Leitsatz (amtlich)

§ 34 a EStG 1971 und die in § 52 Abs. 23 EStG 1971 angeordnete rückwirkende Anwendung des § 34 a Abs. 2 EStG 1971 sind mit dem Grundgesetz vereinbar.

 

Normenkette

EStG 1971 §§ 34a, 52 Abs. 23; GG Art. 3 Abs. 1

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 14.05.1976; Aktenzeichen 1 BvR 380/75)

 

Tatbestand

I. Sachverhalt, Entscheidung des Finanzgerichts, Revision des Finanzamts

1. Streitig ist die Steuerfreiheit von Zuschlägen für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit (im folgenden kurz Zuschläge genannt) des Jahres 1964, die aufgrund einer Betriebsvereinbarung gezahlt wurden.

Der Beklagte und Revisionskläger (FA) hielt die Zuschläge für steuerpflichtig, weil sie mangels einer gesetzlichen oder tarifvertraglichen Regelung nicht unter die Befreiungsvorschrift des § 34 a EStG in der für das Jahr 1964 damals geltenden Fassung (a. F.) fielen. Das FG gab der dagegen erhobenen Klage statt. Es hielt es wegen der Besonderheiten des Falles für unwesentlich, daß die Arbeitgeberin nicht alle Bestimmungen des einschlägigen Tarifvertrages in die Betriebsvereinbarung übernommen habe. Das FG ließ die Revision zu. Auf die Revision des FA hob der BFH das FG-Urteil auf und wies die Sache zur erneuten Entscheidung an das FG zurück (Urteil vom 27. Oktober 1967 VI R 162/66, BFHE 90, 481, BStBl II 1968, 117). Er hielt an seiner ständigen Rechtsprechung, daß Steuerfreiheit nur in Betracht komme, wenn die Zuschläge aufgrund der Übernahme aller wesentlichen Bestimmungen eines Tarifvertrages (sogenannte Tarifunterstellung) gezahlt worden seien, auch im Streitfall fest.

2. Das FG wies im zweiten Urteil die Klage ab, weil es an einer Tarifunterstellung in diesem Sinne fehle. Es ließ die Revision nicht mehr zu. Darauf erhob der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) Verfassungsbeschwerde. Das BVerfG hob die angefochtenen Urteile - das sind das zurückverweisende BFH-Urteil und das zweite FG-Urteil - auf (Beschluß vom 28. Oktober 1969 1 BvR 490/68, in dem auf die Begründung des Beschlusses vom 15. Januar 1969 1 BvR 723/65, BVerfGE 25, 101, BStBl II 1969, 253, Az. des BFH VI 46/65, verwiesen wird). Es sei mit dem Gleichheitssatz unvereinbar, daß nur gesetzliche oder tarifliche Zuschläge begünstigt würden, nicht aber Zuschläge, die aufgrund einer anderen Rechtsgrundlage gezahlt würden. Das BVerfG erklärte jedoch § 34 a EStG a. F. nicht für nichtig, da der Gesetzgeber den Gleichheitsverstoß auf verschiedene Weise beseitigen könne. Er habe hierzu mindestens zwei Möglichkeiten. Er könne die Steuerfreiheit für die bezeichneten Zuschläge ganz beseitigen oder er könne die auf anderen Rechtsgrundlagen beruhenden Zuschläge steuerlich ebenso begünstigen wie die gesetzlichen und tariflichen. Nachdem eine gesetzliche Neuregelung vorliege, müsse der BFH neu entscheiden.

Nach der Neufassung des § 34 a im Einkommensteuergesetz 1971 hat das FA den ursprünglichen Bescheid vom 20. August 1965 auf der Grundlage des § 34 a Abs. 2 EStG 1971 am 4. November 1971 nach § 94 AO berichtigt und einen Teil der Lohnsteuer und Lohnkirchensteuer an den Kläger erstattet. Noch nicht erstattet wurden 72 DM für das Streitjahr.

3. Das FA beantragt mit der Revision die Aufhebung des FG-Urteils und Abweisung der Klage.

Der Kläger hat beantragt, den geänderten Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. In Höhe des vom FA erstatteten Betrages hat er den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Er meint, der Senat sei an die Vorschrift des § 34 a EStG 1971 nicht gebunden, sondern müsse ausschließlich darüber befinden, ob das FG im Zeitpunkt seiner Entscheidung geltendes Bundesrecht zutreffend angewandt habe. Es gehe nicht unmittelbar um die Verfassungsmäßigkeit des § 34 a EStG 1971, sondern nur um die verbösernde Rückwirkung des Abs. 2 der Neufassung auf das Jahr 1964, die gem. § 52 Abs. 23 EStG 1971 angeordnet worden sei. Die Vorschrift sei insofern verbösernd, als sie nicht eine gesetzesfreie Materie erstmalig rückwirkend regele, sondern eine schon durch den Spruch des BVerfG abgeklärte Situation betreffe. Denn das BVerfG habe ausgesprochen, der Kläger sei in seinem Grundrecht auf Gleichheit vor dem Gesetz dadurch verletzt, daß § 34 a EStG a. F. nur Zuschläge auf gesetzlicher oder tariflicher Grundlage begünstige, nicht aber solche Zuschläge, die auf einer anderen Rechtsgrundlage beruhten. Wenn dann der Gesetzgeber die Steuerbefreiung erweitere, aber durch eine Begrenzung für tarifvertraglich nicht gebundene Arbeitnehmer diese schlechter stelle als tariflich gebundene, so wirke dies verbösernd.

Die dem Kläger im Jahre 1964 gewährten Zuschläge hätten zwar die Grenzen des § 34 a Abs. 2 EStG 1971 überschritten, seien aber damals niedriger als vergleichbare tarifvertragliche Zuschläge gewesen. Tarifverträge hätten nur für etwa 20 v. H. aller Arbeitnehmer Geltung. Zwar seien nach Angaben des Statistischen Bundesamtes etwa 30 v. H. aller Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert, aber nicht alle seien in Betrieben mit Tarifverträgen beschäftigt. Die Regelung hinsichtlich der Grenzen in § 34 a Abs. 2 EStG 1971 sei als Durchschnittsbildung verfassungswidrig, insbesondere berücksichtige sie regionale Unterschiede sowie strukturelle Verschiedenheiten der Betriebe nicht in ausreichendem Maße. Das Ergebnis der Ermittlungen der Bundesregierung sei nicht repräsentativ.

Der Kläger beantragt, die Revision des FA zurückzuweisen.

II. Stellungnahme des dem Verfahren beigetretenen Bundesministers der Finanzen

Nach Aufforderung durch den Senat ist der BdF dem Verfahren gem. § 122 Abs. 2 FGO beigetreten. Er hat ausgeführt, der Gesetzgeber hätte die Steuerfreiheit der Zuschläge zur Herbeiführung einer verfassungsmäßigen Regelung abschaffen oder erweitern können. Er habe sich für die Erweiterung entschieden. Jedoch müßten Grenzen festgelegt werden, sonst könnten die Arbeitspartner durch freie Vereinbarung das Schwergewicht der Entlohnung auf den steuerfreien Bereich des Arbeitslohns verlegen. Dieser Gefahr habe § 34 a Abs. 2 EStG 1971 schon deshalb entgegentreten müssen, um nicht über mögliche Mißbrauchstatbestände einer neuerlichen Ungleichbehandlung von tarifvertraglich und nichttarifvertraglich entlohnten Arbeitnehmern Vorschub zu leisten, in solchem Fall zu Lasten der an die Ordnung des Tarifvertragsrechts gebundenen oder in sie durch eine Tarifunterstellung eingeordneten Arbeitnehmer. Die Lösung des Gesetzgebers beuge derartigen Ungleichbehandlungs- und Mißbrauchsgefahren mit Hilfe einer prozentualen Beziehung des Zuschlags zum Grundlohn wirksam und keineswegs unter Verletzung, sondern gerade in Befolgung des Art. 3 Abs. 1 GG vor.

Die Neuregelung des § 34 a Abs. 2 EStG 1971 sei verfassungsrechtlich unbedenklich. Die Rückwirkung nach § 52 Abs. 23 EStG 1971 sei auch verfassungskonform, weil sie, wenn auch eingeschränkt, begünstigenden Charakter habe.

Die Grenzen des § 34 a Abs. 2 EStG 1971 seien an den Verhältnissen im Tarifvertragsrecht orientiert; dabei sei von dem guten Durchschnitt der in den überprüften Tarifverträgen vereinbarten Zuschlagssätze ausgegangen worden. Es seien rund 470 Lohn- und Gehaltstarifbereiche, unter die 10,8 Mio. Erwerbstätige gefallen seien, ausgewertet worden. Die Auswahl sei repräsentativ, weil sie nach den gesicherten Methoden statistischer Erhebung getroffen worden sei. Von einer ermessensfehlerhaften Gestaltung des § 34 a Abs. 2 EStG 1971 könne hiernach keine Rede sein. Etwa doch verbleibende Abweichungen hielten sich innerhalb statistisch in Kauf zu nehmender Toleranzbreiten. Es ergebe sich hiernach folgendes Bild:

1. In rund 77 v. H. der Fälle betrage der Zuschlag für Sonntagsarbeit 50 v. H.;

2. in rund 50 v. H. der Fälle betrage der Zuschlag für Arbeit an gesetzlichen Feiertagen 100 v. H. oder weniger;

3. der Zuschlag für Arbeiten an den Weihnachtsfeiertagen und am 1. Mai betrage in 92 v. H. der Fälle beim ersten Weihnachtsfeiertag, in 94 v. H. beim zweiten Weihnachtsfeiertag und in 92 v. H. beim 1. Mai 150 v. H. oder weniger;

4. für gelegentliche Nachtarbeit betrage der Zuschlag im gewogenen Durchschnitt 30 v. H. und für regelmäßige Nachtarbeit 15 v. H.

Zu Punkt 1. erklärte der Vertreter des BdF ferner in der mündlichen Verhandlung, in den übrigen 23 v. H. der Fälle weise ein Tarifvertrag einen geringeren Zuschlag als 50 v. H. aus. Die Festlegung der Grenzen gebe den Tarifpartnern einerseits eine Richtschnur für ihre Vereinbarungen, andererseits reize sie zur vollen Ausnutzung der Grenzen an.

 

Entscheidungsgründe

III. Entscheidung des Senats

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Abweisung der Klage.

1. Die gegen das zuerkennende Urteil des FG eingelegte Revision ist weiterhin zulässig, da mit der Aufhebung der folgenden Urteile durch das BVerfG und der Zurückweisung der Sache an den BFH das Verfahren in dem Stand anhängig ist, den es beim Erlaß des Urteils des FG gehabt hat. Streitgegenstand des Verfahrens ist nach dem zwischenzeitlich ergangenen Änderungsbescheid des FA nunmehr die Rechtmäßigkeit des Bescheides des FA vom 20. August 1965 in der Gestalt des Änderungsbescheids des FA vom 4. November 1971. Das zuerkennende Urteil des FG betrifft mithin nur noch einen Erstattungsbetrag von 72 DM (vgl. BFH-Beschluß vom 17. Juli 1967 GrS 1/66, BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344). Im übrigen ist die Hauptsache erledigt.

2. Das FA hat im Streitfall zu Recht § 34 a Abs. 2 EStG 1971 rückwirkend angewandt und einen Teil der Zuschläge wegen Überschreitens der dort festgelegten Grenzen weiterhin als steuerpflichtig behandelt. Bei der Entscheidung ist von dem Aufhebungsbeschluß des BVerfG auszugehen, in dem es heißt: "Der BFH wird erneut entscheiden müssen, wenn der Gesetzgeber die bestehende Ungewißheit darüber, in welcher Weise er dem Gleichheitsgebot Rechnung tragen will, beseitigt hat." Der Gesetzgeber hat die bisherige Bestimmung des § 34 a EStG a. F. in § 34 a Abs. 1 EStG 1971 im wesentlichen beibehalten. Mit § 34 a Abs. 2 EStG 1971 hat er eine neue Steuerbefreiungsvorschrift für die Zuschläge bei tarifvertraglich nicht gebundenen Arbeitnehmern geschaffen und dafür Grenzen durch Prozentsätze gesetzt, die einen guten Durchschnitt der nach der Regelung des Abs. 1 a. a. O. gezahlten Zuschläge darstellen sollen. Für diese neuen Vorschriften hat er durch § 52 Abs. 23 EStG 1971 die rückwirkende Anwendung ausgesprochen, soweit nicht die Unanfechtbarkeit von Bescheiden oder die Versäumung von Antragsfristen entgegenstehen.

3. Der Senat sieht die rückwirkende Geltung des § 34 a Abs. 2 EStG 1971 als verfassungskonform an.

Gesetze, die dem Bürger rückwirkend eine öffentlichrechtliche Leistungspflicht gegenüber dem Staat auferlegen oder erhöhen, sind zwar grundsätzlich unzulässig, da sie dem Rechtsstaatsprinzip, zu dessen wesentlichen Elementen die Rechtssicherheit und der daraus abzuleitende Vertrauensschutz des Bürgers gehören, widersprechen (BVerfG-Urteil vom 19. Dezember 1961 2 BvL 6/59, BVerfGE 13, 261). Die Zulässigkeit der Rückwirkung begünstigender Gesetze ist dagegen unbestritten (Beschluß des BVerfG vom 7. Februar 1968 1 BvR 628/66, BVerfGE 23, 85 [93]).

Die rückwirkende Anwendung des § 34 a Abs. 2 EStG 1971 gem. § 52 Abs. 23 EStG 1971 hat insofern begünstigenden Charakter, als das Gesetz bisher nicht steuerbefreite Tatbestände rückwirkend befreit. Daß das Gesetz dabei zugleich prozentuale Grenzen setzt, ist unschädlich, weil die Vorschrift als Ganzes begünstigend ist. Denn da die wegen Überschreitung der Grenzen auch rückwirkend nicht steuerbefreiten Tatbestände schon bisher nicht steuerbefreit waren, ist keine öffentlichrechtliche Leistungspflicht durch das Gesetz neu auferlegt oder erhöht worden.

Der Senat folgt nicht der Auffassung des Klägers, die rückwirkende Inkraftsetzung des § 34 a Abs. 2 EStG 1971 sei grundgesetzwidrig, weil eine vom BVerfG bereits abgeklärte Situation rückwirkend verbösernd geregelt werde. Nach Art. 94 Abs. 2 Satz 1 GG, § 31 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 13 Nr. 8 a des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht hat die Entscheidung des BVerfG bei Verfassungsbeschwerden nur dann Gesetzeskraft, wenn das BVerfG ein Gesetz als mit dem Grundgesetz vereinbar oder unvereinbar oder für nichtig erklärt. Daran fehlt es im Streitfall. Vielmehr hat das BVerfG zwar zwei Urteile aufgehoben, aber die Rechtslage im übrigen offengelassen. Es hat dem Gesetzgeber ausdrücklich anheimgestellt, die bisher fehlende Gleichheit herzustellen. Die Ansicht des Klägers, es liege eine schon durch Spruch des BVerfG abgeklärte Situation vor, ist hiernach irrig. Wenn der Gesetzgeber zum Zweck der Herstellung der Gleichheit bisher nicht begünstigte Tatbestände in die Begünstigung rückwirkend einbezieht, so ist dies ein Fall begünstigender Rückwirkung, der keine Besonderheiten aufweist und verfassungsmäßig unbedenklich ist.

4. a) Der Senat sieht auch § 34 a Abs. 2 EStG 1971 als mit dem Grundgesetz vereinbar an. In die Prüfung einbezogen werden mußte dabei die Gesamtheit der Vorschriften des § 34 a EStG 1971. Könnte Abs. 2 des § 34 a EStG 1971 für sich betrachtet werden, so würden verfassungsmäßige Zweifel von vornherein ausscheiden; denn es steht dem Gesetzgeber frei, ob und in welchen Grenzen er Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit steuerfrei stellen will. Verfassungsprobleme ergeben sich nur bei einem Vergleich der steuerfreien Behandlung der unter Abs. 1 a. a. O. fallenden Zuschläge einerseits und der unter Abs. 2 a. a. O. fallenden Zuschläge andererseits.

b) Wenn sich der Gesetzgeber entschloß, die vom BVerfG bemängelte Ungleichheit dadurch zu beseitigen, daß er die Steuerfreiheit der tarifvertraglichen Zuschläge aufrechterhielt, sie aber auf solche Zuschläge ausdehnte, die auf anderen Rechtsgrundlagen (Betriebsvereinbarung, Einzelarbeitsvertrag) beruhen, so ging sein Wille auf die Verwirklichung einer der vom BVerfG im Beschluß 1 BvR 723/65 ausdrücklich aufgezeigten Möglichkeiten. Dabei ist nicht zu bezweifeln, daß eine unbegrenzte Freistellung der auf anderen Rechtsgrundlagen beruhenden Zuschläge (im folgenden kurz als "andere Zuschläge" bezeichnet) die bestehende Ungleichheit nicht beseitigt hätte, sondern zu neuen Ungleichheiten hätte führen müssen. Es ist dem BVerfG zwar zuzugeben, daß auch in Tarifverträgen zur Ausnutzung der Steuervorteile nach § 34 a EStG niedrige Löhne und dafür um so höhere Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschläge vereinbart werden können. Wahrscheinlich ist das im allgemeinen aber nicht, weil die Vielfalt der in einem Tarifvertrag (ggf. mit dem zugehörigen Manteltarifvertrag) zu treffenden Vereinbarungen in der Regel zu einem angemessenen Interessenausgleich zwischen der Gewerkschaft einerseits und der Arbeitgebervereinigung bzw. (bei Haustarifverträgen) dem einzelnen Arbeitgeber führen wird. Dieses Regulativ fehlt aber bei Betriebsvereinbarungen weitgehend und bei Regelungen in Einzelarbeitsverträgen meist völlig.

Die Steuerfreiheit der "anderen Zuschläge" mußte daher eingegrenzt werden, um die Steuerfreiheit für evtl. unangemessen hohe Zuschläge zu versagen. Dieses Ziel ist auch vom BVerfG in dem bezeichneten Beschluß als durchaus legitim angesehen worden. Der dort zur Erreichung dieses Zieles aufgezeigte Weg, der Steuerbehörde die Überprüfung der Angemessenheit des Zuschlages zu übertragen, ist vom Gesetzgeber mit Recht nicht beschritten worden. Er hätte mit Sicherheit zu zahlreichen Streitfällen geführt, ohne die erstrebte Gleichheit zu erzielen. Würde man die Entscheidung, was angemessen und was unangemessen ist, "der Steuerbehörde", also dem einzelnen FA überlassen, so wären voneinander abweichende Entscheidungen nicht zu vermeiden. Zweifelhaft ist auch, woran der Zuschlag im einzelnen Fall zwecks Feststellung der Angemessenheit zu "messen" wäre. Dafür würde sich vermutlich die Regelung in einem "vergleichbaren" Tarifvertrag anbieten. Der BdF weist aber mit Recht darauf hin, daß dieser Weg überall dort versagt, wo ein vergleichbarer Tarifvertrag nicht vorhanden ist. Auch der Kläger hat darauf hingewiesen, daß es weite Bereiche im Wirtschaftsleben gibt, wo üblicherweise Tarifverträge nicht abgeschlossen werden. Um eine solche Regelung praktikabel zu machen (daß im Steuerrecht die Auswirkungen auf die Praktikabilität des Verfahrens besonders zu beachten sind, hat das BVerfG im Beschluß 1 BvR 723/65 im Einklang mit seiner ständigen Rechtsprechung ausdrücklich betont), wäre die Verwaltung ohne Richtsätze oder ähnliche Anhaltspunkte nicht ausgekommen.

c) Geht man hiervon aus, so ist dem BdF darin beizustimmen, daß es dem Gesetzgeber nicht verwehrt war, diese Prüfung der Angemessenheit vorwegzunehmen und entsprechende gesetzliche Grenzen der Steuerfreiheit der "anderen Zuschläge" festzulegen.

Der zur Ermittlung der "angemessenen" Zuschläge und zum Ausschluß unangemessen hoher Zuschläge eingeschlagene Weg, sich an tarifvertraglichen Regelungen zu orientieren, ist im Grundsatz sachgerecht. Es sei hierzu auf die obigen Ausführungen über den bei Tarifvertragsverhandlungen in der Regel sich abzeichnenden natürlichen Interessenausgleich verwiesen. Auf diese Weise wird auch ein Gesichtspunkt berücksichtigt, der sich im Tarifvertragswesen historisch entwickelt hat. Es zeigt sich nämlich, daß in den Tarifverträgen die Zuschläge für die verschiedenen Arten der begünstigten Arbeit (Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit) in der Regel sehr verschieden hoch bemessen werden. Ihre Höhe richtet sich in erster Linie danach, einen wie starken Eingriff in den üblichen und natürlichen Lebens- und Arbeitsrhythmus des Arbeitnehmers die verschiedenen Arten der bezeichneten Arbeiten darstellen. Sonntagsarbeit - und erst recht Arbeit an gesetzlichen Feiertagen oder gar an hohen Feiertagen - stellt einen wesentlich stärkeren Eingriff in diesen Ablauf dar als etwa Nachtarbeit, die zu vielfach durchaus begehrter zusätzlicher Freizeit am Tage führt. Dabei ist der Eingriff bei gelegentlicher Nachtarbeit größer - wegen der von Fall zu Fall gebotenen Umstellung auf den veränderten Arbeitsrhythmus - als bei regelmäßiger Nachtarbeit (Schichtarbeit). Im letzteren Fall dürfte zudem der laufenden Unbequemlichkeit weitgehend durch eine höhere Bemessung des Grundlohnes Rechnung getragen werden.

Will man eine weitestmögliche Gleichstellung tarifvertraglicher und "anderer" Zuschläge erreichen, so muß die Steuerfreiheit der letzteren für die verschiedenen Arten der begünstigten Arbeiten gleichfalls abgestuft werden.

d) Es kann nur fraglich sein, auf welche tarifvertraglichen Richtwerte die Ermittlungen ausgerichtet sein sollten, ob man den Durchschnitt der in Tarifverträgen vereinbarten Zuschlagssätze feststellen will oder ob man, um jede Benachteiligung der "anderen" Zuschläge zu vermeiden, die Höchstsätze der Steuerfreiheit an den höchsten ermittelten tarifvertraglichen Sätzen ausrichten soll. Nach Auffassung des Senats ist es eine sachgerechte Lösung, wenn der Gesetzgeber vom "guten Durchschnitt" der sich in Tarifverträgen findenden Sätze ausgegangen ist. Würde man von den höchsten ermittelten Sätzen ausgehen, die sich möglicherweise nur in einzelnen Tarifverträgen finden und ihren Grund in besonders gelagerten Verhältnissen einer Branche oder eines einzelnen Betriebes haben können, so würde man der Vielfalt der tarifvertraglichen Regelungen nicht gerecht. Es bliebe dann nämlich völlig außer Betracht, daß eine Reihe von Tarifverträgen niedrigere Sätze vorsieht als die in § 34 a Abs. 2 EStG 1971 festgelegten. Zudem würde eine Bemessung der Sätze des Abs. 2 nach den höchsten sich in Tarifverträgen findenden Sätzen vermutlich einen Trend auslösen, die tarifvertraglichen Sätze diesen Sätzen allgemein anzupassen mit der unerwünschten Folge, daß in stärkerem Ausmaß als bisher die auf die begünstigte Arbeit entfallenden Lohnteile ausgeweitet würden. Würde man die Ausrichtung an den höchsten festgestellten tarifvertraglichen Sätzen verlangen, so wäre vermutlich eine laufende Anpassung der Sätze des Abs. 2 in stärkerem Maße geboten als bei den jetzigen, am guten Durchschnitt orientierten Sätzen; das würde die erwünschte weitgehende Stabilität der gesetzlichen Regelung gefährden.

e) Der Senat teilt auch nicht die Bedenken des Klägers gegen die angewandte Methode. Die Sätze sind im Zusammenwirken zwischen den in der Bundesregierung beteiligten Ressorts (Bundesministerium der Finanzen und Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung - BMA -) mit dem Finanzausschuß des Bundestages unter Berücksichtigung der Empfehlung des mitberatenden Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung des Bundestags festgelegt worden. Der Senat teilt die Ansicht des BdF, daß die zugrunde liegenden Ermittlungen des BMA zu repräsentativen Ergebnissen geführt haben, weil sie - wie der BdF ausführlich darlegt - nach den gesicherten Methoden statistischer Erhebung getroffen worden sind. Nach den Ausführungen des BdF erfassen die ausgewerteten rund 470 Lohn- und Gehaltstarifbereiche mehr als die Hälfte aller in der Privatwirtschaft beschäftigten abhängigen Erwerbstätigen. Die Auswahl bezog sich, soweit möglich, auf die Tarifbereiche mit den höchsten Beschäftigtenzahlen. Der Senat hält diese Methode für sachgerecht und das hierdurch gewonnene Ergebnis für brauchbar, zumal einzelne Sätze im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens noch angehoben worden sind. Er teilt nicht die Bedenken des Klägers, eine solche Durchschnittsbildung sei nicht verfassungskonform, weil sie regionale Unterschiede sowie strukturelle Verschiedenheiten der Betriebe nicht ausreichend berücksichtige. Die Basis der statistischen Ermittlungen erscheint dem Senat breit genug, um solche Unterschiede in zulässiger Weise einzuebnen.

Eine Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das FG, die nach § 127 FGO möglich wäre, weil der Antrag nach § 68 FGO während des Revisionsverfahrens gestellt wurde, war nicht geboten, da die Sache spruchreif ist (vgl. BFH-Urteil vom 2. Februar 1973 III R 27/72, BFHE 108, 297, BStBl II 1973, 501).

 

Fundstellen

Haufe-Index 413351

BStBl II 1975, 820

BFHE 116, 369

BFHE 1976, 369

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge