden sind, einräumt und hinsichtlich der auf die Zahlungen an K entfallenden Steuern seine Inanspruchnahme als Haftender lediglich als ermessenswidrig ansieht. Der erkennende Senat braucht deshalb die Frage des Verschuldens des Klägers nicht zu vertiefen. Da ein entschuldbarer Rechtsirrtum oder sonstige verschuldensausschließende Umstände im Zusammenhang mit der Einbehaltung und Abführung der auf die gezahlten Aushilfslöhne entfallenden Lohnsteuer weder vorgetragen noch ersichtlich sind, hat der Kläger diese Steueransprüche durch eine zumindest grob fahrlässige Verletzung der ihm obliegenden steuerlichen Verpflichtungen verkürzt. Denn er mußte als Geschäftsleiter eines Unternehmens die Verpflichtung zur Einbehaltung und Abführung auch der auf Aushilfslöhne entfallenden Lohnsteuer kennen und beachten. Das gilt auch dann, wenn der Buchhalter K sich selbst sein Arbeitsentgelt ohne Einbehaltung und Abführung von Lohnsteuer ausbezahlt haben sollte. In diesem Falle hätte der Kläger, da ein Zeitraum von nahezu sechs Jahren zur Beurteilung steht, seine ihm als Geschäftsführer der GmbH obliegenden Kontroll- und Überwachungsfunktionen grob vernachlässigt und dadurch die eingetretene Steuerverkürzung verursacht.

b) Wie oben ausgeführt, handelt es sich bei der Inanspruchnahme einer Person, die die Voraussetzungen der §§ 103, 109 Abs. 1 AO erfüllt, als Haftungsschuldner um eine der richterlichen Nachprüfung gemäß § 102 FGO unterliegende Ermessensentscheidung. Ermessensentscheidungen der Verwaltung sind zu begründen; anderenfalls sind sie im Regelfall fehlerhaft (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 3. Februar 1981 VII R 86/78, BFHE 133, 1, BStBl II 1981, 493). Das gilt jedoch nicht für Ermessensentscheidungen, deren Begründung auf der Hand liegt (vgl. § 121 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977). Auch die Vorinstanz geht davon aus, daß es im Regelfall der Haftung des Geschäftsführers für die von der GmbH einzubehaltende und abzuführende Lohnsteuer einer besonderen Begründung der Ermessensentscheidung nicht bedarf. In diesen Fällen wird durch die im Rahmen des § 109 AO bei der Haftung zu treffende Rechtsentscheidung die Ermessensentscheidung (§ 118 AO) in gewisser Weise vorgeprägt. Bei schwereren Verschuldensformen als leichte Fahrlässigkeit, die bei dem pflichtwidrig handelnden GmbH-Geschäftsführer meist vorliegt, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, daß das FA stillschweigend von seinem Ermessen sachgerecht Gebrauch gemacht hat. Die Verwaltung braucht dann die die Ermessensentscheidung bestimmenden Erwägungen nicht ausdrücklich in den Bescheid oder die Einspruchsentscheidung aufzunehmen (BFHE 125, 126, BStBl II 1978, 508). Da auch der Kläger die auf die Aushilfslöhne entfallende Lohnsteuer zumindest grob fahrlässig nicht einbehalten und an das FA abgeführt hat, wäre nach diesen Grundsätzen seine Inanspruchnahme als Haftungsschuldner nicht ermessenswidrig und eine besondere Begründung der Ermessensentscheidung durch das FA entbehrlich.

Das FG hat aber eine fehlerhafte Ermessensentscheidung des FA, die zur teilweisen Aufhebung des Haftungsbescheids führte, darin gesehen, daß dieses bei seiner Entscheidung den Sachverhalt hinsichtlich der auf den Buchhalter K entfallenden Aushilfslöhne, der sich erst im Klageverfahren ergeben habe, nicht berücksichtigt habe. Es trifft zu, daß in den Fällen, in denen die Lohnsteuer nicht nur nicht abgeführt, sondern auch vom Arbeitslohn der Arbeitnehmer nicht einbehalten worden ist, das FA sich wegen seiner Nachforderung sowohl an den Arbeitnehmer als den Steuerschuldner (§ 38 Abs. 4 Satz 1 EStG i.d.F. bis 1974, § 38 Abs. 2 EStG 1975) als auch an den Arbeitgeber als Haftungsschuldner (§ 38 Abs. 4 Satz 2 EStG i.d.F. bis 1974, § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG 1975) halten kann. Zwischen dem Steuerschuldner und dem Haftungsschuldner besteht ein Gesamtschuldverhältnis (§ 7 Abs. 1 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -). Für das Verhältnis der Inanspruchnahme des Arbeitnehmers oder des Arbeitgebers hat der für die Lohnsteuer zuständige VI. Senat des BFH in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß das FA die Wahl, an welchen Gesamtschuldner es sich halten will (§ 7 Abs. 3 StAnpG), nach pflichtgemäßem Ermessen unter Beachtung der durch Recht und Billigkeit gezogenen Grenzen zu treffen hat (Urteile vom 5. April 1974 VI R 110/71, BFHE 112, 463, BStBl II 1974, 664, und vom 5. November 1974 VI R 167/73, BFHE 114, 342, BStBl II 1975, 297, m.w.N.). Das gilt auch für das Verhältnis der Inanspruchnahme des Arbeitnehmers und der den Arbeitgeber vertretenden Personen als Haftungsschuldner nach den §§ 103 bis 109 AO. Dem FG ist schließlich auch zuzugeben, daß unter Ermessensgesichtspunkten die Inanspruchnahme eines Arbeitnehmers als Steuerschuldner, der sich selbst heimlich den Arbeitslohn brutto ohne Steuereinbehalt ausgezahlt hat, vor dem Arbeitgeber oder dessen gesetzlichem Vertreter sachgerecht erscheint. Der erkennende Senat gelangt aber im Streitfall zu dem Ergebnis, daß das FG die Voraussetzungen, unter denen eine Ermessensentscheidung der Verwaltung als fehlerhaft anzusehen ist, verkannt hat.

2. Die bei der Inanspruchnahme des Haftungsschuldners zu treffende Ermessensentscheidung kann im Rahmen der gerichtlichen Prüfung nach § 102 FGO nur dann als rechtmäßig angesehen werden, wenn das FA bei seiner Entscheidung von dem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist. Daraus folgt umgekehrt, daß das FG den Haftungsbescheid nur dann wegen Ermessensunterschreitung aufheben darf, wenn feststeht, daß das FA wesentliche für die Ermessensentscheidung maßgebliche Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht berücksichtigt hat. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, kann nach den Feststellungen im Urteil der Vorinstanz nicht abschließend beurteilt werden. Das FG meint zwar, dem angefochtenen Bescheid sei der Boden entzogen, weil aufgrund neuer tatsächlicher Feststellungen im Klageverfahren die Voraussetzungen für eine dem Kläger möglicherweise günstigere Ermessensentscheidung gegeben seien. Es hat aber die neuen Tatsachen, die die Inanspruchnahme des Arbeitnehmers K als Steuerschuldner als möglich erscheinen lassen, nicht selbst festgestellt, sondern sich insoweit lediglich auf das neue Vorbringen des Klägers im Klageverfahren berufen.

Das FG räumt selbst ein, daß noch nicht feststehe, ob der vom Kläger vorgetragene Sachverhalt hinsichtlich des Arbeitnehmers K richtig sei. Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Das FG hätte somit selbst feststellen müssen, ob der Vortrag des Klägers zutrifft, daß sich der Buchhalter K seine ihm zustehenden Löhne ohne Abzug von Lohnsteuer ausbezahlt und dem Kläger hiervon keine Kenntnis gegeben hat. Denn sollte das nicht der Fall sein, so wäre die Ermessensentscheidung des FA nicht zu beanstanden und für die Aufhebung des angefochtenen Haftungsbescheids kein Raum. In den ihm vorgelegten Buchführungsunterlagen, aus denen wöchentliche Zahlungen an K in Höhe von 125 DM bzw. 250 DM hervorgingen, hat das Gericht selbst nur Anhaltspunkte für den ihm vorgetragenen Sachverhalt gesehen. Da das FG ohne eigene Sachverhaltsfeststellungen zu den Zahlungen an K allein auf den Vortrag des Klägers hin den Haftungsbescheid des FA in der Gestalt der Einspruchsentscheidung im wesentlichen aufgehoben hat, beruht das Urteil auf einem Rechtsfehler. Denn neues tatsächliches Vorbringen des Klägers im Klageverfahren reicht nicht aus, um eine Ermessensentscheidung fehlerhaft zu machen.

Die vorstehenden Ausführungen gelten sinngemäß auch hinsichtlich des Umfangs, in dem das FG den angefochtenen Haftungsbescheid aufgehoben hat. Insoweit hat es seiner Entscheidung ohne jede eigene Sachverhaltsermittlung die Behauptung des Klägers zugrunde gelegt, daß 80 v. H. der nicht versteuerten Aushilfslöhne an den Arbeitnehmer K ausgezahlt worden seien und daß dieser im Jahre 1973 nur drei Monate gearbeitet habe, so daß für dieses Jahr eine zeitliche Hochrechnung der festgestellten Aushilfslöhne entfalle. Von der Richtigkeit dieser Behauptung kann bei der Entscheidung über die Revision auch deshalb nicht ausgegangen werden, weil nach den eigenen Feststellungen des FG die Aushilfslöhne für verschiedenartige Tätigkeiten (Büroreinigungen, Bürohilfen, Bauhilfsarbeiten und Schlosserhilfsarbeiten) gezahlt worden sind und das FG selbst ausführt, daß der vom Kläger angegebene Vomhundertsatz nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen zutreffen könne. Das FG durfte die ihm nach § 76 Abs. 1 FGO obliegende Sachaufklärung nicht unter Aufhebung der Verwaltungsentscheidungen dem FA übertragen. Denn einen vom FA begangenen wesentlichen Verfahrensmangel, der nach § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dieses Verfahren rechtfertigen könnte, konnte es schon deshalb nicht feststellen, weil der zur Aufhebung des Haftungsbescheids führende Sachverhalt erstmals im Klageverfahren behauptet worden war. Da der Senat als Revisionsgericht nicht befugt ist, die vom FG unterlassene Tatsachenfeststellung selbst zu treffen, war die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

3. Das FG wird bei seiner neuerlichen Entscheidung folgendes zu beachten haben:

a) Zur Feststellung des Ermessensrahmens, der dem FA bei der Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner eingeräumt war, kommt es darauf an, ob und inwieweit dieses auch den Buchhalter K als Steuerschuldner in Anspruch nehmen konnte. Hierfür hat das Gericht den im Klageverfahren neu vorgetragenen Sachverhalt umfassend zu ermitteln (§ 76 Abs. 1 FGO). Soweit der Sachverhalt nicht mehr aufklärbar sein sollte, sind die Grundsätze über die Verteilung der Beweislast (Feststellungslast) im Steuerprozeß zu beachten (vgl. hierzu Urteil des erkennenden Senats vom 7. Juli 1983 VII R 43/80, BFHE 138, 527, BStBl II 1983, 760, m.w.N.).

b) Im Streitfall ist die Lohnsteuer mit einem Pauschsteuersatz festgesetzt und vom Kläger durch Haftungsbescheid nachgefordert worden, für dessen Anwendung das FA sich auf § 35b Abs. 1 Nr. 2 LStDV 1971 und § 40 Abs. 1 Nr. 2 EStG 1975 beruft. Nach der Rechtsprechung des VI. Senats des BFH muß bei der Inanspruchnahme eines Arbeitgebers für von ihm nicht einbehaltene und nicht abgeführte Lohnsteuer zwischen der vom Arbeitgeber geschuldeten pauschalen Lohnsteuer i. S. des § 40 Abs. 1 EStG 1975 und der Haftung des Arbeitgebers nach § 42d EStG für die von den Arbeitnehmern geschuldete individuelle Lohnsteuer unterschieden werden. Die pauschale Lohnsteuer i. S. des § 40 Abs. 1 EStG 1975 ist, anders als die individuelle Lohnsteuer, keine Einkommensteuer, sondern eine Unternehmenssteuer eigener Art. Sie wird vom Arbeitgeber geschuldet (§ 40 Abs. 3 Satz 2 EStG 1975) und ist durch Steuerbescheid gegen diesen festzusetzen (BFH-Urteile vom 5. November 1982 VI R 219/80, BFHE 137, 46, BStBl II 1983, 91; vom 28. Januar 1983 VI R 35/78, BFHE 138, 188, BStBl II 1983, 472, und Beschluß vom 29. April 1983 VI S 10/82, BFHE 138, 379, BStBl II 1983, 517). Sollte das FA den Kläger als Geschäftsführer für diese von der GmbH als Arbeitgeberin geschuldete pauschalierte Lohnsteuer in Anspruch genommen haben, so wäre für ein Auswahlermessen im Hinblick auf eine auch mögliche Heranziehung des Arbeitnehmers K kein Raum, weil dieser nicht Schuldner dieser Steuer wäre. Das FG hat dazu keine Feststellungen getroffen; es wird in seiner erneuten Entscheidung auch darauf eingehen müssen.

Soweit der Sachverhalt nach dem Urteil der Vorinstanz bekannt ist, spricht allerdings mehr dafür, daß der Kläger für die von den Arbeitnehmern geschuldete individuelle Lohnsteuer in Anspruch genommen werden sollte und diese nur aus Vereinfachungsgründen in Anlehnung an die Pauschalierungsvorschriften der § 35b LStDV 1971, § 40 Abs. 1 EStG 1975 mit einem Durchschnittsteuersatz festgesetzt worden ist. Denn es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß die Voraussetzungen für eine Festsetzung der Lohnsteuer mit einem Pauschsteuersatz nach § 40 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 EStG 1975 (Antrag und Übernahme der pauschalen Lohnsteuer durch den Arbeitgeber) vorlagen.

c) Für den Fall, daß der vom Kläger behauptete Sachverhalt hinsichtlich des Arbeitnehmers K zutrifft, wird das FG prüfen müssen, zu welchem Anteil die der Lohnsteuernachforderung zugrunde gelegten Aushilfslöhne auf Zahlungen an K entfallen. Dabei muß nicht, wie das FG in der Vorentscheidung meint, der auf K entfallende Vomhundertsatz der von der Lohnsteueraußenprüfung festgestellten Aushilfslöhne mit dessen Anteil an den hochgerechneten Aushilfslöhnen übereinstimmen. Denn die aufgrund fehlender Unterlagen bestehende Dunkelziffer kann für die auf K und die auf die anderen Arbeitnehmer entfallenden nicht versteuerten Löhne unterschiedlich hoch sein.

d) Nach den Ausführungen des FG ist es schließlich auch denkbar, daß mit dem Buchhalter K eine Nettolohnvereinbarung getroffen worden ist. Auch bei dieser bleibt der Arbeitnehmer weiterhin Steuerschuldner und der Arbeitgeber haftet für die Lohnsteuer nach den § 38 Abs. 4 Satz 2 EStG i.d.F. bis 1974 und § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG 1975 (Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 3. Aufl., § 42d Anm. 1). Da aber aus der Sicht des Arbeitnehmers der Arbeitgeber den Bruttoarbeitslohn mit der Auszahlung des Nettolohns vorschriftsmäßig gekürzt hat, käme, wenn im Streitfall eine Nettolohnvereinbarung festgestellt werden sollte, eine Inanspruchnahme des Arbeitnehmers K nur in Betracht, wenn dieser positive Kenntnis davon gehabt hätte, daß die Arbeitgeberin die Lohnsteuer nicht abgeführt bzw. nicht angemeldet hat (vgl. § 38 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 EStG i.d.F. bis 1974, § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG 1975; BFH-Urteil vom 18. Mai 1972 IV R 168/68, BFHE 106, 192, BStBl II 1972, 816; Beschluß vom 12. Dezember 1975 VI B 124/75, BFHE 117, 553, BStBl II 1976, 543). Bei entsprechender Sachverhaltsfeststellung muß auch diese Rechtslage im Rahmen der Ermessensentscheidung bei der Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschulder berücksichtigt werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413763

BFH/NV 1986, 256

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