Leitsatz (amtlich)

Eine gleichzeitig mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels eingelegte unbedingte Revision wird mit ihrer Zulassung durch den BFH nachträglich (rückwirkend) statthaft.

 

Normenkette

FGO § 120 Abs. 1, § 115 Abs. 2-5

 

Gründe

Die Revisionen der Klägerin sind zulässig. Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, daß die Revisionen vor ihrer Zulassung eingelegt worden sind.

Die Revisionen waren zwar ursprünglich nicht statthaft; die Voraussetzungen der §§ 115 Abs. 1 oder 116 der Finanzgerichtsordnung (FGO) waren nicht erfüllt. Mit ihrer Zulassung durch den Beschluß I B 22-23/78 sind sie jedoch nachträglich (rückwirkend) statthaft geworden (vgl. Tipke-Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 9. Aufl., § 120 FGO Tz. 3 b; Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 120 Tz. 8).

Ohne Einfluß auf die Zulässigkeit ist auch der Umstand, daß zum Zeitpunkt der Einlegung die Revisionsfrist noch nicht zu laufen begonnen hatte. In § 115 Abs. 5 letzter Satz FGO ist zwar bestimmt, daß dann, wenn einer Nichtzulassungsbeschwerde stattgegeben wird, der Lauf der Revisionsfrist (erst) mit der Zustellung des Beschwerdebescheides beginnt; gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist (in einem derartigen Fall) die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision einzulegen. Daraus ist aber nicht zu schließen, daß eine nach Zustellung des Urteils, jedoch vor Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde eingelegte (unbedingte) Revision wegen Nichteinhaltung der gesetzlichen Fristen unzulässig wäre. Durch die in § 120 Abs. 1 (i. V. m. § 115 Abs. 5 letzter Satz) FGO getroffene Regelung soll lediglich verhindert werden, daß die Revision nach Fristablauf (nicht aber, daß sie vor Fristbeginn) eingelegt wird (vgl. z. B. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22. Juli 1969 VII B 36/68, BFHE 96, 264, BStBl II 1969, 623, mit weiteren Nachweisen; von Wallis in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 120 FGO Anm. 8).

Die Revisionen sind schließlich auch nicht an die Bedingung eines Erfolges der gleichzeitig eingelegten Nichtzulassungsbeschwerden geknüpft worden; die Klägerin hat sie bedingungs- und vorbehaltlos erhoben. Der Beschluß des BFH vom 10. Oktober 1973 VIII R 219/72 (BFHE 110, 393, BStBl II 1974, 34) ist nicht einschlägig. Die Zulassung ist als sogenannte Rechtsbedingung zu beurteilen; sie gehört zu den gesetzlichen Erfordernissen, von denen im Streitfall die Zulässigkeit der Revisionen abhängt (vgl. z. B. den BFH-Beschluß VII B 36/68 mit weiteren Nachweisen; Gräber, Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 115 Anm. 8; Ziemer-Birkholz, a. a. O.; Tipke-Kruse, a. a. O.).

Diese Rechtsauffassung entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - (vgl. insbesondere das Urteil vom 17. Oktober 1968 VIII C B 188/67, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1969 S. 634 - HFR 1969, 634 -). Soweit das Bundessozialgericht in seinem Beschluß vom 24. April 1975 2 R U 63/75 (HFR 1976, 32) eine andere Auffassung vertreten haben sollte, könnte ihr der Senat nicht folgen. Ein Abweichen im Sinne des § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Juni 1968 (BGBl I 1968, 661) liegt nicht vor. Das Sozialgerichtsgesetz kennt den Fall der Streitwertrevision - und die sich dadurch in Grenzfällen ergebende besondere Schwierigkeit für den Revisionskläger - nicht. In Fällen, in denen die Höhe des Streitwerts nicht klar erkennbar ist, besteht für den Verfahrensbeteiligten, der nur einen der beiden Rechtsbehelfe einlegt, die Gefahr, jegliche Rechtsmittelmöglichkeit zu verlieren. Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes erfordert es hier, keine nachteiligen Folgen an die gleichzeitige Einlegung beider Rechtsmittel zu knüpfen (vgl. auch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Oktober 1975 2 BvR 630/73, BStBl II 1976, 271, BVerfGE 40, 272).

 

Fundstellen

Haufe-Index 73218

BStBl II 1979, 650

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