Entscheidungsstichwort (Thema)

Regelmäßig keine § 10e-Begünstigung des Vorbehaltsnießbrauchers

 

Leitsatz (amtlich)

Überträgt der Steuerpflichtige vor Ablauf des Begünstigungszeitraums das Eigentum an seiner Wohnung unter Vorbehalt des lebenslänglichen Nießbrauchs auf einen Dritten, bleibt er im Regelfall nicht wirtschaftlicher Eigentümer und kann daher die Steuerbegünstigung nach § 10e EStG nicht mehr beanspruchen.

 

Normenkette

AO 1977 § 39; EStG § 10e Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war Eigentümerin eines 1989 erworbenen Hauses in E, in dem sie eine Wohnung selbst bewohnt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) gewährte für die Jahre 1989 bis 1995 antragsgemäß Abzugsbeträge in Höhe von je 15 000 DM gemäß § 10e Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Mit notariellem Vertrag vom 6. Dezember 1995 übertrug die Klägerin das Grundstück unentgeltlich auf ihren Sohn, behielt sich daran jedoch ein dingliches unentgeltliches lebenslängliches Nießbrauchsrecht vor. Zugleich behielt sich die Klägerin vor, das Grundstück zurückzuerwerben und dessen Rückübertragung zu verlangen, wenn der Sohn ohne ihre Zustimmung über das Grundstück durch Belastung und Veräußerung verfügen sollte oder wenn Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in das Vertragsgrundstück betrieben werden sollten, es sei denn, solche Maßnahmen würden binnen sechs Monaten nach Eintragung wieder beseitigt. Hierfür erteilte der Erwerber der Klägerin unter Befreiung von den Beschränkungen des § 181 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) eine entsprechende Vollmacht.

Die Klägerin nutzte die Wohnung aufgrund ihres Nießbrauchsrechts auch im Streitjahr 1996 wie bisher selbst.

Mit ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1996 machte die Klägerin erfolglos einen Abzugsbetrag nach § 10e Abs. 1 EStG in Höhe von 15 000 DM geltend. Das FA war der Auffassung, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 10e Abs. 1 EStG lägen deshalb nicht vor, weil die Klägerin keine Wohnung im eigenen Haus, sondern in einem fremden Haus nutze. Ein dinglich begründetes Nutzungsrecht, selbst wenn es --wie hier-- bei der Übereignung vorbehalten worden sei, vermittle in der Regel auch kein wirtschaftliches Eigentum.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) schloß sich der Auffassung des FA an. Der dingliche Vorbehaltsnießbraucher sei kein wirtschaftlicher Eigentümer und bewohne deshalb keine "Wohnung in einem ... eigenen Haus" (§ 10e Abs. 1 Satz 1 EStG).

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts.

Sie ist der Meinung, ein Vorbehaltsnießbraucher, der während der "Laufzeit des § 10e EStG" sein Gebäude übertragen habe, verliere den Anspruch auf die Steuerbegünstigung nicht.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung vom 31. Oktober 1997 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 1996 dahingehend zu ändern, daß ein Abzugsbetrag nach § 10e EStG in Höhe von 15 000 DM berücksichtigt wird.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Zu Recht hat das FG den von der Klägerin begehrten Abzug versagt.

1. Die Grundförderung nach § 10e Abs. 1 EStG steht Steuerpflichtigen zu, die eine zu eigenen Wohnzwecken genutzte Wohnung im eigenen Haus oder eine eigene Eigentumswohnung hergestellt oder angeschafft haben. Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Abzugsbetrages ist, daß der Steuerpflichtige zivilrechtlicher oder, wenn zivilrechtliches und wirtschaftliches Eigentum (§ 39 der Abgabenordnung --AO 1977--) nicht übereinstimmen, wirtschaftlicher Eigentümer des Objekts ist (ausführlich Senatsurteil vom 21. Mai 1992 X R 61/91, BFHE 168, 261, BStBl II 1992, 944, m.w.N.).

2. Die Klägerin war im Streitjahr nicht mehr Eigentümerin des Grundstücks; sie war auch nicht dessen wirtschaftliche Eigentümerin.

a) Eine vom zivilrechtlichen Eigentum abweichende Zuordnung von Wirtschaftsgütern im Abgabenrecht kommt grundsätzlich nur in Betracht, wenn ein anderer als der rechtliche Eigentümer die tatsächliche Herrschaft ausübt und den nach bürgerlichem Recht Berechtigten (durch vertragliche Vereinbarung oder aus anderen Gründen) für die gewöhnliche Nutzungsdauer wirtschaftlich von der Einwirkung ausschließen kann (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977). Die in § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 enthaltene Definition des wirtschaftlichen Eigentümers umfaßt eine Mehrzahl ungleichartiger Rechtslagen, die Nichteigentümern eine eigentumsähnliche Rechtsposition verschaffen; die Anwendung des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 erfordert deshalb die Bildung von Fallgruppen und deren wertende Zuordnung (ausführlich Senatsurteil vom 27. November 1996 X R 92/92, BFHE 182, 104, BStBl II 1998, 97; Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 39 AO 1977 Rz. 39, jeweils m.w.N.).

b) Nach ständiger Rechtsprechung ist der Vorbehaltsnießbraucher nur dann wirtschaftlicher Eigentümer, wenn sich seine rechtliche und tatsächliche Stellung gegenüber dem zivilrechtlichen Eigentümer des Grundstücks von der normalen --lediglich eine Nutzungsbefugnis vermittelnden-- Position eines Nießbrauchers so deutlich unterscheidet, daß er die tatsächliche Herrschaft über das nießbrauchsbelastete Grundstück ausübt (ausführlich zuletzt Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26. November 1998 IV R 39/98, BFHE 187, 390, 394, BStBl II 1999, 263, m.w. Rechtsprechungsnachw.; vom 24. Juli 1991 II R 81/88, BFHE 165, 290, BStBl II 1991, 909; Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 39 AO 1977 Rz. 77; Schmieszek in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 39 AO 1977 Rz. 33, jeweils m.w.N.; vgl. Schmitz, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1993, 497, 1361, und Ehlig, DStR 1996, 1629, 1636). Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt.

c) Offenbleiben kann, ob der Nießbraucher --ungeachtet der nicht wie in § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 vorausgesetzt auf die voraussichtliche Nutzungsdauer des Wirtschaftsguts, sondern auf die Lebenszeit des Berechtigten beschränkten Dauer des Nießbrauchs-- als wirtschaftlicher Eigentümer beurteilt werden könnte, wenn er im Innenverhältnis zum Eigentümer für eigene Rechnung über die Substanz verfügen darf (Budde/Karig in Beck'scher Bilanzkommentar, 4. Aufl., § 246 HGB Rdnr. 37, m.w.N.) oder wenn sich der Vorbehaltsnießbraucher ein uneingeschränktes durch Auflassungsvormerkung gesichertes Rücknahmerecht vorbehalten hat (Ehlig, DStR 1996, 1629, 1634; Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 39 AO 1977 Rz. 78; Schmieszek in Beermann, a.a.O., § 39 AO 1977 Rz. 33), denn diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor. Von der "normalen" Stellung eines Nießbrauchers unterscheidet sich die Rechtsposition der Klägerin allein dadurch, daß während der Dauer des Nießbrauchs die Veräußerung nur mit ihrer Zustimmung möglich ist und sie bei Zuwiderhandeln sowie bei Zwangsvollstreckung in das Grundstück ein Rücknahmerecht hat. Das allein reicht jedoch nicht aus (vgl. Schmieszek, a.a.O.; a.A. Ehlig, DStR 1996, 1629, 1634; offengelassen im BFH-Urteil in BFHE 187, 390, 394, BStBl II 1999, 263). Denn schuldrechtliche Veräußerungsverbote führen für sich genommen nicht dazu, daß das betroffene Wirtschaftsgut nicht dem rechtlichen Eigentümer zuzurechnen ist (BFH-Urteil in BFHE 187, 390, 394, BStBl II 1999, 263). Auch das vertraglich vorbehaltene Recht eines Rückerwerbs hindert im Regelfall nicht den Übergang auch des wirtschaftlichen Eigentums auf den Erwerber (BFH-Urteile vom 25. August 1993 XI R 6/93, BFHE 172, 91, BStBl II 1994, 23; vom 25. Januar 1996 IV R 114/94, BFHE 180, 57, BStBl II 1997, 382; vom 17. Juni 1998 XI R 55/97, BFH/NV 1999, 9). Dem stimmt der Senat unter der hier gegebenen Voraussetzung zu, daß die Rückübertragung vom Eintritt eines künftigen Ereignisses und von der Ausübung eines sodann bestehenden Rechts abhängt. Eine andere rechtliche Beurteilung ist auch nicht etwa allein deshalb geboten, weil der rechtliche Eigentümer bis zum Ende des Nießbrauches --mit dem im übrigen auch das Veräußerungsverbot endet-- das Wirtschaftsgut nicht selbst nutzen kann. Abgesehen davon, daß beim nur lebenslänglichen Nießbrauch die voraussichtliche Nutzungsdauer des belasteten Gebäudes und der Zeitraum des Nutzungsrechts allenfalls zufällig deckungsgleich sein können und der Eigentümer bei Beendigung des Nutzungsrechts wieder uneingeschränkt über ein Wirtschaftsgut mit längerer oder unbestimmter Nutzungsdauer verfügen kann, ist der Nießbraucher selbst bis zur Beendigung des Nutzungsrechts auf die bloße Nutzung des Objekts beschränkt. Hat der Nießbraucher --wie hier die Klägerin--

weder die Möglichkeit, sich selbst den Substanzwert des Grundstücks zu eigen zu machen (etwa durch die Berechtigung, das Grundstück zu belasten),

noch sonst die Möglichkeit, über die ihm als Nießbraucher zustehenden Rechte hinaus vergleichbar einem Eigentümer nach Belieben mit Grundstück oder Gebäude bzw. Wohnung zu verfahren,

trägt er nicht das wirtschaftliche Risiko einer Wertminderung und

nimmt er nicht an Wertsteigerungen teil,

kommt ohne Hinzutreten weiterer Umstände die Annahme wirtschaftlichen Eigentums des Nießbrauchers nicht in Betracht.

3. Im Schrifttum wird zum Teil unter Berufung auf die Rechtsprechung zur Befugnis des Vorbehaltsnießbrauchers zu Absetzungen für Abnutzung die Auffassung vertreten, der Vorbehaltsnießbraucher müsse auch zur Inanspruchnahme der Grundförderung nach § 10e Abs. 1 EStG berechtigt sein (so Stephan in Littmann/Bitz/Hellwig, Das Einkommensteuerrecht, § 10e EStG Rz. 55; Boveleth, Die Information über Steuer und Wirtschaft 1986, 470; Märkle/Wacker/Franz, Betriebs-Berater --BB-- Beilage 8 zu Heft 22/1986, S. 6; Heidemann, Finanz-Rundschau --FR-- 1987, 132; Stuhrmann, DStR 1987, 547; Obermeier, DStR 1991, 341). Der erkennende Senat kann sich dieser Auffassung nicht anschließen (ebenso FG Düsseldorf, Urteil vom 30. Januar 1998 18 K 1647/95 E, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1998, 732 --rechtskräftig--; Bundesministerium der Finanzen --BMF--, Schreiben vom 31. Dezember 1994, BStBl I 1994, 887 Tz 5; B. Meyer, Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., § 10e EStG Anm. 41; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 18. Aufl., § 10e Anm. 41; Lademann, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 10e Rz. 28; vgl. auch zur Eigenheimzulage BMF-Schreiben vom 10. Februar 1998, BStBl I 1998, 190 Rz. 7). Eine vom Wortlaut abweichende Auslegung des Begriffs "eigenes" Haus im Sinne von "auf eigene Kosten errichtetes" Haus läßt sich weder aus der Entstehungsgeschichte noch aus dem Zweck der Vorschrift herleiten.

a) Nach der Rechtslage vor 1987 erstreckte sich die Wohnungsbauförderung auch auf dem Steuerpflichtigen nicht gehörende Gebäude. Die hierzu ergangene Rechtsprechung beruht auf der Überlegung, daß der Steuerpflichtige die Herstellungskosten für das Gebäude getragen hatte und damit Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielte, zu denen neben dem Nutzungswert der Wohnung im eigenen Haus (§ 21 Abs. 2 Alternative 1 EStG i.d.F. vor 1987) auch der Nutzungswert einer fremden Wohnung (§ 21 Abs. 2 Alternative 2 EStG i.d.F. vor 1987) gehörte, die der Steuerpflichtige aufgrund einer gesicherten Rechtsposition unentgeltlich nutzte (vgl. Rechtsprechungsnachweise in BFHE 168, 261, BStBl II 1992, 944). Entscheidend war hierbei die Überlegung, daß der Zusammenhang zwischen den --grundsätzlich auf die Nutzungsdauer des Gebäudes zu verteilenden, unter bestimmten Voraussetzungen aber auch in Form erhöhter Absetzungen zu berücksichtigenden-- Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten einerseits und der Nutzung des Gebäudes zur Erzielung von Einnahmen andererseits nicht unterbrochen war.

b) Die Vorschrift des § 10e (Abs. 1 bis 5) EStG enthält zwar insoweit Nachfolgeregelungen des § 7b EStG, als die Förderung der zu eigenen Wohnzwecken genutzten Wohnung durch erhöhte Absetzungen wegen der Abschaffung der Nutzungswertbesteuerung nicht mehr möglich war und deshalb in den Sonderausgabenbereich verlagert wurde. Auch wenn § 10e EStG weitgehend dem § 7b EStG nachgebildet ist, unterscheidet sich die ab 1987 geltende Wohnungsbauförderung jedoch nicht nur systematisch, sondern auch inhaltlich in wesentlichen Punkten von der Förderung durch erhöhte Absetzungen. Die abziehbaren Beträge wurden erhöht und konzentriert auf die zu eigenen Wohnzwecken genutzte Wohnung im eigenen Haus bzw. die zu eigenen Wohnzwecken genutzte Eigentumswohnung, wobei erklärter Zweck der Neuregelung die Förderung der Vermögensbildung durch Wohneigentum war (BTDrucks 10/3633, S. 10). Eine Förderung von nicht im Eigentum des Steuerpflichtigen stehenden Wohnungen auf fremdem Grund und Boden war daher ersichtlich nicht gewollt (Senatsurteile in BFHE 168, 261, BStBl II 1992, 944, und in BFHE 182, 104, BStBl II 1998, 97). Aus demselben Grund ergeben sich auch aus dem Beschluß des Großen Senats vom 30. Januar 1995 GrS 4/92 (BFHE 176, 267, BStBl II 1995, 281) für die Auslegung des § 10e EStG keine Folgerungen (ausführlich Senatsurteil vom 20. September 1995 X R 94/92, BFHE 178, 429, BStBl II 1996, 186).

c) Auch die Übergangsregelungen des § 52 Abs. 21 Sätze 2 und 4 EStG rechtfertigen keine andere Beurteilung; denn diese Vorschriften erweitern lediglich aus Gründen des Vertrauensschutzes bei noch nicht ausgelaufener Förderung nach § 7b EStG das bis zum 31. Dezember 1986 geltende Recht für diese Fälle bis zum Ablauf des Begünstigungszeitraums. Für § 10e EStG, der von anderen Wertungen ausgeht, lassen sich hieraus jedoch keine Folgerungen ziehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 56372

BFH/NV 2000, 128

BStBl II 2000, 653

BFHE 2000, 139

BB 1999, 2287

DB 1999, 2241

DStR 1999, 1804

DStRE 1999, 858

DStZ 2000, 55

HFR 2000, 20

StE 1999, 675

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