Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

 

Leitsatz (NV)

Der mit Anfertigung und Abgabe eines Antrags auf LStJA betraute steuerliche Berater ist i. S. des § 110 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 der Vertreter des Steuerpflichtigen. Bei einem verspätet gestellten Antrag auf LStJA ist deshalb im Rahmen der Prüfung des § 110 AO 1977 ein etwaiges Beraterverschulden dem Steuerpflichtigen zuzurechnen.

 

Normenkette

EStG § 42 Abs. 2; AO 1977 § 110

 

Tatbestand

Der verheiratete Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) bezog im Streitjahr 1979 lediglich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Die Ehefrau des Klägers war nicht berufstätig; sie bezog auch keine anderen Einkünfte.

Mit Schreiben vom 29. September 1980 - beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) eingegangen am 30. September 1980 - beantragte der damalige steuerliche Berater des Klägers, Steuerberater X, für die Abgabe der Einkommensteuererklärung 1979 des Klägers Fristverlängerung bis längstens zum 28. Februar 1981. Als Steuernummer war in dem Antrag eine Lohnsteuernummer des früher für die Besteuerung des Klägers zuständig gewesenen FA Y angegeben. Auf eine entsprechende Rückfrage des beklagten FA teilte der damalige Berater u. a. mit, der Kläger und seine Ehefrau seien für 1979 erstmals zur Einkommensteuer zu veranlagen.

Am 15. Januar 1981 ging beim beklagten FA für das Streitjahr 1979 eine Einkommensteuererklärung des Klägers ein. Das FA deutete diese - da die Voraussetzungen für eine Veranlagung i. S. des § 46 des Einkommensteuergesetzes 1979 (EStG) nicht gegeben waren - in einen Antrag auf Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs um, den es wegen Versäumnis der Antragsfrist (§ 42 Abs. 2 Satz 3 EStG) ablehnte. Den Einspruch des Klägers und den gleichzeitig (sinngemäß) gestellten Antrag auf Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 der Abgabenordnung (AO 1977) wies das FA als unbegründet zurück.

Das Finanzgericht (FG) gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Zur Begründung führte es u. a. aus, dem Kläger sei gemäß § 110 AO 1977 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil er ohne sein Verschulden gehindert gewesen sei, den Antrag auf Durchführung eines - im Streitfall allein in Betracht kommenden - Lohnsteuer-Jahresausgleichs fristgerecht zu stellen. Anhaltspunkte für ein eigenes Verschulden des in steuerlichen Dingen unerfahrenen Klägers seien nicht gegeben.

Ein etwaiges Verschulden des damaligen Beraters an der Fristversäumnis sei dem Kläger nicht zuzurechnen. § 110 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 finde im Streitfall keine Anwendung, weil der damalige Berater nicht im Sinne dieser Vorschrift Vertreter des Klägers gewesen sei. Der Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich sei vom Arbeitnehmer zu stellen und von ihm eigenhändig zu unterschreiben (§ 42 Abs. 2 EStG); eine Vertretung finde grundsätzlich nicht statt (§ 150 Abs. 3 AO 1977). Im Streitfall handele es sich mithin um einen Antrag des Klägers und nicht um den eines Bevollmächtigten im Namen des Klägers. Die sich - wie regelmäßig in solchen Fällen - auf eine Beratung und Hilfe beim Ausfüllen des Formularantrags beschränkende Mitwirkung des damaligen Beraters sei keine Vertretung im Sinne des Gesetzes.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung des § 110 Abs. 1 Satz 2 AO 1977.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Nach § 42 Abs. 2 EStG wird der Lohnsteuer-Jahresausgleich durch das zuständige FA auf Antrag des Arbeitnehmers durchgeführt. Dieser Antrag muß nach der im Streitjahr maßgebenden Rechtslage spätestens bis zum 30. September des dem Ausgleichsjahr folgenden Kalenderjahres auf dem amtlich vorgeschriebenen Vordruck (vgl. § 42 Abs. 2 Satz 3 EStG) und vom Arbeitnehmer eigenhändig unterschrieben (vgl. § 42 Abs. 2 Satz 4 EStG) beim FA eingegangen sein (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Oktober 1986 VI R 208/83, BFHE 148, 47, BStBl II 1987, 77). Hieran fehlt es im Streitfall. Der Kläger hat seine Einkommensteuererklärung, die wegen Fehlens der Voraussetzungen für eine Einkommensteuerveranlagung (vgl. dazu § 46 EStG) in einen Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich umzudeuten ist (Blümich / Wehmeyer, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, 13. Aufl., § 42 EStG Rdnr. 8), erst nach Ablauf der für den Lohnsteuer-Jahresausgleich geltenden Ausschlußfrist eingereicht und den Antrag damit verspätet gestellt.

2. Die vom FG getroffenen Feststellungen erlauben keine abschließende Prüfung, ob es dem Kläger zu Recht wegen einer unverschuldeten Fristversäumnis gemäß § 110 AO 1977 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt hat.

a) Das FG hat ein eigenes Verschulden des Klägers mit der Begründung verneint, daß dieser in steuerlichen Dingen unerfahren gewesen sei und deshalb aufgrund eines entschuldbaren Rechtsirrtums bei einem Bruttoarbeitslohn von . . . DM die Voraussetzungen für die Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung für gegeben gehalten habe. Hierin liegt eine mögliche rechtliche Würdigung, an die der Senat gebunden ist.

b) Zu Unrecht hat das FG jedoch angenommen, daß sich der Kläger bei der Prüfung der Wiedereinsetzung ein etwaiges schuldhaftes Verhalten seines damaligen steuerlichen Beraters nicht zurechnen lassen müsse, weil dieser nicht i. S. von § 110 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 sein Vertreter gewesen sei. Der Begriff des Vertreters nach dieser Vorschrift ist weit auszulegen; neben den gesetzlichen gehören dazu auch die gewillkürten Vertreter i. S. des § 80 AO 1977 (z. B. BFH-Urteile vom 3. Juli 1986 IV R 133/84, BFH/NV 1986, 717, und vom 6. Mai 1988 VI R 37/83, BFH/NV 1989, 343). Notwendig ist allerdings, daß die Vornahme der fristwahrenden Handlung (und damit das für die Fristversäumnis ursächliche schuldhafte Verhalten) in deren Aufgabenbereich fällt (vgl. dazu Söhn in Hübschmann / Hepp / Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 110 AO 1977 Anm. 72 m. w. N.); wird der Dritte - ohne eigene Entscheidungsbefugnis - für den zur Fristwahrung Berufenen lediglich als Hilfsperson (Bote etc.) tätig, kommt eine auf § 110 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 gestützte Verschuldenszurechnung nicht in Betracht (vgl. dazu Ziemer / Haarmann / Lohse / Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen Tz. 1894 f. m. w. N.).

Der damalige steuerliche Berater des Klägers ist - soweit es die Frage der form- und fristgerechten Abgabe der das Streitjahr betreffenden Steuererklärung angeht - als Bevollmächtigter i. S. von § 80 AO 1977 anzusehen. In diesem Zusammenhang ist unerheblich, daß ein mit der Anfertigung und Abgabe der Steuererklärung betrauter Berater hinsichtlich der darin abzugebenden Erklärungen lediglich als Erfüllungsgehilfe des Steuerpflichtigen tätig wird (vgl. dazu BFH-Urteil vom 3. Februar 1983 IV R 153/80, BFHE 137, 547, BStBl II 1983, 324 unter 3. b) aa) zur Zurechnung des Beraterverschuldens bei § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO 1977). Denn dies schließt nicht aus, daß sich der Steuerpflichtige bei der (Willens-)Entscheidung, wann und in welcher Form (Einkommensteuererklärung oder Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich) die notwendigen Angaben von ihm gemacht werden, von einem (fachkundigen) Dritten als Bevollmächtigten i. S. von § 80 AO 1977 vertreten läßt.

Soweit das FG zur Begründung seiner gegenteiligen Auffassung auf die den Arbeitnehmer treffende Pflicht zur eigenhändigen Unterzeichnung des Antrags auf Durchführung eines Lohnsteuer-Jahresausgleichs (vgl. § 42 Abs. 2 Satz 4 EStG i. V. m. § 150 Abs. 3 AO 1977) abstellt, verkennt es, daß sich der Erklärungspflichtige hierdurch lediglich die Bedeutung seiner Erklärungen als Willenserklärungen bewußt machen und erkennbar die Verantwortung für die tatsächlichen Angaben in der Steuererklärung übernehmen soll (BFH-Urteile vom 8. Juli 1983 VI R 80/81, BFHE 139, 158, BStBl II 1984, 13; vom 20. Januar 1984 VI R 16/82, BFHE 140, 149, BStBl II 1984, 436, und in BFHE 148, 47, BStBl II 1987, 77). Die Möglichkeit der Vertretung durch einen Bevollmächtigten bei der Abgabe der (in der Stellung des Antrags auf Lohnsteuer-Jahresausgleich zum Ausdruck kommenden) Willenserklärung wird dadurch nicht ausgeschlossen. In Übereinstimmung hiermit geht die herrschende Meinung in der Rechtsprechung der FG und in der Literatur davon aus, daß bei einem verspätet gestellten Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich im Rahmen der Prüfung des § 110 AO 1977 ein etwaiges Beraterverschulden dem Steuerpflichtigen zuzurechnen ist (z. B. FG Köln, Urteil vom 13. März 1985 XI (V) 376/81 L, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1985, 589; FG Bremen, Urteil vom 24. Januar 1986 I 150/83 K, EFG 1986, 421; Schmidt / Drenseck, Einkommensteuergesetz, 9. Aufl., § 42 Anm. 2; Hartz / Meeßen / Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, Stichwort: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, S. 1344/1).

3. Die der Rechtsauffassung des Senats nicht entsprechende Vorentscheidung ist aufzuheben. Das FG hat - nach seiner Auffassung folgerichtig - keine Feststellungen darüber getroffen, ob der damalige steuerliche Berater durch ein schuldhaftes Verhalten die Notwendigkeit der Durchführung eines Lohnsteuer-Jahresausgleichs nicht erkannt hat. Dies wird es bei seiner erneuten Entscheidung nachzuholen haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 422812

BFH/NV 1991, 502

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