Leitsatz (amtlich)

Ein verlagertes Bankinstitut im Sinne der 35. Durchführungsverordnung zum Umstellungsgesetz konnte im Jahre 1957 für die Befriedigung der Gläubiger außerhalb des Währungsgebietes keine Rückstellung bilden.

 

Normenkette

KStG § 6 Abs. 1; EStG § 6 Abs. 1 Nr. 3; 35. UGDV §§ 3, 6

 

Tatbestand

Die Revisionsklägerin (Steuerpflichtige) ist als Bankinstitut durch gemeinsamen Erlaß des Niedersächsischen Ministers der Finanzen und des Niedersächsischen Ministers für Wirtschaft und Verkehr vom 8./14. Oktober 1958 gemäß § 3 der Fünfunddreißigsten Durchführungsverordnung zum Umstellungsgesetz (Verordnung über Geldinstitute mit Sitz oder Niederlassungen außerhalb des Währungsgebietes) - 35. UGDV - (Amtliches Mitteilungsblatt der Verwaltung für Finanzen 1948/1949 S. 339) mit Wirkung vom 1. April 1948 an als verlagertes Geldinstitut ohne Kapital und ohne Ausgleichsforderungen anerkannt worden. Dieser Verlagerungsbescheid wurde am 30. März 1962 geändert. Danach erhielt die Bank Anspruch auf Ausgleichsforderungen; ein Anspruch auf Eigenkapital (§ 7 der 35. UGDV, § 5 der 2. UGDV in der Fassung der 36. UGDV, Öffentlicher Anzeiger für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet 1949 Nr. 83) wurde ihr nicht zuerkannt. Ferner wurde der Bank aufgegeben, in Höhe des Überschusses, der sich nach Abwicklung der Verbindlichkeiten nach § 6 der 35. UGDV, § 42 des Umstellungsergänzungsgesetzes - UEG - vom 21. September 1953 (BGBl I 1953, 1439) ergibt, eine Rückstellung für die Befriedigung der Gläubiger außerhalb des Währungsgebiets zu bilden.

Das FA lehnte bei der Körperschaftsteuerveranlagung 1957 die Bildung der von der Steuerpflichtigen begehrten Rückstellung für die Befriedigung von Gläubigern außerhalb des Währungsgebiets ab, da die Steuerpflichtige am 31. Dezember 1957 nach den oben angeführten umstellungsrechtlichen Vorschriften nicht mit einer Inanspruchnahme durch diese Gläubiger habe rechnen müssen.

Mit der Sprungklage beantragte die Steuerpflichtige, den Körperschaftsteuerbescheid 1957 ersatzlos aufzuheben. Nach dem Verlagerungsbescheid sei der zur Besteuerung herangezogene Betrag in voller Höhe der genannten Rückstellung zuzuführen. Zwei Fachministerien hätten eine Rückstellung, keine Rücklage vorgeschrieben. Da die Rückstellung aufgrund einer Rechtsvorschrift (§ 3 Abs. 3 Satz 3 der 35. UGDV) habe gebildet werden müssen, sei sie auch steuerlich anzuerkennen. Ein steuerbarer Gewinn habe daher nicht entstehen können.

Das FG wies die Klage ab.

Mit der Revision rügt die Steuerpflichtige Verletzung von Bundesrecht und beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Körperschaftsteuer 1957 auf 0 DM festzusetzen. Sie führt im wesentlichen das Folgende aus. Die Verbindlichkeiten, derentwegen die Rückstellungen zu bilden gewesen seien, hätten am Bilanzstichtag rechtlich bestanden. Zu dieser Zeit sei auch bereits erkennbar gewesen, daß mit einer Inanspruchnahme gerechnet werden müsse, da das den ursprünglichen umstellungsrechtlichen Vorschriften zugrunde liegende Stichtagsprinzip nicht aufrechterhalten werden könne (Hinweis auf Knapp, Wertpapier-Mitteilungen - WM - 1963, Teil IV, S. 418; derselbe, WM, Sonderbeilage Nr. 1/1964 zu Teil IV Nr. 4 vom 25. Januar 1964). Tatsächlich hätten die seit Jahren vorhandenen Bestrebungen dann dazu geführt, daß aufgrund des Dritten UEG vom 22. Januar 1964 (BGBl I 1964, 33) die erwartete Inanspruchnahme der verlagerten Geldinstitute durch Gläubiger, die am Tage der Währungsumstellung noch ihren Wohnsitz außerhalb des Währungsgebiets gehabt hätten, eingetreten sei. Wie schon in der Vorinstanz vorgetragen, seien zur Erfüllung jener Verbindlichkeiten Zahlungen in beträchtlicher Höhe geleistet worden. Die Bildung der Rückstellung könne auch unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nicht versagt werden. Denn, wie bereits ebenfalls schon in der Vorinstanz dargelegt, habe sie, die Steuerpflichtige, sich mit der Erteilung eines Verlagerungsbescheids erst einverstanden erklärt, nachdem ihr von der Bankenaufsichtsbehörde auferlegt worden sei, die Rückstellung zu bilden. Sie habe deshalb davon ausgehen dürfen, daß sich das mit der Anerkennung der Verlagerung in das Bundesgebiet verbundene Risiko der erweiterten Inanspruchnahme steuerrechtlich sofort auswirken werde.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist nicht begründet.

1. Die Frage, ob eine Rückstellung gebildet werden kann, ist nach den Verhältnissen des Bilanzstichtags und entsprechend der Erkenntnis am Tage der Bilanzaufstellung zu beurteilen. Dabei können auch Umstände von Bedeutung sein, die am Bilanzstichtag noch nicht eingetreten waren, sich aber bereits auswirkten (vgl. Urteil des BFH I 324/62 S vom 27. April 1965, BFH 82, 445, BStBl III 1965, 409). Diese Umstände müssen aber solcher Art sein, daß sie am Bilanzstichtag bereits zum Entstehen einer wirtschaftlichen Last geführt haben. Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, wenn der Steuerpflichtige am Stichtag aufgrund bestehender Vorschriften nicht in Anspruch genommen werden konnte (vgl. BFH-Urteil I 247/63 vom 13. Dezember 1967, BFH 91, 243, BStBl II 1968, 307). In der letzten Entscheidung nahm der erkennende Senat zur Behandlung von Zinsverbindlichkeiten nicht in das Bundesgebiet verlagerter Banken Stellung. Er lehnte die Bildung von Rückstellungen in der Steuerbilanz ab. Die dort angestellten Erwägungen treffen entsprechend zu für die Behandlung von Verbindlichkeiten verlagerter Banken gegenüber Gläubigern, die am Währungsstichtag den Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt nicht im Währungsgebiet hatten, wozu vor allem Ostgläubiger gehörten. Wie in der Entscheidung I 247/63 ausgeführt, genügt nicht bereits die entfernte Möglichkeit einer Inanspruchnahme oder eines Verlustes, um eine Rückstellung zu rechtfertigen. Vielmehr müssen die Inanspruchnahme oder der Verlust wenigstens mit einiger Wahrscheinlichkeit erwartet werden können. Diese Voraussetzungen lagen auch im Streitfall nicht vor.

Nach § 6 der 35. UGDV konnten Geldinstitute nur wegen der dort bezeichneten Verbindlichkeiten in Anspruch genommen werden. Die Posten, derentwegen im Streitfall die Anerkennung einer Rückstellung begehrt wird, betreffen hingegen Verpflichtungen, die gegen die Steuerpflichtige nach § 6 Abs. 1 der 35. UGDV nicht geltend gemacht werden konnten, da sie nicht ausdrücklich in den Verbindlichkeiten-Katalog der Vorschrift aufgenommen waren. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die "Abschaltung" dieser Gläubiger der Bank nur ein Leistungsverweigerungsrecht gewährte oder ob sie sogar ein Leistungsverbot beinhaltete. Jedenfalls kann weder aus der Tatsache, daß es sich um Verbindlichkeiten handelte, die vor der Währungsumstellung im Geschäftsbetrieb der Steuerpflichtigen entstanden waren, noch daß am Bilanzstichtag Bestrebungen im Gange waren, die in § 6 der 35. UGDV enthaltene Beschränkung der Inanspruchnahme der Geldinstitute teilweise aufzuheben, der Schluß gezogen werden, daß am Bilanzstichtag insoweit bereits eine wirtschaftliche Last vorhanden gewesen sei.

Durch die Währungsgesetzgebung war und blieb lange Zeit im Interesse der Sicherung der neuen Währung und zum Schutze des Bundeshaushalts vor nicht übersehbaren finanziellen Verpflichtungen - vor allem in Gestalt erhöhter Ausgleichsforderungen der Geldinstitute - die Befriedigung der genannten Gläubiger ausgeschlossen (vgl. Knapp, WM 1964, a. a. O., S. 24 ff.). Erst durch die Neufassung des § 42 UEG durch § 8 Nr. 6 des 3. UEG vom 22. Januar 1964, a. a. O., wurde die Rechtslage zugunsten jenes Gläubigerkreises einschneidend geändert. Bis zu diesem Zeitpunkt waren indessen nicht nur das Ob, sondern auch das Ausmaß einer etwaigen Gesetzesänderung ungewiß. Die Neuregelung hatte auch wirtschaftlich eine konstitutive Bedeutung. Im Hinblick auf die Zwecke der bis zum Erlaß dieses Gesetzes bestehenden Vorschriften, nach denen eine Inanspruchnahme der Geldinstitute ausgeschlossen war, kann nicht davon die Rede sein, daß schon während dieser Zeit wenigstens eine Naturalobligation oder eine sittliche Verpflichtung bestanden hätte, die die Steuerpflichtige zu einer Rückstellung veranlassen mußte. Zwar können in der Steuerbilanz auch Rückstellungen anerkannt werden, ohne daß ihnen eine rechtliche Verbindlichkeit zugrunde liegt. Voraussetzung ist jedoch, daß der Steuerpflichtige sich aus tatsächlichen Gründen der Inanspruchnahme nicht entziehen kann (vgl. BFH-Urteile I 224/55 U vom 29. Mai 1956, BFH 63, 40, BStBl III 1956, 212; I 241/61 U vom 20. November 1962, BFH 76, 307, BStBl III 1963, 113). Die Steuerpflichtige konnte sich aber, gestützt auf die strikte Regelung des § 6 der 35. UGDV, jeder Inanspruchnahme entziehen. Dem entspricht, daß die Zivilgerichte es abgelehnt haben, den in § 6 bezeichneten Gläubigerkreis zu erweitern (vgl. Knapp, a. a. O., S. 24).

2. Auch der Hinweis auf den Verlagerungsbescheid führt zu keiner anderen Beurteilung.

a) Richtig ist, daß nach § 3 Abs. 3 Satz 3 der 35. UGDV die Anerkennung als verlagertes Institut mit Auflagen verbunden werden konnte. Das bedeutete, daß dem antragstellenden Institut - wie hier geschehen - die Verpflichtung auferlegt werden konnte, den Überschuß nur zur Befriedigung eines bestimmten Gläubigerkreises zu verwenden. Ob der Verlagerungsbescheid ausdrücklich die Bildung einer "Rückstellung" vorsah, ist für die steuerrechtliche Beurteilung nicht entscheidend. Denn der Bescheid konnte als Anordnung der Bankenaufsichtsbehörde die steuerrechtlichen Vorschriften, an die die Steuergerichte gebunden sind, nicht unanwendbar machen. Diese aber sehen die Möglichkeit einer Gewinnminderung für verlagerte Institute nicht vor. Die Rechtsprechung hat wiederholt darauf hingewiesen, daß Bilanzierungsanweisungen der Wirtschaftsaufsichtsbehörden steuerlich nicht binden (vgl. BFH-Gutachten I D 1/58 S vom 26. Januar 1960, Abschn. 5 d, BFH 70, 508, BStBl III 1960, 191, und die dort angeführten Entscheidungen). Das gilt nicht nur für allgemeine, sondern auch für den Einzelfall getroffene Anordnungen. Die Steuerbehörden sind nur an rechtsgestaltende Verwaltungsakte anderer Behörden gebunden (vgl. BFH-Urteil II 60/63 vom 23. Februar 1966, BFH 85, 521, BStBl III 1966, 438). Eine solche stellte die bankaufsichtliche Anordnung, eine "Rückstellung" zu bilden, nicht dar. Die Steuerpflichtige kann deshalb zur Befriedigung ihrer Gläubiger nur das verwenden, was ihr nach Durchführung der Besteuerung verbleibt.

b) Der Gesichtspunkt von Treu und Glauben kann eine andere Beurteilung nicht rechtfertigen. Die steuerrechtliche Entscheidung kann nicht davon abhängig gemacht werden, welche Vorstellungen die Steuerpflichtige bei ihren mit den Bankaufsichtsbehörden geführten Verhandlungen über die Verlagerung gewonnen hatte. Die Sache läge nur dann anders, wenn die zuständige Steuerbehörde eine (bindende) Zusage gemacht hätte. Daß dies geschehen sei, hat die Steuerpflichtige selbst nicht behauptet. Erklärungen aber, die eine für die Beurteilung steuerrechtlicher Fragen nicht zuständige Behörde - dazu gehört auch die die Bankenaufsicht wahrnehmende Abteilung des Finanzministeriums - abgegeben hat, können die zuständige Steuerbehörde auch nach Treu und Glauben nicht binden (vgl. Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Anm. 44b zu § 2 AO, mit weiteren Nachweisen).

Soweit die Steuerpflichtige später Verbindlichkeiten erfüllt hat, für die sie nach den vorstehenden Darlegungen eine Rückstellung nicht bilden konnte, können sich die Zahlungen nach allgemeinen Grundsätzen erst auf den Gewinn der Jahre auswirken, in denen sie geleistet worden sind.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69291

BStBl II 1971, 71

BFHE 1971, 387

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