Leitsatz (amtlich)

1. Die während der Geltungsdauer des KraftStG 1955 erteilten Steuerkarten waren keine förmlichen Steuerbescheide im Sinne des § 211 AO.

2. Deshalb konnte die Kraftfahrzeugsteuer gemäß § 223 AO nachgefordert werden.

3. Zur Frage, wann ein Billigkeitserlaß der Kraftfahrzeugsteuer nicht in Betracht kommt, wenn ein Steuerpflichtiger sich zur Ausfüllung seiner Steueranmeldung eines Mitarbeiters der Zulassungsbehörde bedient, dem hierbei ein Versehen unterläuft.

 

Normenkette

KraftStG 1955 § 14; KraftStDV 1955 § 17; AO §§ 131, 211-212, 223

 

Tatbestand

I.

In der von der Zulassungsbehörde bestätigten Steueranmeldung vom 11. Oktober 1956 ist das Gesamtgewicht des LKW mit 6 800 kg angegeben, das in der Folgezeit der Besteuerung zugrunde lag. Auf einer späteren Anmeldung, für die als Anlaß „Firmenänderung” angegeben ist, ist das Gesamtgewicht des LKW mit 14 000 kg ausgewiesen. Deshalb forderte das Finanzamt (FA) vom Kläger mit Steuerbescheid vom 31. Januar 1962 für die Zeit vom 5. Oktober 1956 bis 20. Dezember 1960 gemäß § 223 AO eine Kraftfahrzeugsteuer von 4 764 DM nach. Der Kläger beantragte am 5. Februar 1962 Erlaß dieser Steuer aus sachlichen Billigkeitsgründen, den das FA ablehnte. Die Beschwerde wies die Oberfinanzdirektion – OFD – (Beklagte) zurück.

Mit der Berufung machte der Kläger geltend, bei der Zulassung des LKW habe sein Vater die Steueranmeldung durch einen Mitarbeiter der Zulassungsbehörde ausfüllen lassen. Das Verschulden dieser Behörde durch versehentlich falsche Eintragung des Gesamtgewichts in die Steueranmeldung müsse das FA gegen sich gelten lassen. Er habe weder erkannt noch erkennen müssen, daß die Steuerfestsetzung falsch gewesen sei. Eine zusätzliche Unbilligkeit ergebe sich, weil er bei Auflösung der OHG am 31. Dezember 1960 nicht mit dieser beträchtlichen Steuernachforderung gerechnet habe und deshalb nicht entsprechend habe disponieren können. Nur auf Rat des FA habe er nicht Einspruch eingelegt, sondern nur Billigkeitserlaß beantragt.

Das Finanzgericht (FG) wies die Berufung als unbegründet zurück.

Mit der Rechtsbeschwerde rügt der Kläger fehlerhafte Rechtsanwendung wegen Nichtbeachtung des Grundsatzes von Treu und Glauben und Verstoß wider den klaren Inhalt der Akten.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Rechtsbeschwerde – jetzt Revision – ist nicht begründet.

1. Es ist dem FG im Ergebnis zuzustimmen, daß die Ablehnung eines Billigkeitserlasses wegen Härte in der Sache (§ 131 AO) durch die OFD nicht als Ermessensfehlgebrauch zu beanstanden ist.

Ermessensentscheidungen der Finanzverwaltungsbehörden sind der Nachprüfung durch die Gerichte nicht voll unterworfen, sondern nur darauf nachprüfbar, ob sie sich ohne Verletzung von Recht oder Billigkeit innerhalb des den Finanzverwaltungsbehörden eingeräumten Ermessensspielraums halten (vgl. zur ständigen Rechtsprechung z. B. Urteile des Bundesfinanzhofs – BFH – II 90/62 vom 26. Januar 1966, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 84 S. 584 – BFH 84, 584 – BStBl III 1966, 211; II 151/64 vom 7. Mai 1968, BFH 93, 14, BStBl II 1968, 663, mit weiteren Nachweisen). Allerdings könnte der Satz des FG; „Die Anforderung der gesetzlich geschuldeten Steuer beinhaltet aber grundsätzlich keine unbillige Härte im Sinn des § 131 Abs. 1 Satz 1 AO” – verallgemeinert – mißverständlich oder gar rechtsirrtümlich sein. Denn die Anwendung des § 131 AO kann nicht allein mit der Begründung abgelehnt werden, der gesetzliche Besteuerungstatbestand sei erfüllt; § 131 AO ist hinsichtlich der Unbilligkeit in der Sache gerade dazu geschaffen, ungewollte Überhänge gesetzlicher Tatbestände, ggf. auch bei Verkehrsteuern, zu beseitigen (BFH-Urteil II R 29/66 vom 5. Februar 1969, BFH 95, 287, BStBl II 1969, 400). Um einen Überhang solcher Art handelt es sich im Streitfall aber nicht, da das Kraftfahrzeugsteuergesetz (KraftStG) 1955 (§ 10 Abs. 1 Nr. 2) die Besteuerung eindeutig und ausnahmslos (hier) an das Gesamtgewicht knüpft, so daß insoweit eine Härte in der Sache ausscheidet. Im übrigen ist das Wort „grundsätzlich” in dem oben angegebenen Satz des FG-Urteils offensichtlich nur im Sinne von „in der Regel” zu verstehen. Denn unmittelbar anschließend führt das FG aus, daß der der Geltendmachung des gesetzlich entstandenen Steueranspruchs entgegenstehende Einwand von Treu und Glauben auch im Erlaßverfahren nach § 131 AO zu beachten ist. Dies entspricht auch der Auffassung des Senats (BFH-Urteil II 55/62 vom 2. Februar 1966, BFH 84, 483, BStBl III 1966, 175).

2. Das FA hatte die Steuernachforderung zutreffend auf § 223 AO gestützt. Die gemäß § 14 KraftStG 1955 erteilten Steuerkarten waren keine förmlichen Steuerbescheide im Sinne des § 211 AO (Urteil des Reichsfinanzhofs – RFH – II A 383/30 vom 24. September 1930, RStBl 1930, 768). § 17 Abs. 2 Satz 1 der Durchführungsverordnung zum Kraftfahrzeugsteuergesetz in der Fassung vom 12. Juli 1955 (KraftStDV 1955), wonach die Festsetzungsverfügung auf der Steueranmeldung (§ 17 Abs. 1 Satz 1 KraftStDV 1955) ein Steuerbescheid im Sinne des § 212 AO war, wiederholte nur deklaratorisch den Gesetzesbefehl des § 212 AO selbst.

Zwar kann die Nachforderung von Steuern gemäß § 223 AO unter gewissen Voraussetzungen den Grundsatz von Treu und Glauben verletzen (BFH-Urteil II 55/62, a. a. O.). Es kann dabei jedoch – sowohl in einem Nachforderungsverfahren selbst als auch in einem entsprechenden Erlaßverfahren – nicht außer acht gelassen werden, daß gerade § 223 AO dazu dienen soll, die Folgen unterlaufener Irrtümer zu beseitigen, und zwar grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Frage des Verschuldens der Finanzverwaltung bzw. des guten Glaubens des Steuerpflichtigen (BFH-Urteil II 107/63 vom 16. März 1966, BFH 85, 382, BStBl III 1966, 418). Auch im Rahmen eines Erlaßverfahrens könnte die Ablehnung eines Erlaßantrages nur in solch außergewöhnlichen Fällen einen Verstoß gegen Treu und Glauben bedeuten, in denen diese ablehnende Haltung – als mit dem vorausgegangenen nachhaltigen Verhalten oder auch einer nachdrücklichen Willensäußerung der Finanzverwaltung (BFH-Urteil VII 175/61 U vom 21. Mai 1963, BFH 77, 201, BStBl III 1963, 390) in nicht vertretbarem Widerspruch stehend – mit dem allgemeinen Rechtsempfinden unvereinbar wäre (vgl. BFH-Urteil VII 95/58 U vom 2. Dezember 1959, BFH 70, 341, BStBl III 1960, 127).

Das setzt aber voraus, daß der Sachverhalt dem FA lückenlos bekannt war, ohne daß neue, bisher nicht berücksichtigte Umstände hinzugekommen wären (vgl. außer dem oben angegebenen BFH-Urteil II 55/62 a. E. z. B. noch Urteile II 12/57 U vom 6. März 1957, BFH 64, 464, BStBl III 1957, 173; II 165/61 U vom 16. Dezember 1964, BFH 82, 415, BStBl III 1965, 397), daß also der Irrtum dem FA selbst unterlaufen ist. Deshalb beruft sich der Kläger zu Unrecht auf den besonders und anders gelagerten Fall des Urteils des Senats II 187/59 vom 2. August 1961 (HFR 1962, 17). Denn dort war dem FA der genaue Sachverhalt auf Grund der vollständigen Angaben des Steuerpflichtigen selbst bekannt; das FA hätte also bei einiger Sorgfalt seinen Fehler schon bei der Neufestsetzung der Kraftfahrzeugsteuer merken müssen. Das war dem FA im vorliegenden Fall auch bei Anlegung eines strengen Maßstabes an die zumutbar aufzuwendende Sorgfalt jedoch nicht möglich. Das FA mußte sich auf die Richtigkeit der Angaben des Steuerpflichtigen über das Gesamtgewicht verlassen können, zumal dies von der Zulassungsbehörde bestätigt worden war. Es war vom FA, da ein besonderer Anlaß offensichtlich nicht bestand, während der Dauer des Steuerkartenverfahrens nicht zu erwarten, sich nochmals über die Richtigkeit des Gesamtgewichts zu vergewissern, zumal in der Zwischenzeit – etwa bei Einbringen des Fahrzeugs in die OHG – eine neue Steueranmeldung nicht abgegeben worden war.

Die Zulassungsbehörde hat zwar – wie der Kläger richtig ausführt – bei der Festsetzung der Kraftfahrzeugsteuer in gewissem Umfang vorbereitend mitzuwirken (§ 14 KraftStDV 1955). Hierdurch wird die Zulassungsbehörde aber weder selbst Steuerbehörde noch zu einer Art „Nebenstelle” des FA. Die Zulassungsbehörde ist auch insoweit eigenständige und eigenverantwortliche Behörde, so daß deren Tätigkeit – auch nicht etwa aus dem Gesichtspunkt einer Art „Einheit der vollziehenden Gewalt” – nicht als eigenes Verhalten der Finanzverwaltung gewertet werden kann. Im übrigen hätte der Kläger sich – anders etwa als in dem zur Beförderungsteuer entschiedenen Fall des BFH-Urteils II 60/63 vom 23. Februar 1966 (BFH 85, 521, BStBl III 1966, 438), wo davon ausgegangen wird, daß ein steuerpflichtiger Tatbestand erst im Vertrauen auf ein Verhalten der Verwaltung geschaffen wird – im vorliegenden Fall gar nicht anders verhalten können, als er es getan hat. Die Erhebung der geschuldeten Steuer stellt deshalb nicht etwa wegen eines Fehlers der Zulassungsbehörde eine unbillige Härte dar.

Das muß um so mehr gelten, als zur Steueranmeldung der Eigentümer des Fahrzeugs selbst verpflichtet war (§ 11 KraftStDV 1955) und weil der Steuerpflichtige für die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner dem FA gegenüber abzugebenden Erklärungen allein verantwortlich ist (vgl. auch § 166 AO, § 7 Abs. 4 der Kraftfahrzeugsteuer-Durchführungsverordnung vom 14. Juni 1961). Wenn der Steuerpflichtige sich auf eigenen Wunsch bei der Ausfüllung des Vordrucks der Hilfe eines Mitarbeiters der Zulassungsbehörde bedient, so geschieht dies – jedenfalls dem FA gegenüber – auf eigene Verantwortung des Steuerpflichtigen (vgl. auch § 278 BGB). Unterläuft hierbei dem Mitarbeiter der Zulassungsbehörde ein Versehen, das auch der Steuerpflichtige beim Unterschreiben des Vordrucks nicht erkennt, so kann dies – von hier nicht vorliegenden Ausnahmefällen offenbarer Unrichtigkeiten solcher Erklärungen abgesehen – jedenfalls nicht dem FA angelastet werden. Danach kommt es – wie das FG richtig ausgeführt hat – darauf, ob der Kläger die Unrichtigkeit der Steuerfestsetzungen gekannt hat oder hätte erkennen müssen, nicht an.

Da der Einwand von Treu und Glauben schon aus den vorstehenden Gründen wirkungslos bleiben muß, kann es ferner nicht mehr darauf ankommen, ob der Kläger bedeutsame geschäftliche oder wirtschaftliche Vermögensdispositionen getroffen hatte, die er ohne das Verhalten des FA nicht getroffen hätte. Somit ist die Verfahrensrüge des Klägers entscheidungsunerheblich, das FG habe die Ursächlichkeit von Vermögensdispositionen im Vertrauen auf die Richtigkeit der ursprünglichen Steuerfestsetzung unter Verstoß gegen den klaren Akteninhalt zu Unrecht verneint.

 

Fundstellen

Haufe-Index 514534

BFHE 1970, 493

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