Leitsatz (amtlich)

Auch eine ausländische Kapitalgesellschaft kann Organ im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 GewStG sein.

 

Normenkette

GewStG § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 2

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Handelsgesellschaft ausländischen Rechts (Limited Liability Company) mit dem Sitz in ... Ihre Geschäftsleitung und eine im Handelsregister eingetragene Zweigniederlassung befanden sich bis 1974 in München. An der Klägerin ist die H-GmbH zu 100 v. H. beteiligt. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, daß die Klägerin in den Betrieb der H-GmbH wirtschaftlich und organisatorisch eingegliedert ist. Ein Gewinnabführungsvertrag besteht seit 1. Januar 1970 nicht mehr.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) hatte für die Klägerin durch vorläufigen Bescheid für den Erhebungszeitraum 1970 einen einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag festgesetzt. Das FA ging davon aus, daß ein Organschaftsverhältnis der Klägerin zur H-GmbH nicht vorliege, weil eine ausländische Kapitalgesellschaft nicht Organ sein könne. Der Festsetzung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrags wurden das von der Klägerin für die inländische Zweigniederlassung selbständig ermittelte Ergebnis und Betriebsvermögen zugrunde gelegt.

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) teilte die Auffassung des FA. Seine Entscheidung ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1976 S. 401 (EFG 1976, 401) abgedruckt.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin unrichtige Anwendung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG). Sie beantragte, das angefochtene Urteil des FG, die Einspruchsentscheidung des FA und den vorläufigen Gewerbesteuermeßbescheid 1970 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung und der angefochtenen Gewerbesteuermeßbescheide. Die Klägerin ist Organ der H-GmbH (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 GewStG).

1. Für den Streitfall kann es dahingestellt bleiben, ob die Klägerin nicht deshalb, weil sie - wie vorgetragen - ihre gesamte Tätigkeit ausschließlich in einer inländischen Betriebstätte ausübt, als inländisches Unternehmen angesehen werden muß. Revision und Klage sind auch dann begründet, wenn die Klägerin ein ausländisches Unternehmen ist.

a) Das FG hat seine Auffassung im wesentlichen auf den Wortlaut des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 GewStG gestützt. Es hat aus der Gegenüberstellung des Wortes "Kapitalgesellschaft" und der Worte "anderes inländisches Unternehmen" gefolgert, daß auch die Kapitalgesellschaft, deren Organeigenschaft in Frage steht, eine inländische Kapitalgesellschaft sein müsse. Diese Auslegung ist nicht zwingend. Der Gesetzestext kann - rein grammatikalisch - ebensogut so verstanden werden, wie ihn die Klägerin deutet. Danach sollen mit den Worten "Kapitalgesellschaft" und "anderes inländisches Unternehmen" lediglich Organ und Organträger voneinander unterschieden werden. Die Worte "anderes ... gewerbliches Unternehmen" bezögen sich bei diesem Wortverständnis nur auf das Unternehmen des Organträgers, ohne daß aus der Beifügung "inländisches" geschlossen werden könnte, daß auch die Kapitalgesellschaft als Organgesellschaft ein inländisches Unternehmen sein müsse.

Die Klägerin kann sich für ihre Auslegung auf die Entstehung des im Streitjahr geltenden Gesetzeswortlauts berufen. Die Vorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 GewStG 1936 vom 1. Dezember 1936 (RGBl I, 979, RStBl 1936, 1149) lautete im Anschluß an die in § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 GewStG beschriebenen Unternehmen wie folgt: "Ist ein solches Unternehmen dem Willen eines anderen inländischen Unternehmens derart untergeordnet, daß es keinen eigenen Willen hat, so gilt es als Betriebstätte dieses Unternehmens." Der doppelte Gebrauch des Wortes Unternehmen in dieser Gesetzesfassung deutet verstärkt darauf hin, daß das Wort "anderes" nur aus sprachlichen Gründen zur Unterscheidung der beiden in dieser Vorschrift angesprochenen Unternehmen gewählt worden ist. Durch Art. 3 Nr. 1 a des Gesetzes zur Änderung des Körperschaftsteuergesetzes und anderer Gesetze vom 15. August 1969 (BGBl I, 1182, BStBl I, 471) wurde das in der bisherigen Gesetzesfassung zuerst genannte Unternehmen ("ein solches Unternehmen") durch das Wort "Kapitalgesellschaft" ersetzt. Damit wurde lediglich zum Ausdruck gebracht, daß nur eine Kapitalgesellschaft als Organgesellschaft in Betracht kommt. Daß sich der Sinn der Worte "in ein anderes inländisches Unternehmen" dadurch verändert habe, kann nicht angenommen werden.

b) Der Sinnzusammenhang der Vorschrift bestätigt die Auslegung der Klägerin.

Die Vorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 GewStG kann nicht losgelöst von den übrigen in § 2 GewStG getroffenen Regelungen verstanden werden. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG unterliegt der Gewerbesteuer jeder stehende Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird. Im Inland betrieben wird ein Gewerbebetrieb u. a. insoweit, als für ihn im Inland eine Betriebstätte unterhalten wird (§ 2 Abs. 1 Satz 3 GewStG). Dies gilt für alle Gewerbebetriebe, also auch für die Gewerbebetriebe inländischer und ausländischer Kapitalgesellschaften.

In dem dadurch vorgezeichneten Rahmen bewegt sich die Aussage des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 GewStG. Danach gilt als Gewerbebetrieb stets und in vollem Umfang die Tätigkeit der Kapitalgesellschaften. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, daß - abweichend von § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG - bei den Gewerbebetrieben von Kapitalgesellschaften nicht gesondert geprüft werden muß, ob die Voraussetzungen eines gewerblichen Unternehmens im Sinne des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorliegen. Im Zusammenhang mit § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG bezieht sich diese Aussage auf die Gewerbebetriebe inländischer und ausländischer Kapitalgesellschaften, soweit sie im Inland betrieben werden.

Die den Fall der Organschaft regelnde Vorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 GewStG schließt sich zwanglos an den vorausgehenden Satz 1 an. Dies spricht entscheidend dafür, daß der Bedeutungsgehalt des Begriffs Kapitalgesellschaft in § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 GewStG nicht weiter, aber auch nicht enger sein soll als im vorhergehenden Satz 1 und damit gleichfalls ausländische Kapitalgesellschaften, soweit sie im Inland einen Gewerbebetrieb unterhalten, mitumfaßt.

c) Letzte Zweifel hinsichtlich der Bedeutung der Vorschrift werden behoben, wenn man auf den Sinn der Organschaft im Gewerbesteuerrecht zurückgeht.

Das Gewerbesteuerrecht hat die Organschaft im Anschluß an die Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts übernommen. Der Grund hierfür lag darin, daß die Gemeinde, in deren Bezirk das Unternehmen einer Organgesellschaft liegt, in ihrem Anspruch auf Gewerbesteuer benachteiligt werden kann, wenn das Unternehmen des Organträgers in dem Bezirk einer anderen Gemeinde liegt. Die Organschaft gibt dem Organträger die Möglichkeit, Gewerbekapital und Gewerbeertrag der Organgesellschaft so zu beeinflussen, daß die Gemeinde der Organgesellschaft nicht oder nicht in einem ausreichenden Umfang an der vom Organkreis aufgebrachten Gewerbesteuer beteiligt wird (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 12. Dezember 1939 I 205/38, RFHE 48, 67, RStBl 1940, 29; Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 6. Oktober 1953 I 29/53 U, BFHE 58, 101, BStBl III 1953, 329; vom 8. Januar 1963, I 237/61 U, BFHE 76, 513, BStBl III 1963, 188, und vom 23. März 1965 I 338/60 U, BFHE 82, 559, BStBl III 1965, 449). Da das Unternehmen der Organgesellschaft als Betriebstätte des Organträgers gilt, wird sichergestellt, daß die für die Organgesellschaft zuständige Gemeinde an der Zerlegung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrags (§ 28 GewStG) des Organträgers teilnimmt. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn der Organträger ein inländisches Unternehmen ist, bei dem der einheitliche Steuermeßbetrag nach den Grundsätzen des deutschen Gewerbesteuergesetzes ermittelt, festgesetzt und zerlegt werden kann. Dieser Zweck der Organschaft erfordert es nicht, daß auch die Organgesellschaft ein inländisches Unternehmen ist. Der Bezug des Organunternehmens zum Inland ist schon dadurch hergestellt, daß es im Inland einen Gewerbebetrieb unterhält (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG).

d) Dieser Auslegung steht auch nicht entgegen, daß nach § 7 a Abs. 1 und 5 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) die Anerkennung einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft voraussetzt, die Organgesellschaft müsse ihre Geschäftsleitung und ihren Sitz im Inland haben. Die Organschaft im Gewerbesteuerrecht stimmt nicht in jeder Hinsicht mit der im Körperschaftsteuerrecht überein. Die Verweisung in § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 GewStG auf § 7 a Abs. 1 Nr. 1 und 2 KStG bezieht sich nach dem insoweit eindeutigen Gesetzeswortlaut nur auf die Voraussetzungen der Eingliederung. Dagegen wird etwa der in § 7 Abs. 1 KStG geforderte Gewinnabführungsvertrag im Sinne des § 291 Abs. 1 des Aktiengesetzes im Gewerbesteuerrecht nicht für die Anerkennung einer Organschaft verlangt.

2. Da die Vorinstanz von einer abweichenden Rechtsauffassung ausgegangen ist, muß ihre Entscheidung aufgehoben werden. Die Sache ist spruchreif. Das FG hat festgestellt, daß die Voraussetzungen der finanziellen, wirtschaftlichen und organisatorischen Eingliederung der Klägerin in das Unternehmen der H-GmbH nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 GewStG i. V. m. § 7 a Abs. 1 Nr. 1 und 2 KStG vorliegen. Die Klage ist daher begründet. Die Einspruchsentscheidung des FA, der ursprüngliche und der geänderte Gewerbesteuermeßbescheid 1970 sind, da die Klägerin nicht der Gewerbesteuer unterliegt, gleichfalls aufzuheben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 73124

BStBl II 1979, 447

BFHE 1979, 420

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