Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Voraussetzung für die vereinfachte Zustellung nach § 219 Abs. 1 Sätze 3, 4 AO.

 

Normenkette

AO § 219 Abs. 1

 

Tatbestand

Das Finanzamt hat den Beschwerdeführer (Bf.) zusammen mit seiner Ehefrau zur Vermögensabgabe herangezogen. In dem der Vermögensabgabe unterliegenden Vermögen befindet sich ein Betrag von 7.563 DM Anteil der Ehefrau des Bf. am Einheitswert des Betriebsvermögens einer Fremdenpension. Der Bf. bestreitet jede Beteiligung seiner Ehefrau an diesem Betrieb. Wirtschaftlicher Eigentümer des Betriebs sei seine Schwiegermutter. Das Finanzamt hat unter Hinweis auf vom Amtsgericht ausgestellte Erbscheine vom 14. Dezember 1938 am 20. Juli 1948 einen Zurechnungsfortschreibungsbescheid für das Betriebsgrundstück auf den 21. Juni 1948 erlassen und den Einheitswert wie folgt zugerechnet:

a) der Schwiegermutter zu 6/16, b) der Ehefrau des Bf. zu 5/16, c) ihrer Schwester ebenfalls zu 5/16. Daraufhin wurde der Einheitswert für das Betriebsvermögen der Fremdenpension, der, soweit ersichtlich, bisher der Schwiegermutter allein zugerechnet worden war, gemäß § 218 Abs. 4 der Reichsabgabenordnung (AO) berichtigt und dieser Einheitswert in derselben Weise wie beim Betriebsgrundstück aufgeteilt. Der der Ehefrau des Bf. zugerechnete Anteil ergab die oben bezeichneten 7.563 DM. Beide Einheitswertbescheide wurden vom Finanzamt unter Bezugnahme auf § 219 Abs. 1 Sätze 3, 4 AO der Schwiegermutter zugestellt, die nach Angabe des Bf. weder ihm noch seiner Ehefrau hiervon Kenntnis gegeben hat. Der Bf. bestreitet unter diesen Umständen, daß er bzw. seine Ehefrau den vom Finanzamt erlassenen berichtigten Einheitswertbescheid über das Betriebsvermögen gegen sich gelten lassen müßte. Im übrigen sei die Schwiegermutter bei der Veranlagung zur Soforthilfeabgabe als Alleineigentümerin des Betriebs behandelt worden und werde bei der Einkommensteuer und Gewerbesteuer noch als alleinige Betriebsinhaberin angesehen. Einspruch und Berufung des Bf. sind ohne Erfolg geblieben. Das angefochtene Urteil ist im wesentlichen wie folgt begründet: Die Zustellung des Einheitswertbescheids über das Betriebsvermögen an die Schwiegermutter entspreche dem § 219 Abs. 1 Sätze 3, 4 AO. Der Bf. müsse daher den Einheitswertbescheid gegen sich gelten lassen und könne gemäß § 232 Abs. 2 AO im Rechtsmittelverfahren gegen den Vermögensabgabebescheid keine Einwendungen gegen die Zurechnung des Anteils seiner Ehefrau am Betriebsvermögen geltend machen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde. Der Bf. ist der Auffassung, daß die Zustellung an nur einen Gesellschafter oder Gemeinschafter gemäß § 219 Abs. 1 Sätze 3, 4 AO mit Wirkung für und gegen alle nur dann in Betracht kommen könne, wenn über die Existenz der Gesellschaft oder Gemeinschaft kein Zweifel bestehe. Die Zustellung des berichtigten Einheitswertbescheids über das Betriebsvermögen der Fremdenpension an die Schwiegermutter allein sei daher fehlerhaft gewesen und ohne Rechtswirkung gegenüber den vom Finanzamt in der Sache allerdings zu Unrecht als Gemeinschafter angesehenen Personen. Steuerliche Alleineigentümerin des Betriebs sei seit 1938 ununterbrochen die Schwiegermutter gewesen. Selbst wenn eine Beteiligung der Ehefrau des Bf. an dem Gewerbebetrieb angenommen werden könnte, müsse dieser Anteil mit 0 DM bewertet werden.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

Die vereinfachte Zustellung nach § 219 Abs. 1 Sätze 3, 4 AO setzt das Bestehen einer Gesellschaft oder Gemeinschaft voraus. Ist das Vorliegen eines solchen Rechtsverhältnisses unklar oder zweifelhaft, so muß das Finanzamt, wenn es dennoch von der Möglichkeit der Zustellung an nur einen Gesellschafter oder Gemeinschafter nach der bezeichneten gesetzlichen Bestimmung Gebrauch machen will, zuvor die bestehenden Unklarheiten durch Ermittlungen beseitigen. Hierzu bestand im Streitfall auch aus dem Grunde besondere Veranlassung, weil die Schwiegermutter nach dem unbestrittenen Vorbringen des Bf. bisher jedenfalls vom Finanzamt als alleinige Eigentümerin des Gewerbebetriebs behandelt worden ist und, soweit ersichtlich, auch noch bei der Einkommensteuer und Gewerbesteuer so behandelt wird. Die Auffassung des Finanzgerichts, daß das Verlangen nach Untersuchungen über das Bestehen einer Gemeinschaft im Streitfall eine überspannung der Ermittlungspflicht des Finanzamts bedeute, ist nicht haltbar. Damit kann gegenwärtig von einer rechtswirksamen Zustellung des Einheitswertbescheids über das Betriebsvermögen dem Bf. gegenüber keine Rede sein. Dieser braucht, solange die ordnungsmäßige Zustellung des Bescheids nicht feststeht, ihn auch nicht bei der Vermögensabgabe-Veranlagung gegen sich gelten zu lassen. Hiernach war das angefochtene Urteil nebst der ihm zugrunde liegenden Einspruchsentscheidung aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Sie geht zweckmäßig an das Finanzamt zurück. Da die Beteiligung der Ehefrau des Bf. am Betriebsvermögen der Fremdenpension bestritten ist, diese Frage aber im Rechtsmittelverfahren gegen die Einheitswerte des Betriebsgrundstücks und evtl. des Betriebsvermögens auszutragen ist, wird das Finanzamt die Einheitswertbescheide über das Betriebsgrundstück und das Betriebsvermögen sämtlichen von ihm angenommenen Gemeinschaftern zustellen müssen. Der Streit über die Beteiligung wäre gegebenenfalls in dem gegen den bzw. die Einheitswerte gerichteten Rechtsmittelverfahren zu entscheiden. Bis zu dieser Entscheidung wird die Einspruchsentscheidung über den Einspruch gegen den Vermögensabgabebescheid auszusetzen sein.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409241

BStBl III 1959, 66

BFHE 1959, 170

BFHE 68, 170

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